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BAG 25.01.2024 - 8 AS 17/23
BAG 25.01.2024 - 8 AS 17/23 - Befangenheitsantrag - Beschlussunfähigkeit des Landesarbeitsgerichts - Zuständigkeit des zunächst höheren Gerichts
Normen
§ 42 Abs 2 ZPO, § 46 Abs 2 ArbGG, § 45 Abs 3 ZPO, § 44 Abs 3 ZPO
Vorinstanz
vorgehend ArbG Berlin, 22. Februar 2022, Az: 42 Ca 716/22, Versäumnisurteil
vorgehend ArbG Berlin, 23. Juni 2022, Az: 42 Ca 716/22, Urteil
vorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 6. September 2023, Az: 4 Sa 900/22, Urteil
Tenor
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Die Ablehnungsgesuche des Klägers vom 20. September 2023 werden zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Vorsitzenden der Kammern 6, 8, 10, 12 und 14 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg richten.
Gründe
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I. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen hat wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.
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Das Arbeitsgericht hat die auf Zahlung einer Entschädigung iHv. 5.400,00 Euro gerichtete Klage abgewiesen. Das Entschädigungsverlangen des Klägers verstoße gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Kläger habe sich den formalen Bewerberstatus treuwidrig verschafft, um eine Entschädigungsklage führen zu können. So habe der tatsächlich nicht in Berlin oder Umgebung lebende Kläger innerhalb von 15 Monaten elf Klagen wegen Geschlechtsdiskriminierung in Berlin eingereicht, bei denen er sich zuvor auf Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ auf dem Portal „eBay-Kleinanzeigen“ beworben habe. Darüber hinaus habe er im Bewerbungsverfahren auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er keine Frau sei. Weiter habe er im Kammertermin keine Erklärungen abgegeben, die die Zweifel an der fehlenden Ernsthaftigkeit auszuräumen vermochten. Er habe insbesondere nicht einmal behauptet, die Stelle in Berlin überhaupt antreten zu wollen. Die Kammer 4 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg hat die Berufung des Klägers durch ein unechtes Versäumnisurteil vom 6. September 2023 (- 4 Sa 900/22 -) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, bereits aus dem eigenen Vorbringen des Klägers ergebe sich, dass sein Entschädigungsbegehren rechtsmissbräuchlich sei. Die erfolglose Bewerbung des Klägers sei mit dem ausschließlichen Ziel erfolgt, Ansprüche auf eine Entschädigung geltend zu machen.
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Der Kläger hat mit zwei Schriftsätzen vom 20. September 2023 Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden der Kammer 4 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, Dr. Schleusener, die ehrenamtliche Richterin Garbe, den ehrenamtlichen Richter Schmidt von Behren sowie „sämtliche Befangenen Vertreter des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ausweislich Ziffer 1.2.1 des Geschäftsverteilungsplans“ gestellt.
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Zur Begründung seiner Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden der Kammer 4 hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, das Landesarbeitsgericht sei in rechtlich nicht vertretbarer Weise davon ausgegangen, die Klage sei wegen des Einwands des Rechtsmissbrauchs unschlüssig, obwohl die Beklagte den Rechtsmissbrauchseinwand gar nicht erhoben habe. Die Kammer 4 des Landesarbeitsgerichts habe den Beibringungsgrundsatz verletzt und rechtswidrig Akten anderer Kammern beigezogen.
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Im Übrigen habe das Landesarbeitsgericht mehrere Ablehnungsgesuche des Klägers gegen den Vorsitzenden der Kammer 4 sowie verschiedene ehrenamtliche Richter dieser Kammer zu Unrecht zurückgewiesen. Es bestehe gegen sämtliche Richterinnen und Richter am Landesarbeitsgericht die Besorgnis der Befangenheit. Die Kammern verstießen vorsätzlich gegen geltendes Recht. Es sei unter den Richterinnen und Richtern abgesprochen, dass Klagen des Klägers abgewiesen würden.
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Am 25. Oktober 2023 hat die Vorsitzende der Kammer 3 als Vertreterin des Vorsitzenden in Kammer 4 verfügt, dass die Akten mit Verweis auf die vom Kläger gestellten Ablehnungsanträge an das Bundesarbeitsgericht versendet werden, ohne dass zuvor dienstliche Stellungnahmen der abgelehnten Richterinnen und Richter eingeholt worden sind.
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II. Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 6 sind jedenfalls unbegründet, die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 8, 10, 12 und 14 sind unzulässig. Hinsichtlich der Ablehnungsgesuche gegen die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter sowie hinsichtlich des Vorsitzenden der Kammer 4 und der weiteren Vorsitzenden Richterinnen und Richter des Landesarbeitsgerichts sieht der Senat von einer Entscheidung ab. Es liegt im Ermessen des übergeordneten Gerichts, über welche der Ablehnungsgesuche es - unter dem Gesichtspunkt der Sachangemessenheit - entscheidet (BGH 8. Dezember 2021 - XII ARZ 39/21 - Rn. 11; 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20 - Rn. 22, BGHZ 226, 350). Eine Entscheidung über sämtliche Ablehnungsgesuche ist nicht erforderlich, um die Entscheidungsfähigkeit des Landesarbeitsgerichts wiederherzustellen. Die Vorsitzende der Kammer 6 ist aufgrund der vorliegenden Entscheidung als nach Nr. 1.2.2 iVm. Nr. 1.2.1 des Geschäftsverteilungsplans des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zuständige Vorsitzende in der Lage, über die Ablehnungsgesuche gegen den in der Sache zuständigen Vorsitzenden der Kammer 4 zu entscheiden. Im Falle ihrer Verhinderung treten an ihre Stelle die weiteren nach Nr. 1.2.2 iVm. Nr. 1.2.1 des Geschäftsverteilungsplans zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden der Kammern 8, 10, 12 und 14.
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1. Das Bundesarbeitsgericht ist als das gegenüber dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Rechtszug zunächst höhere Gericht nach § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 45 Abs. 3 ZPO für die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche zuständig (BAG 7. Februar 1968 - 5 AR 43/68 -). Das Landesarbeitsgericht hat die Ablehnungsgesuche vorgelegt, weil dort davon ausgegangen worden ist, dass es beschlussunfähig iSv. § 45 Abs. 3 ZPO geworden ist. Um Verzögerungen der sachlichen Erledigung des Rechtsstreits zu vermeiden, ist die Zuständigkeit des nach § 45 Abs. 3 ZPO im Rechtszug zunächst höheren Gerichts auch dann eröffnet, wenn die abgelehnten Richter zulässigerweise selbst über das Ablehnungsgesuch hätten entscheiden können (BGH 8. Dezember 2021 - XII ARZ 39/21 - Rn. 9; 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20 - Rn. 16, BGHZ 226, 350).
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2. Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 6 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg sind jedenfalls unbegründet.
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a) Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 6 sind nicht mit Blick auf die unter ihrem Vorsitz ergangenen Entscheidungen über Ablehnungsgesuche des Klägers vom 11. Januar 2023, 21. Juni 2023 mit der Klarstellung vom 8. Juli 2023 und 31. August 2023 oder die Entscheidung über die Anhörungsrüge vom 8. Mai 2023 begründet. Der Kläger beanstandet insoweit, die damaligen Ablehnungsgesuche hätten nicht als unzulässig verworfen werden dürfen.
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b) Nach § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (BAG 20. August 2019 - 3 AZN 530/19 (A) - Rn. 8; 7. November 2012 - 7 AZR 646/10 (A) - Rn. 18, BAGE 143, 256). Die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der einer Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsanwendung ist - von Fallgestaltungen einer offensichtlichen Unhaltbarkeit abgesehen - nicht geeignet, eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu begründen (BAG 20. August 2019 - 3 AZN 530/19 (A) - Rn. 15; BGH 10. April 2018 - VIII ZR 127/17 - Rn. 6 mwN). Vorliegend ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass den Entscheidungen über frühere Ablehnungsgesuche sowie die Anhörungsrüge des Klägers unter Beteiligung der Vorsitzenden der Kammer 6 eine offensichtlich unhaltbare Rechtsanwendung zugrunde lag. Eine offensichtlich unhaltbare Rechtsanwendung liegt nicht deshalb vor, weil die von der Vorsitzenden der Kammer 6 mitverantworteten Entscheidungen über diese Anträge der Rechtsauffassung des Klägers nicht gefolgt sind.
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c) Die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 6 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg konnte ohne vorherige dienstliche Stellungnahme nach § 44 Abs. 3 ZPO erfolgen, weil sich die geltend gemachten Ablehnungsgründe sämtlich auf aktenkundige Vorgänge beziehen. Unter solchen Umständen könnte eine dienstliche Erklärung zur Sachaufklärung nichts beitragen und ist daher entbehrlich (BGH 2. November 2016 - AnwZ (Brfg) 61/15 - Rn. 17; 27. Dezember 2011 - V ZB 175/11 - Rn. 2).
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3. Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 8, 10, 12 und 14 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg sind offensichtlich unzulässig.
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a) Enthält ein Ablehnungsgesuch lediglich Ausführungen, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind, ist es offensichtlich unzulässig. In derartigen Fällen bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterinnen und Richter; diese sind auch von einer Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (BVerfG 2. November 2023 - 2 BvR 1565/22 - Rn. 4). Ein Ablehnungsgesuch, das sich pauschal gegen einen gesamten Spruchkörper oder sogar gegen sämtliche Richter eines Gerichts richtet, ist in der Regel eindeutig unzulässig (BGH 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20 - Rn. 19, BGHZ 226, 350; 8. Juli 2019 - XI ZB 13/19 - Rn. 5).
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b) Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden der Kammern 8, 10, 12 und 14 begründet der Kläger pauschal damit, sämtliche Richter des Landesarbeitsgerichts seien befangen. Diese Begründung ist gänzlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Eine Ausnahme von der Regel, dass die pauschale Ablehnung sämtlicher Richterinnen und Richter eines Gerichts regelmäßig offensichtlich unzulässig ist, ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die pauschale Ablehnung aller Vorsitzenden des Gerichts damit begründet, diese hätten sich abgesprochen. Der Kläger begründet seine Behauptung, sämtliche Richterinnen und Richter hätten sich zu seinen Lasten abgesprochen, in keiner Weise nachvollziehbar.
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III. Das Landesarbeitsgericht wird nunmehr durch die Vorsitzende der Kammer 6 als Befangenheitsvertreterin des Vorsitzenden der Kammer 4 mit den dafür vorgesehenen ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern über die Befangenheitsanträge vom 20. September 2023 zu entscheiden haben, soweit sie sich gegen den Vorsitzenden der Kammer 4 und die ehrenamtliche Richterin sowie den ehrenamtlichen Richter richten, die am Urteil vom 6. September 2023 mitgewirkt haben.
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IV. Sollten im Anschluss an den vorliegenden Beschluss des Senats gemäß § 45 Abs. 3 ZPO noch weitere inhaltsgleiche Ablehnungsgesuche in Entschädigungsverfahren des Klägers nach § 15 Abs. 2 AGG - erstmals oder zum wiederholten Male - angebracht werden, wird das Landesarbeitsgericht eine eigene Verwerfung dieser Ablehnungsgesuche als unzulässig in Betracht zu ziehen haben (vgl. BGH 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20 - Rn. 30 mwN, BGHZ 226, 350).
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