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BSG 14.04.2010 - B 8 SO 22/09 B
BSG 14.04.2010 - B 8 SO 22/09 B - (Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des § 153 Abs 4 SGG)
Normen
§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, Art 6 Abs 1 MRK
Vorinstanz
vorgehend SG Darmstadt, 29. Februar 2008, Az: S 17 SO 20/05, Urteil
vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 18. Mai 2009, Az: L 9 SO 57/08, Beschluss
Tatbestand
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Im Streit sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe.
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Den am 7.1.2004 gestellten Antrag des Klägers, Mietrückstände zu übernehmen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19.1.2004; Widerspruchsbescheid vom 14.2.2005). Die hiergegen erhobene Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Mietrückstände betreffend die Wohnung in der K. Straße in Darmstadt für den Zeitraum vom 1.1.2001 bis 29.2.2004 in Höhe von 6.581,78 Euro und Gerichtskosten in Höhe von 651,65 Euro zu übernehmen, wies das Sozialgericht (SG) Darmstadt ab (Urteil vom 29.2.2008). In dem sich anschließenden Berufungsverfahren hat der Kläger seine Klage "auf alle VA bzw Bescheide, die vor dem 30. Juni 2003 ergangen sind", erweitert und "eine Kostenerstattung von 4.000 Euro für einen Umzug; und noch einmal 5.000 Euro für einen weiteren Umzug" sowie einen "60-prozentigen Zuschlag, den zwei alleinerziehende Erwachsene erhalten", beantragt. Des weiteren hat er beantragt festzustellen, welcher Anteil seines damaligen Einkommens von 986,73 Euro für den Regelbedarf und welcher Anteil als Kosten für die Unterkunft hätte verwendet werden müssen.
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Dem Hinweis des Hessischen Landessozialgerichts (LSG), dass die Möglichkeit bestehe, nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (Verfügung vom 13.2.2009), hat der Kläger mit einem am 5.3.2009 eingegangenen Schreiben ausdrücklich widersprochen. Das LSG hat (dennoch) die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen und hinsichtlich der Übernahme von Mietschulden auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen. Hinsichtlich der übrigen Berufungsanträge sei die Berufung unzulässig. Diese Anträge seien weder Gegenstand des Verwaltungsverfahrens noch des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens gewesen. Es handele sich insoweit um eine unzulässige Klageänderung gemäß § 153 Abs 1 in Verbindung mit § 99 Abs 1 und 2 SGG. Weder habe die Beklagte in die Klageänderung eingewilligt, noch sei diese sachdienlich.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger einen Verfahrensfehler. Er habe mit Schriftsatz vom 18.4.2009 eine Klageerweiterung vorgenommen. Das LSG habe deshalb unter Beachtung des Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren und unter Beachtung von Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG entscheiden dürfen, sondern über die neu gestellten Anträge mündlich verhandeln müssen, um ihm insoweit rechtliches Gehör zu verschaffen und die Sache im Rahmen der Amtsermittlungspflicht mit ihm zu erörtern.
Entscheidungsgründe
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Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 in Verbindung mit § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Der Kläger macht mit seiner Beschwerde zunächst geltend, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein, weil das LSG ermessensfehlerhaft durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden habe.
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Die Möglichkeit, nach § 153 Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, ist zwar unter Beachtung des nach Art 6 Abs 1 EMRK anerkannten Rechts auf (mindestens) eine mündlichen Verhandlung eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden. Wenn allerdings - wie hier - erstinstanzlich schon eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist, muss ein Beschwerdeführer zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Verfahrensmangels konkret darlegen, weshalb auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG eine erneute mündliche Verhandlung vor dem LSG zwingend durchzuführen ist. Hierfür genügt es nicht, allein auf die vorgenommene Klageerweiterung zu verweisen. Zwar kann das LSG verpflichtet sein, eine erneute mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn das Berufungsgericht über einen Anspruch erstmals entscheiden muss, zB weil sich der Streitgegenstand durch Klageänderung (§ 99 SGG) wesentlich verändert hat und sich das Berufungsgericht deshalb erstmals in der Berufungsinstanz mit neuen Rechts- und Tatsachenfragen konfrontiert sieht, weil den Beteiligten anderenfalls (ohne eine erneute mündliche Verhandlung) die Möglichkeit genommen würde, ihren Standpunkt zum geänderten oder erweiterten Streitgegenstand in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vorzutragen (vgl BVerwG Buchholz 401.9 Beiträge Nr 40). Das LSG hat aber gerade nicht über die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachten Ansprüche in der Sache entschieden, sondern die Berufung mangels zulässiger Klageerweiterung als unzulässig verworfen. Der Kläger hätte deshalb zur Bezeichnung des Verfahrensmangels darlegen müssen, weshalb das LSG auch unter Berücksichtigung dieser besonderen Konstellation verpflichtet gewesen wäre, erneut mündlich zu verhandeln. Hierzu wäre insbesondere erforderlich gewesen, die Voraussetzungen für eine zulässige Klageänderung aufzuzeigen, diese auf den konkreten Einzelfall zu übertragen und sich mit der vom LSG hierzu vertretenen Rechtsauffassung auseinanderzusetzen.
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Der behauptete Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann, ist bzgl des Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ebenfalls nicht substantiiert dargelegt. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG muss - außer bei absoluten Revisionsgründen, um die es sich vorliegend nicht handelt - die Möglichkeit bestehen, dass das LSG ohne den behaupteten Verfahrensmangel zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte gelangen können. Hierzu hätte der Kläger zumindest vortragen müssen, welche korrigierten Anträge gestellt bzw wie sie formuliert worden wären, wenn das LSG in einer mündlichen Verhandlung bei entsprechender Erörterung der Sach- und Rechtslage auf eine sachdienliche Antragstellung hingewirkt hätte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des erst vor dem LSG geäußerten umfassenden Begehrens, das den Eindruck rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erwecken könnte, weil das LSG nach der Vorstellung des Klägers alle bisherigen Entscheidungen überprüfen sollte. Ob der Kläger ausreichend dargetan hat, dass das LSG das rechtliche Gehör verletzt hat oder unfair verfahren ist, ist damit nicht entscheidungserheblich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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