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EuGH 09.09.2021 - C-100/20
EuGH 09.09.2021 - C-100/20 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer) - 9. September 2021 ( *1)
Leitsatz
In der Rechtssache C-100/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 19. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Februar 2020, in dem Verfahren
XY
gegen
Hauptzollamt B
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász (Berichterstatter), C. Lycourgos und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
[berichtigt mit Beschluss vom 29. September 2021] von XY, vertreten durch Rechtsanwalt L. Jesse,
des Hauptzollamts B, vertreten durch G. Rittenauer als Bevollmächtigten,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Heimerl als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und R. Pethke als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Mai 2021
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. 2003, L 283, S. 51).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XY und dem Hauptzollamt B (Deutschland) über eine die Besteuerung des Stromverbrauchs von XY betreffende Steuerberichtigung und insbesondere über den Anspruch von XY auf Zahlung von Zinsen auf den Betrag der Stromsteuer, den sie zu Unrecht gezahlt hatte und der ihr daher erstattet wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
In den Erwägungsgründen 3 bis 5 der Richtlinie 2003/96 heißt es:
Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und die Erreichung der Ziele der anderen Gemeinschaftspolitiken erfordern die Festsetzung von gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträgen für die meisten Energieerzeugnisse einschließlich elektrischen Stroms, Erdgas und Kohle.
Erhebliche Abweichungen zwischen den von den einzelnen Mitgliedstaaten vorgeschriebenen nationalen Energiesteuerbeträgen könnten sich als abträglich für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erweisen.
Durch die Festsetzung angemessener gemeinschaftlicher Mindeststeuerbeträge lassen sich die derzeit bestehenden Unterschiede bei den nationalen Steuersätzen möglicherweise verringern.“
Art. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten erheben nach Maßgabe dieser Richtlinie Steuern auf Energieerzeugnisse und elektrischen Strom.“
Art. 5 der Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten können unter Steueraufsicht gestaffelte Steuersätze anwenden, soweit diese die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindeststeuerbeträge nicht unterschreiten und mit dem [Unions]recht vereinbar sind, und zwar in den folgenden Fällen:
Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den gestaffelten Steuersätzen und der Qualität der Erzeugnisse;
die gestaffelten Steuersätze richten sich nach dem Verbrauch an elektrischem Strom und sonstigen Energieerzeugnissen, die als Heizstoff verwendet werden;
die Steuersätze gelten für den öffentlichen Personennahverkehr (einschließlich Taxis), die Müllabfuhr, die Streitkräfte und öffentliche Verwaltung, Menschen mit Behinderung oder Krankenwagen[;]
es wird bei den in den Artikeln 9 und 10 genannten Energieerzeugnissen bzw. dem elektrischen Strom zwischen betrieblicher und nicht betrieblicher Verwendung unterschieden.“
Art. 17 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten können in den nachstehenden Fällen für den Verbrauch von Energieerzeugnissen, die zu Heizzwecken bzw. für die Zwecke des Artikels 8 Absatz 2 Buchstaben b) und c) verwendet werden, und von elektrischem Strom Steuerermäßigungen anwenden, sofern die in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindeststeuerbeträge im Durchschnitt für alle Betriebe eingehalten werden:
Für energieintensive Betriebe.
Als ‚energieintensiver Betrieb‘ gilt eine Betriebseinheit im Sinne von Artikel 11, bei der sich entweder die Energie- und Strombeschaffungskosten auf mindestens 3,0 % des Produktionswertes belaufen oder die zu entrichtende nationale Energiesteuer mindestens 0,5 % des Mehrwertes beträgt. Im Rahmen dieser Definition können die Mitgliedstaaten enger gefasste Begriffe anwenden, einschließlich verkaufswert-, prozess- und sektorbezogener Definitionen.
Als ‚Energie- und Strombeschaffungskosten‘ gelten die tatsächlichen Kosten für die Beschaffung der Energie oder für die Gewinnung der Energie im Betrieb. Hierzu zählen ausschließlich elektrischer Strom, Heizstoffe und Energieerzeugnisse, die zu Heizzwecken bzw. für die Zwecke des Artikels 8 Absatz 2 Buchstaben b) und c) verwendet werden. Alle Steuern sind inbegriffen, ausgenommen abzugsfähige MWSt.
Als ‚Produktionswert‘ gilt der Umsatz – einschließlich der unmittelbar an den Preis des Erzeugnisses geknüpften Subventionen – plus/minus Vorratsveränderungen bei fertigen und unfertigen Erzeugnissen und zum Wiederverkauf erworbenen Waren und Dienstleistungen minus Käufe von Waren und Dienstleistungen zum Wiederverkauf.
Als ‚Mehrwert‘ gilt der gemäß Mehrwertsteuerrecht steuerbare Gesamtumsatz einschließlich der Exportverkäufe abzüglich des gesamten mehrwertsteuerbaren Ankaufs einschließlich der Einfuhren.
Mitgliedstaaten, die derzeit einzelstaatliche Energiesteuersysteme anwenden, bei denen energieintensive Betriebe nach anderen Kriterien als nach dem Verhältnis zwischen Energiekosten und Produktionswert bzw. zwischen zu entrichtender nationaler Energiesteuer und Mehrwert definiert werden, wird für die Anpassung an die Definition gemäß Buchstabe a) Unterabsatz 1 eine höchstens bis 1. Januar 2007 dauernde Übergangsfrist eingeräumt.
Es bestehen Vereinbarungen mit Unternehmen oder Unternehmensverbänden oder es werden Regelungen über handelsfähige Zertifikate oder gleichwertige Regelungen umgesetzt, sofern damit Umweltschutzziele erreicht werden oder die Energieeffizienz erhöht wird.
(2) Unbeschadet des Artikels 4 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten bei Energieerzeugnissen und elektrischem Strom nach Artikel 2, die von energieintensiven Betrieben im Sinne des Absatzes 1 dieses Artikels verwendet werden, einen bis zu Null gehenden Steuerbetrag anwenden.
(3) Unbeschadet des Artikels 4 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten bei Energieerzeugnissen und elektrischem Strom nach Artikel 2, die von Betriebseinheiten im Sinne des Artikels 11 verwendet werden, die keine energieintensiven Betriebe im Sinne des Absatzes 1 des vorliegenden Artikels sind, einen niedrigeren Steuerbetrag anwenden, der bis zu 50 % unter den in dieser Richtlinie festgelegten Mindestbeträgen liegt.
(4) Für Betriebe, auf die die Möglichkeiten nach den Absätzen 2 und 3 Anwendung finden, gelten die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Vereinbarungen, Regelungen über handelsfähige Zertifikate oder gleichwertigen Regelungen. Die Vereinbarungen, Regelungen über handelsfähige Zertifikate oder gleichwertigen Regelungen müssen weit gehend in gleichem Maße zur Erreichung der Umweltziele oder zu besserer Energieeffizienz führen, wie dies bei Einhaltung der normalen gemeinschaftlichen Mindestsätze der Fall wäre.“
Nach den Art. 7, 15, 16 und 19 der Richtlinie 2003/96 können die Mitgliedstaaten darüber hinaus in den dort genannten Fällen Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen gewähren.
Art. 21 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie sieht vor:
„In Anwendung der Artikel 5 und 6 der Richtlinie 92/12/EWG [des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. 1992, L 76, S. 1) in der durch die Richtlinie 2000/47/EG des Rates vom 20. Juli 2000 (ABl. 2000, L 193, S. 73) geänderten Fassung] werden für elektrischen Strom und Erdgas Steuern erhoben; diese entstehen zum Zeitpunkt der Lieferung durch den Verteiler oder Weiterverteiler.“
Deutsches Recht
Das Stromsteuergesetz vom 24. März 1999 (BGBl. 1999 I, S. 378 und BGBl. 2000 I, S. 147) in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBl. 2008 I, S. 2794) (im Folgenden: StromStG) bestimmt in § 3 („Steuertarif“):
„Die Steuer beträgt 20,50 Euro für eine Megawattstunde.“
§ 9 („Steuerbefreiungen, Steuerermäßigungen“) StromStG sieht in Abs. 3 vor:
„Strom unterliegt, ausgenommen in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2, einem ermäßigten Steuersatz von 12,30 Euro für eine Megawattstunde, wenn er von Unternehmen des [p]roduzierenden Gewerbes oder Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft für betriebliche Zwecke entnommen wird und nicht nach Absatz 1 von der Steuer befreit ist.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
XY ist ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes, das 2010 im Rahmen seiner Tätigkeiten Strom aus dem Versorgungsnetz entnahm, um ihn in Akkumulatoren einzuspeisen.
In ihrer Stromsteueranmeldung für das Jahr 2010 erklärte XY die entnommene Strommenge als Eigenverbrauch und wählte den ermäßigten Steuersatz gemäß § 9 Abs. 3 StromStG. In dem entsprechenden Steuerbescheid wandte das Hauptzollamt B jedoch die Stromsteuer zum Regelsteuersatz an, wogegen XY Einspruch einlegte.
Nachdem in einem Gerichtsverfahren betreffend das Jahr 2006 die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 9 Abs. 3 StromStG festgestellt worden war, änderte das Hauptzollamt B seine Entscheidung für das Jahr 2010, da es letztlich der Ansicht war, dass XY berechtigt gewesen sei, die Anwendung dieses Satzes zu verlangen, berichtigte am 27. August 2013 den Steuerbescheid von XY und erstattete den von ihr für das Jahr 2010 zu Unrecht gezahlten Betrag.
Im Dezember 2014 beantragte XY die Festsetzung von Zinsen für den für das Jahr 2010 erstatteten Betrag, was das Hauptzollamt B ablehnte.
Die Klage von XY auf Zahlung dieser Zinsen wurde vom Finanzgericht (Deutschland) mit der Begründung abgewiesen, dass XY darauf weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht einen Anspruch habe. Insbesondere sei der erstattete Betrag nicht nach Unionsrecht zu verzinsen. Zum einen falle nämlich die Entnahme von Strom für das Laden von Akkumulatoren nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/96. Zum anderen sei die Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerermäßigung jedenfalls fakultativ, so dass das Unionsrecht die Zahlung von Zinsen im Fall einer Erstattung nicht verlange.
XY legte gegen dieses Urteil Revision beim Bundesfinanzhof (Deutschland) ein, dem vorlegenden Gericht. Nach Ansicht von XY sind gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Fall von unionsrechtswidrig erhobenen Steuern Zinsen zu zahlen, und zwar auch im Fall der Anwendung von fakultativen Steuerermäßigungen. Im Übrigen stelle das Laden einer Batterie einen reversiblen Vorgang dar, der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/96 falle.
Im Gegensatz zum Finanzgericht ist der Bundesfinanzhof der Auffassung, dass die Tätigkeit von XY in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/96 fällt, und stellt sich nur die Frage, ob der zu Unrecht gezahlte und an XY erstattete Stromsteuerbetrag zu verzinsen ist.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist ein Anspruch auf Erstattung zu Unrecht festgesetzter Stromsteuer nach Unionsrecht zu verzinsen, wenn der niedrigeren Festsetzung der Stromsteuer die fakultative Steuerermäßigung nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96 zugrunde lag und die zu hohe Steuerfestsetzung ausschließlich auf einem Fehler bei der Anwendung der nationalen Vorschrift, die zur Umsetzung des Art. 17 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie erlassen wurde, auf den Streitfall beruhte?
Zur Vorlagefrage
Vorab ist festzustellen, dass die deutsche Regierung im Rahmen ihrer Erklärungen – ohne eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben – zum einen ausführt, der für die Speicherung in Akkumulatoren gelieferte Strom müsse nach Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2003/96 bei seiner späteren Verteilung an Dritte besteuert oder auch besteuert werden. Diese Ansicht weicht von der Prämisse des vorlegenden Gerichts ab, das die Lieferung von Strom für die Speicherung in Akkumulatoren für den einzigen Entstehungstatbestand der betreffenden Steuer hält.
Diese Erklärungen berühren die Zulässigkeit der Vorlagefrage nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht nämlich eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen sowie für das Verständnis der Gründe erforderlich sind, aus denen das nationale Gericht der Ansicht ist, dass die Beantwortung dieser Fragen erforderlich ist, um den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheiden zu können (Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C-621/18, EU:C:2018:999, Rn. 27, und vom 12. Dezember 2019, Slovenské elektrárne, C-376/18, EU:C:2019:1068, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Aus der Vorlagefrage geht hervor, dass sie mit den Gegebenheiten und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits in Zusammenhang steht. Dieser hat zwar nicht die Auslegung der Richtlinie 2003/96 zum Gegenstand, aber die Voraussetzungen für die Erstattung einer Steuer, die aufgrund der fehlerhaften Anwendung einer nationalen Vorschrift erhoben wurde, mit der eine von dieser Richtlinie vorgesehene Möglichkeit umgesetzt wurde.
Zum anderen führt die deutsche Regierung aus, dass die Vorlagefrage nicht auf Art. 17 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96, sondern auf deren Art. 5 vierter Gedankenstrich hätte Bezug nehmen müssen.
Hierzu ist festzustellen, wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass sowohl die in Art. 17 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96 vorgesehenen Steuervorteile für energieintensive Betriebe als auch die in Art. 5 vierter Gedankenstrich dieser Richtlinie vorgesehene Differenzierung der Steuersätze nach betrieblicher und nicht betrieblicher Verwendung von elektrischem Strom für die Mitgliedstaaten fakultativ sind. Die Entscheidung über die in der Vorlagefrage aufgeworfene Rechtsfrage kann daher für das Ergebnis des Ausgangsverfahrens von Bedeutung sein, und zwar unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage der deutsche Gesetzgeber die Differenzierung der betreffenden Steuersätze eingeführt hat.
Unter diesen Umständen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht eine Verzinsung des Erstattungsbetrags der Stromsteuer verlangt, die zu Unrecht erhoben wurde, weil eine auf der Grundlage einer den Mitgliedstaaten von der Richtlinie 2003/96 eingeräumten Möglichkeit erlassene nationale Vorschrift fehlerhaft angewendet wurde.
Nach ständiger Rechtsprechung stellt das Recht auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Die Mitgliedstaaten sind also grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zu erstatten (Urteile vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail Ltd u. a., C-591/10, EU:C:2012:478, Rn. 24 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 23. April 2020, Sole-Mizo und Dalmandi Mezőgazdasági, C-13/18 und C-126/18, EU:C:2020:292, Rn. 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass der Einzelne, wenn ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts Steuern erhoben hat, Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Steuer, sondern auch der Beträge hat, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch die Einbußen aufgrund der Nichtverfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der vorzeitigen Fälligkeit der Steuer. Nach dieser Rechtsprechung ergibt sich der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuerbeträge zuzüglich Zinsen zu erstatten, aus dem Unionsrecht (Urteile vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail Ltd u. a., C-591/10, EU:C:2012:478, Rn. 25 und 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 23. April 2020, Sole-Mizo und Dalmandi Mezőgazdasági, C-13/18 und C-126/18, EU:C:2020:292, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie der Generalanwalt in Nr. 74 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, besteht die Pflicht zur Verzinsung des Betrags der unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben auch dann, wenn dieser Verstoß aus einer Verkennung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts resultiert.
Die Richtlinie 2003/96 hat, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 bis 5 und ihrem Art. 1 ergibt, die Festlegung eines harmonisierten Besteuerungssystems für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom zum Gegenstand (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Dezember 2020, Repsol Petróleo, C-44/19, EU:C:2020:982, Rn. 21).
Im Rahmen dieses Systems hat der Unionsgesetzgeber u. a. gemäß den Art. 5, 7, 15 bis 17 und 19 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten eine Reihe von Möglichkeiten eingeräumt, differenzierte Steuersätze, Steuerbefreiungen oder Ermäßigungen der Verbrauchsteuern einzuführen; diese Möglichkeiten sind Bestandteil des mit dieser Richtlinie eingeführten harmonisierten Besteuerungssystems.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihr Ermessen, über das sie gemäß diesen Artikeln verfügen, unter Beachtung des Unionsrechts und seiner allgemeinen Grundsätze und insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano, C-513/18, EU:C:2020:59, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen erfasst dieses Erfordernis sowohl die Maßnahmen, mit denen von diesem Ermessen Gebrauch gemacht wird, als auch deren Anwendung.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (Urteil vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano, C-513/18, EU:C:2020:59, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Hierzu ist festzustellen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der in Anwendung einer Bestimmung des nationalen Rechts zur Umsetzung der von der Richtlinie 2003/96 vorgesehenen Möglichkeit einem ermäßigten Satz der Stromsteuer unterliegt, die zu Unrecht erhoben wurde, im Hinblick auf den Betrag der zu Unrecht erhobenen Steuer und die Pflicht zur entsprechenden Rückerstattung in einer vergleichbaren Situation ist wie ein Wirtschaftsteilnehmer, der in Anwendung einer Bestimmung dieser Richtlinie dem Normalsatz dieser Steuer unterliegt, die zu Unrecht erhoben wurde.
Diese beiden Situationen sollten nicht ungleich behandelt werden, was im Fall der Erstattung bedeutet, dass der zu Unrecht erhobene Betrag der Steuer zu verzinsen ist.
Der Vergleich zwischen den Wirtschaftsteilnehmern muss nämlich darauf abstellen, ob sie aufgrund der Nichtverfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der fehlerhaften Fälligkeit der Steuer im Sinne der in Rn. 27 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung Einbußen erlitten haben, und zwar unabhängig davon, ob sie dem Normalsatz oder dem ermäßigten Satz dieser Steuer unterliegen, da beide Sätze zu ein und demselben harmonisierten Steuersystem gehören, das mit der Richtlinie 2003/96 eingeführt wurde.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das Unionsrecht eine Verzinsung des Erstattungsbetrags der Stromsteuer verlangt, die zu Unrecht erhoben wurde, weil eine auf der Grundlage einer den Mitgliedstaaten von der Richtlinie 2003/96 eingeräumten Möglichkeit erlassene nationale Vorschrift fehlerhaft angewendet wurde.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es eine Verzinsung des Erstattungsbetrags der Stromsteuer verlangt, die zu Unrecht erhoben wurde, weil eine auf der Grundlage einer den Mitgliedstaaten von der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom eingeräumten Möglichkeit erlassene nationale Vorschrift fehlerhaft angewendet wurde.
Regan
Ilešič
Juhász
Lycourgos
Jarukaitis
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. September 2021.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Fünften Kammer
E. Regan
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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