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BFH 15.05.2013 - VII R 2/12
BFH 15.05.2013 - VII R 2/12 - Haftungsinanspruchnahme des Alleingesellschafters nach Zustimmung des FA zum Insolvenzplan für die AG - Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung des FA
Normen
§ 254 Abs 2 S 1 InsO, § 69 AO, § 34 AO, § 227 Abs 2 InsO, § 191 Abs 5 S 1 Nr 2 AO, § 5 AO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 23. November 2011, Az: 2 K 1683/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die im Insolvenzplan vereinbarte Befreiung von einer Forderung des FA wirkt nur zwischen den Planbeteiligten. Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner werden durch den Plan nicht berührt.
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2. NV: Der Insolvenzplan führt nicht zu einem Erlöschen des entsprechenden Teils der Steuerforderung und steht der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nicht entgegen.
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3. NV: Einen Wertungswiderspruch zwischen dem die Insolvenzordnung prägenden Schuldnerschutz und den Haftungsvorschriften der Abgabenordnung gibt es nicht.
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4. NV: Vertrauen in den Insolvenzplan kann nicht zur Rechtswidrigkeit eines Haftungsbescheids nach §§ 69, 34 AO führen.
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5. NV: Nur der persönlich haftende Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit kann von der Schuldbefreiung seiner Gesellschaft durch den Insolvenzplan profitieren. Wer als Alleingesellschafter einer AG den Vorteil der sich aus dieser Rechtsform ergebenden Haftungsbeschränkung in Anspruch nimmt, kann nicht insolvenzrechtlich die Gleichbehandlung mit dem persönlich haftenden Gesellschafter beanspruchen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war alleiniger Anteilseigner und Vorstand der … AG. Wegen Umsatzsteuer und Säumniszuschlägen, die die AG dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) schuldete, nahm das FA den Kläger mit Bescheid vom 28. Februar 2007 in Haftung.
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In dem über das Vermögen der AG eröffneten Insolvenzverfahren stimmte das FA am 14. Juni 2007 dem inzwischen rechtskräftigen Insolvenzplan zu, wonach die Gläubiger mit einer Quote von 0,5 % ihrer Forderungen befriedigt werden sollten.
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Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid blieben bis auf geringfügige Reduzierungen der Haftungssumme erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 905 veröffentlicht.
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Der Kläger begründet seine Revision damit, dass der Haftungsbescheid angesichts der Zustimmung des FA zum Insolvenzplan gegen Treu und Glauben verstoße. Durch die Inanspruchnahme werde die mit dem Insolvenzplan verfolgte Sanierung des Unternehmens unmöglich gemacht. Denn bei der Insolvenzschuldnerin handele es sich zwar rechtlich um eine AG, tatsächlich aber um ein kleines Einzelunternehmen, das entscheidend von seiner Person abhänge, weil er nicht nur alleiniger Gesellschafter und Vorstand, sondern darüber hinaus als Ingenieur auch die tragende Kraft des Unternehmens sei. Mit seiner Inanspruchnahme werde letztlich vernichtend auf die AG zugegriffen, was durch den Insolvenzplan gerade habe verhindert werden sollen. Der sog. Regresssperre des § 254 Abs. 2 Satz 2 der Insolvenzordnung (InsO) liege der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass von der Inanspruchnahme Dritter --hier des Klägers-- keine negativen Auswirkungen auf Durchführung und Verwirklichung des Insolvenzplans ausgehen solle. Damit, aber auch mit der Zustimmung des FA zum Insolvenzplan, sei in der besonderen Gestaltung des Falles die Inanspruchnahme des Alleingesellschafters unvereinbar - ein krasser Fall des venire contra factum proprium.
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Der Kläger beantragt, das FG-Urteil und die Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
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Das FA schließt sich dem FG-Urteil an und beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der insolvenzrechtlich begründete Teilerlass der planunterworfenen Steuerforderung sei einer auch dem weiteren Gesamtschuldner zugutekommenden Erfüllung der Steuerschuld i.S. des § 44 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) nicht gleichzusetzen. Auch aus § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO ergebe sich, dass der Insolvenzplan keinen Einfluss auf die Haftung des Klägers habe.
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Ergänzend betont das FA, der Kläger müsse sich an der von ihm gewählten Rechtsform für das Unternehmen festhalten lassen. Es habe sich mit seiner Zustimmung zum Insolvenzplan für die AG nicht zugleich verpflichtet, auf den Haftungsanspruch gegen den Kläger zu verzichten. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da im Verhältnis zum Haftungsschuldner kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei. Im Übrigen sei eine Privilegierung des Haftungsschuldners bei verschuldensabhängiger Haftung --wie im Streitfall nach §§ 69, 34 AO-- dem Gesetz fremd.
Entscheidungsgründe
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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Das Urteil des FG entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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1. Es ist nicht streitig und auch nicht zweifelhaft, dass der Kläger die Haftungsvoraussetzungen der §§ 69, 34 AO dem Grunde und der Höhe nach erfüllt.
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2. Entgegen der Auffassung des Klägers steht seiner Inanspruchnahme als Haftungsschuldner auch nicht entgegen, dass das FA dem Insolvenzplan für die AG zugestimmt hat.
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a) Nach § 254 Abs. 1 InsO treten mit Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein. Im Streitfall sollen die Gläubiger mit einer Quote von 0,5 % befriedigt werden. Der damit vereinbarte Erlass von 99,5 % der Forderung des FA wirkt nur zwischen den Planbeteiligten. Ausdrücklich bestimmt § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO, dass die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner durch den Plan nicht berührt werden. Das entspricht der früheren Rechtslage nach § 82 Abs. 2 der Vergleichsordnung und § 193 Satz 2 der Konkursordnung (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 19. Mai 2011 IX ZR 222/08, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2011, 1380).
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b) Die mit dem Insolvenzplan bewirkte (teilweise) Befreiung der Schuldnerin von ihrer Steuerschuld führt nicht zu einem Erlöschen der Steuerforderung i.S. des § 47 AO (BGH-Urteil in HFR 2011, 1380). Sie berührt nicht den Bestand der Forderungen als solchen, sondern nur deren Durchsetzbarkeit. Sie ist kein "Erlass" und steht deshalb der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nicht nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO entgegen. Denn diese Vorschrift will verhindern, dass ein dem Steuerschuldner gewährter Erlass dadurch wirtschaftlich zunichte gemacht wird, dass der an seiner Stelle in Anspruch genommene Haftungsschuldner bei jenem Regress nimmt. Diese Gefahr besteht im Allgemeinen nicht, wenn über das Vermögen des Steuerschuldners ein Insolvenzverfahren anhängig ist oder gewesen ist.
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c) Entgegen der Auffassung des Klägers gebieten auch die von ihm hervorgehobenen "Besonderheiten des Sachverhalts" nicht, ihn von der Haftung für die Steuer- und Abgabenschulden der AG freizustellen.
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aa) Aus dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung kann der Kläger nicht ableiten, dass das FA von seiner Haftungsinanspruchnahme absehen müsse, wenn es mit der Zustimmung zum Insolvenzplan dem mit dieser insolvenzrechtlichen Gestaltungsmöglichkeit verfolgten Ziel der Unternehmenssanierung Rechnung trägt. Einen eine Auflösung gebietenden Wertungswiderspruch zwischen dem die Insolvenzordnung prägenden Schuldnerschutz und den Haftungsvorschriften der Abgabenordnung gibt es nicht. Denn die Insolvenzordnung beschränkt --wie oben schon dargestellt-- die Rechtswirkungen des Insolvenzplans ausdrücklich auf die Planbeteiligten und lässt die anderweitig geregelte Inanspruchnahme der Mitschuldner --zu denen die Haftungsschuldner zählen-- ausdrücklich unberührt (§ 254 Abs. 2 Satz 1 InsO). Wie aus der sog. Regresssperre des § 254 Abs. 2 Satz 2 InsO, die ausdrücklich den Schuldner schützt, ein allgemeiner Rechtsgedanke abzuleiten sein könnte, jedwede Inanspruchnahme Dritter sei zu unterlassen, die negative Auswirkungen auf die Durchführung des Insolvenzplans haben könnte, erschließt sich dem Senat nicht.
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bb) Auch mit einem auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützten Anspruch auf Schutz seines Vertrauens in den im Insolvenzplan vereinbarten Teilerlass des FA kann der Kläger die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheids nicht begründen. Abgesehen von den vom FA und FG dagegen vorgebrachten Argumenten ist ein solches Vertrauen bei einem wegen schuldhafter Verletzung seiner steuerlichen Pflichten als gesetzlicher Vertreter nach §§ 69, 34 AO Haftenden angesichts der eindeutigen Rechtslage (§ 254 Abs. 2 Satz 1 InsO) grundsätzlich nicht schützenswert.
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cc) Besonderheiten des Einzelfalles sind regelmäßig im Rahmen der vom FA zu treffenden Ermessensentscheidung über die Haftungsinanspruchnahme gemäß § 191 Abs. 1 AO --ggf. noch in der Einspruchsentscheidung-- zu berücksichtigen. Die gerichtliche Prüfung dieser Ermessensentscheidung ist gemäß § 102 Satz 1 FGO darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
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In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass die Ermessensentscheidung fehlerhaft ist, wenn die Behörde bei ihrer Entscheidung Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art, die nach Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift zu berücksichtigen wären, außer Acht lässt. Merkmale des Haftungstatbestandes ebenso wie außertatbestandliche Gesichtspunkte müssen demnach bei der Ermessensentscheidung nach § 191 Abs. 1 AO nur dann berücksichtigt werden, wenn sie nach Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift für die Ermessensausübung von Bedeutung sind (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 1996 VII R 53/96, BFH/NV 1997, 386, m.w.N.).
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Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das FG die Entscheidung des FA nicht beanstandet, obwohl dieses den vom Kläger behaupteten negativen Auswirkungen der Haftungsinanspruchnahme auf die Sanierung der AG keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Der Senat kann offenlassen, inwieweit solche Auswirkungen bei der Entscheidung über die verschuldensabhängige Haftung nach §§ 69, 34 AO überhaupt beachtlich sein können. Denn weder dem Vorbringen des Klägers noch den Feststellungen des FG ist zu entnehmen, dass das FA die vom Kläger hervorgehobenen besonderen Umstände des Sachverhalts --dass der Kläger faktisch ein Einzelunternehmen geführt habe und seine Haftungsinanspruchnahme deshalb die mit dem Insolvenzplan beabsichtigte Sanierung der AG vereitele-- nicht erkannt hat. Aus den Erwägungen des FA wird vielmehr deutlich, dass ihm die faktischen Auswirkungen der Inanspruchnahme des Klägers auf die Sanierung der AG sehr wohl bewusst waren. Auch hat der Senat keine Zweifel, dass die Entscheidung, gleichwohl an der Haftungsinanspruchnahme festzuhalten, nicht als venire contra factum proprium zu beanstanden ist, sondern auf sachgerechten und plausiblen Erwägungen beruht. Wie sich aus der Einspruchsentscheidung und ergänzend dem Beklagtenvorbringen vor dem FG sinngemäß entnehmen lässt, argumentiert das FA zutreffend, dass es allein in der Gestaltungsfreiheit des Klägers gelegen habe, sein Unternehmen als AG und damit als eigenständige Rechtsperson --auch hinsichtlich der Rechtswirkungen eines Insolvenzplans-- zu führen. Der Kläger kann nicht einerseits den Vorteil der sich aus der Rechtsform der AG ergebenden Haftungsbeschränkung in Anspruch nehmen, gleichwohl andererseits insolvenzrechtlich wie der persönlich haftende Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (§ 227 Abs. 2 InsO) von der Schuldbefreiung seiner Gesellschaft durch den Insolvenzplan profitieren wollen. Ein korrekturbedürftiger Ermessensfehler des FA ist darin nicht zu erkennen.
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