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BSG 17.12.2020 - B 10 ÜG 2/19 R
BSG 17.12.2020 - B 10 ÜG 2/19 R
Vorinstanz
vorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 14. November 2018, Az: L 10 SF 3/17 EK, Urteil
vorgehend SG Magdeburg, 20. September 2016, Az: S 19 SO 29/11, Urteil
nachgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 10. Februar 2022, Az: L 10 SF 13/21 EK, Beschluss
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. November 2018 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
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Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 8400 Euro festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt als einfach Beigeladene des Ausgangsverfahrens vor dem SG Magdeburg eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.
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Die Klägerin (= Entschädigungsklägerin) ist Trägerin eines Wohnheims für Suchtkranke. In dem Ausgangsverfahren vor dem SG Magdeburg (zunächst Az S 22 SO 29/11, später S 19 SO 29/11) erhob der dortige Kläger, der in dem Wohnheim der Klägerin untergebracht war, am 23.2.2011 Klage auf Gewährung von Fahrtkosten nach dem SGB XII für eine medizinisch angeordnete Fahrt zur ambulanten fachärztlichen Behandlung. In dem Verfahren S 22 SO 31/11 hatte er zeitgleich ebenfalls Klage wegen entsprechender Fahrtkosten erhoben. Das SG verband die zwei Verfahren mit Beschluss vom 10.5.2011 unter dem führenden Az S 22 SO 29/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Im September 2014 fand beim SG ein Kammerwechsel statt. Das Verfahren wurde unter dem Az S 19 SO 29/11 fortgeführt. Mit Beschluss vom 10.12.2014 lud das SG auf Antrag des dortigen Klägers die Klägerin einfach bei.
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Das SG bestimmte im Januar 2016 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 16.2.2016. Nach Aufhebung des Termins wegen einer Erkrankung der Kammervorsitzenden beraumte es die mündliche Verhandlung für den 14.3.2016 an. Daraufhin teilten der Bevollmächtigte des Klägers des Ausgangsverfahrens sowie der Bevollmächtigte der beigeladenen Klägerin mit, dass sie diesen Termin nicht wahrnehmen könnten, woraufhin das SG den Termin zur mündlichen Verhandlung aufhob. Im Zeitraum zwischen März und Mai 2016 erklärten sich alle Beteiligten in weiteren Schriftsätzen mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Am 17.8.2016 rügte die beigeladene Klägerin eine überlange Verfahrensdauer. Mit dem am 13.2.2017 zugestellten Urteil vom 20.9.2016 wies das SG die Klage ab.
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Die Beigeladene des Ausgangsverfahrens hat am 20.3.2017 beim LSG als Entschädigungsgericht Klage auf Entschädigung wegen immaterieller Nachteile in Höhe von 8400 Euro wegen überlanger Dauer der beiden verbundenen Klageverfahren erhoben. In der mündlichen Verhandlung am 14.11.2018 hat das Entschädigungsgericht ua darauf hingewiesen, dass bei einfacher Beiladung eine besondere Begründung des Nachteils infolge einer überlangen Verfahrensdauer erforderlich, hier aber fraglich sei. Trotz Ankündigung weiteren Vortrags seitens der Klägerin aufgrund dieses Hinweises hat das Entschädigungsgericht mit Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen eine Entschädigungspflicht rechtfertigenden Nachteil erlitten. Für einen einfach Beigeladenen bestehe kein Anspruch auf Beteiligung an dem Verfahren und daher auch kein Anspruch auf eine zügige Entscheidung. Bei einem einfach Beigeladenen sei im Fall einer überlangen Verfahrensdauer kein immaterieller Nachteil zu vermuten. Ein einfach Beigeladener könne deswegen eine Entschädigung nur dann beanspruchen, wenn er im Einzelfall tatsächlich nachweisbar einen Nachteil erlitten habe. Diesen Nachweis habe die Klägerin nicht geführt. Deshalb könne offenbleiben, ob die weiteren Voraussetzungen für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch erfüllt seien.
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Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt eine Verletzung des § 198 GVG und des § 75 Abs 1 SGG. Die Auffassung des Entschädigungsgerichts, dass einfach Beigeladene nicht vom Justizgewährleistungsanspruch und damit auch nicht vom Entschädigungsanspruch erfasst seien, sei unzutreffend. Das Entschädigungsgericht hätte nicht davon ausgehen dürfen, dass die gesetzliche Vermutung des von ihr geltend gemachten immateriellen Nachteils widerlegt sei. Der Entschädigungsbetrag iH von 8400 Euro errechne sich aus den Monaten gerichtlicher Inaktivität in beiden verbundenen Ausgangsverfahren (2 x 42 Verzögerungsmonate x 100 Euro).
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Darüber hinaus rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Das Entschädigungsgericht habe eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen, indem es auf den richterlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung nicht den sinngemäß beantragten Schriftsatznachlass gewährt und auch im Übrigen ihren Vortrag nicht hinreichend berücksichtigt habe.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. November 2018 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, der Klägerin wegen der unangemessenen Dauer der vor dem Sozialgericht Magdeburg zunächst unter den Aktenzeichen S 22 SO 29/11 und S 22 SO 31/11 und nach ihrer Verbindung zuletzt unter dem Aktenzeichen S 19 SO 29/11 geführten Klageverfahren eine Entschädigung in Höhe von 8400 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. März 2017 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Entschädigungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zwar ist die Entschädigungsklage zulässig. Jedoch kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Entschädigungsgerichts nicht abschließend entscheiden, ob und - falls ja - in welcher Höhe der Klägerin ein Entschädigungsanspruch zusteht.
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Der Senat hat das Begehren der Klägerin sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an § 202 Satz 2 SGG iVm §§ 198 ff GVG zu messen, weil das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl I 2302) anwendbar ist. Art 23 Satz 1 Alt 1 ÜGG eröffnet Entschädigungsansprüche auch für solche Verfahren, die - wie das Ausgangsverfahren vor dem SG - bei Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 bereits anhängig waren (vgl Senatsurteil vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 19 RdNr 12).
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A. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der Klägerin ausschließlich geltend gemachte Anspruch auf Geldentschädigung nebst Zinsen wegen überlanger Dauer des vor dem SG Magdeburg zuletzt unter dem Az S 19 SO 29/11 geführten Klageverfahrens. Die von der Klägerin im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis (vgl § 123 SGG) vorgenommene Begrenzung des Streitgegenstands auf einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen immaterieller Nachteile ist prozessrechtlich zulässig (stRspr; zB Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 11).
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B. Die Entschädigungsklage der Klägerin ist zulässig.
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1. Die Entschädigungsklage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 5 SGG; stRspr; zB Senatsurteil vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 19 RdNr 14 mwN).
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2. Die Wartefrist des § 198 Abs 5 Satz 1 GVG, wonach eine Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann, ist gewahrt. Die Klägerin hat im Ausgangsverfahren am 17.8.2016 eine überlange Verfahrensdauer gerügt. Sodann hat sie am 20.3.2017 - nach Ablauf von sechs Monaten - Entschädigungsklage erhoben.
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3. Auch die Klagefrist des § 198 Abs 5 Satz 2 GVG hat die Klägerin eingehalten. Danach muss die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Das Urteil des SG wurde der Klägerin als Beigeladene des Ausgangsverfahrens am 13.2.2017 zugestellt. Die Entschädigungsklage wurde von der Klägerin am 20.3.2017 beim LSG als Entschädigungsgericht erhoben.
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C. Der Senat kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Entschädigungsgerichts jedoch nicht abschließend entscheiden, ob und - falls ja - in welchem Umfang die Entschädigungsklage der Klägerin begründet ist.
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Nach § 202 Satz 2 SGG iVm § 198 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 3 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wenn er zuvor bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Dem Entschädigungsanspruch der Klägerin steht weder entgegen, dass sie nicht unverzüglich iS von Art 23 Satz 2 ÜGG die Verzögerung des Verfahrens gerügt hat (dazu unter 1.) noch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verzögerungsrüge unwirksam sein könnte (dazu unter 2.). Das zuletzt nach der Verbindung der beiden Klageverfahren unter dem Az S 19 SO 29/11 geführte Ausgangsverfahren ist als ein Gerichtsverfahren iS des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG zu betrachten. Es kann für die nach der Verbindung der zwei Klageverfahren dort einfach beigeladene Klägerin nicht zwei Entschädigungsansprüche, sondern nur einen einzigen - einheitlichen - Entschädigungsanspruch begründen (dazu unter 3.). Darüber hinaus kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Entschädigungsgerichts nicht abschließend entscheiden, ob und - falls ja - in welchem Umfang das Ausgangsverfahren für die Klägerin unangemessen lange gedauert hat (dazu unter 4.). Ebenso wenig kann der Senat beurteilen, ob der Klägerin aufgrund einer Überlänge des Ausgangsverfahrens ein zu entschädigender immaterieller Nachteil entstanden ist. Die Vermutung eines solchen Nachteils kann nicht bloß aufgrund der Stellung der Klägerin im Ausgangsverfahren als einfach Beigeladene als widerlegt betrachtet werden (dazu unter 5.). Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache an das Entschädigungsgericht zurückzuverweisen (dazu unter 6.). Auf die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher im Revisionsverfahren nicht mehr an (dazu unter 7.).
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1. Einem Entschädigungsanspruch der Klägerin steht nicht schon entgegen, dass sie nicht unverzüglich iS des Art 23 Satz 2 ÜGG beim Ausgangsgericht eine Verzögerungsrüge erhoben hat. Ein Fall des Art 23 Satz 2 ÜGG ist hier nicht gegeben.
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Art 23 Satz 2 ÜGG sieht vor, dass in einem bei Inkrafttreten des ÜGG bereits anhängigen und bereits verzögerten Verfahren eine Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden muss. Die Obliegenheit des Art 23 Satz 2 ÜGG bezieht sich jedoch nur auf Verzögerungen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bei dem mit der Sache befassten Ausgangsgericht bereits eingetreten sind (Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14 RdNr 20; BVerwG Urteil vom 29.2.2016 - 5 C 31/15 D - juris RdNr 31, jeweils mwN). Hier war zwar das Ausgangsverfahren mit dem Az S 19 SO 29/11 bei Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 schon anhängig. Allerdings war es zu diesem Zeitpunkt mit einer Verfahrenslaufzeit von etwas mehr als 9 Monaten offensichtlich noch nicht verzögert (zur Bestimmung der unangemessenen Verfahrensdauer dazu unter 4.), sodass es bei der allgemeinen Regelung des § 198 Abs 3 GVG verbleibt. Unabhängig davon kann die aus Art 23 Satz 2 ÜGG folgende unverzügliche Rügeobliegenheit ohnehin nur für solche Beteiligten (§ 69 SGG) gelten, die bei Eintritt der rügepflichtigen Situation iS dieser Bestimmung bereits am Ausgangsverfahren beteiligt waren. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin aber noch nicht beigeladen.
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2. Dass die Klägerin erst nach der zweiten Abladung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und nach Zustimmung aller Beteiligten zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung die Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs 3 Satz 1 GVG (zur Rechtsnatur der Verzögerungsrüge s sogleich unter a) erhoben hat, steht einem Entschädigungsanspruch ebenfalls nicht entgegen. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass es keine rechtliche Grundlage für die Annahme eines Endtermins im laufenden Ausgangsverfahren gibt, zu dem eine Verzögerungsrüge im Anwendungsbereich des § 198 Abs 3 GVG spätestens einzulegen ist (dazu unter b). Zwar kann ausnahmsweise im Einzelfall die Erhebung einer Verzögerungsrüge unwirksam sein, wenn sie sich nach den Gesamtumständen als rechtsmissbräuchlich darstellt (dazu unter c). Hier liegen jedoch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall vor (dazu unter d).
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a) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs 3 Satz 1 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs 3 Satz 2 GVG).
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Die Verzögerungsrüge stellt eine haftungsbegründende Obliegenheit des (späteren) Entschädigungsklägers dar (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum ÜGG vom 17.11.2010, BT-Drucks 17/3802 S 16 und S 20 f; Senatsurteil vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 19 RdNr 30 mwN). Der Betroffene muss sie erheben, will er künftig eine Geldentschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer beanspruchen (vgl Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum ÜGG, BT-Drucks 17/3802 S 43). Bei der Verzögerungsrüge handelt es sich um eine "Prozesshandlung eigener Art" (Senatsurteil vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 19 RdNr 31). Denn im Ausgangsverfahren soll sie dazu dienen, das Verfahren zu beschleunigen (BT-Drucks 17/3802 S 16). Deshalb wird die Verzögerungsrüge in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich auch als "Beschleunigungsrüge" bezeichnet (BT-Drucks 17/3802 S 21). Nach der gesetzlichen Konzeption soll sie dazu beitragen, dass es nicht zu einer (weiteren) entschädigungspflichtigen Verzögerung im Ausgangsverfahren kommt (BT-Drucks 17/3802 S 20 f).
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b) Wie sich aus der bisherigen Senatsrechtsprechung zum Zeitpunkt der Erhebung und der Rückwirkung einer Verzögerungsrüge ergibt, braucht die Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren lediglich nach dem in § 198 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG genannten Zeitpunkt erhoben zu werden (Anlass zur Besorgnis der Verfahrensverzögerung; s hierzu Senatsurteil vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 19 RdNr 44; BGH Urteil vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 - juris RdNr 21, jeweils mwN). Die zuvor verstrichene Zeit im Ausgangsverfahren ist in die Prüfung einzubeziehen, ob ein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer besteht (Senatsurteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 29; Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14 RdNr 20; Senatsurteil vom 5.5.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art 23 Nr 4 RdNr 24). In Abgrenzung zu der Rechtsprechung des BFH, der den Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer aufgrund der Besonderheiten des finanzgerichtlichen Verfahrens durch eine verspätet erhobene Verzögerungsrüge im Regelfall auf einen Zeitraum von sechs Monaten vor Erhebung der Rüge begrenzt (BFH Urteil vom 29.11.2017 - X K 1/16 - juris RdNr 42 ff; BFH Urteil vom 25.10.2016 - X K 3/15 - juris RdNr 39; BFH Urteil vom 6.4.2016 - X K 1/15 - juris RdNr 44 ff), hat der Senat ausgeführt, dass es in Bezug auf das sozialgerichtliche Verfahren keine rechtliche Grundlage für die Annahme eines Endtermins gibt, zu dem eine Verzögerungsrüge im laufenden Ausgangsverfahren spätestens einzulegen ist mit der Folge der Präklusion eines vorherigen Entschädigungsanspruchs (Senatsurteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 29; Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14 RdNr 21 f). An dieser Rechtsprechung zur Rückwirkung einer Verzögerungsrüge auf das gesamte überlange Ausgangsverfahren hält der Senat fest. Allerdings kann eine Verzögerungsrüge nur so lange erhoben werden, wie das Verfahren bei dem Gericht anhängig ist, dessen Verfahrensdauer vom Rügeführer als unangemessen angesehen wird (Senatsurteil vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 19 RdNr 48).
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c) Eine im Ausgangsverfahren zu einem späten Zeitpunkt erhobene Verzögerungsrüge kann jedoch ausnahmsweise im Einzelfall unwirksam sein, wenn sie sich nach Würdigung aller Gesamtumstände als rechtsmissbräuchlich erweist.
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Die Rechtsfigur des Rechtsmissbrauchs ist eine Ausprägung des in § 242 BGB für das Verhalten des Schuldners im Rahmen zivilrechtlicher Schuldverhältnisse geregelten Grundsatzes von Treu und Glauben. Dieser enthält einen allgemeinen, die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Rechtsgedanken mit umfassendem Anwendungsbereich für alle Rechtsgebiete (Senatsurteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 3/08 R - BSGE 103, 284 = SozR 4-7837 § 2 Nr 1, RdNr 25 mwN). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn der Berechtigte kein schutzwürdiges Eigeninteresse verfolgt oder überwiegende schutzwürdige Interessen der Gegenpartei entgegenstehen und die Rechtsausübung im Einzelfall zu einem grob unbilligen und mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde (Senatsurteil vom 25.6.2009, aaO, RdNr 26 mwN).
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Nach diesen Maßstäben ist eine Verzögerungsrüge rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig und unwirksam, wenn sie von einem Beteiligten im Ausgangsverfahren aus sach- oder verfahrensfremden Zwecken erhoben wird. Rechtsmissbrauch in diesem Sinne wird in der Rechtsprechung insbesondere angenommen, wenn die Rüge so spät erhoben wird, dass eine verfahrensbeschleunigende Reaktion des Richters gar nicht mehr möglich ist (vgl BGH Urteil vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 - juris RdNr 29; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 30.7.2020 - L 37 SF 133/20 EK AS WA ua - juris RdNr 24, 28). Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten soll aber auch dann vorliegen, wenn nach Würdigung der Gesamtumstände ein Beteiligter die Verzögerungsrüge zu einem sehr späten Zeitpunkt nur noch deshalb einlegt, um künftig entschädigt zu werden (vgl BGH Urteil vom 26.11.2020, aaO; Hessisches LSG Urteil vom 8.7.2020 - L 6 SF 7/19 EK AS - juris RdNr 27).
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Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs der Verzögerungsrüge ist vor dem Hintergrund des Gesetzeswortlauts (dazu unter aa), der Gesetzeshistorie (dazu unter bb), der Gesetzessystematik (dazu unter cc) sowie des Zwecks der Verzögerungsrüge (dazu unter dd) eng zu fassen.
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aa) Der Wortlaut des § 198 GVG deutet nicht darauf hin, dass eine im Ausgangsverfahren ab einem bestimmten - späten oder sehr späten - Zeitpunkt erhobene Verzögerungsrüge unwirksam sein soll. Die Norm regelt lediglich den frühesten, nicht jedoch den spätesten Zeitpunkt für die Verzögerungsrüge. Weder der Anspruchstatbestand des § 198 Abs 1 Satz 1 GVG noch die Rügeobliegenheit in § 198 Abs 3 GVG nennen einen Endzeitpunkt als Voraussetzung für die Gewährung und Bemessung einer Entschädigung. Nach dem Gesetzeswortlaut ist es insoweit unerheblich, wann die Rüge vor dem Ausgangsgericht erhoben worden ist; einer nach dem in § 198 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG bestimmten Zeitpunkt (Anlass zur Besorgnis der Verfahrensverzögerung) eingelegten Rüge kommt grundsätzlich keine anspruchsbegrenzende oder -ausschließende Wirkung zu (vgl Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14 RdNr 21 f; Senatsurteil vom 5.5.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art 23 Nr 4 RdNr 24; BGH Urteil vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 - juris RdNr 24, jeweils mwN).
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bb) Bei der historischen Auslegung ist zu berücksichtigen, dass der ÜGG-Gesetzgeber nicht der Auffassung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Justiz zum ÜGG vom 15.3.2010 und seiner Begründung (abgedruckt in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Anhang V, S 410 ff) gefolgt ist. Der Referentenentwurf hatte in § 198 Abs 3 Satz 1 GVG noch formuliert, ein Verfahrensbeteiligter erhalte nur Entschädigung, "soweit" er die Dauer des Gerichtsverfahrens gerügt hat (aaO, S 413). Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Entschädigungsanspruch sei für einen vor Erhebung der Rüge liegenden Zeitraum ausgeschlossen, wenn diese erst nach dem in § 198 Abs 3 Satz 2 GVG bestimmten Zeitraum erhoben werde (aaO, S 433). Die nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erhobene Verzögerungsrüge sollte also zu einem (teilweisen) Anspruchsverlust führen (vgl hierzu auch BGH Urteil vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 - juris RdNr 26; BVerwG Urteil vom 29.2.2016 - 5 C 31/15 D - juris RdNr 33).
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Im weiteren Gesetzgebungsverfahren setzte sich jedoch die Ansicht durch, dass bei der Erhebung einer Verzögerungsrüge im Anwendungsbereich des § 198 Abs 3 GVG "Geduld" nicht "bestraft" werden sollte. Regelungstechnisch wurde dies umgesetzt, indem in Satz 1 die Formulierung "soweit er … gerügt hat" durch die Wendung "wenn er … gerügt hat" ersetzt wurde. Dementsprechend ist in den Gesetzesmaterialien ausgeführt, dass es grundsätzlich unschädlich sei, wenn die Verzögerungsrüge erst nach dem in § 198 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG genannten Zeitpunkt eingelegt werde, weil die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden solle (BT-Drucks 17/3802 S 21 und S 41). Der Gesetzgeber hat in § 198 Abs 3 Satz 1 GVG - anders als bei der Übergangsregelung in Art 23 Satz 2 und 3 ÜGG - bewusst auf eine Ausschluss- bzw Präklusionsbestimmung verzichtet, um keinen Anreiz für verfrühte, die Justiz unnötig belastende Rügen zu schaffen (BGH Urteil vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 - juris RdNr 27 mwN).
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cc) Systematisch ist die Verzögerungsrüge nach der Konzeption des ÜGG-Gesetzgebers "kein eigenständiger präventiver Rechtsbehelf", sondern eine "Obliegenheit", die der Betroffene im Ausgangsverfahren erfüllen muss, wenn er künftig eine Geldentschädigung beanspruchen will (vgl BT-Drucks 17/3802 S 43; Senatsurteil vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 19 RdNr 30 f). Der Gesetzgeber hat mit dem ÜGG im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erhebung einer Verzögerungsrüge differenzierende Regelungen getroffen. Er unterscheidet zwischen Fallkonstellationen, in denen in der Anfangsphase des Gesetzes gar keine Verzögerungsrüge zu erheben war (Art 23 Satz 4 und 5 ÜGG), und solchen, in denen unverzüglich eine Verzögerungsrüge erhoben werden musste (Art 23 Satz 2 und 3 ÜGG). Außerdem soll eine zu früh im Ausgangsverfahren erhobene Verzögerungsrüge keine entschädigungsrechtlichen Folgewirkungen entfalten und "ins Leere" gehen (vgl § 198 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG; BT-Drucks 17/3802 S 20; BFH Urteil vom 26.10.2016 - X K 2/15 - juris RdNr 46). Eine Wiederholung der Verzögerungsrüge soll in der Regel frühestens nach sechs Monaten möglich sein (§ 198 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 2 GVG).
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Trotz dieser ausdifferenzierten Systematik hat der Gesetzgeber andererseits aber keine Regelung zur Unwirksamkeit einer Verzögerungsrüge getroffen, die nach dem in § 198 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG genannten Zeitpunkt erhoben wird. Daher spricht auch die aufgezeigte Gesetzessystematik dafür, bei einer Verzögerungsrüge, die nach diesem Zeitpunkt eingelegt wird, nur in dem Ausnahmefall des Rechtsmissbrauchs von einer Unwirksamkeit auszugehen.
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dd) Dasselbe folgt aus dem Zweck einer Verzögerungsrüge. Ihre Ausgestaltung in § 198 Abs 3 Satz 1 GVG als zwingende Voraussetzung für die Gewährung einer Geldentschädigung verfolgt eine doppelte Zielrichtung. Zum einen soll die Verzögerungsrüge dem Richter die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen und als Vorwarnung dienen. Zum anderen soll sie entschädigungsrechtlich ein "Dulde und Liquidiere" ausschließen. Zusammengefasst dient die Rügeobliegenheit präventiv sowohl der Verfahrensbeschleunigung als auch der Missbrauchsabwehr (BT-Drucks 17/3802 S 20 f und S 43; s auch BGH Urteil vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 - juris RdNr 29). Diese doppelte Zweckbestimmung ändert jedoch nichts daran, dass eine Verzögerungsrüge, die nach dem in § 198 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG genannten Zeitpunkt eingelegt wird, "grundsätzlich" wirksam sein soll, weil - wie oben dargelegt - die Geduld eines Beteiligten im Ausgangsverfahren gerade nicht "bestraft" und keine Anreize für verfrühte Rügen geschaffen werden sollen (BT-Drucks 17/3802 S 21 und S 41; BGH Urteil vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 - juris RdNr 30).
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Auch wenn das Gesetz für das Erheben einer Verzögerungsrüge keinen Endtermin bestimmt und einer zu einem späten Zeitpunkt im Ausgangsverfahren eingelegten Rüge grundsätzlich keine anspruchsbegrenzende oder -ausschließende Wirkung beigemessen hat, geht der Gesetzgeber davon aus, dass mit der Rügeerhebung nicht beliebig lange folgenlos zugewartet werden darf (ebenso BGH Urteil vom 26.11.2020 - III ZR 61/20 - juris RdNr 29). Allerdings soll nach seinen Vorstellungen selbst ein Verhalten im Ausgangsverfahren, dass bei Würdigung der Gesamtumstände "eher ein (unzulässiges) Dulde und Liquidiere" darstellt, nicht zwingend schon zu einer Unwirksamkeit der Verzögerungsrüge wegen Rechtsmissbrauchs führen. Vielmehr kann nach den Gesetzesmaterialien ein solches Verhalten vom Entschädigungsgericht (auch) in verschiedenen Stadien der Prüfung von Tatbestand und Rechtsfolgen des Entschädigungsanspruchs berücksichtigt werden, etwa bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs 1 GVG, bei der Frage, ob Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 4 GVG ausreicht oder bei der Prüfung nach § 198 Abs 2 Satz 4 GVG, ob eine Reduzierung der Entschädigung geboten ist, weil der volle Pauschbetrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist (BT-Drucks 17/3802 S 21 und S 41).
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d) Auf Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Entschädigungsgerichts (vgl § 163 SGG) liegen keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Rügeverhalten der Klägerin vor. Die Erhebung der Verzögerungsrüge erfolgte ca 3 Monate nach allen Zustimmungen der Beteiligten des Ausgangsverfahrens zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Zu diesem Zeitpunkt war für die Klägerin weder ein konkreter Zeitpunkt erkennbar, zu dem das Ausgangsverfahren enden würde, noch war für sie irgendeine gerichtliche Aktivität ersichtlich. Das SG musste trotz der Zustimmung der Beteiligten erst noch eine Entscheidung treffen und diese zustellen. Zudem dauerte das Ausgangsverfahren bei Erhebung der Verzögerungsrüge der Klägerin bereits über fünf Jahre und seit ihrer Beiladung schon fast zwei Jahre. Dass nach Zustimmung der Beteiligten zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) alsbald eine Entscheidung des SG ergangen ist, ist bei der hier gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Verzögerungsrüge unerheblich (vgl dazu Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14 RdNr 25). Belastbare Feststellungen, die darauf hindeuten könnten, dass die Klägerin die Verzögerungsrüge zu diesem weit fortgeschrittenen Stadium im Ausgangsverfahren nur deshalb noch erhoben hat, um eine Geldentschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer zu erlangen, hat das LSG nicht getroffen.
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3. Das zuletzt nach seiner Verbindung mit dem anderen Klageverfahren unter dem Az S 19 SO 29/11 geführte Ausgangsverfahren ist entschädigungsrechtlich nur ein Gerichtsverfahren iS des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG. In einem Gerichtsverfahren iS dieser Bestimmung entsteht auch im Fall der objektiven Klagehäufung nur ein Entschädigungsanspruch (dazu unter a). Gleiches gilt bei einer Verbindung mehrerer Klageverfahren gemäß § 113 Abs 1 SGG, wenn der Entschädigungskläger erst nach der Verbindung an den verbundenen Gerichtsverfahren beteiligt war. Auch in einer solchen Konstellation entsteht bei überlanger Verfahrensdauer nur ein einziger - einheitlicher - Entschädigungsanspruch (dazu unter b).
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a) Ein Gerichtsverfahren iS von § 198 Abs 1 Satz 1 GVG ist nach der in Abs 6 Nr 1 enthaltenen Legaldefinition jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Die Senatsrechtsprechung geht insoweit von einem weiten Anwendungsbereich der Regelung aus (Senatsurteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 24; Senatsurteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14 RdNr 30; Senatsurteil vom 10.7.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 2 RdNr 19). In einem solchen Gerichtsverfahren entsteht bei Überlänge auch im Fall der objektiven Klagehäufung (Geltendmachung mehrerer Streitgegenstände <prozessualer Ansprüche> in einer Klage) nur ein Entschädigungsanspruch. Eine Vervielfältigung des Entschädigungsanspruchs bei mehreren vom späteren Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren geltend gemachten Streitgegenständen findet nicht statt (vgl BFH Urteil vom 27.6.2018 - X K 3-6/17 ua - juris RdNr 101).
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Zwar steht in Abgrenzung dazu im Fall der subjektiven Klagehäufung (Klageerhebung durch mehrere Personen) jeder am Gerichtsverfahren beteiligten Person ein Entschädigungsanspruch zu. Dies beruht darauf, dass der Entschädigungsanspruch als ein "Jedermann-Recht" konzipiert ist und es sich insoweit um einen "personenbezogenen Anspruch" handelt (Senatsurteil vom 5.5.2015 - B 10 ÜG 5/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 12 RdNr 31; BFH Urteil vom 2.12.2015 - X K 6/14 - juris RdNr 48; BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D - juris RdNr 37). Diese Gründe treffen aber auf die objektive Klagehäufung gerade nicht zu (BFH Urteil vom 27.6.2018 - X K 3-6/17 ua - juris RdNr 101; BFH Urteil vom 12.7.2017 - X K 3-7/16 - juris RdNr 57). Bei dem Begriff des "Gerichtsverfahrens" iS des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG geht das ÜGG von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff aus (Senatsurteil vom 10.7.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 2 RdNr 15). Die Hauptsache kann dabei aus einem oder mehreren Streitgegenständen bestehen. Bei der Rechtsverfolgung verschiedener prozessualer Ansprüche ist für die Annahme eines Gerichtsverfahrens im entschädigungsrechtlichen Sinn entscheidend, dass die Streitgegenstände in einem Ausgangsverfahren verbunden sind und verbunden bleiben (BVerwG Urteil vom 14.11.2016 - 5 C 10/15 D - juris RdNr 17).
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b) Hiervon ausgehend gilt nichts anderes, wenn - wie hier - das Ausgangsgericht gemäß § 113 Abs 1 SGG durch Beschluss mehrere bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbindet und ein im Ausgangsverfahren einfach beigeladener Entschädigungskläger erst nach der Verbindung an dem Verfahren beteiligt wird. Auch dann entsteht bei Überlänge des Ausgangsverfahrens nur ein Entschädigungsanspruch.
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Zwar bleibt trotz der Verbindung jedes der verbundenen Klageverfahren prozessrechtlich selbstständig; daher sind die Prozessvoraussetzungen für jedes Verfahren weiterhin gesondert zu prüfen (BSG Beschluss vom 29.7.1991 - 7 BAr 142/89 - juris RdNr 18 mwN). Darauf weist die Klägerin zutreffend hin. Trotzdem war sie nur Beteiligte des Klageverfahrens mit dem Az S 19 SO 29/11 und vor der Verbindung an dem anderen Klageverfahren (Az S 22 SO 31/11) nicht beteiligt. Denn Verfahrensbeteiligter iS dieser Vorschrift ist nur, wer - wie auch der einfach Beigeladene (zu seinen Rechten s § 75 Abs 4 SGG) - kraft eigenen Rechts gestaltend auf den Verfahrensgegenstand einwirken und deshalb auch von Verzögerungen beeinträchtigt werden kann (vgl BT-Drucks 17/3802 S 23; Röhl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 198 GVG RdNr 19, Stand der Einzelkommentierung: 10.12.2020). Dies konnte die Klägerin jedoch erst mit ihrer Beiladung zum Klageverfahren mit dem Az S 22 SO 29/11.
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Für diese Auslegung spricht zudem, dass ein Beigeladener die Rechtsstellung eines "Beteiligten am Verfahren" iS von § 69 Nr 3 SGG erst mit der Zustellung des Beiladungsbeschlusses nach § 75 Abs 3 Satz 1 SGG erhält. Selbst derjenige, der nicht beigeladen worden ist, aber beizuladen gewesen wäre, ist nicht Verfahrensbeteiligter (BSG Beschluss vom 4.6.2002 - B 12 KR 36/01 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 14.12.1978 - 2 BU 183/78 - juris RdNr 7; BVerwG Beschluss vom 12.12.1990 - 4 NB 14/88 - juris RdNr 6; BFH Beschluss vom 22.11.1995 - II B 170/93 - juris RdNr 3).
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4. Ob und - falls ja - in welchem Umfang das Ausgangsverfahren für die Klägerin unangemessen lange gedauert hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls und ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in drei Schritten zu prüfen (dazu unter a). Bei der Bestimmung der Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens ist für die Klägerin der Zeitraum von der Zustellung des Beiladungsbeschlusses bis zur Zustellung des Urteils des Ausgangsverfahrens maßgeblich also der Zeitraum der Verfahrensbeteiligung als einfach Beigeladene des Ausgangsverfahrens (dazu unter b). Mangels ausreichender Feststellungen des Entschädigungsgerichts kann der Senat aber nicht beurteilen, ob und - falls ja - in welchem Umfang die hiernach maßgebliche Verfahrensdauer unangemessen lang war (dazu unter c).
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a) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl dazu Senatsurteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 31 ff). Erforderlich ist eine konkrete Festlegung des Entschädigungsgerichts hinsichtlich der Angemessenheit oder der Unangemessenheit der Verfahrensdauer, weil die Höhe der Entschädigung von der Dauer der Überlänge abhängt (vgl § 198 Abs 2 Satz 3 GVG; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 29).
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Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist in drei Schritten zu prüfen (stRspr; zB Senatsurteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 31 mwN). Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in § 198 Abs 6 Nr 1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens. In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens insbesondere an den von § 198 Abs 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen, bei denen es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt. Soweit das Entschädigungsgericht Tatsachen feststellt, um diese Begriffe auszufüllen, hat es einen erheblichen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei ist davon auszugehen, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Kalendermonate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (stRspr; zB Senatsurteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 31, 33, 39; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 23 ff, 45 ff).
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b) Bei der Berechnung der Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens (Schritt 1) ist für die Klägerin ausnahmsweise nicht die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung durch Erhebung der Klage im Ausgangsverfahren am 23.2.2011 bis zum rechtskräftigen Abschluss zu berücksichtigen. Vielmehr ist nur der Zeitraum von der Zustellung des Beiladungsbeschlusses an die Klägerin bis zur Zustellung des Urteils des Ausgangsverfahrens maßgeblich, also der Zeitraum, in dem die Klägerin am Ausgangsverfahren als einfach Beigeladene Verfahrensbeteiligte (§ 69 Nr 3 SGG) war (so auch Schleswig-Holsteinisches LSG Urteil vom 16.8.2013 - L 12 SF 4/12 EK - juris RdNr 36). Dafür spricht, dass ein Beigeladener - wie oben unter 3.b) bereits ausgeführt - die Rechtsstellung eines Beteiligten am Verfahren erst mit Zustellung des Beiladungsbeschlusses erhält. Die verfahrensrechtliche Systematik der §§ 198 ff GVG legt es dementsprechend nahe, der Dauer des individuellen Prozessrechtsverhältnisses des Entschädigungsklägers limitierende Bedeutung bei der Feststellung der Gesamtverfahrensdauer beizumessen. Die Einteilung des Ausgangsverfahrens in verschiedene abtrennbare Verfahrensabschnitte kann zur Ermittlung der Gesamtverfahrensdauer im Übrigen auch sonst geboten sein (vgl hierzu Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 43; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 44, jeweils mwN). Der Senat kann offenlassen, ob entschädigungsrechtlich für die Berechnung der Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens im Fall eines zu diesem Verfahren einfach oder notwendig beigeladenen (späteren) Entschädigungsklägers ausnahmsweise etwas anderes gelten kann, wenn die Beiladung erst spät im Ausgangsverfahren erfolgt, obwohl der Beigeladene seine Beiladung bereits zu einem früheren Zeitpunkt selbst beantragt oder sonst aktiv betrieben hatte. Solche Fallkonstellationen liegen hier nicht vor.
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Ausgehend von einer Zustellung des Beiladungsbeschlusses an die Klägerin im Dezember 2014 beliefe sich die für sie maßgebliche Gesamtverfahrensdauer des Ausgangsverfahrens auf 25 Kalendermonate. Denn das Ausgangsverfahren endete durch Zustellung des Urteils im Februar 2017.
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c) Das Entschädigungsgericht hat jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen zu den in § 198 Abs 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien, insbesondere zu der Schwierigkeit des Verfahrens und zu dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten sowie darüber hinaus zu der Verfahrensführung des Ausgangsgerichts (vgl hierzu Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 7/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 10 RdNr 25, 34 f; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 6 RdNr 36 ff). Daher fehlt es an einer ausreichenden Grundlage, um den Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen (Schritt 2). Ebenso fehlt es an einer vom Entschädigungsgericht vorgenommenen wertenden Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht der Klägerin auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (Schritt 3). Vielmehr hat es ausdrücklich von einer diesbezüglichen Prüfung abgesehen, weil es die Entschädigungsklage allein wegen eines fehlenden Nachteils iS von § 198 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 GVG abgewiesen hat (dazu sogleich unter 5.). Demzufolge kann der Senat nicht beurteilen, ob die Verfahrensdauer für die Klägerin als unangemessen lang zu betrachten ist (zum diesbezüglichen Prüfungsmaßstab des BSG als Revisionsgericht s Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - BSGE 118, 102 = SozR 4-1720 § 198 Nr 9, RdNr 25; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4 - 1720 § 198 Nr 3, RdNr 22).
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5. Der Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob ein Entschädigungsanspruch der Klägerin daran scheitert, weil es - wie vom Entschädigungsgericht angenommen - an einem Nachteil der Klägerin gemäß § 198 Abs 1 Satz 1 oder Abs 2 Satz 1 GVG infolge der Verfahrensdauer fehlt (zu den gesetzlichen Voraussetzungen unter a). Denn das Entschädigungsgericht hat den von der Klägerin (ausschließlich) geltend gemachten Nichtvermögensschaden auf der Basis eines unzutreffenden Prüfungsmaßstabs verneint. Daher mangelt es auch insoweit an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen des Entschädigungsgerichts (dazu unter b).
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a) § 198 Abs 1 GVG sieht einen Entschädigungsanspruch für (materielle und immaterielle) Vermögensnachteile vor. Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs 2 Satz 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Die Entschädigung für Nichtvermögensschäden beträgt 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs 2 Satz 3 GVG). Im Regelfall findet jedoch eine monatsbezogene Berechnung der Entschädigung (= 100 Euro für jeden Verzögerungsmonat) statt. Das Entschädigungsgericht kann einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der gesetzlich vorgesehene Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist (§ 198 Abs 2 Satz 4 GVG). Eine Entschädigung für Nichtvermögensschäden kann jedoch nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs 2 Satz 2 GVG).
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b) Das Entschädigungsgericht ist auf der Grundlage seiner Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass im Fall der Klägerin die gesetzliche Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden Nichtvermögensnachteils gemäß § 198 Abs 2 Satz 1 GVG widerlegt sei. Schon der vom Entschädigungsgericht zugrunde gelegte Prüfungsmaßstab steht nicht mit § 198 Abs 2 Satz 1 GVG in Einklang (dazu unter aa). Überdies reichen aber auch hier die tatsächlichen Feststellungen des Entschädigungsgerichts für eine abschließende Prüfung des Senats nicht aus (dazu unter bb).
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aa) Bei der in § 198 Abs 2 Satz 1 GVG normierten gesetzlichen Vermutungsregelung handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung iS des § 292 Satz 1 ZPO (BVerwG Urteil vom 5.6.2020 - 5 C 3/19 D - juris RdNr 12; BGH Urteil vom 12.2.2015 - III ZR 141/14 - juris RdNr 40). Sie soll dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (BT-Drucks 17/3802 S 19). Diese Vermutungsregel, die sich sowohl auf das Vorliegen eines Nichtvermögensnachteils als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität erstreckt, entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht (EGMR Urteil vom 29.3.2006 - 36813/97 - NJW 2007, 1259, RdNr 204; vgl auch Senatsurteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 40).
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Bei einer gesetzlichen Vermutung des Vorliegens einer Tatsache ist nach der im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 202 Satz 1 SGG entsprechend anzuwendenden Regel des § 292 Satz 1 ZPO in Ermangelung einer anderweitigen gesetzlichen Anordnung der Beweis des Gegenteils zulässig, dh der Beweis, dass die vom Gesetz vermutete Tatsache in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Um die Vermutung im Sinne einer Widerlegung zu entkräften, genügt es aber nicht, sie lediglich zu erschüttern; es muss vielmehr der volle Beweis des Nichtbestehens der vermuteten Tatsache erbracht werden (BVerwG Urteil vom 5.6.2020 - 5 C 3/19 D - juris RdNr 12 mwN).
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Danach ist im Fall des § 198 Abs 2 Satz 1 GVG die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils nur dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht - unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen - nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer für ihn mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil beim Kläger geführt hat (BVerwG Urteil vom 5.6.2020 - 5 C 3/19 D - juris RdNr 13; BGH Urteil vom 13.4.2017 - III ZR 277/16 - juris RdNr 21; BGH Urteil vom 12.2.2015 - III ZR 141/14 - juris RdNr 41). Dies kann der Fall sein, wenn eine Gesamtbewertung den Schluss rechtfertigt, dass die unangemessene Verfahrensdauer entweder als solche nicht nachteilig (oder sogar vorteilhaft) gewesen ist oder es an einem Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensdauer und Nachteil fehlt (vgl BVerwG Urteil vom 5.6.2020 - 5 C 3/19 D - juris RdNr 13; BFH Urteil vom 20.11.2013 - X K 2/12 - juris RdNr 26).
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Von diesem Prüfungsmaßstab ist das Entschädigungsgericht zu Unrecht abgewichen: Es ist davon ausgegangen, der Justizgewährleistungsanspruch erfasse einfach Beigeladene nicht, weshalb diese regelmäßig keine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer geltend machen könnten, wenn sie nicht im Einzelfall tatsächlich nachweisbar einen Nachteil erlitten haben. Dieser Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Der in § 198 GVG normierte Entschädigungsanspruch ist - wie oben bereits unter 3.a) ausgeführt - als ein "Jedermann-Recht" konzipiert. Der Gesetzeswortlaut differenziert nicht zwischen den Verfahrensbeteiligten (vgl Senatsurteil vom 5.5.2015 - B 10 ÜG 5/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 12 RdNr 31; Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - BSGE 118, 91 = SozR 4-1720 § 198 Nr 7, RdNr 34 ff; wonach die Eigenschaft eines Entschädigungsklägers als juristische Person die Vermutungswirkung des § 198 Abs 2 Satz 1 GVG nicht entkräftet, weil der Gesetzeswortlaut nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen differenziert). Das Gesetz enthält damit keine Grundlage, die Anspruchsvoraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs bei Überlänge für im Ausgangsverfahren einfach beigeladene Beteiligte zu verschärfen. Insgesamt erschließt sich nicht, warum der Justizgewährleistungsanspruch für einfach Beigeladene nicht ebenso gelten sollte, wie für alle anderen am Verfahren Beteiligten. Denn das ÜGG soll den Justizgewährleistungsanspruch verwirklichen, absichern und weiter ausgestalten (vgl BT-Drucks 17/3802 S 22; Senatsurteil vom 5.5.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art 23 Nr 4 RdNr 25; Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - BSGE 118, 91 = SozR 4-1720 § 198 Nr 7, RdNr 26; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 28 und 44).
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bb) Auch im Übrigen können die Ausführungen des Entschädigungsgerichts nicht überzeugen oder dazu führen, dass auf der Basis seiner Feststellungen bereits der volle Beweis des Nichtbestehens der vermuteten Tatsache erbracht ist. Es fehlt neben der Feststellung, ob und - falls ja - in welchem Umfang überhaupt für die Klägerin eine unangemessene Verfahrensdauer vorliegt (s dazu oben unter 4.), im Weiteren auch an der erforderlichen Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer für sie mit sich gebracht hat, um die Vermutung eines immateriellen Nachteils widerlegen zu können. Daher kann der Senat auch insoweit nicht abschließend darüber befinden, ob die gesetzliche Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden Nichtvermögensnachteils der Klägerin widerlegt ist.
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6. Im Ergebnis ermöglichen die Feststellungen des Entschädigungsgerichts dem Senat somit keine abschließende Entscheidung, ob und - falls ja - in welchem Umfang der von der Klägerin geltend gemachte Entschädigungsanspruch besteht. Diese wird das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der aufgezeigten Prüfungskriterien nunmehr nachzuholen haben. Der Rechtsstreit ist deshalb an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
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Das Entschädigungsgericht wird im wiederzueröffnenden Entschädigungsklageverfahren bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer für die Klägerin insbesondere zu berücksichtigen haben, dass die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten müssen. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 37; BVerwG Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 23/12 D - juris RdNr 39). Vor diesem Hintergrund wird das Entschädigungsgericht auch zu erwägen haben, welche Zeitspanne ab dem Zeitpunkt der Beiladung der Klägerin im Ausgangsverfahren nach den besonderen Umständen des Einzelfalls noch als angemessen betrachtet werden kann.
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Sollte das Entschädigungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Verfahrensdauer für die Klägerin unangemessen lang gewesen ist, wird es auf Grundlage der von ihm festgestellten Tatsachen nach Maßgabe des diesbezüglich aufgezeigten Prüfungsmaßstabs weiter darüber zu befinden haben, ob Anhaltspunkte vorliegen, die geeignet sind, die gesetzliche Vermutung eines auf der überlangen Verfahrensdauer kausal beruhenden Nichtvermögensnachteils der Klägerin zu widerlegen.
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Schließlich wird das Entschädigungsgericht möglicherweise auch in Betracht zu ziehen haben, ob bei der hier vorliegenden Fallkonstellation einer einfachen Beiladung der Klägerin im Ausgangsverfahren eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 2 Satz 2 und § 198 Abs 4 Satz 1 GVG durch die bloße Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, anstelle der Geldentschädigung ausreichend ist. Dies beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl dazu Senatsurteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 40 mwN). An dieser Stelle könnte in den Abwägungsprozess des Entschädigungsgerichts auch einfließen, dass die Klägerin die Verzögerungsrüge zu einem sehr späten Zeitpunkt im Ausgangsverfahren nach den abgegebenen Zustimmungserklärungen aller Beteiligten zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erhoben hat, dass sie nicht selbst die Beiladung zum Ausgangsverfahren beantragt oder sonst aktiv betrieben hat und dass der vom Kläger des Ausgangsverfahrens geltend gemachte Fahrtkosten-Betrag im Ausgangsverfahren nur einen Bruchteil der von der Klägerin nunmehr beanspruchten Entschädigungssumme darstellt.
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7. Die von der Klägerin im Revisionsverfahren erhobenen Verfahrensrügen sind nicht mehr entscheidungserheblich, weil das Urteil des Entschädigungsgerichts aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist. Daher kommt es nicht darauf an, ob die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) durch das Entschädigungsgericht vorliegt und auch zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen würde (vgl dazu BSG Urteil vom 24.2.2000 - B 2 U 32/99 R - juris RdNr 18).
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D. Die Kostenentscheidung bleibt dem wiederzueröffnenden Entschädigungsklageverfahren vorbehalten.
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E. Die auch im Fall der Zurückverweisung vorzunehmende Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren (Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - BSGE 118, 102 = SozR 4-1720 § 198 Nr 9, RdNr 41 mwN) beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 Satz 1, § 52 Abs 3 Satz 1, § 63 Abs 2 Satz 1 GKG. Die als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen sind bei der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 1 GKG).
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