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BFH 07.09.2017 - IX B 62/17
BFH 07.09.2017 - IX B 62/17 - Begründete Nichtzulassungsbeschwerde wegen Überraschungsentscheidung
Normen
§ 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 22 Nr 3 EStG 2009, EStG VZ 2010
Vorinstanz
vorgehend FG München, 23. März 2017, Az: 11 K 2180/15, Urteil
nachgehend FG München, 25. Juli 2019, Az: 11 K 2478/17, Urteil
nachgehend BFH, 8. April 2020, Az: IX B 88/19, Beschluss
Leitsatz
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NV: Das FG trifft eine unzulässige Überraschungsentscheidung, wenn es sein Urteil tragend auf eine rechtliche Würdigung stützt, die im Verlauf des Verfahrens weder vom FG noch von den Verfahrensbeteiligten angesprochen worden war .
Tenor
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Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 23. März 2017 11 K 2180/15 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten um das Vorliegen sonstiger Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) war im Streitjahr 2010 als Geschäftsführer der Z-GmbH (GmbH) tätig. An der GmbH war er zunächst mit 10 % und damit einem Nennkapitalanteil von 10.000 € am gesamten Nennkapital von 100.000 € beteiligt. In der Folge einer (quotalen) Kapitalerhöhung im März 2010 auf 500.000 € wurde sein 10 %iger Anteil am Nennkapital auf 50.000 € erhöht.
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Die GmbH machte aus Rechnungen der Firma A-Handel (A) den Vorsteuerabzug geltend. Bei der A handelte es sich um eine Scheinfirma, die im Rahmen von umsatzsteuerlichen Karussellgeschäften eingesetzt wurde.
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Im November 2009 schloss der Kläger mit der A eine als "Darlehensvertrag" bezeichnete Vereinbarung, wonach ihm ein Darlehen in Höhe von 100.000 € zugesagt wurde. Es waren eine feste Laufzeit bis zum 31. Dezember 2014 und ein Zinssatz von 3 % pro Jahr vereinbart. Ein Darlehenszweck oder Sicherheiten waren nicht vereinbart. Ebenso war kein Konto benannt, auf das die Zinsen zu zahlen waren. Im Februar 2010 erhielt der Kläger den entsprechenden Betrag von der A ausbezahlt. Der Kläger zahlte weder Zinsen auf das Darlehen noch wurde von ihm der ausgezahlte Betrag an die A wieder zurückgezahlt.
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Anlässlich von Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle kam der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) zu dem Ergebnis, dass der Kläger mit der Zahlung Bestechungsgelder erhalten habe. Die A sei eine bloße Scheinfirma gewesen. Der Darlehensvertrag sei nur zum Schein abgeschlossen worden.
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Mit geändertem Einkommensteuerbescheid 2010 vom 27. März 2014 unterwarf das FA den an den Kläger gezahlten Betrag als Entgelt für eine sonstige Leistung nach § 22 Nr. 3 EStG der Besteuerung. Der vom Kläger dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Im anschließenden Klageverfahren machte der Kläger geltend, die Überweisung des Geldes sei die Auszahlung eines Darlehens gewesen, das der Finanzierung der im März 2010 durchgeführten Kapitalerhöhung gedient habe. Das FA hielt demgegenüber daran fest, dass es sich um Bestechungsgeld gehandelt habe.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit Urteil vom 23. März 2017 statt. Der dem Kläger zugeflossene Betrag falle unter keine steuerbare Einkunftsart. Der Darlehensvertrag sei zwar ein Scheingeschäft gewesen. Eine sonstige Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG liege aber nicht vor. Vielmehr sei der Vorgang als Schenkung einzuordnen. Die Revision ließ das FG nicht zu.
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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich das FA u.a. auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die dem Urteil zugrunde liegende Einordnung des Vorgangs als Schenkung sei weder zuvor im Verfahren oder anderweitig noch in der mündlichen Verhandlung erörtert worden. Sowohl im Einspruchs- und im Klageverfahren sowie im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung sei allein streitig gewesen, ob in der Folge der Einordnung des Darlehensvertrags als Scheingeschäft Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG anzunehmen seien. Es liege damit eine Überraschungsentscheidung vor.
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Der Kläger ist der Beschwerde entgegengetreten. Das FA habe in der mündlichen Verhandlung die Einordnung des streitigen Vorgangs als Schenkung angesprochen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet.
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Es liegt ein vom FA geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO.
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1. Das FG hat das Recht des FA auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, indem es seine Entscheidung ohne vorherigen Hinweis auf den überraschenden Aspekt gestützt hat, die Zahlung von 100.000 € sei als Schenkung einzuordnen.
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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Dezember 2012 VI B 135/12, BFH/NV 2013, 569, unter 2.; vom 23. Februar 2017 IX B 2/17, juris, unter II.1.a, m.w.N., und vom 11. Mai 2017 IX B 23/17, BFH/NV 2017, 1059).
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b) Dies ist hier der Fall. Das FG hat seine Würdigung tragend darauf gestützt, dass die vom Kläger abgeschlossene Vereinbarung als Schenkungsvertrag einzuordnen sei. Dieser Aspekt war im Verlauf des Verfahrens von Seiten des FG oder der Beteiligten nicht angesprochen worden. Dass das FG seine Entscheidung auf eine derartige rechtliche Würdigung stützen würde, musste auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht in sein Prozessverhalten einbeziehen. Entgegen der Auffassung des Klägers sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass das FA diesen Umstand im Verfahren selbst angesprochen habe. Weder den Schriftsätzen im finanzgerichtlichen Verfahren noch dem Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung lassen sich Hinweise entnehmen, dass eine Würdigung des streitigen Vorgangs als Schenkung in Erwägung zu ziehen sei. Daher konnten sich die Beteiligten auch nicht zu den tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten, die zur Bejahung oder Verneinung einer freigiebigen Zuwendung entscheidungserheblich heranzuziehen waren, äußern.
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2. Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin: Nach der Rechtsprechung des BFH spricht eine unter fremden Dritten erfolgte Zahlung grundsätzlich für das Vorliegen eines entgeltlichen Vorgangs (vgl. u.a. zuletzt BFH-Urteile vom 9. Mai 2017 IX R 1/16, juris, und vom 3. August 2016 IX R 23/15, BFH/NV 2017, 289). Nach den Feststellungen des FG, die von den Verfahrensbeteiligten nicht über Verfahrensrügen in Zweifel gezogen werden, sprechen zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass der an den Kläger geleistete Betrag als Entgelt für seine Mitwirkung an umsatzsteuerlichen Karussellgeschäften diente. So war dem Kläger nach den Feststellungen des FG u.a. bekannt, dass es sich bei der A um eine Scheinfirma handelte und dass die Rechnungen der A tatsächlich von der GmbH selbst erstellt wurden, die sie anschließend zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs nutzte. Zudem lassen sich weder den Feststellungen des FG noch den Ausführungen der Beteiligten im Ausgangsverfahren Anhaltspunkte entnehmen, die den Schluss auf eine vorhandene Schenkungsabsicht zulassen.
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4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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