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BSG 30.10.2019 - B 6 KA 6/19 B
BSG 30.10.2019 - B 6 KA 6/19 B - Vertragsärztliche Versorgung - Regelleistungsvolumen - Anerkennung von Praxisbesonderheiten - kostendeckende Vergütung
Normen
§ 72 Abs 2 SGB 5, § 87b Abs 2 SGB 5
Vorinstanz
vorgehend SG Berlin, 20. September 2017, Az: S 87 KA 77/14, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 27. Februar 2019, Az: L 7 KA 55/17, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. Februar 2019 wird zurückgewiesen.
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Die Klägerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
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Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Klägerin, die als Fachärztin für Anästhesiologie an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, begehrt aufgrund von Praxisbesonderheiten die Berücksichtigung eines höheren Regelleistungsvolumens (RLV) für das Quartal 2/2012.
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Sie macht geltend, sie rechne vermehrt Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen (GOP) 05330 (Anästhesie/Narkose bis zu 15 Minuten Eingriffszeit), 05331 (Zuschlag bei Fortsetzung einer Anästhesie/Narkose je weiterer 15 Minuten Eingriffszeit) und 05350 (Beobachtung und Betreuung eines Patienten nach einem Eingriff) nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) ab. Unter anderem betreue sie bei ihrer Tätigkeit in einer Zahnklinik Kinder, geistig und körperlich behinderte Menschen sowie demenzkranke Patienten aus Pflegeheimen. Dies begründe einen deutlich erhöhten Zeitaufwand aufgrund der - teilweise - mangelnden Kooperationsbereitschaft der Patienten und erfordere eine längere Vorbereitung der Behandlung abgestimmt auf das spezifische Krankheitsbild bzw die vorliegende Behinderung. Ihren Antrag auf Anerkennung von Praxisbesonderheiten lehnte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) ab (Bescheid vom 17.9.2012, Widerspruchsbescheid vom 10.12.2013). Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des SG vom 20.9.2017 und des LSG vom 27.2.2019).
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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
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II. 1. Die Beschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache liegen nicht vor. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar ergibt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 17/18 B - juris RdNr 7).
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Die Klägerin benennt als einzige zu klärende Rechtsfrage,
"ob es sich bei der Behandlung durch einen Arzt von Kindern oder Erwachsenen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung oder anderen Erkrankungen, die üblicherweise zusätzliche diagnostische, kommunikative und medizinische Komplikationen mit sich bringt, um eine besondere Qualifikation im Sinne eines besonderen Versorgungsauftrages handelt, der die Erhöhung des RLV wegen einer vom Durchschnitt abweichenden Praxisausrichtung (Praxisbesonderheit) rechtfertigt".
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a. Es ist bereits zweifelhaft, ob sie damit eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen formuliert hat, an denen das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 4.4.2016 - B 13 R 43/16 B - BeckRS 2016, 68283 RdNr 6; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 2.11.2009 - B 13 R 445/09 B - BeckRS 2009, 74151 RdNr 6). Die Klägerin benennt selbst nicht, welches Tatbestandsmerkmal welcher Norm einer weiteren Auslegung durch das BSG bedarf. Nur ungeklärte Rechtsfragen, nicht aber der Wunsch nach einer höchstrichterlichen Überprüfung des in einem Einzelfall von der Vorinstanz gefundenen Subsumtionsergebnisses vermögen die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache zu begründen. Im Übrigen wäre eine Antwort auf die in dieser Form aufgeworfene Frage nicht verallgemeinerungsfähig, sondern von der Ausgestaltung im Einzelfall abhängig (welche Form der Behinderung oder Erkrankung, welche Komplikationen?). Auch eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Rechtssache ist nicht dargelegt. Die bloße Behauptung, die Frage betreffe einen größeren vertragsärztlichen Personenkreis, die Menschen mit Behinderung ärztlich behandelten, ist insofern unzureichend.
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b. Jedenfalls bedarf es zur Klärung dieser Frage der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht. Die Frage kann bereits auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats eindeutig iS der Entscheidung des LSG beantwortet werden.
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In dem von der Klägerin in Bezug genommenen Urteil des Senats vom 29.6.2011 (B 6 KA 20/10 R - MedR 2012, 413) ist bereits entschieden, dass ein "Mehr" an fachgruppentypischen Leistungen zur Begründung einer versorgungsrelevanten Besonderheit nicht ausreicht (vgl auch BSG Urteile vom 29.6.2011 - B 6 KA 17/10 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 66 RdNr 22, B 6 KA 19/10 R - juris RdNr 22, B 6 KA 20/10 R - juris RdNr 17; BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 1/18 R - juris RdNr 19, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die Überschreitung des praxisindividuellen RLV muss vielmehr darauf beruhen, dass in besonderem Maße spezielle Leistungen erbracht werden. Dabei wird es sich typischerweise um arztgruppenübergreifend erbrachte spezielle Leistungen handeln, die eine besondere (Zusatz-)Qualifikation und eine besondere Praxisausstattung erfordern (BSG Urteil vom 29.6.2011 - B 6 KA 17/10 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 66 RdNr 22; BSG Beschluss vom 21.3.2018 - B 6 KA 70/17 B - juris RdNr 12). Anlass für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten besteht grundsätzlich erst dann, wenn eine Praxis eine für die Fachgruppe untypische Ausrichtung aufweist (BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 1/18 R - juris RdNr 23, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; vgl auch BSG Urteil vom 29.6.2011 - B 6 KA 19/10 R - juris RdNr 22; BSG Urteil vom 22.5.1984 - 6 RKa 16/83 - juris - zu einem phlebologisch tätigen Allgemeinarzt; BSG Urteil vom 23.5.1984 - 6 RKa 17/82 - juris - bei vorstationärer Diagnostik eines Internisten).
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Die Entscheidung der Beklagten, die von der Klägerin abgerechneten GOP 05330, 05331 und 05350 EBM-Ä nicht als Spezialleistungen zu berücksichtigen, ist danach zutreffend. Denn bei diesen Leistungen handelt es sich um fachgruppentypische Leistungen. Es ist bereits nicht erkennbar, dass für die Erbringung dieser Leistungen, die zum Kernbestand des anästhesiologischen Leistungsspektrums gehören, typischerweise eine besondere Zusatzqualifikation und eine besondere Praxisausstattung erforderlich sind (vgl BSG Beschluss vom 21.3.2013 - B 6 KA 70/17 B - juris RdNr 12 - zu Kernleistungen des nuklearmedizinischen Leistungsspektrums; BSG Beschluss vom 3.8.2016 - B 6 KA 12/16 B - juris RdNr 11 - zu Kernleistungen der Neurochirurgen; BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 1/18 R - juris RdNr 23, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - zu Kernleistungen der Orthopäden). Auch andere Leistungen, die auf eine besondere Praxisausrichtung hindeuten könnten, sind nicht ersichtlich.
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c. Soweit aus dem weiteren Vorbringen der Klägerin entnommen werden kann, dass es ihr um die Feststellung geht, dass es für die "angemessene und individuell angepasste Betreuung von Menschen mit Behinderung" an "gesonderten Abrechnungsmöglichkeiten" fehle und es sich daher häufig als "unwirtschaftlich" darstelle, Menschen mit Behinderung ärztlich zu versorgen, besteht auch insoweit kein Klärungsbedarf im vorliegenden Verfahren. Dieser Vortrag entspricht schon nicht den vorerwähnten Darlegungsanforderungen, da jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Senats zu dem - aus § 72 Abs 2 SGB V abgeleiteten - Grundsatz der angemessenen Vergütung fehlt. Im Übrigen wäre die Frage - ihre Klärungsfähigkeit unterstellt - auch nicht klärungsbedürftig, da sich die Antwort hierauf ohne Weiteres aus der Rechtsprechung des Senats ergibt. Danach lässt es eine fehlende Kostendeckung bei einer einzelnen ärztlichen Leistung regelmäßig nicht zu, von außen in die Vertragsgebührenordnungen einzugreifen, die ein als ausgewogen zu unterstellendes Tarifgefüge bilden (BSG Beschluss vom 14.3.2001 - B 6 KA 76/00 B - juris RdNr 7). Es ist vielmehr nach § 87 Abs 2 SGB V Aufgabe des paritätisch aus Vertretern der Vertragsärzte und der Krankenkassen zusammengesetzten Bewertungsausschusses, den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander festzulegen. Dazu gehört es ausdrücklich auch, den Bewertungsmaßstab in bestimmten Zeitabständen daraufhin zu überprüfen, ob die Leistungsbeschreibungen und ihre Bewertungen noch dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie dem Erfordernis der Rationalisierung im Rahmen wirtschaftlicher Leistungserbringung entsprechen. Der Senat hat weiter entschieden, dass sich die Frage, ob für eine Leistung eine kostendeckende Vergütung zu erzielen ist, einer generellen Beantwortung entzieht, da es von individuell beeinflussbaren Faktoren (zB Kostenstruktur und Standort der Praxis, Qualität des Dienstleistungsangebots) abhängt, ob eine bestimmte Einzelleistung kostendeckend zu erbringen ist (BSG Urteil vom 14.3.2001 - B 6 KA 54/00 R - BSGE 88, 20, 23 f = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 69 f).
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Im Übrigen berücksichtigen die anästhesiologischen GOP des Abschnitts 5.3 EBM-Ä bereits die Behandlung von Patienten mit mangelnder Kooperationsfähigkeit: In der Präambel des Kapitels 5 Ziffer 8 erster und zweiter Spiegelstrich EBM-Ä ist ausgeführt, dass die Erbringung von Narkosen gemäß Abschnitt 5.3 EBM-Ä im Zusammenhang mit zahnärztlichen und/oder mund-, kiefer-, gesichtschirurgischen Eingriffen nur bei Patienten mit mangelnder Kooperationsfähigkeit berechnungsfähig ist.
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d. Auch soweit die Klägerin schließlich zur Begründung der Beschwerde ausführt, dass sich aufgrund der "Neuregelung des § 87 Abs 2 Satz 5 SGB V" - gemeint ist offensichtlich § 87b Abs 2 Satz 5 SGB V - die grundsätzliche Bedeutung der von ihr gestellten Rechtsfrage ergebe, trägt dies nicht. Die in Bezug genommene Vorschrift ist mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG - vom 16.7.2015, BGBl I 1211) zum 23.7.2015 in Kraft getreten. Danach dürfen im Verteilungsmaßstab keine Maßnahmen zur Begrenzung oder zur Minderung des Honorars für anästhesiologische Leistungen angewandt werden, die im Zusammenhang mit vertragszahnärztlichen Behandlungen von Patienten mit mangelnder Kooperationsfähigkeit bei geistiger Behinderung oder schwerer Dyskinesie notwendig sind. Mit dieser Regelung soll möglichen Defiziten bei der Versorgung von Patienten mit mangelnder Kooperationsfähigkeit bei geistiger Behinderung oder schwerer Dyskinesie bei sektorübergreifender Behandlung im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung infolge von leistungsbegrenzenden Honorarregulierungen entgegengewirkt werden (BT-Drucks 18/4095 S 97). Der Gesetzgeber befürchtet, dass Anästhesisten solche Leistungen in der Vertragszahnarztpraxis nicht in notwendigem Maß erbringen, wenn für die Narkoseleistungen vergütungsregulierende Maßnahmen angewandt werden. Der Gesetzgeber hat zudem mit dem GKV-VSG auf Probleme bei der medizinischen Versorgung pflegebedürftiger Menschen, von Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben, und von erwachsenen geistig behinderten Menschen mit der Einführung von §§ 119b, 119c SGB V und den diese Vorschriften flankierenden Regelungen in § 87 Abs 2a S 13, Abs 2i, Abs 2j SGB V reagiert.
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Damit hat das Verlangen der Klägerin, den Anforderungen an die anästhesiologische Behandlung von Patienten mit mangelnder Kooperationsfähigkeit besonders Rechnung zu tragen, in § 87b Abs 2 Satz 5 SGB V bereits eine (neue) Rechtsgrundlage erhalten. Eine Klärungsbedürftigkeit besteht insoweit nicht (mehr).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
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3. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3, § 52 Abs 2 GKG. Sie entspricht den Feststellungen der Vorinstanzen, denen keiner der Beteiligten widersprochen hat.
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