Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
BAG 25.01.2024 - 8 AS 16/23
BAG 25.01.2024 - 8 AS 16/23 - Befangenheitsantrag - Beschlussunfähigkeit des Landesarbeitsgerichts - Zuständigkeit des zunächst höheren Gerichts
Normen
§ 46 Abs 2 ArbGG, § 42 Abs 2 ZPO, § 45 Abs 3 ZPO
Vorinstanz
vorgehend ArbG Berlin, 31. März 2022, Az: 18 Ca 2010/22, Versäumnisurteil
vorgehend ArbG Berlin, 31. März 2022, Az: 18 Ca 2010/22, Versäumnisurteil
vorgehend ArbG Berlin, 13. Oktober 2022, Az: 18 Ca 2010/22, Urteil
Tenor
-
Die Ablehnungsgesuche des Klägers vom 7. Oktober 2023 werden als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Vorsitzenden der Kammern 16, 8, 10, 14 und 26 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg richten.
Gründe
- 1
-
I. Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen hat wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.
- 2
-
Das Arbeitsgericht hat die auf Zahlung einer Entschädigung iHv. (mindestens) 7.800,00 Euro gerichtete Klage abgewiesen. Das Entschädigungsverlangen des Klägers verstoße gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Kläger habe sich den formalen Bewerberstatus treuwidrig verschafft, um eine Entschädigungsklage führen zu können. So habe der in Lohne (Oldenburg) wohnhafte Kläger innerhalb von 15 Monaten elf Klagen wegen Geschlechtsdiskriminierung in Berlin eingereicht, bei denen er sich zuvor auf Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ auf dem Portal „eBay-Kleinanzeigen“ beworben und dabei einen vorformulierten Bewerbungstext versendet habe. Darüber hinaus habe er im Bewerbungsverfahren ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er keine Frau sei. Hinzu komme, dass er selbst nicht behauptet habe, sich jemals auf Stellenanzeigen beworben zu haben, die nicht auf den ersten Blick diskriminierend im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes seien, und seine Behauptung, nach Berlin ziehen zu wollen, den Umständen nach nicht überzeugend sei. Weiter habe er im Kammertermin keine Erklärungen abgegeben, die die Zweifel an der fehlenden Ernsthaftigkeit auszuräumen vermochten.
- 3
-
Gegen dieses Urteil hat der Kläger beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Berufung eingelegt (- 16 Sa 1349/22 -).
- 4
-
Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2023 hat der Kläger Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 16 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg sowie „sämtliche Befangenen Vertreter des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ausweislich Ziffer 1.2.1 des Geschäftsverteilungsplans“ gestellt.
- 5
-
Zur Begründung hat der Kläger geltend gemacht, die Ablehnungsgesuche würden im Wesentlichen auf das Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht zum Az. - 4 Sa 900/22 - gestützt, in dem er entsprechende Gesuche angebracht habe. Im dortigen Verfahren habe die Kammer 4 des Landesarbeitsgerichts trotz Säumnis der (Berufungs-)Beklagten die Berufung des Klägers zurückgewiesen und angenommen, die Klage sei wegen des Einwands des Rechtsmissbrauchs unschlüssig, obwohl die Beklagte den Rechtsmissbrauchseinwand gar nicht erhoben habe. Die Kammer 4 des Landesarbeitsgerichts habe den Beibringungsgrundsatz verletzt und rechtswidrig Akten anderer Kammern beigezogen. Im Übrigen habe das Landesarbeitsgericht mehrere Ablehnungsgesuche des Klägers gegen den Vorsitzenden der Kammer 4 sowie verschiedene ehrenamtliche Richter dieser Kammer zu Unrecht zurückgewiesen.
- 6
-
Es bestehe gegen sämtliche Richterinnen und Richter am Landesarbeitsgericht die Besorgnis der Befangenheit. Die Kammern verstießen vorsätzlich gegen geltendes Recht. Es sei unter den Richterinnen und Richtern abgesprochen, seine Klagen abzuweisen. Es würden Daten ohne seine Einwilligung verarbeitet und verwendet in der Absicht, ihm zu schaden.
- 7
-
In ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 9. Oktober 2023 hat die Vorsitzende der Kammer 16 erklärt, da sich der Befangenheitsantrag nicht auf eine konkrete Äußerung oder Handlung beziehe, sei ihr eine weitergehende dienstliche Stellungnahme nicht möglich. Nachdem der Vorsitzende der Kammer 4, dem die Sache daraufhin vorgelegt wurde, unter Hinweis auf eine genehmigte Dienstreise seine Verhinderung bis zum 11. Oktober 2023 angezeigt hatte, hat die Vorsitzende der Kammer 6 als Vertreterin des (verhinderten) Vorsitzenden der Kammer 4 verfügt, dass die Akten mit Verweis auf den vom Kläger gestellten Ablehnungsantrag an das Bundesarbeitsgericht versendet werden, ohne dass zuvor dienstliche Stellungnahmen weiterer abgelehnter Richterinnen und Richter eingeholt worden sind.
- 8
-
II. Das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende der Kammer 16 ist offensichtlich unzulässig, ebenso die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 8, 10, 14 und 26. Hinsichtlich der Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 6 und den Vorsitzenden der Kammer 4 sowie der weiteren Vorsitzenden Richterinnen und Richter des Landesarbeitsgerichts sieht der Senat von einer Entscheidung ab. Es liegt im Ermessen des übergeordneten Gerichts, über welche der Ablehnungsgesuche es - unter dem Gesichtspunkt der Sachangemessenheit - entscheidet (BGH 8. Dezember 2021 - XII ARZ 39/21 - Rn. 11; 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20 - Rn. 22, BGHZ 226, 350). Eine Entscheidung über sämtliche Ablehnungsgesuche ist nicht erforderlich, um die Entscheidungsfähigkeit des Landesarbeitsgerichts wiederherzustellen.
- 9
-
1. Das Bundesarbeitsgericht ist als das gegenüber dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Rechtszug zunächst höhere Gericht nach § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 45 Abs. 3 ZPO für die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche zuständig (BAG 7. Februar 1968 - 5 AR 43/68 -). Das Landesarbeitsgericht hat die Ablehnungsgesuche vorgelegt, weil dort davon ausgegangen worden ist, dass es beschlussunfähig iSv. § 45 Abs. 3 ZPO geworden ist. Um Verzögerungen der sachlichen Erledigung des Rechtsstreits zu vermeiden, ist die Zuständigkeit des nach § 45 Abs. 3 ZPO im Rechtszug zunächst höheren Gerichts auch dann eröffnet, wenn die abgelehnten Richter zulässigerweise selbst über das Ablehnungsgesuch hätten entscheiden können (BGH 8. Dezember 2021 - XII ARZ 39/21 - Rn. 9; 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20 - Rn. 16, BGHZ 226, 350).
- 10
-
2. Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 16, 8, 10, 14 und 26 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg sind offensichtlich unzulässig.
- 11
-
a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (BAG 20. August 2019 - 3 AZN 530/19 (A) - Rn. 8; 7. November 2012 - 7 AZR 646/10 (A) - Rn. 18, BAGE 143, 256). Enthält ein Ablehnungsgesuch lediglich Ausführungen, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind, ist es offensichtlich unzulässig. In derartigen Fällen bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterinnen und Richter; diese sind auch von einer Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (BVerfG 2. November 2023 - 2 BvR 1565/22 - Rn. 4). Ein Ablehnungsgesuch, das sich pauschal gegen einen gesamten Spruchkörper oder sogar gegen sämtliche Richter eines Gerichts richtet, ist in der Regel eindeutig unzulässig (BGH 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20 - Rn. 19, BGHZ 226, 350; 8. Juli 2019 - XI ZB 13/19 - Rn. 5).
- 12
-
b) Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 16, 8, 10, 14 und 26 begründet der Kläger pauschal damit, sämtliche Richter des Landesarbeitsgerichts seien befangen. Diese Begründung ist gänzlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Eine Ausnahme von der Regel, dass die pauschale Ablehnung sämtlicher Richterinnen und Richter eines Gerichts regelmäßig offensichtlich unzulässig ist, ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die pauschale Ablehnung aller Vorsitzenden des Gerichts damit begründet, diese hätten sich abgesprochen. Der Kläger begründet seine Behauptung, sämtliche Richterinnen und Richter hätten sich zu seinen Lasten abgesprochen, in keiner Weise nachvollziehbar. Entsprechendes gilt, soweit er seine Behauptung, es würden Daten ohne Einwilligung des Klägers verarbeitet und in Schädigungsabsicht verwendet, auf die Vorsitzenden der Kammern 16, 8, 10, 14 und 26 bezieht.
- 13
-
III. Sollten im Anschluss an den vorliegenden Beschluss des Senats gemäß § 45 Abs. 3 ZPO noch weitere inhaltsgleiche Ablehnungsgesuche des Klägers in Entschädigungsverfahren nach § 15 Abs. 2 AGG - erstmals oder zum wiederholten Male - angebracht werden, wird das Landesarbeitsgericht eine eigene Verwerfung dieser Ablehnungsgesuche als unzulässig in Betracht zu ziehen haben (vgl. BGH 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20 - Rn. 30 mwN, BGHZ 226, 350).
-
Spinner
Pulz
Berger
Kontakt zur AOK NordWest
Persönlicher Ansprechpartner