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BFH 15.01.2019 - VII R 23/17
BFH 15.01.2019 - VII R 23/17 - (Insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot bei Erstattung der Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG)
Normen
§ 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 103 Abs 2 InsO, § 16 Abs 1 Nr 2 GrEStG 1997
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 26. April 2017, Az: 1 K 1596/15, Urteil
Leitsatz
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Der Anspruch auf Erstattung der Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG für einen vor Insolvenzeröffnung geschlossenen Kaufvertrag entsteht im Fall der Ablehnung der Erfüllung gemäß § 103 Abs. 2 InsO erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO .
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 26. April 2017 1 K 1596/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb mit Bauträgervertrag vom 28. Dezember 2005 für 1.140.000 € Miteigentumsanteile an vier noch fertigzustellenden Doppelhaushälften in A. Da sie nach dem Kaufvertrag die Grunderwerbsteuer zu tragen hatte, setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) mit Bescheid vom 28. Februar 2006 Grunderwerbsteuer in Höhe von 39.900 € gegen die Klägerin fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig und die Klägerin zahlte die festgesetzte Grunderwerbsteuer.
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Im März 2012 eröffnete das Amtsgericht über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren und ordnete Eigenverwaltung an. Mit Schreiben vom 1. März 2013 erklärte die Klägerin gegenüber der Verkäuferin die Nichterfüllung des Bauträgervertrags vom 28. Dezember 2005 gemäß § 103 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO). Mit Schreiben vom 2. April 2013 bat die Klägerin das FA um Erstattung der Grunderwerbsteuer.
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Mit Bescheid vom 3. Februar 2015 hob das FA den Grunderwerbsteuerbescheid vom 28. Februar 2006 "wegen Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 2" des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) auf und erklärte die Aufrechnung mit Steuerschulden der Klägerin wegen Lohnsteuer für die Monate Dezember 2009 bis April 2010. Den Einspruch der Klägerin vom 18. März 2015 wertete das FA als Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids und stellte mit Bescheid vom 13. April 2015 fest, dass das Guthaben aus der Grunderwerbsteuer durch Aufrechnung erloschen sei.
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Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Aufrechnung sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig, da das FA das von ihm verrechnete Grunderwerbsteuerguthaben erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 187 veröffentlicht.
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Mit seiner Revision trägt das FA vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 17. April 2007 VII R 27/06 (BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589) entschieden, dass das FA die Erstattung von Grunderwerbsteuer gegen Insolvenzforderungen verrechnen könne, wenn der Verkäufer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das ihm vorbehaltene Recht zum Rücktritt von einem vor Verfahrenseröffnung geschlossenen Kaufvertrag ausübe. An dieser Rechtsprechung sei festzuhalten. Die geänderte Rechtsprechung des BFH zu § 17 Abs. 2 bzw. § 14c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) lasse sich wegen der besonderen Ausgestaltung des GrEStG nicht auf den vorliegenden Streitfall übertragen. Die Grunderwerbsteuer sei im Unterschied zur Umsatzsteuer eine aperiodisch entstehende und festzusetzende Verkehrsteuer. Zwar wirke die Aufhebung einer Grunderwerbsteuerfestsetzung gemäß § 16 GrEStG --ebenso wie die Änderung der Steuerschuld gemäß § 17 UStG-- nicht auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Steuerentstehung zurück; jedoch sehe § 16 GrEStG die Beseitigung der Grunderwerbsteuerfestsetzung vor, während § 17 Abs. 1 UStG die Änderung der Steuerschuld für den Besteuerungszeitraum vorschreibe, in dem die Änderung eintrete, und somit keinen Bezug zum Besteuerungszeitraum der ursprünglichen Steuerfestsetzung herstelle. Auch werde durch das BFH-Urteil vom 18. August 2015 VII R 29/14 (BFH/NV 2016, 87) und ebenso durch den BFH-Beschluss vom 21. März 2014 VII B 214/12 (BFH/NV 2014, 1088) bestätigt, dass der Zeitpunkt der Antragstellung --im Streitfall der auf Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung gerichtete Antrag-- für die insolvenzrechtliche Entstehung des Erstattungsanspruchs unerheblich sei.
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Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Die Klägerin erwidert, es treffe zwar zu, dass das BFH-Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 29/11 (BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36) zur Umsatzsteuer ergangen sei; es müsse aber gleichermaßen auch für die Grunderwerbsteuer gelten, denn letztlich seien die gesetzlichen Regelungen des § 17 UStG und des § 16 GrEStG in ihren Aussagen deckungsgleich: Würden die ursprünglichen Vertragsbedingungen nicht erfüllt, seien die zunächst erstellten Voranmeldungen bzw. der zunächst erlassene Bescheid zu korrigieren. Ebenso habe auch der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass eine Forderung im Insolvenzverfahren nur dann aufrechenbar sei, wenn sie vor der Verfahrenseröffnung in ihrem rechtlichen Kern so gesichert sei, dass es einer weiteren Rechtshandlung des Anspruchsinhabers nicht bedürfe (BGH-Urteil vom 3. März 2016 IX ZR 132/15, BGHZ 209, 179, Neue Juristische Wochenschrift 2016, 2118). Es liege auf der Hand, dass im Fall der Ausübung des Wahlrechts nach § 103 InsO aus Sicht dieser Entscheidung eine Aufrechnung nicht möglich sei; denn die Grunderwerbsteuerforderung entstehe erst, nachdem der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht --also eine Rechtshandlung-- ausgeübt habe. Zudem sei das BFH-Urteil aus dem Jahr 2007 (in BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589) für den vorliegenden Sachverhalt ohne Aussagekraft; denn es behandele einen Fall, in dem die Vertragsparteien bereits im ursprünglichen notariellen Kaufvertrag ein Rücktrittsrecht vereinbart hätten. Demgegenüber sei die Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung; sie sei also nicht schon im ursprünglichen Vertrag angelegt gewesen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig war.
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1. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.
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Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Entscheidend ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt waren (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteile vom 12. Juni 2018 VII R 19/16, BFHE 261, 463, und vom 8. November 2016 VII R 34/15, BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, m.w.N.).
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2. Das FA ist das hier streitige Guthaben aus der Grunderwerbsteuer erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden.
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a) Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG wird auf Antrag die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen nicht erfüllt werden und der Erwerbsvorgang deshalb aufgrund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist.
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aa) Der nach dieser Regelung entstehende Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung eines bereits ergangenen Grunderwerbsteuerbescheids führt nach der Rechtsprechung des BFH nicht zum Erlöschen des einmal wirksam entstandenen ursprünglichen Steueranspruchs. Der Anspruch nach § 16 GrEStG ist vielmehr ein weiterer (gegenläufiger), eigenständiger Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO), der selbständig neben den Steueranspruch tritt (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 2002 II R 52/00, BFH/NV 2002, 1053, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 9. September 2015 II B 28/15, BFH/NV 2015, 1668; s.a. Loose in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 19. Aufl., § 16 Rz 12 ff.; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 16 Rz 3). Es handelt sich nicht um einen Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO (BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 1668, Rz 7). Dementsprechend lässt der Anspruch aus § 16 GrEStG die Rechtmäßigkeit der für den ursprünglichen Erwerbsvorgang vorgenommenen Besteuerung unberührt (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1053).
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Damit gewährt § 16 Abs. 1 GrEStG --ebenso wie §§ 14c Abs. 2 und 17 Abs. 2 UStG (vgl. Senatsurteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, m.w.N.)-- einen eigenständigen Berichtigungsanspruch.
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bb) "Rückgängig gemacht" i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 5. September 2013 II R 16/12, BFHE 242, 181, BStBl II 2014, 42, und vom 16. Februar 2005 II R 53/03, BFHE 209, 158, BStBl II 2005, 495). Erst zu diesem Zeitpunkt entsteht materiell-rechtlich der Anspruch aus § 16 GrEStG (vgl. auch Loose in Boruttau, a.a.O., § 16 Rz 53; Pahlke, a.a.O., § 16 Rz 134).
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Dementsprechend ist der Anspruch aus § 16 Abs. 1 GrEStG auch erst zu diesem Zeitpunkt im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen.
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b) Im Streitfall ist der Erwerb der mit Bauträgervertrag vom 28. Dezember 2005 verkauften Miteigentumsanteile nach den Feststellungen des FG erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückgängig gemacht worden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG sind damit --insoweit unstreitig-- erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen. Dementsprechend ist auch der Anspruch aus § 16 GrEStG materiell-rechtlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden mit der Folge, dass das FA das hier streitige Guthaben aus der Grunderwerbsteuer erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist.
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c) Soweit der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589 von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, hält er daran im Hinblick auf die oben (unter II.1.) dargestellte Rechtsprechung --insbesondere im Hinblick auf die geänderte Senatsrechtsprechung zu § 17 Abs. 2 UStG (Senatsurteil in BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36) und zu § 14c Abs. 2 UStG (Senatsurteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496; Senatsbeschluss vom 25. April 2018 VII R 18/16, BFH/NV 2018, 1289)-- nicht mehr fest.
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d) Aus dem Senatsurteil in BFH/NV 2016, 87 und dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2014, 1088 lässt sich kein anderes Ergebnis herleiten; denn auch nach diesen beiden Entscheidungen kommt es für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO darauf an, ob die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des jeweiligen Anspruchs vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt sind.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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