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BSG 01.09.2021 - B 5 R 155/21 B
BSG 01.09.2021 - B 5 R 155/21 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Verfahrensfehler - Verspätung eines Beteiligten in der mündlichen Verhandlung
Normen
§ 62 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Berlin, 17. Mai 2018, Az: S 31 R 2446/16, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 26. März 2021, Az: L 2 R 432/18, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander keine Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
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I. Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung statt der bereits bezogenen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
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Das SG hat ihre gegen den Bescheid der Beklagten vom 16.2.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.8.2016 gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 17.5.2018). Im dagegen von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden erklärt. Das LSG in Gestalt des Berichterstatters hat die Berufung aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.3.2021 mit Urteil vom selben Tag zurückgewiesen, die Verhandlung ist in Abwesenheit der ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens geladenen Klägerin und ihres Bevollmächtigten durchgeführt worden.
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Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 27.5.2021 begründet hat. Sie macht ausdrücklich eine grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend, die sie darin sieht, dass "erhebliche Verfahrensmängel im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG" vorliegen würden. Das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 Halbsatz 1 SGG) iVm mit dem Justizgewährungsanspruch (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) und der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) verletzt, indem es in Abwesenheit ihres Bevollmächtigten über die Berufung verhandelt und entschieden habe.
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II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher durch Beschluss ohne Hinzuziehen der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG).
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a) Die Klägerin legt die ausdrücklich geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht anforderungsgerecht dar. Die Beschwerdebegründung genügt den insoweit bestehenden Darlegungsanforderungen (vgl dazu aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 24.6.2021 - B 5 RE 6/21 B - juris RdNr 6 mwN) schon deswegen nicht, weil die Klägerin darin keine Rechtsfragen formuliert, die sie geklärt wissen will. Soweit die Klägerin vorbringt, es würden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des LSG bestehen, macht sie im Kern geltend, ihr hätte die erstrebte Rente zugesprochen werden müssen. Die darin liegende Rüge, die angegriffene Entscheidung sei inhaltlich unrichtig, vermag eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache von vornherein nicht zu begründen (vgl aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 4.3.2021 - B 5 R 308/20 B - juris RdNr 7).
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b) Mit ihrem Vortrag zur Durchführung der mündlichen Verhandlung vor dem LSG macht die Klägerin vielmehr sinngemäß das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend. In der Beschwerdebegründung wird aber auch ein solcher nicht anforderungsgerecht bezeichnet.
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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
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aa) Die Klägerin rügt als Gehörsverletzung sinngemäß, dass das LSG den für den 26.3.2021, 12.00 Uhr, anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht verlegt habe. Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sowie zu den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten vor Erlass der Entscheidung zu äußern (aus jüngerer Zeit zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom 8.12.2020 - 1 BvR 117/16 - juris RdNr 12 mwN). Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Möglichkeit erhalten, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminänderung iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG vor und wird diese ordnungsgemäß beantragt, begründet dies auch unter Beachtung des allgemeinen Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts zur Terminaufhebung oder -verlegung oder zur Vertagung einer bereits begonnen Verhandlung (stRspr; aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 20.4.2021 - B 5 R 18/21 B - juris RdNr 5 mwN). Dass ein solcher erheblicher Grund vorgelegen habe und dem LSG zur Kenntnis gelangt sei, wird in der Beschwerdebegründung vom 27.5.2021 nicht dargetan.
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Die Klägerin bringt vor, die Vertreterin ihres Bevollmächtigten sei am Termintag um 11.59 Uhr im Eingangsbereich des LSG erschienen. Sie habe dort etwa zwei Minuten bis zum Erscheinen eines Gerichtsmitarbeiters gewartet. Anschließend habe sie die Toilettenräume vor dem vorgesehenen Saal aufgesucht. Als sie um etwa 12.03 Uhr an die Tür des Sitzungssaals geklopft habe, habe sie diese verschlossen vorgefunden. Sie habe sich sodann telefonisch an die Geschäftsstelle gewandt und gefragt, wann der Termin stattfinde. Etwas später sei der von der Geschäftsstelle kontaktierte zuständige Berichterstatter im Wartebereich erschienen und habe mitgeteilt, die Verhandlung bereits geschlossen zu haben, weil für die Klägerin niemand erschienen sei. Der Berichterstatter habe noch angemerkt, der Bevollmächtigte hätte anrufen können, um ein verspätetes Erscheinen mitzuteilen. Dem lässt sich nicht entnehmen, dass von Seiten des Bevollmächtigten der Klägerin eine Terminverlegung beantragt worden sei. Die Klägerin räumt mit ihrem Vorbringen, ein Verlegungsantrag sei in der geschilderten Situation nicht nötig gewesen, im Gegenteil ein, einen solchen zu keinem Zeitpunkt gestellt zu haben. Zwar kann die Gewährung rechtlichen Gehörs unter bestimmten Umständen auch ohne ausdrücklichen Antrag die Vertagung eines bereits begonnenen Termins erfordern (vgl BSG Beschluss vom 9.12.1998 - B 9 SB 31/98 B - juris RdNr 17; Neumann in Hennig, SGG, Stand: Juni 2015, § 62 RdNr 80 ff). Dem Beschwerdevorbringen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass dem LSG Umstände bekannt geworden seien, die Anlass für eine Vertagung gegeben haben könnten. Ausgehend von der Schilderung der Klägerin hat es am Sitzungstag vor der Urteilsverkündung keinen Kontakt zwischen ihrem Bevollmächtigten bzw deren Vertreterin und dem LSG gegeben.
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bb) Mit ihrem Vorbringen, es sei mindestens die akademische Viertelstunde abzuwarten, rügt die Klägerin allerdings sinngemäß als weitere Gehörsverletzung, dass das LSG die mündliche Verhandlung ohne hinreichendes Zuwarten eröffnet habe. Den Beteiligten ist vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren (§ 62 SGG). Findet eine mündliche Verhandlung statt, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör das Recht des Beteiligten zur Äußerung in dieser Verhandlung (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 16.12.2014 - B 9 SB 56/14 B - juris RdNr 8 mwN). Die Beteiligten erhalten dadurch die Möglichkeit, sich auch dort mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl zu diesem Aspekt des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör BVerfG Beschluss vom 11.2.1987 - 1 BvR 475/85 - BVerfGE 74, 228, RdNr 24 mwN). Dieser Pflicht des Gerichts zur Gewährung des rechtlichen Gehörs entspricht die Obliegenheit der Beteiligten, im Zeitpunkt des festgesetzten Termins bei Gericht zu erscheinen (vgl BFH Beschluss vom 14.10.2015 - V B 49/15 - juris RdNr 6). Erscheint ein Beteiligter nicht zu diesem Zeitpunkt und hat das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, ob und wann mit einem Erscheinen zu rechnen ist, liegt es grundsätzlich im Ermessen des Vorsitzenden, ob er gleichwohl sofort die mündliche Verhandlung eröffnet oder noch eine gewisse Zeit abwartet (vgl BVerwG Beschluss vom 10.7.1985 - 2 B 43/85 - juris RdNr 4; BFH Beschluss vom 9.5.2005 - VI B 187/04 - juris RdNr 5; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 62 RdNr 6b mwN). Hat ein Beteiligter hingegen seine Teilnahme angekündigt, ist die mündliche Verhandlung in aller Regel erst nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist zu eröffnen (nach BSG Beschluss vom 31.3.2004 - B 4 RA 126/03 B - SozR 4-1500 § 112 Nr 2 RdNr 9 = juris RdNr 8: mindestens 15 Minuten). Dass das LSG hier ermessensfehlerhaft vom Verstreichenlassen einer Wartezeit abgesehen habe, wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend aufgezeigt.
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Insofern fehlt es an jeder Auseinandersetzung mit den Angaben im Protokoll. Danach hat der Termin nach Aufruf der Sache um 12.05 Uhr begonnen und damit erst nach dem Zeitpunkt, zu dem ausgehend vom Vortrag der Klägerin die Vertreterin ihres Bevollmächtigten an die Tür des Sitzungssaals geklopft habe. Die Klägerin behauptet auch nicht die inhaltliche Unrichtigkeit der protokollierten Angaben zum zeitlichen Ablauf, auf die sich im Übrigen die Beweiskraft des Protokolls erstreckt (vgl zB Baumbach, ZPO, 76. Aufl 2018, § 165 RdNr 7).
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Falls die Klägerin mit ihrem Vorbringen zugleich sinngemäß rügen will, das LSG habe die mündliche Verhandlung bereits nach weniger als 15 Minuten nach der festgesetzten Terminzeit geschlossen und das Urteil verkündet, fehlt es gleichermaßen an einer Auseinandersetzung mit dem protokollierten Ablauf. Zudem ist nicht dargetan, inwiefern aus dem Vorgehen des LSG eine Gehörsverletzung folge (vgl dazu, dass sich die Dauer einer mündlichen Verhandlung an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren hat, BSG Beschluss vom 29.7.2019 - B 13 R 249/17 B - juris RdNr 12; aber auch dazu, dass eine ordnungsgemäße mündliche Verhandlung mit anschließender geheimer Beratung und Beschlussfassung einer gewissen Zeit bedarf, BSG Beschluss vom 31.3.2004 - B 4 RA 126/03 B - SozR 4-1500 § 112 Nr 2 RdNr 4).
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
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