Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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Ziff. 6.4. RS 2007/08
Ziff. 6.4. RS 2007/08, Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse
(1) Ein Hilfsmittel darf von der Gesetzlichen Krankenversicherung dann gewährt werden, wenn die medizinischen und leistungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen im Einzelfall vorliegen und es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. So hat das BSG wiederholt und ausdrücklich festgestellt, dass Freizeitbeschäftigungen — welcher Art auch immer — vom Begriff des vitalen Lebensbedürfnisses bzw. des allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens nicht erfasst werden 1 . Die Gesetzliche Krankenversicherung ist auch nicht dafür zuständig, Nachteile im privaten, gesellschaftlichen oder beruflichen Bereich auszugleichen. So zählen beispielsweise Trainings- und Fitnessgeräte, spezielle Badebekleidung zum Freizeitschwimmen, Reiserollstühle, ergonomische Möbel oder spezielle Schutzausrüstung für den Arbeitsplatz nicht zu den Hilfsmitteln. Ggf. sind hierfür andere Sozialleistungsträger oder der Arbeitgeber zuständig.
(2) Nach der ständigen Rechtsprechung (vgl. BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 7 jeweils RdNr. 12 und BSGE 91, 60 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 3 jeweils RdNr. 9 m. w. N.; vgl auch Höfler, Kasseler Kommentar Band 1, Stand: Juni 2005, § 33 SGB V RdNr. 11 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung) gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens
- - die körperlichen Grundfunktionen (z. B. die Bewegungsfreiheit wie das Gehen, das Stehen, das Treppensteigen, das Sitzen, das Liegen, das Greifen, das Sehen, das Sprechen, das Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden),
- - die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens (z. B. die elementare Körperpflege, das An- und Auskleiden, das selbständige Wohnen, die Möglichkeit, die Wohnung zu verlassen und die Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind),
- - die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums im Nahbereich der Wohnung (z. B. die Aufnahme von Informationen, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens [Schulwissens] sowie die Integration eines behinderten Kindes in die Gruppe Gleichaltriger).
(3) Das Grundbedürfnis der Bewegungsfreiheit ist darauf gerichtet, sich im Nahbereich der Wohnung zielgerichtet und ungefährdet zu bewegen. Damit wird in der Regel aber auch das Grundbedürfnis des Erschließens eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums betroffen, das die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 1; vgl auch SozR 3-2500 § 33 Nr. 7 und SozR 2200 § 182b Nr. 12, 29, 33, 34 und 37). Dem Versicherten sollen durch den Einsatz eines geeigneten Hilfsmittels Aktivitäten im Nahbereich der Wohnung sowie im Umgang mit anderen Menschen ermöglicht werden, die ihm ansonsten nicht oder nur unter erheblicher Gefährdung seiner Gesundheit möglich wären 2 .
(4) Zum Grundbedürfnis gehbehinderter Menschen auf Erschließung bzw. Sicherung eines gewissen körperlichen Freiraums zählt laut ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung indessen nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer. Das allgemeine Grundbedürfnis, selbständig zu gehen, kann nämlich nicht dahin verstanden werden, dass die Krankenkasse einen behinderten Menschen durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln in die Lage versetzen muss, Wegstrecken jeder Art und Länge zurückzulegen, die ein nicht behinderter Mensch bei normalem Gehen zu Fuß bewältigen kann. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass die Gesetzliche Krankenversicherung bei dem Verlust der Gehfähigkeit nur für einen Basisausgleich zu sorgen hat. Zu den insoweit maßgeblichen vitalen Lebensbedürfnissen im Bereich des Gehens gehört jedoch nur die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft" zu kommen oder um die — üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden — Stellen zu erreichen, an denen Alltagsverrichtungen zu erledigen sind. Evtl. Besonderheiten der Wohnlage können für die Hilfsmitteleigenschaft gleichfalls nicht maßgeblich sein. Das Laufen bzw. Rennen zählt nur bei Kindern und Jugendlichen, nicht aber bei Erwachsenen zu den Vitalfunktionen 3 .
(5) Die Zuordnung bestimmter Betätigungen zu den Grundbedürfnissen hängt nämlich auch vom Lebensalter des Betroffenen ab. In der Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen, zumindest bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, lassen sich die Lebensbereiche nicht in der Weise trennen wie bei Erwachsenen, nämlich in die Bereiche Beruf, Gesellschaft und Freizeit. Das BSG hat deshalb stets nicht nur die Teilnahme am allgemeinen Schulunterricht als Grundbedürfnis von Kindern und Jugendlichen angesehen, sondern es sieht auch ein Grundbedürfnis in der Teilnahme an der sonstigen üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses. Der durch die Hilfsmittelversorgung anzustrebende Behinderungsausgleich sei auf eine möglichst weit gehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet. Besondere Umstände hat das BSG z. B. bei einem querschnittsgelähmten Jugendlichen angenommen, der auf den Rollstuhl angewiesen war (SozR 3-2500 § 33 Nr. 27 — Rollstuhl-Bike für Jugendliche; zur vergleichbaren Ermöglichung des Schulbesuchs vgl. SozR 2200 § 182b Nr. 13 — Faltrollstuhl). Der durch die Hilfsmittelversorgung anzustrebende Behinderungsausgleich ist also auf eine möglichst weit gehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet. Er setzt nicht voraus, dass das begehrte Hilfsmittel nachweislich unverzichtbar ist, eine Isolation des Kindes zu verhindern. Denn der Integrationsprozess ist ein multifaktorielles Geschehen, bei dem die einzelnen Faktoren nicht isoliert betrachtet und bewertet werden können. Es reicht deshalb aus, wenn durch das begehrte Hilfsmittel die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich gefördert wird (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 46) 4 .
1 Vgl. BSG, Urteil vom 16. 9. 1999 — B 3 KR 8/98 R —(USK 9951).
2 Ständige BSG-Rechtsprechung; vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 10. 11. 2005 — B 3 KR 31/04 R —.
3 Vgl. BSG, Urteil vom 16. 9. 1999 — B 3 KR 8/98 R — (USK 9951), bekräftigt durch BSG, Urteil vom 19. 4. 2007 — B 3 KR 9/06 R —.
4 Vgl. BSG, Urteile vom 23. 7. 2002 — B 3 KR 3/02 R — und 10. 11. 2005 — B 3 KR 31/04 R —.
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