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BSG 30.10.2019 - B 14 AS 330/18 B
BSG 30.10.2019 - B 14 AS 330/18 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - vorherige Anhörung der Beteiligten - qualifizierter Vortrag nach erster Anhörung - § 45 SGB 10 anstelle von § 48 SGB 10 als Rechtsgrundlage für einen Aufhebungsbescheid - Erforderlichkeit einer erneuten Anhörung - absoluter Revisionsgrund)
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, § 45 SGB 10, § 48 SGB 10, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Frankfurt, 28. Juli 2017, Az: S 16 AS 199/15
vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 16. November 2018, Az: L 7 AS 582/17, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerden der Klägerinnen wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. November 2018 - L 7 AS 582/17 - aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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Die Beschwerden der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 16.11.2018 sind zulässig, denn sie haben mit ihnen eine Verletzung von § 153 Abs 4 Satz 2 SGG und zugleich einen Verstoß gegen die grundrechtsgleichen Rechte auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG sowie auf rechtliches Gehör nach Art 103 Abs 1 GG hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Die Beschwerden sind insoweit auch begründet.
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Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des SG kein Gerichtsbescheid ist. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Diesem rechtlichen Gehör ist Genüge getan, wenn den Beteiligten mit der Anhörungsmitteilung Gelegenheit sowohl zur Äußerung von etwaigen Bedenken, die sie gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter haben, als auch zur Stellungnahme in der Sache selbst eingeräumt wird. Wenn nach einer ersten Anhörungsmitteilung in qualifizierter Weise vorgetragen wird und das LSG auch unter Würdigung dieses neuen Vorbringens an seiner Absicht festhalten will, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nur durch die Berufsrichter zu entscheiden, bedarf es einer erneuten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG mit Gelegenheit zur Äußerung hierzu. Denn das Anhörungserfordernis nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zugunsten der Beteiligten weit auszulegen, weil die Anhörungsmitteilung die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten adäquat kompensieren soll. Eine erneute Anhörung ist indes aus Gründen der Prozessökonomie nicht erforderlich, wenn das nach der ersten Anhörungsmitteilung erfolgte Vorbringen nicht entscheidungserheblich, ohne jegliche Substanz oder bloß wiederholend ist. Doch muss das neue Vorbringen entscheidungserheblich nicht in dem Sinne sein, dass es auch Grundlage für eine zulässige und begründete, nicht auf die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gestützte Verfahrensrüge sein könnte. Denn sonst würde in diesen Konstellationen die prozessuale Absicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen Richter ins Leere laufen (vgl zu diesen Maßstäben letztens BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 155/16 B und B 14 AS 156/16 B - jeweils juris RdNr 2 mit Nachweisen älterer Rechtsprechung; zur Kritik an diesen Maßstäben vgl Burkiczak, NVwZ 2016, 806, 811 ff).
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Vorliegend fehlt es an der erforderlichen erneuten Anhörung. Nach der Anhörungsmitteilung durch das LSG vom 4.10.2018 mit einer Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.11.2018 nahm der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen am 12.11.2018 Stellung und trug - durch Verweis auf einen Schriftsatz im Parallelverfahren - ua erstmals dazu vor, dass Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide (Berücksichtigung von Einkommen im durch endgültige Bescheide geregelten Bewilligungszeitraum) nicht § 48 SGB X, sondern nur - unter wesentlich strengeren Voraussetzungen - § 45 SGB X sein könne, denn das beklagte Jobcenter habe nach der Rechtsprechung des BSG wegen prospektiv schwankenden Einkommens lediglich vorläufig Leistungen bewilligen dürfen. Aufgrund dieser Stellungnahme haben die Klägerinnen eine erneute Mitteilung des LSG erwarten dürfen, über die Berufung zu ihren Ungunsten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nur durch die Berufsrichter entscheiden zu wollen, wenn es an diesem Vorhaben festhalten wollte. Denn die Stellungnahme vom 12.11.2018 enthält weder eine bloße Wiederholung der Berufungsbegründung noch sonst bloß Entscheidungsunerhebliches oder Substanzloses, sondern mit ihr ist seitens der Klägerinnen im Berufungsverfahren erstmals zu einem relevanten rechtlichen Gesichtspunkt vorgetragen worden. Hierdurch hat sich die Prozesssituation nach der ersten Anhörung im oben beschriebenen Sinne entscheidungserheblich geändert (zur Qualifizierung von Vortrag als neu und relevant vgl auch BSG vom 10.10.2017 - B 12 KR 37/17 B - juris RdNr 9 f). Das LSG hat indes nach Eingang der Stellungnahme der Klägerinnen nicht durch eine erneute Anhörungsmitteilung deutlich gemacht, an seiner beabsichtigten Entscheidung über die Berufung durch Beschluss festhalten zu wollen, sondern den Schriftsatz vom 12.11.2018 am 14.11.2018 dem Beklagten zur Stellungnahme übersandt, sodann jedoch ohne weitere Ankündigung gegenüber den Beteiligten am 16.11.2018 durch den angefochtenen Beschluss entschieden.
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In diesem Beschluss gibt das LSG den Vortrag der Klägerinnen zu §§ 45 und 48 SGB X im Tatbestand wieder, ohne diesen in den Entscheidungsgründen als von vornherein unmaßgeblich zu bewerten. Es beurteilt den hierin ggf liegenden Austausch der Rechtsgrundlage als im Ergebnis unbeachtlich, ohne den Klägerinnen zu den dafür maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten im Rahmen des § 45 SGB X zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
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Wegen des vorliegenden Verfahrensmangels der unterbliebenen notwendigen erneuten Anhörung war das LSG bei seinem Beschluss nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG durch eine unterbliebene Anhörung führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (vgl letztens BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 155/16 B und B 14 AS 156/16 B - jeweils juris RdNr 4 mit Nachweisen älterer Rechtsprechung). Dieser die angefochtene Entscheidung des LSG insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG).
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
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