BVerfG 22.03.2013 - 1 BvR 791/12 - Nichtannahmebeschluss: Zum Umfang der Beschwerdebefugnis des Insolvenzverwalters sowie zum Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses nach Erledigung - hier: Insolvenz eines Medizinischen Versorgungszentrums und Entziehung der Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung - Insolvenzverwalter bzgl höchstpersönlicher Rechtspositionen (hier: Kassenzulassung) nicht beschwerdebefugt - Wegfall des Rechtsschutzinteresse bzgl Kassenzulassung aufgrund Betriebseinstellung
Normen
§ 90 Abs 1 BVerfGG, § 95a, § 95, § 95, § 95, § 98
Vorinstanz
vorgehend BSG, 21. März 2012, Az: B 6 KA 22/11, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 23. Februar 2011, Az: L 7 KA 62/10, Urteil
vorgehend SG Berlin, 7. Juli 2010, Az: S 22 KA 605/09, Urteil
Gründe
I.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren wegen der Entziehung der Zulassung für ein Medizinisches
Versorgungszentrum.
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1. Die ursprüngliche, jetzt insolvente Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand
der Betrieb eines Medizinischen Versorgungszentrums ist. Auf Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung B… entzog ihr der Zulassungsausschuss
mit Beschluss vom 27. April 2009 die im Jahr zuvor erteilte Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung.
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Klage und Berufung gegen die Entziehung der Zulassung waren erfolglos. Das Bundessozialgericht wies auch die Revision zurück
(Urteil vom 21. März 2012).
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Mit Beschluss vom 1. April 2012 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Der zum Insolvenzverwalter
bestellte Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 4. April 2012 erklärt, er führe das von der ursprünglichen Beschwerdeführerin
eingeleitete Verfassungsbeschwerdeverfahren fort.
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Mit Ablauf des 30. Juni 2012 wurde die vertragsärztliche Tätigkeit im Medizinischen Versorgungszentrum eingestellt und die
Arbeitsverträge mit den angestellten Ärzten gekündigt. Daraufhin stellte der Zulassungsausschuss für Ärzte mit Beschluss vom
1. August 2012 die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit der angestellten Ärzte mit Wirkung zum 30. Juni 2012 fest.
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2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3
Abs. 1 und Art. 14 GG jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG.
II.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht
vorliegen. Die von dem Beschwerdeführer fortgeführte Verfassungsbeschwerde ist mangels Beschwerdebefugnis unzulässig (1.).
Darüber hinaus fehlt dem Beschwerdeführer aufgrund der Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Medizinischen Versorgungszentrums
zum 30. Juni 2012 für das Verfassungsbeschwerdeverfahren das Rechtsschutzbedürfnis (2.).
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1.a) Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer geltend macht, durch eine Maßnahme
der öffentlichen Gewalt in eigenen Rechten betroffen zu sein. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist eine Prozessstandschaft
grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE 2, 292 294>; 10, 134 136>; 11, 30 35>; 19, 323 329>; 56, 296 297>; 77, 263 268>;
79, 1 19>). "Parteien kraft Amtes" - wie Insolvenzverwalter - sind jedoch befugt, Verfassungsbeschwerde zu erheben (vgl.
BVerfGE 51, 405 409>; 65, 182 190>; 95, 267 299>). Der Beschwerdeführer beruft sich weder auf die Verletzung eigener Prozessgrundrechte
(vgl. BVerfGE 82, 286 295 f.>) noch ist er aufgrund seiner Stellung als Partei kraft Amtes berechtigt, die gerügten Grundrechtsverstöße
eigenständig geltend zu machen.
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b) Soweit die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung betroffen ist, mangelt es dem Beschwerdeführer an
der für die prozessuale Handlungsfähigkeit vorausgesetzten materiell-rechtlichen Handlungsfähigkeit (vgl. BVerfGE 51, 405
409>). Letztere folgt jedenfalls nach Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Medizinischen Versorgungszentrums
weder aus den aus der Zulassung abgeleiteten Rechten noch aus der Zulassung selbst.
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aa) Die kassenärztliche Zulassung unterfällt als höchstpersönliches Recht nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des
Insolvenzverwalters. Die Zulassung setzt eine Reihe von Qualifikationen voraus, die in der Person des zulassungswilligen Arztes
erfüllt sein müssen (vgl. § 95 Abs. 1 und § 95a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung <SGB V> i.V.m.
§ 3 Abs. 2 ff. der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte <Ärzte-ZV>; § 98 Abs. 2 Nr. 10 SGB V i.V.m. §§ 18, 20, 21 Ärzte-ZV;
vgl. Ramolla, in: Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 95 Rn. C 95-15). Die Zulassung als Vertragsarzt ist daher höchstpersönlicher
Natur und nicht übertragbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 1998 - 1 BvR 2167/93, 1 BvR
2198/93 -, NJW 1998, S. 1776 1778>). Die einer natürlichen Person erteilte Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung kann
als öffentlichrechtliche Berechtigung bei Vermögensverfall nicht in die Insolvenzmasse fallen (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai
2000 - B 6 KA 67/98 R -, BSGE 86, 121 123>; vorgehend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Oktober 1998 - L 11 KA 62/98
-, MedR 1999, S. 333 337>; OLG München, Beschluss vom 7. Mai 2008 - 34 Sch 8/07 u.a -, juris <Rn. 22>; Henckel, in: Jäger,
InsO, § 35 Rn. 14; Ramolla, in: Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 95 Rn. C 95-29 ).
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bb) Bei der Zulassung handelt es sich auch dann um eine höchstpersönliche Rechtsposition, wenn sie einem in der Rechtsform
einer juristischen Person des Privatrechts betriebenen Medizinischen Versorgungszentrum erteilt wird (vgl. BSG, Urteil vom
21. März 2012 - B 6 KA 22/11 R -, MedR 2013, S. 66; Dumoulin, Das Medizinische Versorgungszentrum in der Insolvenz, FLF 2012,
S. 8 11>). Auch die an die Trägergesellschaft eines Medizinischen Versorgungszentrums gebundene ärztliche Zulassung ist nicht
übertragbar. Dies folgt schon daraus, dass für den vertragsärztlichen Teilnahmestatus des Medizinischen Versorgungszentrums
die Qualifikationsvoraussetzungen gleichwohl über die im Medizinischen Versorgungszentrum tätigen Ärzte durchgesetzt werden
(vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 16 Rn. 3). Zudem steht einer Übertragung bei Veräußerung der
Trägergesellschaft die Verknüpfung der Zulassung mit der Gründungsgesellschaft entgegen.
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2. Eine Fortdauer des Rechtsschutzbedürfnisses ist nach Betriebseinstellung zum 30. Juni 2012 weder schlüssig vorgetragen
noch ersichtlich.
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Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
noch ein Bedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsakts oder wenigstens für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit
besteht (vgl. BVerfGE 33, 247 253>; 50, 244 247>; stRspr). Ist das mit der Verfassungsbeschwerde ursprünglich verfolgte
Begehren erledigt, so besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur dann, wenn die - vordergründig - erledigte Maßnahme den Beschwerdeführer
aufgrund von Folgewirkungen weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 99, 129 138>; 110, 177 188>), wenn eine Wiederholung
des gerügten Verstoßes konkret zu besorgen ist, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE
105, 239 246>) oder wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe
und der gerügte Grundrechtseingriff gewichtig ist (vgl. BVerfGE 119, 309 317>).
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a) Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren hat sich erledigt. Die mit der Zulassungsentziehung verbundene Beschwer
ist spätestens mit der Einstellung des Betriebes weggefallen.
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Die Zulassungsentziehung entfaltet keine rechtlichen Wirkungen mehr. Die Zulassung ist ohne förmliches Entziehungsverfahren
durch Auflösung des Medizinischen Versorgungszentrums kraft Gesetzes beendet (§ 95 Abs. 7 Satz 2, Alt. 2 SGB V).
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Der Beschwerdeführer hat nicht dargetan, dass eine Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit innerhalb einer angemessenen
Frist zu erwarten ist, und deshalb ein bloßes Ruhen der Zulassung (§ 95 Abs. 5 SGB V) in Betracht kommt (vgl. Hencke, in:
Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: Januar 2007, § 95 Rn. 33).
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b) Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht nicht ausnahmsweise deshalb fort, weil anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen
Frage grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe (vgl. BVerfGE 119, 309 317>). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen
im Zusammenhang mit der Entziehung einer Vertragsarztzulassung sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt.
Die Entziehung der Vertragsarztzulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung schränkt die Berufsfreiheit in einem Maße ein,
das in seiner Wirkung der Beschränkung der Berufswahl nahe kommt (vgl. BVerfGE 69, 233 244>). Solche Eingriffe sind nur unter
strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
statthaft (vgl. BVerfGE 44, 105 117 f.>). Darüber hinaus ist weder eine weitere Beeinträchtigung durch die angegriffenen
Entscheidungen (vgl. BVerfGE 99, 129 138>; 110, 177 188>) noch eine Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 33, 247 257>; 81,
208 213>) ersichtlich. Schließlich rechtfertigen auch die geltend gemachten ideellen Interessen nicht ein fortbestehendes
Rechtsschutzbedürfnis.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.