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BVerfG 06.10.2015 - 2 BvR 2945/14
BVerfG 06.10.2015 - 2 BvR 2945/14 - Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 20. November 2014, Az: 6 A 1349/13, Beschluss
vorgehend VG Gelsenkirchen, 23. April 2013, Az: 1 K 1195/12, Urteil
Tenor
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Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. November 2014 - 6 A 1349/13 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 23. April 2013 - 1 K 1195/12 - und der Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 25. Januar 2012 - 47.7.02.2045 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts und das Urteil des Verwaltungsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 60.000 € (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund einer Höchstaltersgrenze. Sie ist angestellte Lehrerin im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen und begehrt die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl sie das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung bereits überschritten hat.
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1. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in Nordrhein-Westfalen, sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (§ 57 Abs. 4 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 2015 <GVBl S. 499>). Sie können auch als Tarifbeschäftigte nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) angestellt werden (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23. April 2007 - BASS 21-01 Nr. 11). Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe richtet sich unter anderem nach den Vorschriften der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Laufbahnverordnung - LVO).
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2. Die im Jahr 1964 geborene Beschwerdeführerin studierte nach Erlangung der Hochschulreife 1983 ab dem Jahr 1984 zunächst Psychologie und Wirtschaftswissenschaften. Im Jahr 1985 nahm sie das Studium des Kommunikationsdesigns auf, welches sie mit dem Erwerb des Diploms im Oktober 1994 abschloss. Von 1995 bis 2003 war sie als Kommunikationsdesignerin unter anderem in einer Werbeagentur tätig, wo sie auch für die Schulung der Auszubildenden verantwortlich war. Im September 2004 ließ die Beschwerdeführerin ihr Diplom als Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Berufskollegs in den Fächern Gestaltungstechnik und Kunst anerkennen. Von 2005 bis 2007 leistete sie den berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst und war in dieser Zeit zugleich als vollzeitbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Nach Bestehen der besonderen Prüfungen in Erziehungswissenschaften im September 2005 erwarb sie im Februar 2007 mit Bestehen der Zweiten Staatsprüfung die Lehrbefähigung zum Lehramt an Berufskollegs in den Fächern Gestaltungstechnik und Kunst. Bereits zuvor war ihr befristetes Beschäftigungsverhältnis mit Wirkung vom 1. Februar 2007 in ein unbefristetes Angestelltenverhältnis umgewandelt worden.
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3. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 - (BVerwGE 133, 143) die Einstellungshöchstaltersgrenzen der Laufbahnverordnung vom 23. November 1995 (GVBl 1996 S. 1) in der Fassung des Gesetzes vom 3. Mai 2005 (GVBl S. 498) für unwirksam. Da Einstellungshöchstaltersgrenzen im Beamtenrecht den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände selbst treffen.
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4. Aufgrund von § 5 Abs. 1 Landesbeamtengesetz (LBG) in der Fassung vom 21. April 2009 (GVBl S. 224) beschloss die Landesregierung mit Wirkung zum 18. Juli 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften (GVBl S. 381) eine teilweise Neuregelung der Laufbahnverordnung (im Folgenden LVO 2009). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich normierte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu.
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5. Bezugnehmend auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 (BVerwGE 133, 143) beantragte die Beschwerdeführerin im Mai 2009 die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Bezirksregierung Düsseldorf lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25. Januar 2012 auf Grundlage der Neuregelung der Laufbahnverordnung ab.
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6. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit Urteil vom 23. April 2013 ab. Die Beschwerdeführerin habe im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze überschritten. Die entsprechenden Vorschriften der Laufbahnverordnung seien nach Maßgabe des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2012 (BVerwGE 142, 59) wirksam und auch mit dem Unionsrecht vereinbar. Ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe bestehe daher nicht.
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7. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. November 2014 zurück. Die Beschwerdeführerin habe ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargelegt. Die Wirksamkeit der Neuregelung der Laufbahnverordnung sei auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht benannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Urteils vom 19. Februar 2009 (BVerwGE 133, 143) anzunehmen. Ihrem Begehren auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe stehe daher eine geltende Einstellungshöchstaltersgrenze entgegen. Auch habe sie die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den fehlenden Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO 2009 nicht durchgreifend in Frage stellen können.
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II.
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1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sowie den Bescheid der Bezirksregierung, mittelbar auch gegen § 6 und § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Art. 33 Abs. 2 und 4, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG sowie die Verletzung von Unionsrecht. Zur Begründung vertieft sie ihren Vortrag aus dem fachgerichtlichen Verfahren und beruft sich im Wesentlichen darauf, dass auch die Neuregelung der Altersgrenzen in der Laufbahnverordnung nicht mit den Anforderungen des Leistungsgrundsatzes gemäß Art. 33 Abs. 2 GG zu vereinbaren sei. Diese verletze darüber hinaus auch Art. 33 Abs. 4 GG, da das Land die Verbeamtung aus rein fiskalischen Gründen in der vorgenommenen Weise einschränke. Das Einstellungshöchstalter stelle zudem eine nicht gerechtfertigte Altersdiskriminierung nach der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 (ABl. L 303 vom 2. Dezember 2000, S. 16 ff.) und damit zugleich eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG dar.
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2. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Nordrhein-Westfalen unter Hinweis auf die Entscheidung in den Senatsverfahren 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 zugestellt. Eine über die vorgenannten Verfahren hinausgehende weitere Stellungnahme ist nicht erfolgt. Die Gerichtsakten der Vorinstanzen haben der Kammer vorgelegen.
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III.
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1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das Bundesverfassungsgericht bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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2. Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte der Beschwerdeführerin ein. Da das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - festgestellt hat, dass die durch die Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBG festgelegten Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, fehlt es auch für den ablehnenden Bescheid gegenüber der Beschwerdeführerin an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen der § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009, nach denen die Einstellung aufgrund des erreichten Lebensalters verweigert werden kann, verstoßen insoweit gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die auf diesen Vorschriften beruhenden gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verletzen daher die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.
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3. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen aufzuheben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, weil zu erwarten ist, dass der Verwaltungsrechtsstreit dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht werden kann. Bei einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht müsste dieses, bevor es zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag der Beschwerdeführerin befinden, die Berufung gemäß §§ 124 ff. VwGO zuzulassen (vgl. BVerfGE 104, 337 356>).
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4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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5. Grundlage der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 366 ff.>). Die Erhöhung des Gegenstandswertes gegenüber den Festsetzungen der Instanzgerichte ergibt sich aus der objektiven Bedeutung der Verfahren im Hinblick auf die Regelungen beamtenrechtlicher Einstellungshöchstaltersgrenzen.
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