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BSG 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B
BSG 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungshöhe - Anhebung bei struktureller Überlastung der Justiz - Tatsachenfeststellung - Abschlag bei juristischen Personen - bindende Feststellungen bei Zurückverweisung - Divergenz - verdeckter Rechtssatz - Erforderlichkeit einer deduktiven Ableitung - besondere Darlegungsanforderungen
Normen
§ 198 Abs 2 S 3 GVG, § 198 Abs 2 S 4 GVG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 170 Abs 5 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Magdeburg, 8. Dezember 2006, Az: S 12 P 27/00, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 11. Mai 2010, Az: L 4 P 1/07, Urteil
vorgehend BVerfG, 14. Dezember 2010, Az: 1 BvR 404/10, Beschluss
vorgehend BSG, 8. September 2011, Az: B 3 P 4/10 R, Urteil
vorgehend BSG, 12. Februar 2015, Az: B 10 ÜG 1/13 R, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 26. April 2016, Az: L 10 SF 5/15 EK, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. April 2016 wird als unzulässig verworfen.
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Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Streitwert wird auf 4200 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Klägerin und das beklagte Land streiten um die Höhe der Entschädigung für die überlange Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens.
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Die Klägerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die ua ein Seniorenheim betreibt. Das von ihr angestrengte Streitverfahren um Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung höherer Investitionsaufwendungen dauerte vor SG und LSG von Mai 2000 bis Juli 2010. Wegen der Dauer dieses Verfahrens erhob die Klägerin anschließend Entschädigungsklage. Das LSG als Entschädigungsgericht verurteilte das beklagte Land, der Klägerin 2400 Euro Entschädigung für die unangemessene Verfahrensdauer zu zahlen und wies die Klage im Übrigen ab (Urteil vom 29.11.2012). Auf die Revision beider Beteiligten hat der erkennende Senat das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R).
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Im wieder eröffneten Berufungsverfahren hat das LSG den Beklagten antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin für jeden der von ihm festgestellten 35 Monate der Verzögerung eine Entschädigung von 120 Euro, insgesamt 4200 Euro, zu zahlen. Ausnahmsweise sei eine Entschädigung oberhalb des Regelbetrags des § 198 Abs 2 S 3 GVG angemessen. Die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit der Klägerin beruhe auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes, weshalb der resultierende Grundrechtsverstoß besonders schwer wiege (Urteil vom 26.4.2016).
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht geltend, das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behauptete grundsätzliche Bedeutung (1.) noch die angebliche Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
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1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
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Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
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An diesen Darlegungen fehlt es hier.
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Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,
unter welchen Voraussetzungen das Entschädigungsgericht eine strukturelle Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit einer (Landes-)Justizverwaltung annehmen darf und welche konkreten Feststellungen dafür zu treffen sind, um eine Erhöhung der gesetzlichen Entschädigungspauschale nach § 198 Abs 1 (gemeint: Abs 2) S 3 und 4 GVG zu rechtfertigen,
legt sie keine klärungsfähige Rechtsfrage dar. Rechtsfrage ist regelmäßig nur eine solche des materiellen oder des Verfahrensrechts, die mit Mitteln juristischer Methodik beantwortet werden kann. Kann dagegen über eine Frage Beweis erhoben werden, so handelt es sich typischerweise um eine Tatfrage, die das Revisionsgericht nicht beantworten kann (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, § 160 RdNr 25 mwN). Wie der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG unter anderem im vorliegenden Verfahren bereits geklärt hat, ist bei der Festsetzung des Entschädigungsbetrags nach § 198 Abs 2 S 3 und 4 GVG zu berücksichtigen, ob die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes beruht und der resultierende Grundrechtsverstoß deshalb besonders schwer wiegt (BSG Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - BSGE 118, 91 = SozR 4-1720 § 198 Nr 7). Diese rechtliche Erwägung macht aber den Geschäftsanfall und die Personalausstattung von Sozialgerichten sowie die sich daraus generell ergebenden Verfahrenslaufzeiten nicht zu auslegungsfähigen gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen des § 198 Abs 2 S 3 und 4 SGG. Ob die Gerichte eines Landes strukturell überlastet sind, ist keine mit den Mitteln juristischer Methodik zu klärende rechtliche, sondern eine tatsächliche Vorfrage, die sich als relevanter Umstand des Einzelfalls auf die Höhe der angemessenen Entschädigung iS von § 198 Abs 2 S 3 und 4 SGG auswirken kann. Diesen tatsächlichen Charakter der von ihr formulierten Frage zeigen auch die anschließenden Ausführungen der Beschwerde. Sie wirft dem LSG vor, es habe die strukturelle Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit des beklagten Landes lediglich aus Indizien gefolgert, ohne konkrete Feststellungen zu den geschlussfolgerten Ursachen zu treffen oder sich auch nur ansatzweise mit der konkreten Personal- oder Belastungssituation der Sozialgerichtsbarkeit oder der entscheidenden Spruchkörper auseinanderzusetzen. Im Kern wendet sie sich damit nicht gegen die Rechtsanwendung, sondern gegen die vorausliegende Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, § 160 RdNr 58 mwN).
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Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,
ob im Rahmen der Bestimmung der Entschädigungshöhe nach § 198 Abs 2 S 3 und 4 GVG von der gesetzlichen Entschädigungspauschale ein Abschlag vorzunehmen ist, wenn es sich bei dem Anspruchsberechtigten um eine juristische Person handelt und wenn ja, in welcher Höhe grundsätzlich der Abschlag vorzunehmen ist,
hat sie schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt, warum die Frage im vorliegenden Verfahren klärungsfähig und -bedürftig sein sollte. Wie der Senat in seiner zurückverweisenden Entscheidung ausgeführt hat (RdNr 42), begegnet es im vorliegenden Fall insoweit im rechtlichen Ausgangspunkt keinen revisionsrechtlichen Bedenken, von dem in § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgesehenen Betrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung des Verfahrens weder nach oben noch nach unten abzuweichen. Die Beschwerde legt nicht hinreichend substantiiert dar, warum sich trotz dieser nach § 170 Abs 5 SGG bindenden Aussage des Senats in diesem Verfahren gleichwohl noch die Frage nach einem bei juristischen Personen grundsätzlich vorzunehmenden Abschlag stellen sollte. Ob das LSG mit seinem Satz, es unterstelle zugunsten des Beklagten, dass bei einer GmbH regelmäßig eine geringere Entschädigung angemessen sei, gleichwohl im Regelfall eine Absenkung des Regelbetrags für richtig hält, kann dahinstehen. Im konkreten Fall hat das LSG den Regelbetrag - auch nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung - jedenfalls nicht abgesenkt, sondern wegen der von ihm - für den Senat nach § 163 SGG bindenden - Feststellung einer strukturellen Überlastung der Sozialgerichte des beklagten Landes im Ergebnis erhöht.
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2. Ebenso wenig hat die Beschwerde die Voraussetzungen einer Divergenz hinreichend substantiiert dargetan.
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Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
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Insoweit hat die Beschwerde bereits nicht hinreichend substantiiert einen abweichenden Rechtssatz des LSG dargelegt. Die Beschwerde meint, ein solcher abweichender Rechtssatz liege in der Bestimmung der Verfahrensdauer durch das LSG mit der Zeitspanne von Klageerhebung am 8.5.2000 bis zur Zustellung des LSG Urteils am 12.7.2010. Einen ausdrücklichen Rechtssatz des LSG hat die Beschwerde damit aber nicht dargelegt. Soweit sie einen konkludent, dh verdeckt aufgestellten Rechtssatz behaupten wollte, hätte sie darlegen müssen, dass dieser Rechtssatz sich nicht erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis herleiten lässt, sondern dass dieses Ergebnis deduktiv aus dem Rechtssatz folgt, der in der Entscheidung zweifellos enthalten ist (vgl BSG Beschluss vom 19.12.2011 - B 12 KR 42/11 B - Juris; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Diese Darlegung enthält die Beschwerde nicht. Unabhängig davon ist das LSG mit einer Bestimmung der Verfahrensdauer exakt den Vorgaben des Senats in seinem zurückverweisenden Urteil gefolgt (BSG Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 7). Warum das LSG damit gleichwohl von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sein sollte, legt die Beschwerde nicht dar.
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Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
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4. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 52 Abs 3 S 1, § 47 Abs 1 S 2, Abs 3 GKG.
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