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BAG 24.05.2018 - 2 AZR 72/18
BAG 24.05.2018 - 2 AZR 72/18 - Außerordentliche und ordentliche Kündigung - Zugang des Kündigungsschreibens - Arbeitnehmer in Untersuchungshaft
Normen
§ 130 Abs 1 S 1 BGB, § 130 Abs 3 BGB, § 138 Abs 2 ZPO, § 138 Abs 3 ZPO, § 139 Abs 2 ZPO, § 119 Abs 1 S 1 StPO, § 119 Abs 1 S 2 Nr 2 StPO, § 27 Abs 1 S 2 UVollzG HE, § 27 Abs 3 S 1 UVollzG HE, § 27 Abs 2 S 1 UVollzG HE, § 27 Abs 3 S 5 UVollzG HE
Vorinstanz
vorgehend ArbG Frankfurt, 22. März 2012, Az: 21 Ca 4130/11, Urteil
vorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 4. September 2017, Az: 16 Sa 1129/15, Urteil
nachgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 1. Juli 2019, Az: 16 Sa 1318/18, Urteil
Tenor
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1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 4. September 2017 - 16 Sa 1129/15 - aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer ordentlichen Kündigung, hilfsweise einen Auflösungsantrag der Beklagten.
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Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit Dezember 2000 als IT-Systemarchitekt beschäftigt.
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Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. Juni 2011 außerordentlich fristlos. Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich.
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Nach dem Vorbringen der Beklagten hat diese das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 11. Juli 2011 außerordentlich fristlos und mit Schreiben vom 28. Juli 2011 außerdem vorsorglich ordentlich zum 29. Februar 2012 gekündigt. Hiergegen hat sich der Kläger mit klageerweiternden Schriftsätzen vom 20. Juli 2011 und 15. August 2011 gewandt.
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Er hat behauptet, die Kündigungsschreiben seien ihm nicht zugegangen. Die Kündigungen seien überdies aus weiteren Gründen unwirksam.
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Der Kläger hat - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse - beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 11. Juli 2011 und 28. Juli 2011 nicht aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Sie hat behauptet, die Kündigungsschreiben vom 11. Juli 2011 und 28. Juli 2011 seien am 13. Juli 2011 bzw. am 1. August 2011 einem Mitarbeiter der Poststelle der Justizvollzugsanstalt (JVA), in der sich der Kläger seinerzeit in Untersuchungshaft befand, übergeben und diesem jeweils maximal zwei Tage später ausgehändigt worden.
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Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Den zweitinstanzlich erhobenen Auflösungsantrag hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, hilfsweise ihren Antrag, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten gegen die klageerweiternd gestellten Anträge nicht zurückweisen. Ob eine Kündigung der Beklagten vom 11. oder 28. Juli 2011 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, kann der Senat nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht entscheiden. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Kündigungsschreiben vom 11. und 28. Juli 2011 hätten sich, selbst wenn sie bei der Poststelle der JVA abgegeben worden seien, noch nicht im Machtbereich des Klägers befunden. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, welcher Mitarbeiter der JVA zu welchem Zeitpunkt die Kündigungsschreiben dem Kläger ausgehändigt habe. Bei den Vollzugsbeamten handele es sich nicht um Empfangsboten der inhaftierten Beschuldigten. Es liege auch kein Fall einer amtsempfangsbedürftigen Willenserklärung vor.
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II. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage in Bezug auf die Kündigungen vom 11. und 28. Juli 2011 rechtsfehlerhaft entsprochen.
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1. Zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, bei den Kündigungsschreiben habe es sich nicht um amtsempfangsbedürftige Willenserklärungen iSv. § 130 Abs. 3 BGB gehandelt.
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a) Amtsempfangsbedürftig iSd. § 130 Abs. 3 BGB sind Willenserklärungen, die gegenüber Behörden abgegeben werden können oder auch wahlweise gegenüber einer Behörde oder einer Privatperson, sofern sie tatsächlich gegenüber der Behörde abgegeben werden. Eine amtsempfangsbedürftige Willenserklärung geht gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, wenn sie bei der zuständigen Posteingangsstelle eingeht (Erman/Arnold BGB 15. Aufl. § 130 Rn. 26).
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b) Die Kündigungsschreiben vom 11. und 28. Juli 2011 waren keine solchen amtsempfangsbedürftigen Willenserklärungen. Sie waren nicht, auch nicht nur wahlweise, gegenüber einer Behörde abzugeben. Adressat war ausschließlich der Kläger als Partei des Arbeitsverhältnisses, das durch die Kündigungen aufgelöst werden sollte.
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2. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht rechtsfehlerfrei auf den Streitfall angewandt. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe nicht in erheblicher Weise vorgetragen, dass die Kündigungsschreiben dem Kläger tatsächlich ausgehändigt worden seien.
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a) Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine verkörperte Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen (BAG 26. März 2015 - 2 AZR 483/14 - Rn. 37; 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 20 f.).
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b) Die Beklagte hat behauptet, das Kündigungsschreiben vom 11. Juli 2011 sei dem Kläger spätestens am 15. Juli 2011 ausgehändigt worden, das Kündigungsschreiben vom 28. Juli 2011 spätestens am 3. August 2011. Dieses Vorbringen ist erheblich. Träfe es zu, wären die Kündigungsschreiben durch tatsächliche Übergabe an den Kläger spätestens am 15. Juli 2011 bzw. 3. August 2011 in seinen Machtbereich gelangt und ihm dadurch iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen.
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c) Die Angaben der Beklagten sind hinreichend substanziiert, um eine Erwiderungslast des Klägers nach § 138 Abs. 2 ZPO auszulösen. Dafür bedurfte es nicht des Vortrags, welcher konkrete Mitarbeiter der JVA die Schreiben zu welchem konkreten Zeitpunkt an den Kläger ausgehändigt habe. Für einen schlüssigen und erheblichen Sachvortrag einer Partei genügt die Wiedergabe solcher tatsächlichen Umstände, aus denen sich die gesetzlichen Voraussetzungen der begehrten Rechtsfolge ergeben (BGH 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11 - Rn. 16; Zöller/Greger ZPO 32. Aufl. § 138 Rn. 7b). Dem wird das Vorbringen der Beklagten gerecht. Diese hat insoweit auch nicht „ins Blaue hinein“ vorgetragen. Sie hat behauptet, es sei ihr von einem Mitarbeiter der JVA bestätigt worden, dass eingehende Post den inhaftierten Beschuldigten spätestens innerhalb von zwei Tagen nach Eingang in der Poststelle ausgehändigt werde. Die Kündigungsschreiben seien bei der Poststelle der JVA am 13. Juli 2011 bzw. 1. August 2011 eingegangen.
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d) Der Kläger hat bislang - soweit ersichtlich - das Vorbringen der Beklagten nicht in nach § 138 Abs. 3 ZPO erheblicher Weise bestritten. Seine diesbezüglichen Erklärungen sind nicht eindeutig und bedürfen der Klarstellung.
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aa) Es ist unklar, ob der Kläger überhaupt behauptet hat, ihm seien die Kündigungsschreiben nicht ausgehändigt worden. Sein bisheriges Vorbringen lässt sich mindestens ebenso gut dahin verstehen, dass er entweder (nur) den Zugang der Schreiben im Rechtssinne in Abrede stellt, den von der Beklagten behaupteten Zeitpunkt oder die Übergabe des zweiten Schreibens in den Räumen der JVA, nicht aber an einem anderen Ort. So hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Juli 2011 behauptet, das Kündigungsschreiben vom 11. Juli 2011 sei ihm „bis heute nicht zugegangen“, mit Schriftsatz vom 15. August 2011, es sei ihm „ganz offensichtlich … bis heute nicht zugestellt worden“. Mit Schriftsatz vom 13. März 2012 hat er „weiterhin … bestritten, dass die Kündigung vom 28. Juli 2011 innerhalb der Justizvollzugsanstalt an [ihn] ausgehändigt worden sein soll“.
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bb) Ein einfaches Bestreiten des Klägers, die Kündigungsschreiben spätestens zu den von der Beklagten behaupteten Zeitpunkten ausgehändigt erhalten zu haben, genügte nicht den an ein erhebliches Bestreiten zu stellenden Anforderungen.
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(1) Zwar richtet sich die Erklärungslast gem. § 138 Abs. 2 ZPO grundsätzlich danach, wie die darlegungspflichtige Partei vorgetragen hat (BGH 4. April 2014 - V ZR 275/12 - Rn. 11 mwN, BGHZ 200, 350; Zöller/Greger ZPO 32. Aufl. § 138 Rn. 8). Ewas anderes gilt aber dann, wenn diese außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH 14. Juni 2005 - VI ZR 179/04 - Rn. 18, BGHZ 163, 209; Zöller/Greger ZPO 32. Aufl. § 138 Rn. 8b). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substanziierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der ihr widersprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (BGH 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - Rn. 16 mwN). Genügt er dem - ggf. nach richterlichem Hinweis gem. § 139 Abs. 2 ZPO - nicht, ist der gegnerische Vortrag gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen.
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(2) Die Beklagte steht außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs. Sie hat keine eigene Kenntnis darüber, welcher Mitarbeiter der JVA dem Kläger zu welchem Zeitpunkt die Kündigungsschreiben übergeben hat. Ihre Behauptung, die Aushändigung sei jedenfalls spätestens zwei Tage nach Eingang der Schreiben in der Poststelle der JVA erfolgt, stützt sie auf eine von ihr bei der JVA eingeholte Auskunft. Hingegen weiß der Kläger, ob und ggf. wann ihm die Kündigungsschreiben ausgehändigt wurden. Diese Tatsache ist Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung und kann von ihm ohne Weiteres vorgetragen werden. Er muss daher, will er das Vorbringen der Beklagten in erheblicher Weise bestreiten, angeben, ob er die Kündigungsschreiben gar nicht ausgehändigt erhalten hat oder, wenn dies zu einem anderen als dem von der Beklagten behaupteten Zeitpunkten erfolgte, wann das der Fall war.
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3. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht den Zugang der Kündigungsschreiben auch nicht deshalb verneinen, weil es sich bei den Mitarbeitern der JVA nicht um Empfangsboten des Klägers gehandelt habe.
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a) Wird ein Schreiben einem Empfangsboten übergeben, ist es dem Adressaten iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen, sobald nach den gewöhnlichen Umständen mit der Weiterleitung an diesen zu rechnen ist (BAG 9. Juni 2011 - 6 AZR 687/09 - Rn. 18, BAGE 138, 127). Der Empfangsbote hat lediglich die Funktion einer personifizierten Empfangseinrichtung des Adressaten (BGH 17. März 1994 - X ZR 80/92 - zu II der Gründe). Als dessen Übermittlungswerkzeug soll er die Willenserklärung entgegennehmen und an ihn weiterleiten, also noch eine Tätigkeit entfalten, um dem Adressaten die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen. Vom Adressaten, auf den es für den Zugang allein ankommt, kann daher erst nach Ablauf der Zeit, die der Empfangsbote für die Übermittlungstätigkeit unter den obwaltenden Umständen normalerweise benötigt, erwartet werden, dass er von der Erklärung Kenntnis nehmen kann (BAG 9. Juni 2011 - 6 AZR 687/09 - aaO).
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b) Empfangsbote ist, wer vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen ermächtigt worden oder nach der Verkehrsauffassung als ermächtigt anzusehen ist, Willenserklärungen oder diesen gleichstehende Mitteilungen mit Wirkung für den Erklärungsempfänger entgegenzunehmen (BGH 12. Dezember 2001 - X ZR 192/00 - zu II 2 b aa der Gründe). Ebenso wie der Adressat dafür Sorge zu tragen hat, dass er von Erklärungen, die in seinen Machtbereich gelangt sind, Kenntnis erhält, kann er sich nicht auf seine Unkenntnis berufen, wenn solche Erklärungen an Personen übergeben werden, die regelmäßig Kontakt zu seinem Machtbereich haben und auch aufgrund ihrer Reife und Fähigkeiten geeignet erscheinen, Erklärungen an ihn weiterzuleiten (BAG 9. Juni 2011 - 6 AZR 687/09 - Rn. 13, BAGE 138, 127; MüKoBGB/Einsele 7. Aufl. § 130 Rn. 25; Sandmann AcP 199 [1999] S. 455, 457). Die Eigenschaft, Empfangsbote sein zu können, ist bejaht worden, wenn eine auf eine gewisse Dauer angelegte räumliche Nähe zum Adressaten gegeben war sowie bei Bestehen einer persönlichen oder vertraglichen Beziehung (BAG 9. Juni 2011 - 6 AZR 687/09 - Rn. 14, aaO).
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c) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts ist die Eigenschaft als Empfangsbote aber nicht abhängig vom Bestehen einer persönlichen oder vertraglichen Beziehung zwischen Empfangsbote und Adressat. Auch eine normativ ausgestaltete Verpflichtung, eine Willenserklärung an den Adressaten weiterzuleiten, kann eine Empfangsbotenstellung begründen. Diese steht einer freiwillig begründeten Beziehung zu einer anderen Person mit Zugang zum eigenen Machtbereich gleich. Für die Erwartungen des Rechtsverkehrs ist es unerheblich, ob die Pflichtenstellung durch Vertrag oder durch Rechtsnormen begründet ist.
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d) Die Mitarbeiter einer in Hessen gelegenen JVA sind grundsätzlich Empfangsboten für Schriftstücke, die an dort inhaftierte Beschuldigte gerichtet werden.
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aa) Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Hessisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz (HUVollzG vom 28. Juni 2010, GVBl. I S. 185, 208 ff.) haben - soweit nichts anderes gestattet ist - Untersuchungsgefangene die Absendung und den Empfang ihrer Schreiben durch die Anstalt vermitteln zu lassen. Eingehende und ausgehende Schreiben sind umgehend, fristgebundene unverzüglich weiterzuleiten (§ 27 Abs. 3 Satz 1 HUVollzG). Die Erwartung des Rechtsverkehrs, ein für einen inhaftierten Beschuldigten in einer hessischen JVA bestimmtes fristgebundenes Schreiben werde, nachdem es in der Poststelle der JVA eingegangen ist, unverzüglich an diesen übermittelt, ist aufgrund der vorgenannten Verpflichtung der dort tätigen Bediensteten nicht minder berechtigt. Ein Grund für die Annahme, ihnen fehlten die dafür erforderlichen Fähigkeiten oder Möglichkeiten, ist nicht ersichtlich.
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bb) Daran ändert es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nichts, dass die Anstaltsleitung in den in § 27 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 4 HUVollzG genannten Fällen ein Schreiben anhalten soll. Die sich aus § 27 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 HUVollzG ergebende Stellung als Empfangsbote wird nur bei Schriftstücken aufgehoben, bei denen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Anhalten vorliegen und die an den Absender zurückgegeben oder von der Anstalt verwahrt werden (§ 27 Abs. 3 Satz 5 HUVollzG).
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cc) Einschränkungen bestehen gleichermaßen bei haftgrundbezogenen Beschränkungen des Postverkehrs während der Untersuchungshaft (§ 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO). Danach kann unter den in § 119 Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Voraussetzungen bei einem inhaftierten Beschuldigten ua. der Schrift- und Paketverkehr überwacht werden. Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 HUVollzG sind dann eingehende Schreiben nicht unverzüglich an den Häftling, sondern an die hierfür zuständige Stelle weiterzuleiten. Dies sind gem. § 119 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StPO das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, ggf. deren Ermittlungspersonen oder wiederum die Vollzugsanstalt, wenn die Überwachung ihr übertragen wurde. Eine Verpflichtung der Bediensteten der JVA zur umgehenden bzw. unverzüglichen Weiterleitung an den Untersuchungshäftling besteht demnach im Falle einer Überwachung des Schriftverkehrs gem. § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO zumindest solange nicht, wie das Schreiben nicht von der zuständigen Stelle freigegeben und der JVA zugeleitet wird.
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III. Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden. Für die Beurteilung der Frage, ob die Kündigungsschreiben der Beklagten vom 11. und 28. Juli 2011 dem Kläger zugegangen sind, bedarf es weiterer Feststellungen der Vorinstanz.
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1. Das Landesarbeitsgericht wird dem Kläger Gelegenheit zu geben haben, sein Vorbringen zur Aushändigung der Kündigungsschreiben vom 11. und 28. Juli 2011 klarzustellen. Im Falle eines erheblichen Bestreitens des Klägers, die Kündigungsschreiben jemals ausgehändigt erhalten zu haben, werden ggf. die von der Beklagten für ihre Behauptungen angebotenen Beweise zu erheben sein.
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2. Daneben müssen die Parteien die Möglichkeit haben, ihren Vortrag in Bezug auf den Kündigungszugang und insbesondere auf die in Betracht kommende Empfangsbotenstellung der Bediensteten der JVA zu ergänzen.
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a) Der Kläger hat - soweit ersichtlich - bisher nicht behauptet, die Kündigungsschreiben seien nach § 27 Abs. 3 Satz 2 HUVollzG angehalten worden, was ihm nach § 27 Abs. 3 Satz 4 HUVollzG mitzuteilen gewesen wäre.
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b) Danach käme es für die Frage, ob ein Zugang der Kündigungsschreiben bei dem Kläger bereits durch Übergabe an einen Mitarbeiter der JVA bewirkt wurde, darauf an, ob zu dieser Zeit die Überwachung der Post des Klägers gem. § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO angeordnet war oder nicht. Dazu fehlt es bislang an Feststellungen.
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aa) Der Kläger hat behauptet, während der gesamten Dauer der Untersuchungshaft der Postkontrolle durch das Landgericht Darmstadt unterlegen zu haben. Sollte dies zutreffen, wäre allein durch die Übergabe der Kündigungsschreiben an einen Bediensteten der Poststelle der JVA noch kein Zugang iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB bewirkt gewesen.
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bb) Hätte im fraglichen Zeitraum eine Anordnung nach § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO bestanden und würde der Kläger bestreiten, die Kündigungsschreiben jemals ausgehändigt erhalten zu haben, hätte er, damit sein Bestreiten erheblich ist, außerdem anzugeben, ob die Schreiben angehalten wurden. Ein solcher Vortrag wäre ihm möglich, da einem inhaftierten Beschuldigten unter Angabe der Gründe bekannt zu geben ist, wenn ein Brief nach § 119 Abs. 1 Satz 7 StPO wegen Gefährdung der Haftzwecke angehalten wurde (BeckOK StPO/Krauß Stand 1. Januar 2018 § 119 Rn. 35).
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cc) Sollte im fraglichen Zeitraum eine Postüberwachung gem. § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO angeordnet gewesen sein und der Kläger nicht behaupten, dass die Kündigungsschreiben angehalten wurden, wäre sein Bestreiten, sie jemals erhalten zu haben, auch dahin zu würdigen, ob ein Abhandenkommen nach den konkreten Umständen der Postkontrolle denkbar war, sofern der ursprüngliche Eingang der Kündigungsschreiben in der JVA feststünde. Auch hierzu sind Feststellungen bislang nicht getroffen. Bejahendenfalls wird das Landesarbeitsgericht der Beklagten Gelegenheit zu geben haben, Erkundigungen zu Erkenntnissen über den Verbleib der Kündigungsschreiben im Zuge der Überwachung einzuholen und hierzu ggf. ergänzend vorzutragen.
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c) Wären die Bediensteten der JVA aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung gem. § 27 Abs. 3 Satz 1 HUVollzG als Empfangsboten des Klägers anzusehen, wäre der Zugang iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB durch Übergabe an sie allerdings erst nach Ablauf der Zeit bewirkt worden, die sie für die Übermittlungstätigkeit unter den obwaltenden Umständen normalerweise benötigen. Dies waren hier nach der Behauptung der Beklagten maximal zwei Tage. Auch nach der Gesetzesbegründung zu § 27 Abs. 3 Satz 1 HUVollzG soll eingehende Post - soweit kein Fall des § 27 Abs. 2 Satz 1 HUVollzG und kein Anhaltegrund nach § 27 Abs. 3 Satz 2 HUVollzG vorliegt - den Untersuchungsgefangenen in der Regel sogar bereits am nachfolgenden Werktag ausgehändigt werden (Hessischer Landtag Drs. 18/1396 S. 142). Die Kündigungsschreiben gölten nach dem Vorbringen der Beklagten demnach als dem Kläger jedenfalls zwei Tage nach der Übergabe an die Poststelle der JVA iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen, sofern eine Verpflichtung der Bediensteten zur unverzüglichen Weiterleitung gem. § 27 Abs. 3 Satz 1 HUVollzG bestanden haben sollte.
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3. Sollte der Zugang zumindest eines der Kündigungsschreiben feststehen, wird das Landesarbeitsgericht die weiteren vom Kläger geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe zu prüfen haben.
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4. Von der Aufhebung und Zurückverweisung umfasst ist auch die Entscheidung über den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten. Insofern hat das Landesarbeitsgericht im Ausgangspunkt zu Recht angenommen, dass eine Auflösung bezogen auf die außerordentliche Kündigung vom 11. Juli 2011 ausscheidet, wenn diese mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamts nicht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden kann. Das Integrationsamt hatte mit Bescheid vom 10. Juni 2011 lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder konkludent eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung enthalten gewesen, noch kann die Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden (vgl. BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 372/13 - Rn. 25 ff.; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 36, BAGE 138, 312). Die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung aus dem Bescheid vom 25. Juli 2011 wirkt nicht zurück. Allerdings müssen die Wirksamkeitsvoraussetzungen erst beim Zugang einer Kündigung vorliegen. Sollte die außerordentliche Kündigung vom 11. Juli 2011 dem Kläger erst nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts am 25. Juli 2011 zugegangen sein, wäre daher ihre Umdeutung in eine ordentliche Kündigung insoweit nicht ausgeschlossen.
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Niemann
Rachor
Krüger
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