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EuGH 05.09.2024 - C-83/23
EuGH 05.09.2024 - C-83/23 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer) - 5. September 2024 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Zu Unrecht in Rechnung gestellte und entrichtete Mehrwertsteuer – Berichtigung der Rechnung – Insolvenz des Leistenden – Erstattung der Mehrwertsteuer an den Leistenden – Weigerung der Steuerbehörde, die Mehrwertsteuer unmittelbar an den Erwerber zu erstatten – Vorrang in Bezug auf den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer – Gefahr einer doppelten Erstattung der Mehrwertsteuer – Gefährdung des Steueraufkommens“
Leitsatz
In der Rechtssache C-83/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Beschluss vom 3. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Februar 2023, in dem Verfahren
H GmbH
gegen
Finanzamt M
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter) sowie des Richters N. Wahl und der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2024,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der H GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin M. Boche und Rechtsanwälte M. von Einem und A. Graf sowie durch D. Hoffmanns und J. Scholz, Steuerberater,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und N. Scheffel als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Eggers und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112 an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl. 2008, L 44, S. 23).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der H GmbH, einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, und dem Finanzamt M (Deutschland) wegen des Rechts auf Vorsteuerabzug der entrichteten Mehrwertsteuer und der Erstattung dieser Steuer aus Billigkeitsgründen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“
In Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden“.
In Art. 178 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
[F]ür den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen oder das Erbringen von Dienstleistungen muss er eine gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 ausgestellte Rechnung besitzen“.
Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Die Mehrwertsteuer wird von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.“
Deutsches Recht
Umsatzsteuergesetz
§ 14 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (BGBl. 2013 I S. 1809, im Folgenden: UStG) sieht vor:
„Eine Rechnung muss folgende Angaben enthalten:
…
8. den anzuwendenden Steuersatz sowie den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag oder im Fall einer Steuerbefreiung einen Hinweis darauf, dass für die Lieferung oder sonstige Leistung eine Steuerbefreiung gilt …“.
§ 14c Abs. 1 UStG sieht vor:
„Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen (unrichtiger Steuerausweis), schuldet er auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger, ist § 17 Abs. 1 entsprechend anzuwenden. …“
§ 15 Abs. 1 UStG bestimmt:
„Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:
1. die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte Rechnung besitzt. …“
Abgabenordnung
§ 163 („Abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen“) Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (BGBl. 2002 I S. 3866, im Folgenden: AO) bestimmt:
„Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.“
§ 227 AO bestimmt:
„Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
H, die Klägerin des Ausgangsrechtsstreits, ist Rechtsnachfolgerin einer Kommanditgesellschaft mit Sitz in Deutschland (im Folgenden: KG), deren Geschäftsgegenstand das Mobilienleasing für andere Unternehmen u. a. durch Sale-and-lease-back-Geschäfte war. Im Ausgangsrechtsstreit geht es um sechs Sale-and-lease-back-Geschäfte, die die KG mit der ebenfalls in Deutschland ansässigen E-GmbH in den Jahren 2007, 2008, 2010 und 2012 tätigte.
Dabei erwarb die E-GmbH jeweils ein neues Motorboot von der in Italien ansässigen E-sr. Die Rechnungen hierfür wurden ohne Ausweis von Mehrwertsteuer mit dem Hinweis auf eine „innergemeinschaftliche Lieferung“ ausgestellt. Der Kaufpreis für jedes Boot wurde in voller Höhe von der E-GmbH entrichtet.
Nach jedem dieser Käufe schlossen die E-GmbH und die KG zunächst eine Sale-and-lease-back-Vereinbarung, die zum einen den Verkauf des Bootes an die KG zum Nettoeinkaufspreis zuzüglich deutscher Mehrwertsteuer und zum anderen die Vereinbarung des Abschlusses eines Leasingvertrags mit Nutzungsüberlassung dieses Bootes an die E-GmbH vorsah. Die E-GmbH erteilte der KG anschließend eine Rechnung über den Verkauf des Bootes mit offen ausgewiesener deutscher Mehrwertsteuer, meldete diese Mehrwertsteuer in ihren Steuererklärungen an und führte sie an das für sie zuständige Finanzamt X (Deutschland) ab. Diese Rechnung enthielt keine Angaben zum Ort, an dem sich das Boot zum Zeitpunkt des Verkaufs befand. Die KG zog die in dieser Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer in ihren Umsatzsteuererklärungen als Vorsteuer ab. Schließlich schlossen die E-GmbH und die KG einen Mobilienleasingvertrag über das Boot mit einer Laufzeit von 36 Monaten.
Im Rahmen einer bei der E-GmbH durchgeführten Prüfung für das Jahr 2008 stellte die Finanzverwaltung fest, dass sich die Boote im Zeitpunkt des Verkaufs von der E-GmbH an die KG nicht in Deutschland, sondern in Italien befanden. Im Oktober 2012 teilte die E-GmbH der KG mit, dass sie in zwei im April bzw. Oktober 2008 ausgestellten Rechnungen zu Unrecht deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen habe und dass diese Rechnungen berichtigt würden.
Nach einer Umsatzsteuerprüfung bei der KG vertrat der Prüfer die Auffassung, bei der Lieferung der Boote habe es sich um Lieferungen ohne Beförderung gehandelt, die nach Art. 31 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit § 3 Abs. 7 UStG nicht in Deutschland, sondern in Italien, dem Belegenheitsort der Boote zum Zeitpunkt ihres Verkaufs, steuerbar gewesen seien. Die von der E-GmbH der KG in Rechnung gestellte Umsatzsteuer werde von dieser nach Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie und § 14c UStG geschuldet, könne aber von der KG nicht als Vorsteuer abgezogen werden.
Das Finanzamt M schloss sich dieser Einschätzung an und erließ nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gegenüber der KG einen Änderungsbescheid über Umsatzsteuer, in dem es die Vorsteuern dieser Gesellschaft für das Jahr 2008, in dem zwei Rechnungen für den Kauf von Booten ausgestellt worden waren, kürzte. In der Folge wies es den gegen diesen Änderungsbescheid eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
Vier weitere Rechnungen über den Verkauf von Booten waren in den Jahren 2006, 2010 und 2012 ausgestellt worden. Das Finanzamt M erließ auch Umsatzsteueränderungsbescheide für 2007 und 2010 über den Vorsteuerabzug aus den in den Jahren 2006 und 2010 ausgestellten Rechnungen. Da die gegen diese Änderungsbescheide eingelegten Einsprüche vom Finanzamt M als unbegründet zurückgewiesen wurden, zahlte die KG die Mehrwertsteuer an das Finanzamt zurück. In der Umsatzsteuerjahreserklärung 2012 wurde von der KG schließlich kein Vorsteuerabzug in Bezug auf den Verkauf der genannten Boote geltend gemacht.
Im Jahr 2014 wurde über das Vermögen der E-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft berichtigte die sechs Rechnungen über die Lieferung der Boote, indem er den darin zu Unrecht angegebenen Mehrwertsteuerausweis strich. Das Finanzamt X teilte mit, dass der Insolvenzverwalter die berichtigten Rechnungen am 10. Dezember 2014 vorgelegt und am 8. Januar 2015 einen Berichtigungsantrag gestellt habe. Es gab diesem Antrag statt, erstattete die entsprechende Mehrwertsteuer an die Insolvenzmasse und teilte dem steuerlichen Vertreter des Insolvenzverwalters mit, dass er verpflichtet sei, die Umsätze in Italien der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Nach Angaben der Klägerin des Ausgangsrechtsstreits weigerte sich der Insolvenzverwalter jedoch, Rechnungen mit italienischer Umsatzsteuer auszustellen. Sie habe gegen die E-GmbH keine Klage auf Erteilung solcher Rechnungen erhoben.
Die KG beantragte beim Finanzamt M gemäß § 163 AO aus Billigkeitsgründen eine Neuberechnung der Umsatzsteuer für die Jahre 2007, 2008, 2010 und 2012. Das Finanzamt lehnte diesen Antrag ab und wies anschließend den Einspruch der KG gegen diese Entscheidung ebenfalls als unbegründet zurück.
Die von der Klägerin des Ausgangsrechtsstreits beim Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) erhobene Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass das Finanzamt M nicht verpflichtet sei, ihr die zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zu erstatten, da diese Umsatzsteuer an die Insolvenzmasse der E-GmbH zurückgezahlt worden sei. Zudem habe die Klägerin des Ausgangsrechtsstreits keinen zivilrechtlichen Anspruch gegen die E-GmbH auf Erstattung der genannten Umsatzsteuer, sondern lediglich einen Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit italienischer Umsatzsteuer.
Die Klägerin des Ausgangsrechtsstreits legte Revision beim Bundesfinanzhof (Deutschland) ein.
Als Erstes weist das vorlegende Gericht darauf hin, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus dem Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C-35/05, EU:C:2007:167), ergebe sich, dass unter bestimmten Umständen ein „Direktanspruch“ des Empfängers einer Rechnung, die eine nicht geschuldete Mehrwertsteuer enthalte, auf Erstattung dieser Mehrwertsteuer bei der Finanzverwaltung bestehe. Zuletzt habe der Gerichtshof im Urteil vom 13. Oktober 2022, HUMDA (C-397/21, EU:C:2022:790), in Anwendung dieser Rechtsprechung entschieden, dass ein nationales System, in dem zum einen der Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörden abgeführt habe, deren Erstattung verlangen könne, und zum anderen der Dienstleistungsempfänger gegen diesen Dienstleistungserbringer eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben könne, die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Effektivität beachte, da es dem Dienstleistungsempfänger, der mit der irrtümlich in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer belastet gewesen sei, ermögliche, die rechtsgrundlos gezahlten Beträge erstattet zu bekommen. In diesem Urteil habe der Gerichtshof auch darauf hingewiesen, dass der Dienstleistungsempfänger, wenn die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig schwierig werde, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers, auf der Grundlage der Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Effektivität die Erstattung unmittelbar von der Finanzverwaltung erhalten könne. Der Gerichtshof habe in diesem Urteil entschieden, dass die letztgenannte Möglichkeit auch dann gelte, wenn die Steuer aufgrund eines Irrtums über den zutreffenden Leistungsort im falschen Mitgliedstaat entrichtet worden sei, weder Missbrauch noch Betrug vorlägen, der Dienstleistungsempfänger und der Dienstleistungserbringer gutgläubig seien und keine Gefahr eines Steuerausfalls bestehe.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass bestimmte Umstände der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Rechtssache weitgehend denen entsprächen, die dem Urteil vom 13. Oktober 2022, HUMDA (C-397/21, EU:C:2022:790), zugrunde gelegen hätten. Es habe gleichwohl Zweifel, ob die in jenem Urteil gewählte Lösung auf den Ausgangsrechtsstreit übertragen werden könne. Insbesondere werde in diesem Urteil nicht die Frage beantwortet, ob in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die in der ursprünglichen Rechnung ausgewiesene inländische Mehrwertsteuer durch eine höhere Mehrwertsteuer eines anderen Mitgliedstaats ersetzt werden müsse, ein „Direktanspruch“ auf Erstattung bestehe. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob bei einer unionsweiten Betrachtung unter Einschluss des Mitgliedstaats, in dem die Leistung tatsächlich erbracht wurde, nicht eher ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit italienischer Steuer bestehe. In diesem Zusammenhang werde in dem genannten Urteil auch nicht die Frage entschieden, ob der „Direktanspruch“ auf Erstattung in einer Situation wie der des Ausgangsrechtsstreits von der Voraussetzung abhängig gemacht werden könne, dass der Erwerber eine zivilrechtliche Klage auf Erteilung einer Rechnung des zahlungsunfähigen Dienstleistungserbringers mit Ausweis der Mehrwertsteuer dieses anderen Mitgliedstaats erhoben habe. Fraglich sei außerdem, ob Erwägungen der Betrugsbekämpfung in einer solchen Situation Auswirkungen auf den Anspruch des Erwerbers haben könnten, die Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer unmittelbar von der Finanzverwaltung zu verlangen. In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Umstand, dass der Insolvenzverwalter der E-GmbH die gesetzlich geschuldete italienische Mehrwertsteuer in Italien nicht anmelden werde, nach italienischem Recht zu einer Mehrwertsteuerhinterziehung in Italien führen dürfte.
Als Zweites möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Finanzverwaltung in einer Situation wie der des Ausgangsrechtsstreits dem Rückzahlungsanspruch des Ausstellers der Rechnung aufgrund deren Berichtigung oder dem „Direktanspruch“ des Rechnungsempfängers den Vorrang geben müsse. Es fragt sich in diesem Zusammenhang, ob zu berücksichtigen sei, dass wegen der Zahlungsunfähigkeit des Rechnungsausstellers und/oder zeitlicher Besonderheiten, wie z. B. des Umstands, dass die Finanzverwaltung zum Zeitpunkt der Erstattung der Mehrwertsteuer an den Rechnungsaussteller gewusst habe, dass dieser zahlungsunfähig gewesen sei, und daher die Möglichkeit eines „Direktanspruchs“ des Rechnungsempfängers auf Erstattung habe erkennen können, keine Rückzahlung in der üblichen Kette erfolgen könne.
Der Bundesfinanzhof hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht einem Leistungsempfänger mit Ansässigkeit im Inland ein sogenannter Direktanspruch gegen die inländische Finanzverwaltung entsprechend dem Urteil des Gerichtshofs vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C-35/05, EU:C:2007:167), zu, wenn
dem Leistungsempfänger von einem Leistenden, der gleichfalls im Inland ansässig ist, eine Rechnung mit inländischem Steuerausweis erteilt wird, die der Leistungsempfänger bezahlt, wobei der Leistende die in der Rechnung ausgewiesene Steuer ordnungsgemäß versteuert,
es sich bei der in Rechnung gestellten Leistung aber um eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Leistung handelt,
dem Leistungsempfänger daher der Vorsteuerabzug im Inland versagt wird, da es an einer im Inland gesetzlich geschuldeten Steuer fehlt,
der Leistende die Rechnung daraufhin dahin gehend berichtigt, dass der inländische Steuerausweis entfällt und sich der Rechnungsbetrag daher in Höhe des Steuerausweises mindert,
der Leistungsempfänger aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistenden Zahlungsansprüche gegen den Leistenden nicht durchsetzen kann und
für den im anderen Mitgliedstaat bislang nicht registrierten Leistenden die Möglichkeit besteht, sich in diesem Mitgliedstaat mehrwertsteuerrechtlich registrieren zu lassen, so dass er danach unter Angabe einer Steuernummer dieses Mitgliedstaats dem Leistungsempfänger eine Rechnung unter Ausweis der Steuer dieses Mitgliedstaats erteilen könnte, die den Leistungsempfänger in diesem Mitgliedstaat zum Vorsteuerabzug im besonderen Verfahren nach der Richtlinie 2008/9 zum Vorsteuerabzug berechtigen würde?
Kommt es für die Beantwortung dieser Frage darauf an, dass die inländische Finanzverwaltung dem Leistenden aufgrund der bloßen Rechnungsberichtigung die Steuerzahlung erstattet hat, obwohl der Leistende aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nichts an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Mehrwertsteuerrichtlinie im Licht der Grundsätze der Effektivität und der Neutralität der Mehrwertsteuer dahin auszulegen ist, dass der Leistungsempfänger unmittelbar bei der Finanzverwaltung des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet er ansässig ist, die Erstattung der Mehrwertsteuer verlangen kann, die er an den Leistenden gezahlt hat, der irrtümlich die nationale Mehrwertsteuer dieses Mitgliedstaats statt der in einem anderen Mitgliedstaat gesetzlich geschuldeten Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt und an die Steuerbehörden des erstgenannten Mitgliedstaats abgeführt hat, wenn diese dem Leistenden, der sich in einem Insolvenzverfahren befindet, die Mehrwertsteuer bereits erstattet haben.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, der im Mittelpunkt des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems steht, durch den Mechanismus des Rechts auf Vorsteuerabzug gewährleistet wird, mit dem der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll und das auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis gewährleistet, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 13. Oktober 2022, HUMDA,C-397/21, EU:C:2022:790, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ausgehend von dieser Prämisse ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung, da die Mehrwertsteuerrichtlinie keine Bestimmung über die Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer durch den Rechnungsaussteller enthält, grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen eine solche Mehrwertsteuer berichtigt werden kann (Urteil vom 13. Oktober 2022, HUMDA,C-397/21, EU:C:2022:790, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, zur Gewährleistung der Neutralität der Mehrwertsteuer in ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung die Möglichkeit vorzusehen, jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zu berichtigen, wenn der Rechnungsaussteller seinen guten Glauben nachweist (Urteil vom 13. Oktober 2022, HUMDA,C-397/21, EU:C:2022:790, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall fragt sich das vorlegende Gericht, ob die auf das Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C-35/05, EU:C:2007:167), zurückgehende Rechtsprechung, die die Grundsätze der Neutralität, der Effektivität und der Nichtdiskriminierung betraf, auf die vorliegende Rechtssache übertragbar ist.
In diesem Urteil hat der Gerichtshof die Frage, ob ein Dienstleistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer gegen den Dienstleistungserbringer hat, der sie zu Unrecht in Rechnung gestellt hat und seinerseits die Erstattung von der Steuerbehörde verlangen könnte, oder ob der betreffende Dienstleistungsempfänger seinen Antrag unmittelbar an die Steuerbehörde richten können muss, dahin gehend entschieden, dass ein System, in dem zum einen der Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörden entrichtet hat, deren Erstattung verlangen kann, und zum anderen der Dienstleistungsempfänger gegen den Dienstleistungserbringer eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann, grundsätzlich die Grundsätze der Neutralität und der Effektivität beachtet. Denn ein solches System ermöglicht es dem Dienstleistungsempfänger, der mit der irrtümlich in Rechnung gestellten Steuer belastet war, die rechtsgrundlos gezahlten Beträge erstattet zu bekommen (Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken,C-35/05, EU:C:2007:167, Rn. 39).
Der Gerichtshof hat ergänzt, dass, wenn die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert wird, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers, diese Grundsätze gebieten können, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann. Damit der Grundsatz der Effektivität gewahrt wird, müssen deshalb die Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel und Verfahrensmodalitäten vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen (Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken,C-35/05, EU:C:2007:167, Rn. 41).
Wie das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen selbst ausgeführt hat, bezieht sich der Direktanspruch auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer, wie er sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, auf die in dem Mitgliedstaat, in dem sie in Rechnung gestellt und an den sie gezahlt wurde, zu Unrecht erhobene nationale Mehrwertsteuer (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2022, HUMDA,C-397/21, EU:C:2022:790, Rn. 25). Der Direktanspruch auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer, der dem Empfänger einer Rechnung unter bestimmten Voraussetzungen zusteht, bezieht sich somit auf die Mehrwertsteuer, die der betreffende Mitgliedstaat vom Aussteller der Rechnung erhalten hat.
Zwar betrifft der Ausgangsrechtsstreit Anträge auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter und entrichteter Mehrwertsteuer, doch hat das Finanzamt X im vorliegenden Fall die vom Dienstleistungsempfänger zu Unrecht gezahlte Mehrwertsteuer bereits an die Insolvenzmasse des Dienstleistungserbringers erstattet.
Unter diesen Umständen kann die auf das Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C-35/05, EU:C:2007:167), zurückgehende Rechtsprechung nicht auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsrechtsstreits übertragen werden.
Müsste nämlich im Fall einer zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer die Finanzverwaltung, die auf Antrag des Dienstleistungserbringers bereits die Mehrwertsteuer erstattet hat, in Anwendung der auf das Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C-35/05, EU:C:2007:167), zurückgehenden Rechtsprechung diese Mehrwertsteuer auch dem Dienstleistungsempfänger erstatten, wäre die Finanzverwaltung verpflichtet, die Mehrwertsteuer zweimal zu erstatten.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass, wenn ein Dienstleistungserbringer fälschlicherweise eine Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt und abgeführt hat, diese grundsätzlich diesem Dienstleistungserbringer zu erstatten ist. Das Recht auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat, stellt nämlich eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Der betreffende Mitgliedstaat ist daher grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zu erstatten. Dem Antrag auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer liegt also der Anspruch auf Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Beträge zugrunde, der die Folgen der Unvereinbarkeit der Abgabe mit dem Unionsrecht dadurch beheben soll, dass die mit der Abgabe zu Unrecht auferlegte wirtschaftliche Belastung des Wirtschaftsteilnehmers, der sie letztlich tatsächlich getragen hat, neutralisiert wird. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, der ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt, soll den Steuerpflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit vollständig von der Mehrwertsteuer entlasten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juli 2020, Terracult,C-835/18, EU:C:2020:520, Rn. 23 bis 25).
Der Umstand, dass sich der Dienstleistungserbringer in der vorliegenden Rechtssache ebenso wie in jener, in der das Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C-35/05, EU:C:2007:167), ergangen ist, in einem Insolvenzverfahren befindet, ist im vorliegenden Fall nicht relevant.
Die auf dieses Urteil zurückgehende Rechtsprechung zielt nämlich nicht darauf ab, die Rangfolge der Gläubiger im Rahmen eines Insolvenzverfahrens in Frage zu stellen.
Unter solchen Umständen konnte zwar nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Erwerber in eine Situation geraten würde, in der die Erhebung einer zivilrechtlichen Klage gegen den Insolvenzverwalter des Dienstleistungserbringers auf Erteilung einer Rechnung mit italienischem Mehrwertsteuerausweis unmöglich oder übermäßig erschwert wäre, und dass er in der Folge einen Erstattungsantrag unmittelbar an die Finanzverwaltung richten würde. Soll der Finanzverwaltung jedoch keine unangemessene Belastung auferlegt werden, kann von ihr nicht verlangt werden, den Umstand zu berücksichtigen, dass in einer Situation wie der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden die Erstattung in der üblichen Kette aufgrund des Insolvenzverfahrens des Dienstleistungserbringers erheblich gestört bzw. unterbrochen war, so dass die ihm von der Finanzverwaltung zu erstattende Mehrwertsteuer in die Insolvenzmasse fiel und dem Erwerber womöglich nicht erstattet würde.
Es trifft auch zu, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Mehrwertsteuerrichtlinie anerkannt und gefördert wird, so dass die Steuerbehörden nicht nur die erforderlichen Kontrollen bei den Steuerpflichtigen durchführen müssen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken, sondern auch die Erklärungen der Steuerpflichtigen, deren Konten und die anderen einschlägigen Unterlagen prüfen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2012, Mahagében und Dávid, C-80/11 und C-142/11, EU:C:2012:373, Rn. 62 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall jedoch von der deutschen Finanzverwaltung zu verlangen, zu bestimmen, ob der Umstand, dass der Insolvenzverwalter des Dienstleistungserbringers die gesetzlich geschuldete italienische Mehrwertsteuer in Italien nicht erklären wird, nach italienischem Recht einen Mehrwertsteuerbetrug in diesem Mitgliedstaat darstellt, geht über das hinaus, was einer nationalen Finanzverwaltung aufgrund des in der vorstehenden Randnummer genannten Ziels zumutbar ist.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit für den Erwerber oder Dienstleistungsempfänger, seinen Antrag auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer „unmittelbar“ an die Finanzverwaltung zu richten, eine Ausnahme darstellt und, wie sich aus der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, nur dann eröffnet ist, wenn die Beitreibung dieser Mehrwertsteuer beim Lieferer oder Dienstleistungserbringer unmöglich oder übermäßig erschwert ist, was voraussetzt, dass der Erwerber oder Dienstleistungsempfänger alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um seine Rechte anderweitig geltend zu machen.
Wie sich aus der Vorlageentscheidung und insbesondere aus den vom vorlegenden Gericht in seiner Formulierung der ersten Frage geschilderten Umständen ergibt, besteht für den Leistenden, der in dem anderen Mitgliedstaat, in dem die Mehrwertsteuer gesetzlich geschuldet ist, bislang nicht registriert ist, die Möglichkeit, sich in diesem Mitgliedstaat mehrwertsteuerrechtlich registrieren zu lassen, so dass er danach unter Angabe einer Steuernummer dieses Mitgliedstaats dem Leistungsempfänger eine Rechnung unter Ausweis der Steuer dieses Mitgliedstaats erteilen könnte, die den Leistungsempfänger dort zum Vorsteuerabzug berechtigen würde.
Folglich hätte die Klägerin des Ausgangsrechtsstreits, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, im vorliegenden Fall, um die Kosten der betreffenden Mehrwertsteuer nicht tragen zu müssen, gegen den Insolvenzverwalter des Dienstleistungserbringers eine zivilrechtliche Klage auf Erteilung einer Rechnung mit italienischem Mehrwertsteuerausweis erheben können, was sie nicht getan hat.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie im Licht der Grundsätze der Effektivität und der Neutralität der Mehrwertsteuer dahin auszulegen ist, dass der Leistungsempfänger nicht unmittelbar bei der Finanzverwaltung des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet er ansässig ist, die Erstattung der Mehrwertsteuer verlangen kann, die er an den Leistenden gezahlt hat, der irrtümlich die nationale Mehrwertsteuer dieses Mitgliedstaats statt der in einem anderen Mitgliedstaat gesetzlich geschuldeten Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt und an die Steuerbehörden des erstgenannten Mitgliedstaats abgeführt hat, wenn diese dem Leistenden, der sich in einem Insolvenzverfahren befindet, die Mehrwertsteuer bereits erstattet haben.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung ist im Licht der Grundsätze der Effektivität und der Neutralität der Mehrwertsteuer
dahin auszulegen, dass
der Leistungsempfänger nicht unmittelbar bei der Finanzverwaltung des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet er ansässig ist, die Erstattung der Mehrwertsteuer verlangen kann, die er an den Leistenden gezahlt hat, der irrtümlich die nationale Mehrwertsteuer dieses Mitgliedstaats statt der in einem anderen Mitgliedstaat gesetzlich geschuldeten Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt und an die Steuerbehörden des erstgenannten Mitgliedstaats abgeführt hat, wenn diese dem Leistenden, der sich in einem Insolvenzverfahren befindet, die Mehrwertsteuer bereits erstattet haben.
Biltgen
Wahl
Arastey Sahún
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. September 2024.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Kammerpräsident
F. Biltgen
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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