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BFH 04.10.2016 - IX R 9/16
BFH 04.10.2016 - IX R 9/16 - (Vererblichkeit des Verlustabzugs nach § 10d EStG - Alte Rechtslage - Zur Auslegung des Kriteriums der wirtschaftlichen Belastung des Erben - Entbehrlichkeit eines Feststellungsverfahrens)
Normen
§ 10d EStG 2002, § 179 Abs 1 AO, § 180 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AO, § 182 Abs 1 AO, EStG VZ 2006
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 27. Januar 2016, Az: 4 K 253/11, Urteil
Leitsatz
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NV: Der Erbe kann Verluste des Erblassers nur abziehen, wenn er durch sie wirtschaftlich belastet ist .
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 27. Januar 2016 4 K 253/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wird zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Er ist gemeinsam mit seiner Mutter M, zu je 1/2 Erbe nach seinem im Streitjahr 2006 verstorbenen Vater E.
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In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger einen beim Erblasser entstandenen und nicht ausgenutzten Verlust geltend. Er fügte der Erklärung den Bescheid des verstorbenen Vaters über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges auf den 31. Dezember 2005 über 326.159 € bei und beantragte, die Hälfte (= 163.079,50 €) bei seiner Einkommensteuerveranlagung zu berücksichtigen.
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Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr und im Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006, jeweils vom 24. März 2009, folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) diesem Antrag nicht.
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Die Einspruchsverfahren, in deren Verlauf der Kläger den zu berücksichtigenden Verlust mit 159.686,50 € neu berechnete, blieben erfolglos. Das FA hat während des Klageverfahrens den Einkommensteuerbescheid sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2006, jeweils mit Datum vom 27. November 2012, aus nicht streitgegenständlichen Gründen geändert. Der Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers und seiner Ehefrau beträgt hiernach 56.493 €.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 719 veröffentlichten Urteil ab. Es führt im Wesentlichen aus, der Kläger habe die Verluste des Erblassers wirtschaftlich nicht getragen. Ein vorgeschaltetes Feststellungsverfahren über die Frage, ob der beim Erblasser festgestellte Verlust auf die Erben, den Kläger und seine Mutter, übergegangen und ihnen jeweils zu 1/2 zuzurechnen gewesen sei, sei nicht erforderlich gewesen, da es sich um einen Fall von geringer Bedeutung gehandelt habe.
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Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht (§ 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO-- und § 10d des Einkommensteuergesetzes in der maßgebenden Fassung des Streitjahres --EStG--). Das FA hätte ein dem Steuerfestsetzungsverfahren vorgeschaltetes Feststellungsverfahren durchführen müssen, in dem die von dem Erblasser nicht ausgenutzten Verluste verbindlich für die Erben gesondert und einheitlich hätten festgestellt werden müssen. Die Übernahme der Verluste des Erblassers durch den Kläger scheitere auch nicht an der fehlenden wirtschaftlichen Belastung des Klägers. Denknotwendig könne eine wirtschaftliche Belastung bei dem Kläger durch die von dem Erblasser erzielten und nicht ausgenutzten steuerlichen Verluste gar nicht eintreten. Denn die steuerrechtliche Anerkennung der Verluste bei dem Erblasser setze nach dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit voraus, dass schon der Erblasser mit diesen Verlusten wirtschaftlich belastet gewesen sei. War aber der Erblasser wirtschaftlich belastet, dann komme --schon nach den Prinzipien der Logik-- eine erneute und damit weitere wirtschaftliche Belastung bei den Erben nicht infrage. Eine Regelung, die ersichtlich leerlaufe, und für die es auch nicht einen denkbaren Anwendungsfall gebe, könne nicht wirksam sein. Die wirtschaftliche Belastung ergebe sich im Streitfall daraus, dass der Kläger bereits in den Genuss eines durch die Verluste verringerten Vermögens des Erblassers gelangt sei.
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Darüber hinaus ordne § 45 Abs. 1 Satz 1 AO an, dass bei Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger übergehen. Analog gehe auch ein von dem Erblasser nicht vollständig ausgenutzter Verlustvortrag auf die Erben über.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2006 sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006, jeweils vom 27. November 2012, mit der Maßgabe zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt und der verbleibende Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006 in Höhe von 103.193,50 € zusätzlich zu dem bereits festgestellten Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 18.553 € festgestellt wird.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass über die Berücksichtigung der Verluste des Erblassers im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Klägers zu entscheiden ist (unter 1.) und zu Recht dessen wirtschaftliche Belastung durch die Verluste des Erblassers und daher die Möglichkeit des Klägers zum Verlustabzug nach § 10d EStG verneint (unter 2.).
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1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht erkannt, dass über die Frage, ob der bei dem Erblasser festgestellte Verlust auf die zwei Erben übergegangen und dem Kläger in Höhe der Hälfte zuzurechnen ist, nicht in einem für die Beteiligten der Erbengemeinschaft durchzuführenden Feststellungsverfahren, sondern im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Klägers zu entscheiden ist. Der Vorrang des Feststellungsverfahrens sowie die Bindungswirkung eines Feststellungsbescheids (§ 179 Abs. 1, § 182 Abs. 1 AO) unterliegen dem Gesetzesvorbehalt (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679). Demgemäß ist eine Einkünftefeststellung nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nur für den Steuerpflichtigen durchzuführen, der bezogen auf den jeweiligen Feststellungszeitraum zusammen mit anderen Personen an den (einheitlich und gesondert festzustellenden) Einkünften beteiligt ist, d.h. zusammen mit diesen die in Frage stehenden Einkünfte gemeinschaftlich erzielt (BFH-Urteil vom 27. März 2013 I R 14/12, BFH/NV 2013, 1768, Rz 20, m.w.N.). Hieran fehlt es aber, wenn die Einkünfte wie im Streitfall durch den Erblasser und nicht durch die Erbengemeinschaft, an der der Kläger beteiligt ist, erzielt worden sind. Folge der bereits in der Person des Erblassers eingetretenen Einkünfteerzielung ist, dass diese --positiven oder negativen-- Einkünfte nicht mehr Gegenstand eines Feststellungsverfahrens nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO bei den nach dem Erbfall in die Gesamtrechtsnachfolge eintretenden Miterben sein können. Anders als das FG meint, kommt es aus diesem Grunde nicht mehr darauf an, ob ein Fall von geringer Bedeutung gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO gegeben ist.
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2. § 10d EStG ermöglicht unter den dort bezeichneten Voraussetzungen eine interperiodische Verrechnung von Verlusten, die im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung nicht ausgeglichen werden konnten und gewährt dem Steuerpflichtigen eine subjektiv-öffentliche Berechtigung zum Verlustabzug, d.h. zur Verrechnung der im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte mit den positiven Einkünften vorangegangener (Verlustrücktrag) oder nachfolgender Veranlagungszeiträume (Verlustvortrag).
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a) Der Große Senat des BFH hat entschieden, dass der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann, jedoch die bisherige gegenteilige Rechtsprechung des BFH aus Gründen des Vertrauensschutzes in allen Erbfällen anzuwenden ist, die --wie im Streitfall-- bis zum Ablauf des Tages der Veröffentlichung dieses Beschlusses eingetreten sind (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, unter D.IV. und V.).
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b) Nach dieser bisherigen Rechtsprechung des BFH konnte der Erbe vom Erblasser nicht verbrauchte Verluste somit gemäß § 10d EStG geltend machen, weil er als dessen Gesamtrechtsnachfolger auch steuerlich gleichsam die Person des Erblassers fortsetzte (z.B. BFH-Urteile vom 22. Juni 1962 VI 49/61 S, BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386; vom 17. Mai 1972 I R 126/70, BFHE 105, 483, BStBl II 1972, 621; vom 5. Mai 1999 XI R 1/97, BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653). Es kam nicht darauf an, ob der Erbe den Betrieb des Erblassers, in dem der Verlust entstanden war, fortführte (BFH-Urteil in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386). Voraussetzung für den Verlustabzug war jedoch, dass der oder die Erben den Verlust auch tatsächlich getragen haben (BFH-Urteile in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386; in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653, und vom 14. Juni 2016 IX R 30/15, juris; BFH-Beschlüsse vom 14. Mai 2009 IX B 216/08, juris; vom 22. Mai 2013 IX B 185/12, BFH/NV 2013, 1233). Eine wirtschaftliche Belastung fehlte jedenfalls, wenn der Erbe für Nachlassverbindlichkeiten gar nicht oder nur beschränkt haftete (BFH-Beschluss vom 29. März 2000 I R 76/99, BFHE 191, 353, BStBl II 2000, 622, unter II.).
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c) Den Verlust "wirklich tragen" bzw. durch ihn "wirtschaftlich belastet" zu sein, bedeutete aber nicht, dass es allein darauf ankommt, ob der Erbe rechtlich für Schulden des Erblassers in Anspruch genommen werden kann. Es besagt vielmehr, dass der Erbe aufgrund der Verluste des Erblassers wirtschaftlich in seiner Einkommens- oder Vermögenssphäre belastet ist. Haftet der Erbe zwar kraft Gesetzes für Verbindlichkeiten, die mit den Verlusten des Erblassers in Zusammenhang stehen, ist aber auszuschließen, dass er sie tatsächlich begleichen muss, so ist er durch die Verluste wirtschaftlich nicht belastet (BFH-Urteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653; ebenso BFH-Urteil vom 14. Juni 2016 IX R 30/15, juris).
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d) Für diese Beurteilung ist maßgebend, dass den Tatbestand der Erzielung von Einkünften in Form von Verlusten ausschließlich der Erblasser erfüllt. Die Berücksichtigung eines von ihm nicht ausgeschöpften Verlustabzugs beim Erben durchbricht die das Einkommensteuerrecht beherrschenden Grundsätze der Individualbesteuerung und der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit. Diese Durchbrechung lässt sich nur rechtfertigen, wenn auch der Erbe durch die "ererbten" Verluste in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Erblassers über die Gesamtrechtsnachfolge beim Erben fortwirkt. Die Einkommensteuer ist eine Personensteuer; Erbe und Erblasser sind verschiedene Rechtssubjekte, die jeder für sich zur Einkommensteuer veranlagt werden (so bereits BFH-Urteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653). Ob die Verluste des Erblassers die Leistungsfähigkeit des Erben beeinträchtigen, richtet sich nach den Verhältnissen bei dem Erben nach Eintritt des Erbfalls (BFH-Urteil vom 14. Juni 2016 IX R 30/15, juris).
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e) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der Kläger im Streitfall durch die Verluste des Erblassers wirtschaftlich nicht belastet war.
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aa) Die Feststellungslast für die objektiven Umstände, aus denen auf die wirtschaftliche Belastung des Erben geschlossen werden kann, trägt der Steuerpflichtige. Kann sich das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nicht mit der dafür erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass der Erbe durch die Verluste des Erblassers wirtschaftlich belastet ist, geht dies zu Lasten des Steuerpflichtigen, der sich hierauf beruft.
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bb) Das FG konnte keinerlei Anhaltspunkte dafür feststellen, dass mit den für den Erblasser festgestellten verbleibenden Verlustvorträgen tatsächlich Verbindlichkeiten verbunden waren, für die der Kläger als Miterbe einzustehen hatte. Es ist daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG zu dem Ergebnis gelangt ist, dass eine wirtschaftliche Belastung des Klägers in seiner Einkommens- oder Vermögenssphäre nicht bestand.
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cc) Anders als der Kläger meint, folgt eine wirtschaftliche Belastung nicht aus dem Umstand, dass dem Erben aufgrund eines Verlusts des Erblassers lediglich ein geringeres Vermögen zufällt (so bereits ausdrücklich BFH-Urteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653; BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 1233).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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