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BSG 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R
BSG 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R - (Bayerisches Landesblindengeld - Blindheit nach Art 1 BlindG BY - gleich zu achtende Beeinträchtigung der Sehschärfe - zerebrale Störung des Sehvermögens - keine spezifische Sehstörung erforderlich - Möglichkeit der Sinneswahrnehmung "Sehen" - Alzheimer-Demenz - Ausgleich des blindheitsbedingten Mehrbedarfs - rechtsvernichtender Einwand der Zweckverfehlung)
Normen
Art 1 Abs 1 BlindG BY vom 24.07.2013, Art 1 Abs 2 S 1 BlindG BY, Art 1 Abs 2 S 2 Nr 1 BlindG BY vom 07.04.1995, Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BlindG BY, § 72 Abs 5 SGB 12, § 159 Abs 7 SGB 9, Anlage Teil A Nr 6 Buchst c VersMedV, § 162 SGG, Art 3 Abs 1 GG, Art 31 GG, Art 72 Abs 1 GG, Art 74 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Landshut, 20. November 2014, Az: S 15 BL 3/13, Gerichtsbescheid
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 19. Dezember 2016, Az: L 15 BL 9/14, Urteil
nachgehend BSG, 26. Oktober 2020, Az: B 9 BL 2/20 B, Beschluss
nachgehend Bayerisches Landessozialgericht, 11. Februar 2020, Az: L 15 BL 9/14, Urteil
Leitsatz
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1. Eine der Blindheit nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (juris: BlindG BY) entsprechend gleich schwere Störung des Sehvermögens liegt auch bei zerebralen Schäden ohne spezifische Sehstörung vor, wenn es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen" fehlt (Anschluss an BSG vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R = BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3).
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2. Wird der Zweck des Blindengeldes verfehlt, weil aufgrund der typischen Eigenart des Krankheitsbildes ein auszugleichender blindheitsbedingter Mehrbedarf nicht entstehen kann, steht dem zuständigen Leistungsträger der anspruchsvernichtende Einwand der Zweckverfehlung zu (Fortentwicklung von BSG vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R = BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3).
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 2016 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).
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Die Klägerin ist 1943 geboren und leidet an einer schweren Alzheimer-Demenz. Sie ist seit 2004 bei Zuerkennung der Pflegestufe 3 in einem Pflegeheim untergebracht. Der die Klägerin vertretende Sohn beschreibt sie als völlig hilflos, komatös und physisch wie psychisch nicht in der Lage, irgendetwas wahrzunehmen oder zu verarbeiten.
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Der Sohn beantragte am 12.9.2012 für die Klägerin neben der Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" Blindengeld nach dem BayBlindG. Der beklagte Freistaat lehnte den Antrag auf Blindengeld nach Durchführung von Ermittlungen ab. Eine Zerstörung von Strukturen des zentralen Sehsystems sei nicht nachweisbar. Generelle zerebrale Schädigungen begründeten nicht die Annahme einer corticalen Blindheit. Eine faktische Blindheit im Sinne des BSG-Urteils vom 20.7.2005 (B 9a BL 1/05 R - BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2) liege nicht vor, da es an einer spezifischen Sehstörung fehle (Bescheid vom 26.2.2013; Widerspruchsbescheid vom 17.6.2013).
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Das SG hat nach Einholung von Sachverständigengutachten die Klage abgewiesen, weil trotz des Verlustes der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit Blindheit ohne spezifische Sehstörung nicht nachgewiesen sei (Gerichtsbescheid vom 20.11.2014). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG den Gerichtsbescheid und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten nach Durchführung weiterer Ermittlungen verurteilt, der Klägerin ab Antragstellung Blindengeld zu gewähren (Urteil vom 19.12.2016). Die Klägerin sei blind iS von Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BayBlindG. Bei ihr liege eine hochgradige Einschränkung aller Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Zwar sei die Wahrnehmung nicht durch Schädigungen im Sinnesorgan und der Leitung zum Gehirn gestört und eine Bestimmung des Sehvermögens nicht möglich. Allerdings komme es nach der neueren Rechtsprechung des BSG bei einer der Blindheit entsprechenden gleich schweren zerebralen Störung des Sehvermögens auf eine spezifische Sehstörung nicht an (Urteil vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R - BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3). Die visuelle Wahrnehmung sei massiv gestört durch Verlust der kognitiven Verarbeitung. Die aufgenommenen Signale könnten wegen fehlender Verarbeitung nicht mehr genutzt werden; dies gelte auch für das Sehen.
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Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts. Das LSG erweitere entgegen dem Gesetzeswortlaut und den Motiven des Bayerischen Landesgesetzgebers den Begriff der Blindheit iS des Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BayBlindG und verkenne den Begriff der "Störung des Sehvermögens" nach den rechtlichen Vorgaben in Teil A Ziff 6b der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Aus dem Urteil des BSG vom 11.8.2015 (aaO) könne nicht gefolgert werden, dass jeder stark ausgeprägte körperliche Schwächezustand, der ua das Sehvermögen beeinträchtige, automatisch zur Blindheit iS des Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BayBlindG führe. Ausgehend von dem gesetzlichen Terminus des "Sehvermögens" bedürfe es nach wie vor eines spezifischen Bezuges der Erkrankung hierzu. Insoweit setze sich das LSG auch in Widerspruch zur Beweislast der einen Anspruch begründenden Tatsachen, wenn es den Blindheitsnachweis wegen bestehender Beweisschwierigkeiten umgehe. Schließlich sei ausgehend von der Rechtsansicht des LSG gemäß Art 1 Abs 3 und Art 5 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 S 2 BayBlindG (idF vom 24.7.2013, GVBl 464) ab 1.1.2013 vorliegend auch Blindengeld in Höhe des doppelten Bezuges zuzusprechen gewesen, da der Verlust aller eingehender Informationen auf corticaler Ebene bei bestehender schwerer Demenz auch Taubblindheit betreffe.
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Der beklagte Freistaat beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 2016 aufzuheben, und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20. November 2014 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die bisherigen Feststellungen des LSG ermöglichen keine abschließende Beurteilung der Frage, ob der Klägerin Blindengeld nach Art 1 BayBlindG zusteht.
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1. Der Senat ist nicht an einer Sachentscheidung gehindert, weil es in der Sache um die Auslegung von - an sich irrevisiblem - Bayerischen Landesrecht geht (§ 162 SGG). Denn der im BayBlindG verwendete und hier streitbefangene Begriff der Blindheit einschließlich gleich zu achtender Störungen des Sehvermögens stimmt auch weiterhin bewusst und gewollt mit Regelungen der Landesblindengeldgesetze in den Bezirken anderer LSG überein (s zB § 1 Abs 1 und 6 BliGG Niedersachsen; § 1 Abs 1 und 2 PflGG Bremen; § 1 Abs 1 GHBG Nordrhein-Westfalen; § 1 Abs 2 und 3 BliGG Rheinland-Pfalz). Auch wenn die Landesblindengeldgesetze im Übrigen unterschiedlich ausgestaltet sind, reicht es für die Revisibilität aus, wenn verschiedene - nicht alle - Länder inhaltsgleiche Vorschriften haben (vgl BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R - BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3, RdNr 12). Übereinstimmung besteht auch mit dem bundeseinheitlich geltenden Begriff der Blindheit und der gleich zu achtenden Störungen in § 72 Abs 5 SGB XII (BSG, aaO, mwN). Denn die Landesregelung ist unter ausdrücklichem Hinweis auf die Bundesgesetzgebung der seinerzeit maßgeblichen Regelung des § 24 Abs 1 S 2 Nr 2 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - (idF des Dritten Gesetzes zur Änderung des BSHG vom 25.3.1974, BGBl I 777) nachgebildet worden (Art 1 Abs 3 Nr 3 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 8.10.1974, GVBl 504; vgl BayLT-Drucks 7/6795 S 4 f, sodann in die Nachfolgeregelung des BayBlindG übernommen, vgl BayLT-Drucks 13/458 S 4 f).
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2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein der Bescheid vom 26.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.6.2013 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte der Klägerin bayerisches Blindengeld versagt hat. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, Abs 4 SGG). Ob das LSG den beklagten Freistaat zu Recht verurteilt hat, der Klägerin ab Antragstellung Blindengeld nach Art 1 Abs 1 BayBlindG zu gewähren, kann vom Senat wegen fehlender Feststellungen noch nicht entschieden werden. Die Klägerin ist blind im Sinne des Gesetzes (dazu unter 3. und 4.). Es fehlen aber Feststellungen dazu, ob bei der Klägerin aufgrund ihres Krankheitsbildes ein blindheitsbedingter Mehrbedarf entstehen kann (dazu unter 5.).
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3. Monatliches Blindengeld erhalten nach Art 1 Abs 1 BayBlindG blinde und taubblinde Menschen auf Antrag, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder die VO (EG) Nr 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen (Art 1 Abs 1 BayBlindG vom 7.4.1995, GVBl 1995, 150 in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG vom 24.7.2013 mWv 1.1.2013, GVBl 2013, 464). Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art 1 Abs 2 S 1 BayBlindG). Als (faktisch) blind gelten darüber hinaus Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50tel beträgt (Art 1 Abs 2 S 2 Nr 1 BayBlindG) sowie bei denen durch Nr 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr 1 gleich zu achten sind (Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BayBlindG). Dies ist bei der Klägerin der Fall. Sie lebt in Bayern und ist entgegen der Ansicht des beklagten Freistaates auch blind im Sinne des Gesetzes. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) liegt bei der Klägerin eine Hirnschädigung mit hochgradiger Einschränkung aller Sinnesfunktionen vor. Die visuelle Wahrnehmung ist massiv gestört. Die aufgenommenen Signale können nicht mehr genutzt werden. Aufgrund ihrer fortgeschrittenen Demenz hat sie einen Verlust der kognitiven Verarbeitung erlitten. Auch wenn bei ihr keine spezifische Sehstörung nachweisbar ist, kann sie im Ergebnis deshalb trotzdem nicht sehen. Insoweit liegt eine der Blindheit gleichzustellende schwere Störung des Sehvermögens iS des Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BayBlindG vor.
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Der Senat hat für das Blindengeld nach dem BayBlindG bereits entschieden, dass es bei zerebral geschädigten Menschen dahingestellt bleiben kann, auf welcher konkreten Ursache die Blindheit im Einzelfall beruht, ob sie durch eine Schädigung des optischen Sehapparates, eine Hirnschädigung oder eine Kombination denkbarer Ursachen verursacht wird, weil die Ursache vielfach medizinisch nicht nachvollzogen werden kann und ein sachlicher Grund für die genaue Lokalisierung nicht nachweisbar ist. Entscheidend für den Anspruch auf Blindengeld ist allein, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen" (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, sodass der behinderte Mensch "blind" ist. Auch das Fehlen einer spezifischen Sehstörung steht dem Anspruch auf Blindengeld nicht entgegen. Denn die typisierende Annahme hinreichend verlässlicher Feststellbarkeit ist nicht in der Weise gerechtfertigt, dass hierauf die dem Anspruchsteller obliegende Darlegungs- und Beweislast gleichheitsfest erstreckt werden könnte (BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R - BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3, RdNr 17 ff, 22 ff). Etwaige Beweiserleichterungen des Sozialen Entschädigungsrechts (zB § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung) finden insoweit keine Anwendung (BSG, aaO, RdNr 24 mwN). Hieran hält der Senat fest.
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4. Diese Auslegung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Soweit dieser erweiternden Auslegung des Begriffs der Blindheit nach dem BayBlindG von dem Beklagten entgegengehalten wird, dass aus medizinischer Sicht keine Blindheit vorliege und keine Vereinbarkeit mit der Anlage zu § 2 VersMedV Teil A, Nr 6c bestehe, vermögen diese Argumente nicht zu überzeugen. Bei dem Blindheitsbegriff nach Art 1 BayBlindG handelt es sich um ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal und nicht um einen medizinischen Begriff. Soweit die VersMedV seit dem 8.1.2015 über § 159 Abs 7 SGB IX Gesetzesrang hat (vgl Dau, jurisPR-SozR 10/2016 Anm 5), ergibt sich hieraus ebenfalls kein Widerspruch, da die dann gegebenenfalls normativ wirkenden medizinischen Erkenntnisse in der VersMedV weiterhin keine Voraussetzung für die Blindheit iS von Art 1 BayBlindG wären.
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Auch ein Kompetenzkonflikt iS von Art 31 GG liegt nicht vor. Hinsichtlich des Landesblindengelds besteht eine eigenständige Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art 72 Abs 1 GG, weil die Landesblindengeldgesetze nicht in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art 74 eingreifen (vgl BVerwG Urteil vom 14.11.2002 - 5 C 37/01 - BVerwGE 117, 172, 175 f; OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.4.2016 - 7 A 10006/16 - Juris RdNr 26). Dies bedeutet zugleich, dass der Anwendungsbereich des Art 31 GG (Bundesrecht bricht Landesrecht) ausgeschlossen ist. Denn die Kompetenzfrage ist der Kollisionsfrage vorgeordnet und Art 72 Abs 1 GG geht als lex specialis insoweit Art 31 GG vor (vgl Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl 2018, Art 31 RdNr 3 und Art 72 RdNr 11a). Solange und soweit der Bund, wie hier, von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, steht den Ländern die Befugnis zur Gesetzgebung zu, ohne dass die Sperrwirkung des Art 72 Abs 1 GG eintritt (vgl BVerfG Urteil vom 30.7.2008 - 1 BvR 3262/07 - BVerfGE 121, 317, 347). Aufgrund der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und der eigenständigen Gesetzgebungskompetenzen der Länder kann die Verfassungsmäßigkeit eines Landesgesetzes nicht deshalb in Zweifel gezogen werden, weil es von verwandten Regelungen in anderen Bundesländern oder im Bund abweicht (vgl BSG Beschluss vom 6.10.2014 - B 9 BL 1/14 B - Juris RdNr 7 mwN). Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG bindet zwar auch den Landesgesetzgeber. Aufgrund der eigenständigen Gesetzgebungskompetenz der Länder muss jedoch nicht länderübergreifend in jeder Hinsicht dasselbe Recht gelten. Der Landesgesetzgeber ist nur gehalten, den Gleichheitssatz innerhalb des ihm zugeordneten Gesetzgebungsbereichs zu wahren (vgl BVerfG Beschluss vom 27.3.1979 - 2 BvL 2/77 - BVerfGE 51, 43, 58 f mwN; BSG Beschluss vom 6.10.2014 - B 9 BL 1/14 B - Juris RdNr 7). Dies ist hier der Fall. Nach Sinn und Zweck des Art 1 Abs 2 Nr 2 BayBlindG werden innerhalb Bayerns auch Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad erfasst, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr 1 und damit Blinden gleichgestellt sind.
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Im Ergebnis ist die Klägerin blind iS des BayBlindG. Eine weitergehende Prüfung, ob sie aufgrund des Verlustes aller eingehenden Informationen auf corticaler Ebene bei schwerer Demenz auch taubblind ist, musste das LSG entgegen dem Vorbringen der Revision nicht durchführen. Die Klägerin hat vor dem LSG dem Grunde nach nur beantragt, ihr Blindengeld wegen Blindheit nach dem BayBlindG zu gewähren. Nur hierüber hatte das LSG zu entscheiden (§ 123 SGG).
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5. Der Rechtsstreit ist gleichwohl nicht entscheidungsreif. Denn es ist nicht festgestellt, ob bei der blinden Klägerin aufgrund des bei ihr bestehenden Krankheitsbildes überhaupt blindheitsbedingte Mehraufwendungen entstehen können. Art 1 Abs 1 BayBlindG in der hier anzuwendenden Fassung (aaO) sieht für blinde Menschen Blindengeld "zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen" vor. Im Fall der Klägerin ist jedoch fraglich, ob sich aus der bestehenden fortschreitenden Demenz derartige Mehraufwendungen ergeben können.
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Das BSG hat in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerwG wiederholt entschieden, dass die im Gesetz enthaltene Formulierung "zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen" keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung ist, sondern lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung umschreibt. Das Blindengeld wird ohne den Nachweis eines konkreten Bedarfs pauschal gezahlt, ohne dass der Anspruchsteller eine Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, ob und welche Aufwendungen er etwa zur Kontaktpflege, zur Teilnahme am kulturellen Leben oder Arbeitsleben im Einzelfall benötigt (vgl BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R - BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3, RdNr 30; BSG Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R - SozR 4-5921 Art 1 Nr 1 RdNr 10 und 11; BVerwG Urteil vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 286). Der Grund für die pauschale Leistung liegt darin, dass bei festgestellter Schädigung auf die Ermittlung des konkreten Mehrbedarfs sowie einer konkreten Ausgleichsfähigkeit verzichtet werden soll. Denn es lässt sich nicht verbindlich und abschließend berechnen, welcher "Mehraufwand" einem blinden Menschen bedingt durch sein Leiden im Einzelfall entstehen kann (BVerwG, aaO; BVerwG Urteil vom 5.7.1967 - V C 212.66 - BVerwGE 27, 270, 273). Auch hieran hält der Senat fest.
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Dennoch bleibt der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen ausdrücklich das erklärte Ziel der Regelung. Dies erschließt sich auch an anderer Stelle aus dem Gesetz. Realisiert sich die Gefahr, dass der Zweck des Blindengelds durch Doppelleistung verfehlt wird, sieht das Gesetz zur Vermeidung einer Überversorgung des blinden Menschen in Art 4 Abs 3 BayBlindG eine Anrechnung vor (vgl BayLT-Drucks 13/458 S 1 zu A). Danach werden Leistungen zum Ausgleich der in Art 1 BayBlindG genannten Mehraufwendungen nach sonstigen inländischen oder nach ausländischen Rechtsvorschriften auf das Bindengeld angerechnet. Der Zweck des Blindengelds wird aber auch dann verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst ent- bzw bestehen kann. Hieran anknüpfend führt der Senat seine Rechtsprechung fort und räumt der Versorgungsverwaltung den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung ein, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen (auch nicht anteilig) ausgeglichen werden kann. Dies wird am ehesten auf generalisierte Leiden zutreffen können (zB dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma).
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Das Gesetz geht in Art 1 Abs 1 BayBlindG ausdrücklich vom Vorliegen der Blindheit und von bestehenden Mehraufwendungen aus. Es setzt typisierend voraus, dass überhaupt ein "Mehraufwand" aufgrund der Blindheit bestehen kann. Mit dem Blindengeld soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden. Das BVerwG hat hierzu zur früheren Blindenhilfe nach § 67 Abs 1 BSHG bereits ausgeführt, dass Aufwendungen, die einem Blinden durch Kontaktpflege und Teilnahme am kulturellen Leben entstehen, nur einen Teil dessen ausmachen, was ein Blinder bedingt durch sein Leiden im Verhältnis zu einem Sehenden vermehrt aufwenden muss (so BVerwG Urteil vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 287). Das Blindengeld dient in erster Linie als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen (vgl BSG Urteil vom 5.12.2001 - B 7/1 SF 1/00 R - SozR 3-5922 § 1 Nr 1 S 4 - Juris RdNr 17; BVerwG Urteil vom 14.5.1969 - V C 167.67 - BVerwGE 32, 89, 91 f; Bayerisches LSG Urteil vom 9.1.2018 - L 15 BL 10/17 - ZFSH/SGB 2018, 214, 218 = Juris RdNr 69). Eine Eingliederung blinder Menschen in die Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn ein Ausgleich für die dauernden blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile erfolgt (vgl Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S 35), weil diese in der zunehmend visualisierten Umwelt besonderen Beeinträchtigungen unterliegen (vgl Braun, MedSach 3/2016, 134, 135 mwN). So geht der Bayerische Landesgesetzgeber nach wie vor davon aus, dass ua blinde Menschen einen außergewöhnlich großen Bedarf an Assistenzleistungen zur Kommunikation und an Unterstützungsleistungen zur Bewältigung des Alltags haben und dass finanzielle Ausgleichsleistungen die selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördern (vgl Bayerisches LSG, aaO; BayLT-Drucks 17/17055 S 1 zu A und 17/21510 S 1 zu A).
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Orientiert am vorgenannten Regelungszweck des Gesetzes ist es sachgerecht, im Fall eines objektiv nicht möglichen blindheitsbedingten Mehraufwands den Anwendungsbereich für die Blindengeldleistung einzuschränken. Steht fest, dass aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand im oben genannten Sinne speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht (zB dauerhafte Bewusstlosigkeit), dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Denn deren Zweck wird verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst ent- bzw bestehen kann.
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Für den vom Gericht überprüfbaren Einwand der Zweckverfehlung trägt die zuständige Behörde die Darlegungs- und Beweislast. Die in der Zielsetzung angelegte Differenzierung nach Anspruchsvoraussetzung und Einwand ist nach den obigen Ausführungen ebenfalls sachgerecht. Sie berücksichtigt das legitime Anliegen des Gesetzgebers nach Begrenzung des begünstigten Personenkreises, indem sie die Verwaltung zur näheren Bestimmung aller relevanten Krankheitsbilder in die Pflicht nimmt, welche blindheitsbedingte Aufwendungen ausschließen. Sie entlastet zugleich den blinden Menschen - wie bisher - von den rechtlichen Konsequenzen einer medizinisch nicht stets hinreichend sicher handhabbaren Diagnostik bei Störungen gerade des Sehapparats.
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Ob bei der Klägerin angesichts ihrer fortschreitenden Demenz noch ein blindheitsbedingter Mehrbedarf entstehen kann, hat das Berufungsgericht aus seiner Sicht zu Recht nicht festgestellt. Auch wenn ein solcher bei dem festgestellten Krankheitsbild der Klägerin kaum noch anzunehmen sein dürfte, so fehlen hierzu konkrete Feststellungen. Diese wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen und zu prüfen haben, ob aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes bei der Klägerin blindheitsbedingter Mehraufwand entstehen kann.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
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