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EuGH 15.09.2016 - C-518/14
EuGH 15.09.2016 - C-518/14 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 15. September 2016 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem — Richtlinie 2006/112/EG — Art. 167, Art. 178 Buchst. a, Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 — Vorsteuerabzug — Ausstellung von Rechnungen ohne Steuernummer und ohne Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer — Regelung eines Mitgliedstaats, nach der die rückwirkende Berichtigung einer Rechnung ausgeschlossen ist“
Leitsatz
In der Rechtssache C-518/14
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Niedersächsischen Finanzgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. Juli 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 18. November 2014, in dem Verfahren
Senatex GmbH
gegen
Finanzamt Hannover-Nord
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda (Berichterstatter) sowie der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Senatex GmbH, vertreten durch D. Hippke und Rechtsanwalt A. Hüttl als Bevollmächtigte,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wasmeier und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Februar 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Senatex GmbH und dem Finanzamt Hannover-Nord (im Folgenden: Finanzamt) über dessen Weigerung, die von Senatex geltend gemachte Vorsteuer für die Jahre anzuerkennen, in denen die Originale der von ihr eingereichten Rechnungen nicht den Anforderungen der nationalen Steuervorschriften entsprachen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 63 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“
Art. 167 der Richtlinie bestimmt:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“
In Art. 168 der Richtlinie heißt es:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…“
Art. 178 der Richtlinie sieht vor:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
für den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und [das] Erbringen von Dienstleistungen muss er eine gemäß den Artikeln 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240 ausgestellte Rechnung besitzen;
…“
Art. 179 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Steuerzeitraum schuldet, den Betrag der Mehrwertsteuer absetzt, für die während des gleichen Steuerzeitraums das Abzugsrecht entstanden ist und gemäß Artikel 178 ausgeübt wird.
Die Mitgliedstaaten können jedoch den Steuerpflichtigen, die nur die in Artikel 12 genannten gelegentlichen Umsätze bewirken, vorschreiben, dass sie das Recht auf Vorsteuerabzug erst zum Zeitpunkt der Lieferung ausüben.“
Art. 219 der Richtlinie bestimmt:
„Einer Rechnung gleichgestellt ist jedes Dokument und jede Mitteilung, das/die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist.“
Art. 226 der Richtlinie lautet:
„Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß den Artikeln 220 und 221 ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:
…
die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer im Sinne des Artikels 214, unter der der Steuerpflichtige die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistung erbracht hat;
…“
Art. 273 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.
Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen.“
Deutsches Recht
Nach dem ersten Satz von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (im Folgenden: UStG) kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind (Eingangsleistungen), als Vorsteuer abziehen.
Gemäß dem zweiten Satz von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG setzt die Ausübung des Vorsteuerabzugs voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14 und 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Eine solche Rechnung muss insbesondere alle in § 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 9 UStG aufgezählten Angaben enthalten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Deutschland) können die Vorsteuerbeträge erst in dem Besteuerungszeitraum abgezogen werden, in dem alle materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG vorliegen.
§ 31 Abs. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung sieht allgemein vor, dass eine Rechnung berichtigt werden kann, wenn sie nicht alle Angaben nach § 14 Abs. 4 oder § 14a UStG enthält oder Angaben in der Rechnung unzutreffend sind. Dabei müssen nur die fehlenden oder unzutreffenden Angaben durch ein Dokument, das spezifisch und eindeutig auf die Rechnung bezogen ist, übermittelt werden. Für die Berichtigung gelten die gleichen Anforderungen an Form und Inhalt wie in § 14 UStG.
Für die Sonderfälle des unrichtigen oder unberechtigten Ausweises von Mehrwertsteuer schreibt § 14c Abs. 1 und 2 UStG vor, dass § 17 Abs. 1 UStG entsprechend anzuwenden ist. Nach dieser Bestimmung wirkt die Berichtigung von Rechnungen nicht zurück, sondern für den Zeitraum, in dem die berichtigte Rechnung ihrem Empfänger übermittelt oder in dem dem Berichtigungsantrag nach Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens entsprochen wird.
Wird der Vorsteuerabzug wegen fehlender oder unzutreffender Rechnungsbestandteile versagt, kann die Abzugsberechtigung nach deutschem Recht durch Rechnungskorrektur zum Zeitpunkt der Berichtigung hergestellt werden. In diesem Fall bleibt das Mehrwertsteueraufkommen für den Fiskus zwar gleich, doch führt die Auferlegung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung zu zusätzlichen finanziellen Belastungen.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Senatex betreibt einen Großhandel mit Textilien. In ihren Steuererklärungen für die Jahre 2008 bis 2011 gab sie jeweils an, einen Vorsteuerabzug aus den ihren Handelsvertretern erteilten Provisionsabrechnungen sowie aus den Rechnungen eines Werbegestalters vorgenommen zu haben.
Am 21. Januar 2013 beschloss das Finanzamt, in der Zeit vom 11. Februar bis zum 17. Mai 2013 eine Außenprüfung durchzuführen, um die Richtigkeit der Steuererklärungen von Senatex für die Jahre 2008 bis 2011 zu überprüfen. Im Rahmen dieser Außenprüfung stellte das Finanzamt fest, dass ein Vorsteuerabzug aus den von Senatex ihren Handelsvertretern erteilten Gutschriften nicht möglich sei, da solche Gutschriften keine ordnungsgemäßen Rechnungen im Sinne des § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 4 UStG darstellten. Diese Dokumente enthielten nämlich weder in den Provisionsabrechnungen noch in ihren Anlagen die Steuernummer oder die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ihres Empfängers. Diese Abrechnungen verwiesen auch auf kein anderes Dokument, aus dem sich die vorgenannten Angaben entnehmen ließen. Aus denselben Gründen erachtete das Finanzamt auch den aus den vom Werbegestalter ausgestellten Rechnungen vorgenommenen Vorsteuerabzug für nicht zulässig.
Am 2. Mai 2013, noch während der Außenprüfung, berichtigte Senatex die ihren Handelsvertretern erteilten Provisionsabrechnungen für die Jahre 2009 bis 2011 dergestalt, dass diese Dokumente um die Angabe der Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des jeweiligen Handelsvertreters ergänzt wurden. Auch die Rechnungen des Werbegestalters für die Jahre 2009 bis 2011 wurden zum selben Zeitpunkt, nämlich während der Außenprüfung, entsprechend berichtigt.
Gleichwohl erließ das Finanzamt am 2. Juli 2013 geänderte Steuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2011, mit denen sie auf der Grundlage der im Rahmen ihrer Außenprüfung vorgenommenen Feststellungen die von Senatex als Vorsteuer abzugsfähigen Beträge herabsetzte, da die Voraussetzungen für den Abzug nicht in diesen Jahren vorgelegen hätten, sondern erst zum Zeitpunkt der Berichtigung der Rechnungen, d. h. im Jahr 2013.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2013 legte Senatex Einspruch gegen diese Steuerbescheide ein. Im Einspruchsverfahren stellte sich heraus, dass Senatex die von den Steuerbescheiden betroffenen Provisionsabrechnungen für das Jahr 2008 nicht berichtigt hatte. Erst am 11. Februar 2014 berichtigte Senatex daher die ihren Handelsvertretern erteilten Provisionsabrechnungen und die Rechnungen des Werbegestalters für das Jahr 2008 durch Hinzufügung der Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.
Mit Bescheid vom 3. März 2014 wies das Finanzamt den Einspruch von Senatex zurück und hielt an seiner Auffassung fest, dass die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug erst mit der erfolgten Berichtigung der Rechnungen erfüllt gewesen seien, d. h. im Lauf der Jahre 2013 und 2014, so dass eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der Erbringung der in Rechnung gestellten Leistung nicht möglich sei.
Dagegen richtet sich die von Senatex am 5. März 2014 beim vorlegenden Gericht, dem Niedersächsischen Finanzgericht (Deutschland), erhobene Klage. Senatex bringt vor, den von ihr vorgenommenen Berichtigungen komme Rückwirkung zu, da sie vor der letzten Verwaltungsentscheidung – dem Bescheid des Finanzamts vom 3. März 2014, mit dem ihr Einspruch zurückgewiesen worden sei – erfolgt seien. Mit ihrer Klage ersucht Senatex daher das vorlegende Gericht, die geänderten Umsatzsteuerbescheide des Finanzamts für die Jahre 2008 bis 2011 aufzuheben.
Unter diesen Umständen hat das Niedersächsische Finanzgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten und zur zweiten Frage
Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 167, Art. 178 Buchst. a, Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe, nämlich die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, keine Rückwirkung zukommt, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung nicht für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, sondern für das Jahr, in dem sie berichtigt wurde.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (Urteil vom 13. Februar 2014, Maks Pen, C-18/13, EU:C:2014:69, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 22. Oktober 2015, PPUH Stehcemp, C-277/14, EU:C:2015:719, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Gemäß Art. 167 der Richtlinie 2006/112 entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Die für die Entstehung dieses Rechts erforderlichen materiellen Voraussetzungen sind in Art. 168 Buchst. a der Richtlinie aufgezählt. So ist es, um dieses Recht geltend machen zu können, zum einen erforderlich, dass der Betroffene Steuerpflichtiger im Sinne der Richtlinie ist, und zum anderen, dass die zur Begründung des Abzugsrechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und dass diese Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2015, PPUH Stehcemp, C-277/14, EU:C:2015:719, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zu den formellen Voraussetzungen des Abzugsrechts ergibt sich aus Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112, dass es nur ausgeübt werden kann, wenn der Steuerpflichtige eine im Einklang mit Art. 226 der Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. März 2012, Kopalnia Odkrywkowa Polski Trawertyn P. Granatowicz, M. Wąsiewicz, C-280/10, EU:C:2012:107, Rn. 41, und vom 22. Oktober 2015, PPUH Stehcemp, C-277/14, EU:C:2015:719, Rn. 29). Gemäß Art. 226 Nr. 3 der Richtlinie muss auf der Rechnung insbesondere die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer angegeben sein, unter der der Steuerpflichtige die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistung erbracht hat.
Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die nach Art. 226 Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 vorgeschriebene Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer ursprünglich auf den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechnungen und Abrechnungen fehlte und von Senatex erst mehrere Jahre nach dem Zeitpunkt ihrer Ausstellung hinzugefügt wurde. Es ist unstreitig, dass diese Rechnungen und Abrechnungen die übrigen in diesem Artikel zwingend vorgeschriebenen Angaben enthielten.
Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Richtlinie 2006/112 einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug unter solchen Umständen nur für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem die ursprüngliche Rechnung berichtigt wurde, und nicht für das Jahr, in dem sie ausgestellt wurde.
Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinie 2006/112 die Möglichkeit vorsieht, eine Rechnung zu berichtigen, in der bestimmte zwingende Angaben fehlen. Dies folgt aus Art. 219 der Richtlinie, der lautet: „Einer Rechnung gleichgestellt ist jedes Dokument und jede Mitteilung, das/die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist.“
Unstreitig ist, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechnungen ordnungsgemäß berichtigt wurden.
Des Weiteren hat der Gerichtshof zwar in Rn. 43 des Urteils vom 15. Juli 2010, Pannon Gép Centrum (C-368/09, EU:C:2010:441), sowie in Rn. 34 des Urteils vom 8. Mai 2013, Petroma Transports u. a. (C-271/12, EU:C:2013:297), bestätigt, dass die Richtlinie 2006/112 es nicht verbietet, fehlerhafte Rechnungen zu berichtigen. In diesen Urteilen ist der Gerichtshof jedoch, wie der Generalanwalt in den Nrn. 36 und 37 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht auf die Frage der zeitlichen Auswirkung einer solchen Berichtigung auf die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug eingegangen.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 179 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 der Vorsteuerabzug global vorgenommen wird, indem der Steuerpflichtige von dem Steuerbetrag, den er für einen Steuerzeitraum schuldet, den Betrag der Mehrwertsteuer absetzt, „für die während des gleichen Steuerzeitraums das Abzugsrecht entstanden ist und gemäß Artikel 178 ausgeübt wird“. Daraus folgt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich für den Zeitraum auszuüben ist, in dem zum einen dieses Recht entstanden ist und zum anderen der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2004, Terra Baubedarf-Handel, C-152/02, EU:C:2004:268, Rn. 34).
Nach Ansicht der deutschen Regierung ist bei der Berichtigung einer Rechnung durch Hinzufügung einer in der ursprünglich ausgestellten Rechnung fehlenden Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer die Voraussetzung einer Rechnung mit Angabe der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erst zum Zeitpunkt dieser Berichtigung erfüllt, so dass nach den Art. 178 und 179 der Richtlinie 2006/112 das Recht auf Vorsteuerabzug erst zum Berichtigungszeitpunkt ausgeübt werden könne.
Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass das in den Art. 167 ff. der Richtlinie 2006/112 geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und dass dieses Recht für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Maks Pen, C-18/13, EU:C:2014:69, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung). Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll, wie in Rn. 27 des vorliegenden Urteils ausgeführt, der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, nach der Nachzahlungszinsen auf die vor einer Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung als geschuldet angesehenen Mehrwertsteuerbeträge zu entrichten sind, belegt diese wirtschaftlichen Tätigkeiten jedoch mit einer aus der Mehrwertsteuer resultierenden steuerlichen Belastung, obwohl das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität dieser Steuer garantiert.
Zweitens hat der Gerichtshof entschieden, dass das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlangt, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Oktober 2010, Nidera Handelscompagnie, C-385/09, EU:C:2010:627, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 1. März 2012, Kopalnia Odkrywkowa Polski Trawertyn P. Granatowicz, M. Wąsiewicz, C-280/10, EU:C:2012:107, Rn. 43). Wie in Rn. 29 des vorliegenden Urteils ausgeführt, stellt der Besitz einer Rechnung, die die in Art. 226 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Angaben enthält, aber eine formelle und keine materielle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar.
Drittens hat der Gerichtshof zwar in Rn. 38 des Urteils vom 29. April 2004, Terra Baubedarf-Handel (C-152/02, EU:C:2004:268), entschieden, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und in dem der Steuerpflichtige die Rechnung besitzt. Die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, betraf jedoch ein Unternehmen, das zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nicht über eine Rechnung verfügte, so dass der Gerichtshof nicht über die zeitlichen Wirkungen der Berichtigung einer ursprünglich ausgestellten Rechnung entschieden hat. Wie der Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, unterscheidet sich diese Rechtssache vom Ausgangsverfahren dadurch, dass Senatex zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihr Recht auf Vorsteuerabzug ausübte, über Rechnungen verfügte und die Mehrwertsteuer gezahlt hatte.
Viertens hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass unter bestimmten Umständen die spätere Berichtigung einer Rechnung, beispielsweise um einen Fehler bei der darin angegebenen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zu korrigieren, der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts im Jahr der Rechnungsausstellung nicht entgegenstehe. Sie hat hingegen keine überzeugenden Gründe für eine Differenzierung zwischen solchen Umständen und denen des Ausgangsverfahrens genannt.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der formellen Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorzusehen. Nach Art. 273 der Richtlinie 2006/112 dürfen sie Maßnahmen erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Maßnahmen nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean, C-183/14, EU:C:2015:454, Rn. 62).
In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung vorgebracht, es sei als Sanktion einzustufen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug erst im Jahr der Rechnungsberichtigung ausgeübt werden dürfe. Um die Nichtbefolgung formeller Anforderungen zu ahnden, kommen jedoch andere Sanktionen als die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts für das Jahr der Rechnungsausstellung in Betracht, etwa die Auferlegung einer Geldbuße oder einer finanziellen Sanktion, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean, C-183/14, EU:C:2015:454, Rn. 63). Darüber hinaus tritt nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung die mit der Anwendung von Nachzahlungszinsen verbundene spätere Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts in jedem Fall ein, ohne Berücksichtigung der Umstände, die eine Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung erforderlich machen; dies geht über das hinaus, was zur Erreichung der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Ziele erforderlich ist.
Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 167, Art. 178 Buchst. a, Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe, nämlich die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, keine Rückwirkung zukommt, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung nicht für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, sondern für das Jahr, in dem sie berichtigt wurde.
Zur dritten Frage
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, nach der einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, wenn die Berichtigung einer Rechnung nach dem Erlass einer Entscheidung der Steuerbehörden erfolgt, mit der der Vorsteuerabzug versagt wird.
Mit dieser Frage soll der Sache nach geklärt werden, ob die Steuerbehörden die Berichtigung einer zwingenden Angabe, nämlich der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, in einer Rechnung als verspätet ansehen dürfen, wenn sie erst nach Erlass einer den Vorsteuerabzug versagenden Entscheidung dieser Behörden erfolgt.
Aus den Erklärungen der deutschen Regierung und von Senatex geht eindeutig hervor, dass das Finanzamt im Ausgangsverfahren erklärt hat, die von Senatex vorgelegten berichtigten Rechnungen anerkennen zu wollen, und dass es die von Senatex vorgenommenen Berichtigungen somit nicht als verspätet ansieht.
Unter diesen Umständen ist die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 167, Art. 178 Buchst. a, Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe, nämlich die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, keine Rückwirkung zukommt, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung nicht für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, sondern für das Jahr, in dem sie berichtigt wurde.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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