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BVerfG 11.04.2018 - 2 BvR 328/18
BVerfG 11.04.2018 - 2 BvR 328/18 - Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Unterlassen einer Anhörung der Betroffenen in einem Unterbringungsverfahren gem § 322 FamFG iVm § 283 Abs 3 S 2 FamFG
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 283 Abs 3 S 2 FamFG, § 322 FamFG
Vorinstanz
vorgehend AG Soltau, 20. Februar 2018, Az: 6 XVII L 405, Beschluss
nachgehend BVerfG, 19. Dezember 2018, Az: 2 BvR 328/18, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
Tenor
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Der Beschluss des Amtsgerichts Soltau vom 20. Februar 2018 - 6 XVII L 405 - verletzt die Betroffene in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes.
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Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe
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Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die im fachgerichtlichen Verfahren bestellte Verfahrenspflegerin gegen die betreuungsgerichtliche Anordnung, die Betroffene - wenn nötig unter Gewaltanwendung - zur Vorbereitung der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Unterbringungsbedürftigkeit in Räumlichkeiten des Gerichts untersuchen zu lassen.
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I.
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1. Die Beschwerdeführerin ist die gerichtlich bestellte Verfahrenspflegerin der unter Betreuung stehenden Betroffenen. Die Betroffene wurde zwischen 2016 und 2018 mehrfach begutachtet.
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2. Mit Beschluss vom 8. Februar 2018 ordnete das Amtsgericht Soltau im Betreuungsverfahren an, dass nach persönlicher Untersuchung oder Befragung der Betroffenen ein Sachverständigengutachten zu Fragen der Unterbringungsbedürftigkeit zu erstellen sei, und bestellte für die Erstattung des Gutachtens eine Sachverständige. Als Termin für die Untersuchung der Betroffenen zur Vorbereitung der Gutachtenerstellung wurde der 21. Februar 2018, 09:30 Uhr, bestimmt. Weiter ordnete das Gericht an, dass die Untersuchung im Haus der Betroffenen stattfinden solle und die Betroffene gegebenenfalls durch die zuständige Betreuungsstelle dorthin vorzuführen sei, um die Untersuchung zu ermöglichen. Bei Widerstand der Betroffenen werde die Betreuungsbehörde ermächtigt, deren Wohnung ohne ihre Einwilligung zu betreten und sich gewaltsamen Zugang zu verschaffen.
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3. Am 13. Februar 2018 telefonierte die zuständige Betreuungsrichterin mit der Betroffenen. In diesem Gespräch äußerte die Betroffene, dass sie das Schreiben des Gerichts erhalten habe, den Termin aber nicht wolle. Sie sei nicht krank und werde fremden Personen die Tür nicht öffnen.
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4. Mit Beschluss vom 15. Februar 2018 - 2 BvR 253/18 - setzte die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts auf Antrag der Beschwerdeführerin den Beschluss des Amtsgerichts Soltau vom 8. Februar 2018 bis zur Entscheidung über die Hauptsache einstweilen aus.
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5. Mit Beschluss vom 20. Februar 2018 ordnete das Amtsgericht Soltau erneut an, dass nach persönlicher Untersuchung oder Befragung der Betroffenen ein Sachverständigengutachten zu Fragen der Unterbringungsbedürftigkeit zu erstellen sei. Als Termin für die Untersuchung wurde wiederum der 21. Februar 2018, 10:00 Uhr, bestimmt. Weiter wurde angeordnet, dass die Begutachtung in Räumlichkeiten des Gerichts stattfinden solle und die Betroffene gegebenenfalls durch die zuständige Betreuungsstelle dorthin vorzuführen sei. Bei Widerstand der Betroffenen werde die Betreuungsbehörde ermächtigt, deren Wohnung ohne ihre Einwilligung zu betreten und sich gewaltsamen Zugang zu verschaffen. Unmittelbar im Anschluss an die Untersuchung und Begutachtung solle die Anhörung der Betroffenen durch das Gericht stattfinden.
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II.
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Auf den mit der Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 2. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluss vom 20. Februar 2018 den angegriffenen Beschluss bis zur Entscheidung über die Hauptsache einstweilen ausgesetzt.
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III.
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1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin, die das Verfahren als Verfahrenspflegerin der Betroffenen in eigenem Namen führt, eine Verletzung der Grundrechte der Betroffenen aus Art. 103 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Die Anordnung verstoße gegen das Recht auf rechtliches Gehör. Der Beschluss vom 20. Februar 2018 sei der Beschwerdeführerin erst an diesem Tag per Fax um 12:42 Uhr zugegangen. Sie selbst habe die Betroffene nicht mehr über den Termin am Morgen des nächsten Tages unterrichten können. Auch das Gericht werde die Betroffene nicht über den Termin informiert haben. Der angegriffene Beschluss sei zudem willkürlich, weil er auf sachfremden Erwägungen beruhe. Es lägen bereits drei Gutachten und eine gutachterliche Stellungnahme sowie ein Ergänzungsgutachten vor. Für eine weitere Untersuchung, noch dazu unter Androhung von Zwangsmaßnahmen, sei kein Raum.
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2. Dem Justizministerium des Landes Niedersachsen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
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3. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
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IV.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Dies ist zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts der Betroffenen aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden worden. Demnach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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a) Die Beschwerdeführerin ist bereits aufgrund ihrer einfachrechtlichen Bestellung als Verfahrenspflegerin befugt, Verfassungsbeschwerde einzulegen und mit dieser - ausnahmsweise - Rechte der Betroffenen in eigenem Namen wahrzunehmen (vgl. nur BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2018 - 2 BvR 253/18 -, juris, Rn. 10 ff.).
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b) Der Rechtsweg ist erschöpft. Die gerichtliche Anordnung, die Betroffene - wenn nötig - gegen ihren Willen in Räumlichkeiten des Gerichts durch die Sachverständige untersuchen zu lassen, ist eine nicht instanzabschließende Zwischenentscheidung und als solche gemäß § 58 Abs. 1 FamFG nicht selbstständig anfechtbar (vgl. Budde, in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 283 Rn. 7).
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2. Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Februar 2018 verletzt die Betroffene in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
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a) Der im Grundgesetz verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 74, 220 224>). Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Worte kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 9, 89 96>; 55, 1 5 f.>; 57, 250 275>; 84, 188 189 f.>; 86, 133 144>; 89, 28 35>; 107, 395 410>). Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt so auch vor Überraschungsentscheidungen (vgl. BVerfGE 107, 395 410>). Da die Unterbringung einen erheblichen Grundrechtseingriff bedeutet, der nur zulässig ist, wenn der Betroffene seinen Willen nicht frei bestimmen kann und infolgedessen sich oder andere gefährdet, kommt in einem Unterbringungsverfahren dem Recht des Betroffenen, auf die Sachverhaltsermittlung und Entscheidungsfindung des zuständigen Betreuungsgerichts in Anhörungen und Stellungnahmen einwirken zu können, besondere Bedeutung zu (vgl. in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. Januar 2011 - 1 BvR 2539/10 -, juris, Rn. 26).
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Dem trägt das einfache Recht in § 322 in Verbindung mit § 283 Abs. 3 Satz 2 FamFG durch eine grundsätzlich zwingende Anhörung vor einer Vorführungsanordnung im Unterbringungsverfahren Rechnung (vgl. BTDrucks 17/10490, S. 21; Kretz, in: Jürgens, Betreuungsrecht, 5. Aufl. 2014, § 283 FamFG Rn. 4; Bučić, in: Jurgeleit, Betreuungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 283 FamFG Rn. 16; Beermann, in: Horndasch/Viefhues, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 283 Rn. 8). Diese Anhörung schützt den Betroffenen daher auch vor einer überraschenden zwangsweisen Vorführung (Budde, in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 283 Rn. 5).
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b) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Maßstäbe hält der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Betreuungsgericht hatte zwar am 13. Februar 2018 Kontakt zu der Betroffenen. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine Anhörung im Hinblick auf den angegriffenen Beschluss. Nachdem die 2. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluss vom 15. Februar 2018 den Beschluss des Amtsgerichts Soltau vom 8. Februar 2018 bis zur Entscheidung über die Hauptsache einstweilen ausgesetzt hatte, musste die Betroffene zudem nicht damit rechnen, dass die Untersuchung, wenn auch nicht in ihrer Wohnung, sondern in Räumlichkeiten des Gerichts, zu dem im ausgesetzten Beschluss avisierten Zeitpunkt auf der Grundlage eines neuen Beschlusses doch stattfinden werde.
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3. Im Hinblick auf die Erledigung des Beschlusses durch Zeitablauf bleibt für die Aufhebung der amtsgerichtlichen Anordnung kein Raum. Die Entscheidung beschränkt sich deshalb auf die Feststellung einer Verletzung des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 42, 212 222>).
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4. Ob die angegriffene Entscheidung darüber hinaus weitere Grundrechte der Betroffenen verletzt, kann dahinstehen, weil bereits die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zur Feststellung eines Verfassungsverstoßes führt (vgl. BVerfGE 128, 226 268>).
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V.
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Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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