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BSG 27.06.2017 - B 2 U 27/17 B
BSG 27.06.2017 - B 2 U 27/17 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - Zurückverweisung wegen Verfahrensfehlers gem § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iVm dem Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren und dem Grundsatz der Mündlichkeit - Nichtbescheidung eines Verlegungsantrag - Senatsvorsitzender)
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 200 S 1 SGG, § 227 Abs 1 ZPO, § 227 Abs 4 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Gelsenkirchen, 21. Oktober 2011, Az: S 7 U 77/11
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. September 2016, Az: L 17 U 729/11, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. September 2016 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Streitig sind die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 1102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (<BKV>, Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen) und der Ziffer 1302 BKV (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) sowie einer Wie-BK nach § 9 Abs 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Das SG Gelsenkirchen hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.10.2011).
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Im Berufungsverfahren hat der Senatsvorsitzende des LSG Termin zur mündlichen Verhandlung auf Mittwoch, den 14.9.2016, 10:00 Uhr bestimmt und das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet. Die Ladung ging diesem am 9.8.2016 zu. Bereits zuvor am 19.7.2016 hatte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem LSG angezeigt, dass sie das Mandat gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom selben Tag niedergelegt habe und eine Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung von ihrer Seite nicht erfolgen werde.
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Der Kläger beantragte am 22.8.2016, den anberaumten Termin im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand um sechs Monate zu verlegen. Dies lehnte der Vorsitzende des Senats am LSG mit Schreiben vom 24.8.2016 ab und hob gleichzeitig die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers auf.
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Daraufhin beantragte der Kläger am 8.9.2016 erneut, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.9.2016 aufzuheben, zugleich lehnte er den Vorsitzenden des Senats wegen "unfairer Verhandlungsführung" als befangen ab. Diesem Schreiben beigefügt war ein ärztliches Attest des Dr. A. K. M. vom 7.9.2016, in welchem dieser ausführt, dass aufgrund des sehr schlechten Gesundheitszustandes des Klägers er das LSG dringend bitte, den Verfahrenstermin am 14.9.2016 zu verschieben. Die Erkrankung werde es dem Kläger nicht ermöglichen, an dem Tag dem Verfahren beizuwohnen. Diesen Antrag beschied der Vorsitzende des Senats am LSG nicht mehr, nachdem das LSG am 12.9.2016 durch Beschluss den Befangenheitsantrag zurückgewiesen hatte. Das LSG hat vielmehr am 14.9.2016 in Abwesenheit des Klägers eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Durch Urteil vom selben Tag hat das LSG auf die mündliche Verhandlung hin die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen sowie die Revision nicht zugelassen. In den Urteilsgründen hat es ausgeführt, dass der Senat an einer Entscheidung nicht gehindert gewesen sei, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen sei. Dieser und seine damalige Bevollmächtigte seien bereits mit der Ladung am 9.8.2016 ordnungsgemäß darauf hingewiesen worden, dass auch in ihrer Abwesenheit mündlich verhandelt werden könne. Dem Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung um mindestens sechs Monate habe der Senat nicht entsprochen. Eine kurzfristige Mandatskündigung der Bevollmächtigten, die unter Umständen eine Vertagung erfordern würde, habe nicht vorgelegen, weil diese bereits sieben Wochen vor dem Termin stattgefunden habe. Diese Zeitspanne erachte der Senat als ausreichend, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, der sich in die Sache hätte einarbeiten können. Dass der Gesundheitszustand dem Kläger nicht erlaubt habe, seine Angelegenheiten zumindest durch Beauftragung anderer zu regeln, sei nicht belegt. Bei einer chronischen Erkrankung sei in der Regel Vorsorge für eine geeignete Vertretung zu treffen, zumal im Verfahren schon mehrfach gesundheitsbedingt eine mehrmonatige Fristverlängerung erbeten worden sei. Der Kläger, dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet gewesen sei, sei darauf hingewiesen worden, dass eine Vertretung zB auch durch seine Mutter, die bereits zuvor mehrfach in dem Verfahren für ihn aufgetreten sei, erfolgen könne. Die zulässige Berufung sei im Übrigen nicht begründet, weil die Anerkennungsvoraussetzungen der streitgegenständlichen BKen nicht vorlägen.
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Sein zweiter Verlegungsantrag sei verfahrensfehlerhaft abgelehnt worden. Er beruft sich dabei ua auf das Schreiben seines behandelnden Arztes vom 7.9.2016, der im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand um Vertagung des Verhandlungstermins gebeten habe.
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II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
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Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) iVm dem Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) und dem Grundsatz der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG) ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann. Ob diese zur Kennzeichnung des Verfahrensmangels überhaupt notwendig waren (s zuletzt BSG Beschluss vom 26.6.2014 - B 2 U 75/14 B - Juris RdNr 8; vgl BSG Beschluss vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7 mwN), kann daher offenbleiben.
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Die Entscheidung des LSG beruht auf einem Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, weil der am 8.9.2016 vom Kläger gestellte (zweite) Aufhebungs- und Verlegungsantrag nicht vom insoweit allein zuständigen Vorsitzenden beschieden worden ist.
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Das Gericht entscheidet nach § 124 Abs 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Dieser Mündlichkeitsgrundsatz räumt den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten das Recht ein, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Gerade die in Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention grundsätzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung bietet eine besondere Gewähr zur Wahrung des rechtlichen Gehörs. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung umfasst auch das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten oder auf Vertagung eines bereits begonnenen Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 S 1 SGG). Über einen Aufhebungs- oder Verlegungsantrag hat der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§ 227 Abs 4 ZPO iVm § 202 S 1 SGG). Kommt er dieser Verpflichtung bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung nicht nach, leidet das Verfahren wegen der Versagung rechtlichen Gehörs an einem wesentlichen Mangel (vgl Senatsbeschluss vom 13.11.2012 - B 2 U 269/12 B - Juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 3.7.2013 - B 12 R 38/12 B - Juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 25.2.2010 - B 11 AL 113/09 B - Juris RdNr 9). Das ist hier der Fall. Der Vorsitzende des Senats am LSG hätte vor der mündlichen Verhandlung am 14.9.2016 Gelegenheit gehabt, über den Verlegungsantrag des Klägers vom 8.9.2016 zu entscheiden. Dies hat er nicht getan. Deshalb hat der Senat von dem ihm gemäß § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und das Urteil des LSG durch Beschluss aufgehoben und die Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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