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BFH 21.04.2023 - VIII B 144/22
BFH 21.04.2023 - VIII B 144/22 - Anforderungen an einen krankheitsbedingten Terminverlegungsantrag
Normen
§ 227 Abs 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 155 FGO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 25. Oktober 2022, Az: 8 K 761/22, Urteil
Leitsatz
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NV: Das FG verletzt den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in verfahrensfehlerhafter Weise, wenn es den Kläger bei einem nicht in letzter Minute wegen einer Erkrankung gestellten Antrag auf Terminverlegung nicht zur Ergänzung seines Vortrags oder zur weiteren Glaubhaftmachung seiner Erkrankung auffordert, die mündliche Verhandlung durchführt und eine verfahrensabschließende Entscheidung trifft.
Tenor
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Auf die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 25.10.2022 - 8 K 761/22 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Gründe
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Die Beschwerde ist begründet.
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Das Finanzgericht (FG) hat den Anspruch der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es trotz des gestellten Terminverlegungsantrags am 25.10.2022 die mündliche Verhandlung durchgeführt und eine verfahrensabschließende Entscheidung getroffen hat. Hierin liegt ein Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem das Urteil des FG beruhen kann. Der Senat hält es für sachgerecht, das Urteil des FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Streitfall zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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1. Das FG hat den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es mündlich verhandelt und in der Sache entschieden hat, obwohl der Kläger gemäß § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Verlegung des Termins beantragt und unter Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geltend gemacht hatte, er könne an der mündlichen Verhandlung wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen.
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a) Einem Verfahrensbeteiligten wird das rechtliche Gehör zu Unrecht versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl der Beteiligte einen Antrag auf Terminverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend und glaubhaft gemacht hat (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO). Zu diesen erheblichen Gründen gehört auch die krankheitsbedingte Verhinderung eines sich selbst vertretenden Klägers, der zugleich als Prozessbevollmächtigter für einen weiteren Beteiligten auftritt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 06.12.2011 - XI B 64/11, BFH/NV 2012, 747, Rz 11; vom 04.11.2019 - X B 70/19, BFH/NV 2020, 226, Rz 9; vom 15.02.2013 - IX B 178/12, BFH/NV 2013, 762, Rz 2 bis 4 zu Ehegatten).
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b) Für einen am Vortag des Termintages --vor Dienstschluss-- gestellten Antrag auf Terminverlegung ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, bei der Antragstellung grundsätzlich keine erhöhten Anforderungen an die Glaubhaftmachung zu stellen sind. Das FG hat zur Glaubhaftmachung aufzufordern (§ 227 Abs. 2 ZPO). Der Antragsteller trägt bei einem am Vortag des Sitzungstermins gestellten Antrag allerdings das Risiko, dass die näheren Umstände der Erkrankung dem FG bis zur mündlichen Verhandlung nicht bekannt werden und nicht berücksichtigt werden können, wenn er für eine Aufforderung des FG zur Glaubhaftmachung der Erkrankung nicht erreichbar ist (BFH-Beschluss vom 21.04.2020 - X B 13/20, BFH/NV 2020, 900, Rz 17 bis 19, 22 ff.).
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c) Strengere Anforderungen gelten, wenn ein Terminverlegungsantrag "in letzter Minute" gestellt wird und dem Gericht keine Zeit bleibt, den Antragsteller oder dessen Prozessbevollmächtigten zur Glaubhaftmachung aufzufordern. In diesem Fall müssen die Beteiligten von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann. In derartig eiligen Fällen ist daher entweder die Vorlage eines ärztlichen Attests erforderlich, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit der erkrankten Person ergeben muss; ersatzweise muss der Beteiligte die Erkrankung so genau schildern und glaubhaft machen, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob sie so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2020, 226, Rz 10; in BFH/NV 2020, 900, Rz 13, 14, 17, 18; vom 28.05.2021 - VIII B 103/20, BFH/NV 2021, 1361, Rz 4 bis 6, und vom 22.03.2022 - VIII B 49/21, BFH/NV 2022, 608, Rz 5).
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d) Nach diesen Vorgaben handelte es sich bei dem am Vortag der mündlichen Verhandlung (Montag, 24.10.2022) während der Dienstzeit um 12:49 Uhr per Telefax eingegangenen Antrag auf Terminverlegung nicht um einen kurzfristig gestellten Antrag, bei dem die Erkrankung bereits mit der Antragstellung glaubhaft zu machen gewesen wäre. Das FG hätte den Kläger gemäß § 227 Abs. 2 ZPO zur Ergänzung seines Vortrags und ggf. Glaubhaftmachung der Erkrankung auffordern müssen, wenn es aufgrund der ärztlichen Bescheinigung über eine "Arbeitsunfähigkeit" des Klägers Zweifel an seiner Verhandlungsunfähigkeit hatte. Ohne eine Aufforderung der Kläger zur Ergänzung des Vortrags oder zur Glaubhaftmachung durfte das FG in der mündlichen Verhandlung am 25.10.2022 nicht davon ausgehen, dass ein erheblicher Grund für die Terminverlegung nicht vorlag oder nicht glaubhaft gemacht worden war. Mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Streitfalls hat das FG somit den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Auf diesem Verfahrensfehler beruht die Vorentscheidung. Wenn eine mündliche Verhandlung trotz des Terminverlegungsantrags eines Beteiligten, dem das FG hätte nachkommen müssen, verfahrensfehlerhaft durchgeführt wird, betrifft dieser Mangel das Gesamtergebnis des Verfahrens (BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 900, Rz 29, 30).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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