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EuGH 03.02.2021 - C-555/19
EuGH 03.02.2021 - C-555/19 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer) - 3. Februar 2021 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2010/13/EU – Bereitstellung audiovisueller Mediendienste – Art. 4 Abs. 1 – Freier Dienstleistungsverkehr – Gleichbehandlung – Art. 56 AEUV – Art. 11 und 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Audiovisuelle kommerzielle Kommunikation – Nationale Regelung, die es den Fernsehveranstaltern untersagt, in ihr im gesamten Inland ausgestrahltes Programm Fernsehwerbung aufzunehmen, die nur regional gezeigt wird“
Leitsatz
In der Rechtssache C-555/19
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Stuttgart (Deutschland) mit Entscheidung vom 12. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juli 2019, in dem Verfahren
Fussl Modestraße Mayr GmbH
gegen
SevenOne Media GmbH,
ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH,
ProSiebenSat.1 Media SE
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer, der Richter N. Wahl und F. Biltgen sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Fussl Modestraße Mayr GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Koenig und K. Wilmes,
der ProSiebenSat.1 Media SE, der ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH und der SevenOne Media GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Masch, W. Freiherr Raitz von Frentz und I. Kätzlmeier,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer, L. Malferrari und G. Braun als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Oktober 2020
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV, von Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), des allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung und von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) (ABl. 2010, L 95, S. 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fussl Modestraße Mayr GmbH, einer Gesellschaft österreichischen Rechts (im Folgenden: Fussl), auf der einen Seite und der SevenOne Media GmbH, der ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH und der ProSiebenSat.1 Media SE, Gesellschaften deutschen Rechts, auf der anderen Seite wegen der Nichterfüllung eines mit Fussl geschlossenen Vertrags über die Ausstrahlung von Fernsehwerbung für Modewaren von Fussl allein im Freistaat Bayern (Deutschland) durch SevenOne Media, die damit begründet wird, dass diese Werbung insofern gegen das anwendbare nationale Recht verstoße, als sie im Rahmen deutschlandweit ausgestrahlter Fernsehprogramme gezeigt werden solle.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
In den Erwägungsgründen 5, 8, 41 und 83 der Richtlinie 2010/13 heißt es:
Audiovisuelle Mediendienste sind gleichermaßen Kultur- und Wirtschaftsdienste. Ihre immer größere Bedeutung für die Gesellschaften, die Demokratie – vor allem zur Sicherung der Informationsfreiheit, der Meinungsvielfalt und des Medienpluralismus –, die Bildung und die Kultur rechtfertigt die Anwendung besonderer Vorschriften auf diese Dienste.
…
Es ist unerlässlich, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Handlungen unterbleiben, die den freien Fluss von Fernsehsendungen beeinträchtigen bzw. die Entstehung beherrschender Stellungen begünstigen könnten, welche zu Beschränkungen des Pluralismus und der Freiheit der Fernsehinformation sowie der Information in ihrer Gesamtheit führen würden.
…
Die Mitgliedstaaten sollten in der Lage sein, in den durch diese Richtlinie koordinierten Bereichen für die ihrer Rechtshoheit unterliegenden Mediendiensteanbieter detailliertere oder strengere Vorschriften anzuwenden, und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass diese Vorschriften im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts stehen. …
…
Um sicherzustellen, dass die Interessen der Verbraucher als Zuschauer umfassend und angemessen geschützt werden, ist es wesentlich, dass die Fernsehwerbung einer Reihe von Mindestnormen und Kriterien unterworfen wird und die Mitgliedstaaten das Recht behalten, ausführlichere oder strengere Bestimmungen und in bestimmten Fällen unterschiedliche Bedingungen für die ihrer Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstalter einzuführen.“
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie, der zu deren Kapitel I („Begriffsbestimmungen“) gehört, bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
‚audiovisueller Mediendienst‘
eine Dienstleistung im Sinne der Artikel 56 und 57 [AEUV], für die ein Mediendiensteanbieter die redaktionelle Verantwortung trägt und deren Hauptzweck die Bereitstellung von Sendungen zur Information, Unterhaltung oder Bildung der allgemeinen Öffentlichkeit über elektronische Kommunikationsnetze im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Richtlinie 2002/21/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2002, L 108, S. 33)] ist. Bei diesen audiovisuellen Mediendiensten handelt es sich entweder um Fernsehprogramme gemäß der Definition unter Buchstabe e des vorliegenden Absatzes oder um audiovisuelle Mediendienste auf Abruf gemäß der Definition unter Buchstabe g des vorliegenden Absatzes,
die audiovisuelle kommerzielle Kommunikation;
‚Sendung‘ eine Abfolge von bewegten Bildern mit oder ohne Ton, die Einzelbestandteil eines von einem Mediendiensteanbieter erstellten Sendeplans oder Katalogs ist und deren Form und Inhalt mit der Form und dem Inhalt von Fernsehprogrammen vergleichbar sind. Beispiele für Sendungen sind unter anderem Spielfilme, Sportberichte, Fernsehkomödien, Dokumentarfilme, Kindersendungen und Originalfernsehspiele;
…
‚Mediendiensteanbieter‘ die natürliche oder juristische Person, die die redaktionelle Verantwortung für die Auswahl der audiovisuellen Inhalte des audiovisuellen Mediendienstes trägt und bestimmt, wie diese gestaltet werden;
‚Fernsehprogramm‘ (d. h. ein linearer audiovisueller Mediendienst) einen audiovisuellen Mediendienst, der von einem Mediendiensteanbieter für den zeitgleichen Empfang von Sendungen auf der Grundlage eines Sendeplans bereitgestellt wird;
‚Fernsehveranstalter‘ einen Mediendiensteanbieter, der Fernsehprogramme bereitstellt;
‚audiovisueller Mediendienst auf Abruf‘ (d. h. ein nichtlinearer audiovisueller Mediendienst) einen audiovisuellen Mediendienst, der von einem Mediendiensteanbieter für den Empfang zu dem vom Nutzer gewählten Zeitpunkt und auf dessen individuellen Abruf hin aus einem vom Mediendiensteanbieter festgelegten Programmkatalog bereitgestellt wird;
‚audiovisuelle kommerzielle Kommunikation‘ Bilder mit oder ohne Ton, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds natürlicher oder juristischer Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, dienen. Diese Bilder sind einer Sendung gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung beigefügt oder darin enthalten. Zur audiovisuellen kommerziellen Kommunikation zählen unter anderem Fernsehwerbung, Sponsoring, Teleshopping und Produktplatzierung;
‚Fernsehwerbung‘ jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Fernsehen von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter oder einer natürlichen Person entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern;
…“
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten können Mediendiensteanbieter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, verpflichten, strengeren oder ausführlicheren Bestimmungen in den von dieser Richtlinie koordinierten Bereichen nachzukommen, sofern diese Vorschriften im Einklang mit dem Unionsrecht stehen.“
Deutsches Recht
Am 31. August 1991 schlossen die Länder den Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (GBl. 1991, S. 745). Auf den Ausgangsrechtsstreit ist der Staatsvertrag in der Fassung des am 1. Januar 2016 in Kraft getreten Achtzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 21. Dezember 2015 anwendbar (im Folgenden: RStV).
§ 2 („Begriffsbestimmungen“) RStV sieht in Abs. 1 vor:
„Rundfunk ist ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen.
…“
§ 7 („Werbegrundsätze, Kennzeichnungspflichten“) RStV bestimmt in den Abs. 2 und 11:
„(2) Werbung ist Teil des Programms. …
…
(11) Die nichtbundesweite Verbreitung von Werbung oder anderen Inhalten in einem zur bundesweiten Verbreitung beauftragten oder zugelassenen Programm ist nur zulässig, wenn und soweit das Recht des Landes, in dem die nichtbundesweite Verbreitung erfolgt, dies gestattet. Die nichtbundesweit verbreitete Werbung oder andere Inhalte privater Veranstalter bedürfen einer gesonderten landesrechtlichen Zulassung; diese kann von gesetzlich zu bestimmenden inhaltlichen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Fussl hat ihren Sitz in Ort im Innkreis (Österreich) und betreibt in Österreich und im Freistaat Bayern eine Kette von Modegeschäften.
SevenOne Media hat ihren Sitz in Unterföhring (Deutschland) und ist die Vermarktungsgesellschaft der ProSiebenSat.1-Gruppe, eines privaten Fernsehveranstalters mit Sitz in Deutschland.
Am 25. Mai 2018 schloss Fussl mit SevenOne Media einen Vertrag über die auf den Freistaat Bayern beschränkte Ausstrahlung von Fernsehwerbung im Rahmen des in die bayerischen Kabelnetze der Vodafone Kabel Deutschland GmbH eingespeisten bundesweiten Programms von ProSieben.
SevenOne Media verweigerte sodann die Erfüllung dieses Vertrags mit der Begründung, dass es ihr nach § 7 Abs. 11 RStV untersagt sei, in das bundesweite Programm Fernsehwerbung aufzunehmen, die nur regional gezeigt werde.
Fussl erhob daraufhin Klage beim vorlegenden Gericht, dem Landgericht Stuttgart (Deutschland), und beantragte, SevenOne Media zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Vertrag zu verurteilen.
Das vorlegende Gericht führt aus, zwischen den Parteien sei unstreitig, dass SevenOne Media im Rahmen ihres bundesweiten Fernsehprogramms technisch in der Lage sei, die Ausstrahlung der streitigen Fernsehwerbung auf das Gebiet des Freistaats Bayern zu beschränken.
Zu den verschiedenen ihm unterbreiteten Argumenten führt das vorlegende Gericht erstens aus, es sei zweifelhaft, ob die mit dem Verbot in § 7 Abs. 11 RStV verbundene Beschränkung des durch Art. 56 AEUV garantierten freien Dienstleistungsverkehrs durch den mit dieser Bestimmung verfolgten zwingenden Grund des Allgemeininteresses – den Schutz des Medienpluralismus – gerechtfertigt werden könne.
Zum einen sei nicht sicher, dass dieses Ziel in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werde, da das erwähnte Verbot nicht für ausschließlich regionale Werbung im Internet gelte.
Zum anderen sei auch die Verhältnismäßigkeit des Verbots in § 7 Abs. 11 RStV fraglich, da regionale Fernsehveranstalter nur recht geringfügig von diesem Verbot profitierten, während Gewerbetreibende wie Fussl in ihren Möglichkeiten zur Bewerbung ihrer Waren erheblich eingeschränkt seien.
Zweitens könne § 7 Abs. 11 RStV einen Eingriff in die Meinungsfreiheit und die Freiheit, Informationen zu empfangen und weiterzugeben, darstellen, die durch Art. 11 der Charta und Art. 10 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) garantiert würden.
Drittens könnte § 7 Abs. 11 RStV gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts verstoßen.
Unter diesen Umständen hat das Landgericht Stuttgart beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2010/13, der unionsrechtliche Gleichheitsgrundsatz und die Regelungen gemäß Art. 56 AEUV zum freien Dienstleistungsverkehr dahin auszulegen, dass sie einer Regelung im nationalen Recht entgegenstehen, die die regionale Verbreitung von Werbung in für den gesamten Mitgliedstaat zugelassenen Rundfunkprogrammen untersagt?
Ist Frage 1 abweichend zu beurteilen, wenn das nationale Recht gesetzliche Regelungen erlaubt, nach denen die regionale Verbreitung von Werbung gesetzlich zugelassen werden kann und in diesem Fall mit einer – zusätzlich erforderlichen – behördlichen Erlaubnis zugelassen ist?
Ist Frage 1 abweichend zu beurteilen, wenn von der in Frage 2 beschriebenen Möglichkeit der Zulassung regionaler Werbung tatsächlich kein Gebrauch gemacht wird und die regionale Werbung dementsprechend durchgehend verboten ist?
Ist Art. 11 der Charta unter Berücksichtigung von Art. 10 der EMRK sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere der Grundsatz der Informationsvielfalt, dahin gehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, wie sie in den Fragen 1, 2 und 3 beschrieben ist, entgegensteht?
Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens
Im Anschluss an die Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts haben SevenOne Media, ProSiebenSat.1 TV Deutschland und ProSiebenSat.1 Media mit Schriftsatz, der am 27. Oktober 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, nach Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt.
Zur Begründung ihres Antrags machen die genannten Gesellschaften geltend, die vom Generalanwalt vorgelegten Schlussanträge enthielten einige falsche Sachverhaltsdarstellungen, die berichtigt werden müssten, da das zu erlassende Urteil nicht auf falsche Angaben gestützt werden dürfe. Sie bringen insbesondere vor, die Angabe in Nr. 57 der Schlussanträge, wonach die Werbung im Internet etwas völlig anderes sei als Fernsehwerbung, sei in mehrfacher Hinsicht falsch.
Gemäß Art. 252 Abs. 2 AEUV hat der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an die Schlussanträge des Generalanwalts noch an ihre Begründung gebunden (Urteil vom 25. Juli 2018, Société des produits Nestlé u. a./Mondelez UK Holdings & Services, C-84/17 P, C-85/17 P und C-95/17 P, EU:C:2018:596, Rn. 31).
Außerdem sieht weder die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch die Verfahrensordnung vor, dass die Parteien oder die in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten die Möglichkeit haben, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/Aer Lingus und Ryanair Designated Activity, C-164/15 P und C-165/15 P, EU:C:2016:990, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dass eine Partei nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 28. Februar 2018, mobile.de/EUIPO, C-418/16 P, EU:C:2018:128, Rn. 30).
Der Gerichtshof kann allerdings gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für seine Entscheidung ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.
Dies ist hier nicht der Fall.
SevenOne Media, ProSiebenSat.1 TV Deutschland und ProSiebenSat.1 Media stützen ihren Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nämlich darauf, dass die Schlussanträge einige falsche Sachverhaltsdarstellungen enthielten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist in dem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, aber allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig (Urteil vom 18. Februar 2016, Finanmadrid EFC, C-49/14, EU:C:2016:98, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Beurteilung des Sachverhalts, auf den SevenOne Media, ProSiebenSat.1 TV Deutschland und ProSiebenSat.1 Media ihren Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens stützen, obliegt daher allein dem vorlegenden Gericht, falls es unter Berücksichtigung insbesondere der vom Gerichtshof im Rahmen seiner Antwort auf das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen vorgenommenen Auslegung des Unionsrechts zu der Auffassung gelangen sollte, dass eine solche Beurteilung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich ist.
Daher ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er durch die verschiedenen Argumente, die gebührend vor ihm erörtert worden sind, hinreichend unterrichtet ist.
Somit besteht keine Veranlassung, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anzuordnen.
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen vier Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2010/13, der Grundsatz der Gleichbehandlung, Art. 56 AEUV und Art. 11 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den Fernsehveranstaltern untersagt, in ihr im gesamten Inland ausgestrahltes Programm Fernsehwerbung aufzunehmen, die nur regional gezeigt wird.
Zur Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit der Richtlinie 2010/13
Zu den möglichen Auswirkungen der Richtlinie 2010/13 auf die Beantwortung der in der vorstehenden Randnummer umformulierten Vorlagefragen vertritt die deutsche Regierung die Auffassung, dass in dem durch § 2 Abs. 1 und § 7 Abs. 2 und 11 RStV in deutsches Recht umgesetzten Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie das „Prinzip der Gleichzeitigkeit des Empfangs“ verankert sei, so dass der RStV keine „strengeren oder detaillierteren“ Regelungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie enthalte, deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht geprüft werden könne.
Dieser Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2010/13 kann jedoch nicht gefolgt werden.
Die Bezugnahme in Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2010/13 auf den „zeitgleichen Empfang von Sendungen“ kann nämlich nicht dahin verstanden werden, dass sie die Mitgliedstaaten dazu verpflichten würde, dafür zu sorgen, dass Werbung oder andere Inhalte eines für die Ausstrahlung auf nationaler Ebene bestimmten oder zugelassenen Fernsehprogramms, mangels Genehmigung systematisch im gesamten Hoheitsgebiet ausgestrahlt werden, wie es § 7 Abs. 11 RStV im vorliegenden Fall vorsieht.
Abgesehen davon, dass sich Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2010/13 auf die Definition des Begriffs „Fernsehprogramm“ beschränkt, wobei er ausdrücklich auf den zeitgleichen Empfang von „Sendungen“ Bezug nimmt, und daher als solcher keine Verpflichtung in Bezug auf die Fernsehwerbung auferlegt, ergibt sich aus der Systematik der Richtlinie, dass der Begriff „zeitgleicher Empfang“ so zu verstehen ist, dass er an die der Richtlinie zugrunde liegende Unterscheidung zwischen den von dieser Bestimmung erfassten „linearen“ audiovisuellen Mediendiensten und den „nichtlinearen“ audiovisuellen Mediendiensten anknüpft, bei denen es sich um „audiovisuelle Mediendienste auf Abruf“ handelt, die nach der Definition in Art. 1 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie dadurch gekennzeichnet sind, dass bei ihnen der „Empfang [der Sendungen] zu dem vom Nutzer gewählten Zeitpunkt und auf dessen individuellen Abruf hin aus einem vom Mediendiensteanbieter festgelegten Programmkatalog“ erfolgt.
Der Begriff „zeitgleicher Empfang“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2010/13 ist daher vor dem Hintergrund zu verstehen, dass es sich bei einem Fernsehprogramm um einen audiovisuellen Mediendienst mit linearem Charakter handelt; dies bedeutet, dass alle Zuschauer, für die eine Sendung bestimmt ist, diese auf der Grundlage eines chronologischen Sendeplans zeitgleich anschauen, ohne eine Wahl- oder Abrufmöglichkeit zu haben.
Dieser Begriff bedeutet daher für sich genommen nicht, dass bei der Ausstrahlung von Fernsehwerbung keine Differenzierungen vorgenommen werden können, etwa durch ihre Beschränkung auf einen Teil des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats.
Was sodann die möglichen Auswirkungen von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2010/13 auf die Beantwortung der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils umformulierten Vorlagefragen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus dieser Bestimmung sowie aus den Erwägungsgründen 41 und 83 der Richtlinie hervorgeht, die Mitgliedstaaten, um sicherzustellen, dass die Interessen der Verbraucher als Zuschauer umfassend und angemessen geschützt werden, die ihrer Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbieter verpflichten können, strengeren oder ausführlicheren Bestimmungen und in bestimmten Fällen unterschiedlichen Bedingungen in den von der Richtlinie koordinierten Bereichen nachzukommen, sofern diese Vorschriften im Einklang mit dem Unionsrecht und insbesondere mit dessen allgemeinen Grundsätzen stehen (Urteil vom 18. Juli 2013, Sky Italia, C-234/12, EU:C:2013:496, Rn. 13).
Wie auch der Generalanwalt in Nr. 22 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, fällt die Bestimmung, die sich aus § 7 Abs. 11 RStV ergibt, zwar in einen von der Richtlinie 2010/13 erfassten Bereich, nämlich den der Fernsehwerbung, der in ihren Art. 19 bis 26 geregelt ist, die die Verbraucher als Zuschauer vor übermäßiger Werbung schützen sollen (Urteil vom 18. Juli 2013, Sky Italia, C-234/12, EU:C:2013:496, Rn. 17); sie betrifft jedoch einen speziellen Bereich, der durch keinen der genannten Artikel geregelt wird, und verfolgt darüber hinaus nicht das erwähnte Ziel des Schutzes der Zuschauer.
Daraus folgt, dass die in § 7 Abs. 11 RStV vorgesehene Maßnahme nicht als „ausführlichere“ oder „strengere“ Bestimmung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2010/13 eingestuft werden kann und nicht in ihren Anwendungsbereich fällt.
Zur Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem durch Art. 56 AEUV garantierten freien Dienstleistungsverkehr
Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs
In Bezug auf die Prüfung der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit der durch Art. 56 AEUV garantierten Grundfreiheit in Form des freien Dienstleistungsverkehrs ist darauf hinzuweisen, dass als Beschränkungen dieser Freiheit alle Maßnahmen zu verstehen sind, die ihre Ausübung untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C-339/15, EU:C:2017:335, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Begriff der Beschränkung umfasst insbesondere die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, die, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, den freien Dienstleistungsverkehr in den übrigen Mitgliedstaaten berühren (Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C-339/15, EU:C:2017:335, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In diesem Zusammenhang macht Fussl geltend, dass das Verbot in § 7 Abs. 11 RStV den besonderen Werbebedürfnissen eines gebietsfremden mittelgroßen Wirtschaftsteilnehmers – wie ihr – entgegenstehe, der in den deutschen Markt eintreten wolle und sich dabei zunächst auf ein einziges Einzugsgebiet, im vorliegenden Fall den Freistaat Bayern, konzentriere.
Zum einen sei die Ausstrahlung von Fernsehwerbung im Rahmen nationaler Programme in ganz Deutschland zu kostspielig und könnte zu einer zu großen Nachfrage führen, die möglicherweise nicht befriedigt werden könne.
Zum anderen habe die Ausstrahlung von Fernsehwerbung durch regionale Fernsehveranstalter nur eine sehr begrenzte Werbewirkung. Dies liege vor allem daran, dass die von diesen Regionalsendern ausgestrahlten Programme nur eine sehr begrenzte Zahl von Fernsehzuschauern erreichten, nämlich etwa 5 % des gesamten deutschen Fernsehpublikums.
Hierzu ist festzustellen, dass eine nationale Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die es den Fernsehveranstaltern untersagt, im Rahmen ihrer nationalen Programme regionale Fernsehwerbung u. a. zugunsten von Werbetreibenden auszustrahlen, die – wie im vorliegenden Fall Fussl – in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, zu einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs führt, zum Nachteil sowohl der Anbieter von Werbedienstleistungen, also der Fernsehveranstalter, als auch der Empfänger dieser Dienstleistungen, also der Werbetreibenden, die ihre Waren oder Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat nur regional beschränkt bewerben möchten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Oktober 1999, ARD, C-6/98, EU:C:1999:532, Rn. 49, und vom 17. Juli 2008, Corporación Dermoestética, C-500/06, EU:C:2008:421, Rn. 33).
Im vorliegenden Fall ist § 7 Abs. 11 RStV geeignet, den Zugang gebietsfremder Wirtschaftsteilnehmer wie Fussl zum deutschen Markt zu behindern, da er sie daran hindert, in Deutschland Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Fernsehwerbung in Anspruch zu nehmen.
Das Vorliegen eines solchen Hindernisses für den freien Dienstleistungsverkehr kann im Übrigen nicht durch den vom vorlegenden Gericht im Rahmen seiner zweiten und seiner dritten Frage angeführten Umstand in Frage gestellt werden, dass jedes Bundesland aufgrund der in § 7 Abs. 11 RStV enthaltenen „Öffnungsklausel“ in seinen Rechtsvorschriften eine Erlaubnisregelung vorsehen kann, nach der eine solche regionale Ausstrahlung von Fernsehwerbung, gegebenenfalls unter bestimmten Voraussetzungen, gestattet ist.
Insoweit genügt der Hinweis, dass es sich dabei nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen um eine bloße Möglichkeit handelt, von der bisher kein Bundesland Gebrauch gemacht hat, so dass de lege lata das in § 7 Abs. 11 RStV normierte Verbot für Fernsehveranstalter, in ihr im gesamten Inland ausgestrahltes Programm Fernsehwerbung aufzunehmen, die nur regional gezeigt wird, und die sich daraus ergebende Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs erwiesen sind.
Zur etwaigen Rechtfertigung der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs
Was sodann die etwaige Rechtfertigung einer solchen Beschränkung anbelangt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Beschränkung einer durch den AEU-Vertrag verbürgten Grundfreiheit nur zulässig, wenn die fragliche nationale Maßnahme einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses entspricht, wenn sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C-339/15, EU:C:2017:335, Rn. 65, und vom 11. Dezember 2019, TV Play Baltic, C-87/19, EU:C:2019:1063, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
– Zum Vorliegen eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses, der die Beschränkung rechtfertigen kann
Wie aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte, dem Vorabentscheidungsersuchen und den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung hervorgeht und zudem durch die Begründung zum Achtzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag bestätigt wird, soll durch § 7 Abs. 11 RStV den regionalen und lokalen Fernsehveranstaltern, indem ihnen die Einnahmen aus der regionalen Fernsehwerbung vorbehalten bleiben, eine Einnahmequelle und damit ihr Fortbestand gesichert werden, um es ihnen zu ermöglichen, durch die Bereitstellung regionaler und lokaler Inhalte zum pluralistischen Charakter des Fernsehprogrammangebots beizutragen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann jedoch die Aufrechterhaltung des pluralistischen Charakters des Fernsehprogrammangebots, die durch eine Kulturpolitik gewährleistet werden soll, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Dezember 2007, United Pan-Europe Communications Belgium u. a., C-250/06, EU:C:2007:783, Rn. 41 und 42, sowie vom 22. Dezember 2008, Kabel Deutschland Vertrieb und Service, C-336/07, EU:C:2008:765, Rn. 37 und 38).
Des Weiteren hat der Gerichtshof entschieden, dass die Wahrung der Freiheiten, die durch Art. 11 der Charta, der in seinem Abs. 2 die Freiheit und den Pluralismus der Medien nennt, geschützt werden, unbestreitbar ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel darstellt, dessen Bedeutung in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft nicht genug betont werden kann und eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen vermag (Urteil vom 3. September 2020, Vivendi, C-719/18, EU:C:2020:627, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
– Zur Verhältnismäßigkeit der Beschränkung
Auch wenn das mit § 7 Abs. 11 RStV verfolgte Ziel der Aufrechterhaltung des Medienpluralismus einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, lässt sich, wie bereits in Rn. 52 des vorliegenden Urteils dargelegt, die mit dieser nationalen Bestimmung verbundene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nur dann rechtfertigen, wenn sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass dieses Ziel zwar mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Zusammenhang steht und damit den nationalen Stellen ein weites Ermessen einräumt, doch dürfen die Anforderungen, die sich aus den Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels ergeben, auf keinen Fall zur Gewährleistung der Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels ungeeignet sein oder außer Verhältnis zu ihm stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2007, United Pan-Europe Communications Belgium u. a., C-250/06, EU:C:2007:783, Rn. 44).
Daher ist erstens zu prüfen, ob das Verbot geeignet ist, die Erreichung des mit dieser Maßnahme verfolgten, im Allgemeininteresse liegenden Ziels der Garantie des Medienpluralismus zu gewährleisten.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nationale Rechtsvorschriften nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann geeignet sind, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht werden, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, EU:C:2009:141, Rn. 55, und vom 11. Juli 2019, A, C-716/17, EU:C:2019:598, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Neben dem vorlegenden Gericht bezweifeln aber auch die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Europäische Kommission, dass § 7 Abs. 11 RStV diesem Kohärenzerfordernis genügt, vor allem, weil das dort aufgestellte Verbot nicht für Werbung gilt, die allein auf der Ebene einer Region über verschiedene Internetplattformen verbreitet wird.
Insoweit wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob die über Internetplattformen erbrachten Werbedienstleistungen auf dem regionalen Werbemarkt eine echte Konkurrenz für die regionalen und lokalen Fernsehveranstalter darstellen und die Einnahmen gefährden, die sie mit dieser Werbung erzielen.
In diesem Zusammenhang hat das vorlegende Gericht im Übrigen die Auffassung vertreten, dass durch § 7 Abs. 11 RStV gebietsansässige und gebietsfremde Werbetreibende, die regionale Fernsehwerbung schalten wollten, gegenüber den übrigen Anbietern von Mediendiensten auf Internetplattformen benachteiligt würden, da Letztere ihr Werbeangebot ebenso regional differenzieren dürften wie die inländischen Printmedien.
Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist zudem davon auszugehen, dass die regionalen Fernsehveranstalter auf dem Markt für regionale Werbung mit den Anbietern von – insbesondere linearen – Werbedienstleistungen im Internet in Wettbewerb stehen, so dass sich die Nachfrage der Werbetreibenden nach regionaler Werbung von den regionalen Fernsehveranstaltern auf diese Anbieter verlagern kann.
Ebenfalls vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist nicht davon auszugehen, dass die Gefahr von Einnahmeverlusten der regionalen und lokalen Fernsehveranstalter infolge dieser Verlagerung der Nachfrage und der Einnahmen aus Werbedienstleistungen auf Anbieter von – insbesondere linearen – Werbedienstleistungen im Internet geringer ist als die Gefahr einer entsprechenden Verlagerung von Nachfrage und Einnahmen zugunsten nationaler Fernsehveranstalter, wenn kein Verbot wie das in § 7 Abs. 11 RStV verankerte bestünde.
Außerdem ist festzustellen, dass nach den Angaben in der dem Gerichtshof vorgelegten Akte der deutsche Gesetzgeber ausweislich der Begründung zum Achtzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag das in § 7 Abs. 11 RStV verankerte Verbot auf die Gefahr einer solchen Verlagerung der Nachfrage und eines Verlusts von Werbeeinnahmen zulasten der regionalen Fernsehveranstalter in einem ihren Fortbestand bedrohenden Ausmaß gestützt hat; die Parteien des Ausgangsrechtsstreits zweifeln aber daran, dass eine solche Gefahr besteht.
Es ist jedoch allein Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage aktueller, hinreichend detaillierter und fundierter Angaben zu prüfen, ob eine tatsächliche oder konkret vorhersehbare Gefahr besteht, dass sich die Nachfrage nach regionalen Werbedienstleistungen und die damit erzielten Einnahmen zu Ungunsten der regionalen Fernsehveranstalter in einem ihre Finanzierung und damit ihren Fortbestand bedrohenden Ausmaß verlagern würden, wenn die nationalen Fernsehveranstalter befugt wären, im Rahmen ihres im gesamten Inland ausgestrahlten Programms regionale Werbung zu zeigen.
Folglich ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass der Widerspruch, mit dem § 7 Abs. 11 RStV behaftet sein könnte, mit der – vom vorlegenden Gericht zu prüfenden – Tatsache zusammenhängen könnte, dass das in dieser Bestimmung enthaltene Verbot nur für Werbedienstleistungen gilt, die von nationalen Fernsehveranstaltern erbracht werden, und nicht für – insbesondere lineare – Werbedienstleistungen, die im Internet erbracht werden, obwohl es sich um zwei Arten auf dem deutschen Werbemarkt konkurrierender Dienstleistungen handeln könnte, die – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – die gleiche Gefahr für das finanzielle Wohlergehen und den Fortbestand der regionalen und lokalen Fernsehveranstalter und damit für das mit dieser Bestimmung verfolgte Ziel der Förderung des Medienpluralismus auf regionaler und lokaler Ebene darstellen können.
In diesem Zusammenhang wird das vorlegende Gericht insbesondere zu prüfen haben, ob das deutsche Recht es den nationalen Fernsehveranstaltern gestattet, im Rahmen ihrer Streaming-Sendungen im Internet regionale Werbung auszustrahlen. Bejahendenfalls wäre zwangsläufig festzustellen, dass die durch § 7 Abs. 11 RStV eingeführte Maßnahme widersprüchlichen Charakter hat.
Die Umstände des Ausgangsverfahrens sind im Übrigen insoweit im Wesentlichen mit jenen vergleichbar, die dem Urteil vom 17. Juli 2008, Corporación Dermoestética (C-500/06, EU:C:2008:421), zugrunde lagen.
In Rn. 39 dieses Urteils ist der Gerichtshof zwar zu dem Ergebnis gelangt, dass die in dieser Rechtssache in Rede stehende Werberegelung insofern einen Widerspruch aufwies und somit nicht zur Erreichung ihres Ziels, die öffentliche Gesundheit zu schützen, geeignet war, als sie ein Verbot von Werbung für medizinisch-chirurgische Behandlungen über nationale Fernsehsender enthielt, zugleich aber die Möglichkeit eröffnete, eine solche Werbung über lokale Fernsehsender zu verbreiten; dieses Ergebnis ist jedoch offensichtlich damit zu erklären, dass bei der Werbung für solche Behandlungen das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gleichermaßen relevant war, unabhängig davon, ob die Werbung über nationale oder lokale Fernsehsender verbreitet wurde.
Schließlich ist, anknüpfend an die Ausführungen in Rn. 57 des vorliegenden Urteils, darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht bei der Beurteilung der Widerspruchsfreiheit der Beschränkung das weite Ermessen berücksichtigen muss, das den nationalen Behörden zusteht, wenn sie den Medienpluralismus schützen wollen.
Zweitens setzt – wie aus der in Rn. 52 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht – die Rechtfertigung einer nationalen Maßnahme, mit der eine durch den AEU-Vertrag verbürgte Grundfreiheit beschränkt wird, nicht nur voraus, dass sie einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses entspricht und zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet ist, sondern auch, dass sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Daher ist zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall durch andere, den freien Dienstleistungsverkehr weniger beeinträchtigende Maßnahmen möglich gewesen wäre, das vom deutschen Gesetzgeber mit der Maßnahme in § 7 Abs. 11 RStV angestrebte Ziel des Schutzes des Medienpluralismus auf regionaler und lokaler Ebene zu erreichen.
Insoweit ist den Ausführungen des Generalanwalts in den Nrn. 69 und 70 seiner Schlussanträge beizupflichten, wonach der bloße Umstand, dass andere Mitgliedstaaten die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstalter durch Gebühren sicherstellen und den privaten Fernsehveranstaltern die Ausstrahlung von sowohl nationaler als auch regionaler Werbung freistellen, als solcher kein ausreichender Beweis für die Unverhältnismäßigkeit des in § 7 Abs. 11 RStV verankerten Verbots ist.
In Anbetracht insbesondere des in Rn. 57 des vorliegenden Urteils angeführten Umstands, dass den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Ziels der Wahrung des Medienpluralismus ein gewisses Ermessen einzuräumen ist, kann daraus, dass ein Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften erlässt als ein anderer Mitgliedstaat, nämlich nicht geschlossen werden, dass die Vorschriften im letztgenannten Staat unverhältnismäßig wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. September 2019, VIPA, C-222/18, EU:C:2019:751, Rn. 71).
Allerdings ist festzustellen, dass § 7 Abs. 11 RStV selbst eine so genannte „Öffnungsklausel“ enthält, die es den Bundesländern gestattet, eine weniger beschränkende Maßnahme als das schlichte Verbot, und zwar eine besondere Erlaubnisregelung, einzuführen, soweit das Recht des betreffenden Bundeslands dies vorsieht.
Daher könnte sich eine weniger beschränkende Maßnahme aus der tatsächlichen Umsetzung dieser Erlaubnisregelung in den Bundesländern ergeben, die die regionale Ausstrahlung von Werbung durch nationale Fernsehveranstalter in gewissen Grenzen und unter bestimmten Voraussetzungen – die unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Bundeslands festzulegen sind – ermöglicht, um insbesondere etwaige finanzielle Auswirkungen auf die regionalen und lokalen Fernsehveranstalter zu minimieren und damit den pluralistischen Charakter insbesondere des regionalen und lokalen Fernsehangebots zu wahren.
Wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge weiter ausgeführt hat, ändert die Tatsache, dass diese Möglichkeit bisher nicht in Anspruch genommen wurde, nichts daran, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung dieser Klausel anerkannt hat, dass eine solche Erlaubnisregelung mit den Zielen der streitigen Maßnahme vereinbar ist.
Außerdem kann das Vorliegen einer a priori weniger einschränkenden Maßnahme die Verhältnismäßigkeit von § 7 Abs. 11 RStV nur berühren, sofern – was das vorlegende Gericht zu prüfen hat – diese Maßnahme tatsächlich so erlassen und durchgeführt werden kann, dass das Ziel der Bestimmung – die Wahrung des Medienpluralismus auf regionaler und lokaler Ebene durch den Schutz der Finanzierung und des Fortbestands der regionalen und lokalen Fernsehveranstalter – in der Praxis erreicht werden kann.
Zur Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit den Art. 11 und 20 der Charta
Schließlich ist in Bezug auf die Frage, ob in dem Verbot in § 7 Abs. 11 RStV ein Eingriff in die durch Art. 11 der Charta verbürgte Rundfunkfreiheit oder ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung gesehen werden kann, zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Regelung, die nach einer Prüfung anhand von Art. 56 AEUV für geeignet befunden worden ist, den freien Dienstleistungsverkehr zu behindern, wobei der betreffende Mitgliedstaat dies aufgrund eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses – im vorliegenden Fall des Ziels der Wahrung des Medienpluralismus – für gerechtfertigt hält, als Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta anzusehen ist, so dass sie mit den durch die Charta garantierten Grundrechten im Einklang stehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Mai 2019, Kommission/Ungarn [Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen], C-235/17, EU:C:2019:432, Rn. 63 bis 65).
Zu der durch Art. 11 der Charta garantierten Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
Die in Art. 11 der Charta verankerte Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit wird auch durch Art. 10 der EMRK geschützt, der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere auf die Verbreitung von Informationen geschäftlicher Art durch einen Unternehmer, u. a. in Form von Werbebotschaften, anwendbar ist (Urteil vom 17. Dezember 2015, Neptune Distribution, C-157/14, EU:C:2015:823, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Da die in Art. 11 der Charta und in Art. 10 der EMRK verankerte Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit nach Art. 52 Abs. 3 der Charta und den Erläuterungen zu ihrem Art. 11 in der Charta und der EMRK die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, beeinträchtigt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Maßnahme, soweit sie die Möglichkeiten der nationalen Fernsehveranstalter beschränkt, regionale Fernsehwerbung für die betreffenden Werbetreibenden auszustrahlen, diese Grundfreiheit der Fernsehveranstalter (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Juni 1997, Familiapress, C-368/95, EU:C:1997:325, Rn. 26, vom 23. Oktober 2003, RTL Television, C-245/01, EU:C:2003:580, Rn. 68, sowie vom 17. Dezember 2015, Neptune Distribution, C-157/14, EU:C:2015:823, Rn. 64 und 65).
In Bezug auf die nationalen Fernsehveranstalter nimmt der Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit die besondere Form eines Eingriffs in die durch Art. 11 Abs. 2 der Charta speziell geschützte Medien- oder Rundfunkfreiheit an.
Die durch die Charta garantierten Freiheiten können zwar eingeschränkt werden, doch muss jede Einschränkung ihrer Ausübung gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta gesetzlich vorgesehen sein und ihren Wesensgehalt achten. Außerdem dürfen nach dieser Bestimmung unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Urteil vom 17. Dezember 2015, Neptune Distribution, C-157/14, EU:C:2015:823, Rn. 68).
Hierzu ist im vorliegenden Fall erstens festzustellen, dass die Einschränkung, die sich aus dem in § 7 Abs. 11 RStV verankerten Verbot der regionalen Werbung ergibt, als gesetzlich vorgesehen anzusehen ist, da sie in einem zwischen allen deutschen Bundesländern geschlossenen Vertrag enthalten ist.
Zweitens wird der Wesensgehalt der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht beeinträchtigt, da die nationale Regelung zum einen – wie auch der Generalanwalt in Nr. 81 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – nur die Möglichkeit für die Werbetreibenden einschränkt, einen bestimmten Kommunikationskanal, und zwar die nationalen Fernsehsender, zu nutzen, wobei es ihnen freisteht, zur Erreichung ihrer regionalen Zielgruppe andere Werbekanäle zu nutzen, wie z. B. Werbung im Internet, deren Wirksamkeit, auch auf regionaler Ebene, im Übrigen nicht bestritten wird.
Zum anderen wird die den privaten und nicht subventionierten nationalen Fernsehveranstaltern zustehende Medienfreiheit zwar insofern eingeschränkt, als sie im Rahmen ihres bundesweiten Programms keine regionale Werbung ausstrahlen dürfen, doch handelt es sich dabei um nur eine Methode zur Verbreitung von Werbung und damit um nur eine von mehreren Einnahmequellen dieser Veranstalter.
Drittens entspricht der in Rn. 85 des vorliegenden Urteils erwähnte Eingriff einem von der Union anerkannten Ziel von allgemeinem Interesse.
Wie aus Rn. 53 des vorliegenden Urteils hervorgeht, soll durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, nach der den regionalen und lokalen Fernsehveranstaltern die Einnahmen aus der regionalen Fernsehwerbung vorbehalten bleiben, nämlich ihre Finanzierung und damit ihr Fortbestand gesichert werden, um es ihnen zu ermöglichen, durch die Bereitstellung regionaler und lokaler Inhalte zum pluralistischen Charakter des Fernsehprogrammangebots beizutragen.
Wie bereits in Rn. 55 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, stellt dieses Ziel, da es den Schutz des Medienpluralismus auf regionaler und lokaler Ebene bezweckt, ein im Allgemeininteresse liegendes, in Art. 11 Abs. 2 der Charta ausdrücklich anerkanntes Ziel dar.
Viertens ist hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des festgestellten Eingriffs hervorzuheben, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 10 Abs. 2 der EMRK die nationalen Behörden bei der Entscheidung darüber, ob ein zwingendes gesellschaftliches Bedürfnis besteht, das eine Einschränkung der Meinungsfreiheit rechtfertigen könnte, über ein gewisses Ermessen verfügen. Nach dieser Rechtsprechung ist dies gerade in der Wirtschaft und besonders in einem so komplexen und fluktuierenden Bereich wie der Werbung unerlässlich (Urteil vom 23. Oktober 2003, RTL Television, C-245/01, EU:C:2003:580, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das in § 7 Abs. 11 RStV verankerte Verbot der regionalen Werbung beruht im Wesentlichen auf einer Abwägung zwischen der Freiheit der nationalen Fernsehveranstalter zur kommerziellen Meinungsäußerung und der Freiheit der Werbetreibenden, im Rahmen von Programmen, die für das gesamte inländische Fernsehpublikum bestimmt sind, regionale Fernsehwerbung auszustrahlen, einerseits und dem Schutz des Medienpluralismus auf regionaler und lokaler Ebene, zu dem die regionalen und lokalen Fernsehveranstalter nur beitragen können, wenn ihre Finanzierung und damit ihr Fortbestand gesichert sind, weil ihnen ausreichende Einnahmen aus regionaler Werbung vorbehalten bleiben, andererseits.
Insoweit durfte der deutsche Gesetzgeber, wie auch der Generalanwalt in Nr. 83 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, beim Erlass von § 7 Abs. 11 RStV – ohne das weite Ermessen, das ihm im besonderen Rahmen einer solchen Abwägung mitunter gegenläufiger Interessen zusteht, zu überschreiten – davon ausgehen, dass die Wahrung des öffentlichen Interesses daran, dass regionale und lokale Fernsehveranstalter in der Lage sind, zur öffentlichen Debatte auf diesen Ebenen beizutragen, Vorrang haben soll vor dem privaten Interesse der nationalen Fernsehveranstalter und der Werbetreibenden an der Ausstrahlung regionaler Fernsehwerbung im Rahmen von Programmen, die für das gesamte inländische Fernsehpublikum bestimmt sind.
Nach alledem ist Art. 11 der Charta dahin auszulegen, dass er einem Verbot regionaler Werbung auf nationalen Fernsehsendern wie dem in § 7 Abs. 11 RStV enthaltenen nicht entgegensteht.
Zu dem durch Art. 20 der Charta garantierten Grundsatz der Gleichbehandlung
Zur Vereinbarkeit einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 11 RStV mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung ist darauf hinzuweisen, dass dieser allgemeine Grundsatz des Unionsrechts in Art. 20 der Charta verankert ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt er, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist. Eine unterschiedliche Behandlung ist gerechtfertigt, wenn sie auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht, d. h., wenn sie mit einem rechtlich zulässigen Ziel, das mit der in Rede stehenden Regelung verfolgt wird, in Zusammenhang steht und wenn dieser Unterschied in angemessenem Verhältnis zu dem mit der betreffenden Behandlung verfolgten Ziel steht (Urteil vom 22. Mai 2014, Glatzel, C-356/12, EU:C:2014:350, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob ein Verbot regionaler Werbung auf nationalen Fernsehsendern, wie es in § 7 Abs. 11 RStV enthalten ist, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen könnte, da durch diese Bestimmung nationale Fernsehveranstalter sowie gebietsansässige und gebietsfremde Werbetreibende gegenüber den Anbietern von Werbedienstleistungen im Internet – etwa in Form von Video-on-Demand- oder Streaming-Diensten – benachteiligt würden, die ihr Werbeangebot ebenso wie die nationalen Printmedien regional differenzieren dürften.
Zwar obliegt dem vorlegenden Gericht die Prüfung, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, doch kann der Gerichtshof ihm alle für diese Prüfung notwendigen Hinweise geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano, C-513/18, EU:C:2020:59, Rn. 36).
Insoweit ist erstens zu prüfen, ob sich die verschiedenen in Rn. 96 des vorliegenden Urteils genannten Wirtschaftsteilnehmer in einer vergleichbaren Situation befinden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Vergleichbarkeit verschiedener Sachverhalte anhand aller Merkmale zu beurteilen, die sie kennzeichnen. Diese Merkmale sind u. a. im Licht des Gegenstands und des Ziels der Handlung, mit der die fragliche Unterscheidung eingeführt wird, zu bestimmen und zu beurteilen. Außerdem sind die Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs zu berücksichtigen, in den die Handlung fällt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2013, Sky Italia, C-234/12, EU:C:2013:496, Rn. 16, und vom 30. Januar 2019, Planta Tabak, C-220/17, EU:C:2019:76, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob sich die Situation der nationalen Fernsehveranstalter und die Situation der Anbieter von – insbesondere linearen – Werbedienstleistungen im Internet in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen der regionalen Werbung in den ihre jeweilige Situation kennzeichnenden Merkmalen – insbesondere den üblichen Formen der Nutzung von Werbedienstleistungen, der Art ihrer Erbringung oder dem rechtlichen Rahmen, in den sie sich einfügen – erheblich voneinander unterscheiden.
Ferner ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob angesichts des Gegenstands und des Ziels von § 7 Abs. 11 RStV, wonach insbesondere die Finanzierung der regionalen und lokalen Fernsehveranstalter gesichert werden soll, die Situation der nicht subventionierten nationalen Fernsehveranstalter, die Werbedienstleistungen anbieten, mit der Situation der Anbieter von – insbesondere linearen – Werbedienstleistungen im Internet vergleichbar ist, unter Berücksichtigung dessen, dass diese beiden Kategorien von Anbietern hinsichtlich ihrer Finanzierung in gleicher Weise auf Werbeeinnahmen angewiesen sind.
In diesem Zusammenhang würde ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, dass sich die beiden Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern in einer vergleichbaren Situation befinden, vorliegen, wenn das vorlegende Gericht feststellen sollte, dass sie gleichartige Dienstleistungen erbringen, die miteinander in Wettbewerb stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano, C-513/18, EU:C:2020:59, Rn. 38).
Zweitens müsste das vorlegende Gericht, wenn es am Ende dieser Prüfungen zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die Situation der nationalen Fernsehveranstalter und die Situation der Anbieter von – insbesondere linearen – Werbedienstleistungen im Internet in Anbetracht der sie kennzeichnenden Merkmale, des Gegenstands und des Ziels von § 7 Abs. 11 RStV sowie der Grundsätze und Ziele des Bereichs des nationalen Rechts, zu dem diese Bestimmung gehört, miteinander vergleichbar sind, ferner prüfen, ob die Ungleichbehandlung dieser beiden Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern objektiv gerechtfertigt werden kann.
Wie aus Rn. 95 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt, wenn sie auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht, d. h., wenn sie mit einem rechtlich zulässigen Ziel, das mit der in Rede stehenden Regelung verfolgt wird, in Zusammenhang steht und wenn dieser Unterschied in angemessenem Verhältnis zu dem mit der betreffenden Behandlung verfolgten Ziel steht.
Auch wenn es allein Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu ermitteln, ob die Ungleichbehandlung, die sich möglicherweise aus der Anwendung der in § 7 Abs. 11 RStV enthaltenen Vorschrift ergibt, angesichts der in der vorstehenden Randnummer genannten Kriterien objektiv gerechtfertigt werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Prüfung im Wesentlichen der in den Rn. 52 bis 79 des vorliegenden Urteils vorgenommenen, die Rechtfertigung der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs entsprechenden Prüfung entspricht, so dass diese beiden Prüfungen in gleicher Weise durchzuführen sind.
Schließlich ist hinsichtlich der Frage, ob die in § 7 Abs. 11 RStV enthaltene Vorschrift zu einer Ungleichbehandlung der Werbetreibenden, die Dienste der nationalen Fernsehveranstalter in Anspruch nehmen, um auf regionaler Ebene Werbung zu verbreiten, einerseits und der Werbetreibenden, die auf Anbieter von – insbesondere linearen – Werbedienstleistungen im Internet auf regionaler Ebene zurückgreifen, andererseits führt, darauf hinzuweisen, dass die Prüfung dieser Frage eng mit der Prüfung der Situation dieser Veranstalter bzw. dieser Anbieter zusammenhängt. Somit gelten die Ausführungen in den Rn. 98 bis 105 des vorliegenden Urteils auch für solche Werbetreibenden.
Nach alledem sind die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2010/13 und Art. 11 der Charta sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die es den Fernsehveranstaltern untersagt, in ihr im gesamten Inland ausgestrahltes Programm Fernsehwerbung aufzunehmen, die nur regional gezeigt wird.
Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht, sofern sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels des Schutzes des Medienpluralismus auf regionaler und lokaler Ebene zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Art. 20 der Charta ist dahin auszulegen, dass er einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht, sofern sie nicht zu einer Ungleichbehandlung der nationalen Fernsehveranstalter und der Anbieter von Werbung im Internet in Bezug auf die Ausstrahlung von Werbung auf regionaler Ebene führt; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) und Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die es den Fernsehveranstaltern untersagt, in ihr im gesamten Inland ausgestrahltes Programm Fernsehwerbung aufzunehmen, die nur regional gezeigt wird.
Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht, sofern sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels des Schutzes des Medienpluralismus auf regionaler und lokaler Ebene zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Art. 20 der Charta der Grundrechte ist dahin auszulegen, dass er einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht, sofern sie nicht zu einer Ungleichbehandlung der nationalen Fernsehveranstalter und der Anbieter von Werbung im Internet in Bezug auf die Ausstrahlung von Werbung auf regionaler Ebene führt; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Prechal
Lenaerts
Wahl
Biltgen
Rossi
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Februar 2021.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Die Präsidentin der Dritten Kammer
A. Prechal
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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