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BFH 27.04.2016 - X R 1/15
BFH 27.04.2016 - X R 1/15 - (Keine Verwirkung des Anspruchs auf Aussetzungszinsen trotz überlanger Dauer eines Einspruchs- oder Klageverfahrens - Anwendungsbereich der in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltenen Gewährleistungen)
Normen
§ 237 AO, § 347 Abs 1 S 2 AO, § 46 FGO, § 198 GVG, Art 6 Abs 1 MRK, § 198ff GVG
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 20. November 2014, Az: 4 K 4145/13, Urteil
nachgehend BVerfG, 4. Juni 2018, Az: 1 BvR 1928/16, Nichtannahmebeschluss
Leitsatz
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1. Die überlange Dauer eines Einspruchs- oder Klageverfahrens steht der Festsetzung von Aussetzungszinsen für dieses Verfahren --auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung-- nicht entgegen .
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2. Eine Entschädigungsklage nach §§ 198 ff. GVG kann nicht auf die überlange Dauer eines vor einer Finanzbehörde anhängigen Verfahrens gestützt werden. Dem Steuerpflichtigen stehen mit dem Untätigkeitseinspruch bzw. der Untätigkeitsklage hinreichende präventive Rechtsbehelfe gegen eine Verfahrensverzögerung zur Verfügung .
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3. Der Anwendungsbereich der in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltenen Gewährleistungen beschränkt sich auf Streitigkeiten in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine erhobene strafrechtliche Anklage. Steuerrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinne werden von dieser Gewährleistung nicht erfasst .
Tenor
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Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. November 2014 4 K 4145/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1. (Klägerin zu 1.) und ihr Ehemann E (im Folgenden gemeinsam auch: die Eheleute) wurden im Streitjahr 1991 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. E ist während des Klageverfahrens verstorben; er wurde von der Klägerin zu 1. sowie dem gemeinsamen Sohn --dem Kläger und Revisionskläger zu 2. (Kläger zu 2.)-- beerbt.
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E erzielte u.a. als Einzelunternehmer Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Jahr 1991 erwarb er von der Klägerin zu 1. ein Mietwohngrundstück, das er als Betriebsvermögen behandelte. Gleiches geschah mit einem im Jahr 1992 erworbenen weiteren Mietwohngrundstück. Er ordnete jeweils 80 % der Anschaffungskosten den Gebäuden zu und nahm hierauf neben der linearen Absetzungen für Abnutzung Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz in Höhe von 50 % der Anschaffungskosten vor.
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Die Einkommensteuer 1991 wurde wegen der Sonderabschreibungen auf das im Jahr 1991 erworbene Gebäude sowie eines Verlustrücktrags aus dem Jahr 1992, der auf den Sonderabschreibungen auf das im Jahr 1992 erworbene Gebäude beruhte, zunächst auf 0 DM festgesetzt.
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Vom 9. November 1995 bis zum 1. März 1996 fand bei E eine Außenprüfung statt. Der Prüfer vertrat die Auffassung, die Aufteilung der Anschaffungskosten der Mietwohngrundstücke sei dahingehend zu ändern, dass ein höherer Anteil auf den Grund und Boden entfalle. Im November 1996 reichte E ein Sachverständigengutachten ein, das eine Ermittlung des Aufteilungsmaßstabs enthielt, die sowohl von der des E als auch von der des Prüfers abwich. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bat E am 30. Januar 1997 um weitere Auskünfte zur Ausstattung der Gebäude. E reagierte hierauf trotz mehrfacher Erinnerungen nicht.
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Am 17. November 1997 erließ das FA einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1991 und folgte darin dem Prüfer. Die Reduzierung der Sonderabschreibung für 1991 und des Verlustrücktrags aus 1992 hatte zur Folge, dass die Einkommensteuer auf 1.436.409 DM und der Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer auf 70.100,10 DM festgesetzt wurde. Für das anschließende Einspruchsverfahren gewährte das FA auf Antrag der Eheleute in vollem Umfang Aussetzung der Vollziehung (AdV).
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Im Jahr 2001 beantragten die Eheleute, hinsichtlich des Aufteilungsmaßstabs die Ergebnisse einer tatsächlichen Verständigung zu übernehmen, die eine von der Klägerin zu 1. beherrschte KG hinsichtlich eines benachbarten Grundstücks mit dem FA erzielt hatte. Das FA lehnte dies ab.
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Mit der Einspruchsentscheidung vom 24. Oktober 2006 setzte das FA die Einkommensteuer wegen geringerer Beteiligungseinkünfte der Klägerin zu 1. auf 1.333.904 DM herab. Hinsichtlich der Aufteilung der Anschaffungskosten blieb der Einspruch ohne Erfolg.
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Auch für das nachfolgende, am 20. November 2006 eingeleitete Klageverfahren gewährte das FA auf Antrag der Eheleute in vollem Umfang AdV. Durch Beweisbeschluss vom 25. November 2009 holte das Finanzgericht (FG) ein Sachverständigengutachten zur Aufteilung der Anschaffungskosten ein. Mit Urteil vom 7. Juni 2011 wies es die Klage in Bezug auf die Einkommensteuer 1991 ab. Zur Begründung führte es aus, der gerichtliche Sachverständige habe sogar noch geringere Gebäudeanteile als das FA ermittelt. Wegen des Verböserungsverbots müsse es daher beim Ansatz des FA bleiben. Diese Entscheidung wurde rechtskräftig.
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Mit dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheid vom 7. Dezember 2012 setzte das FA Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1991 in Höhe von 467.442 € und Aussetzungszinsen zum Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1991 in Höhe von 23.355 € fest (insgesamt 490.797 €).
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Im Einspruchs- und Klageverfahren gegen diesen Bescheid machten die Eheleute geltend, wegen einer überlangen Dauer vor allem des Verwaltungs-, aber auch des Klageverfahrens sei der Zinsanspruch des FA verwirkt. Zur näheren Begründung beriefen sie sich auf den Beschluss des FG Rheinland-Pfalz vom 17. Dezember 2010 6 V 1924/10 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 757, unter 2.2.2.) sowie die darin zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).
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Das FG wies die Klage ab. Die Voraussetzungen des § 237 der Abgabenordnung (AO) seien erfüllt. Die Festsetzung der Zinsen entspreche auch dem Zweck der genannten Norm. Der Zinsanspruch sei nicht verwirkt. Es sei schon fraglich, ob die Verfahrensdauer als überlang anzusehen sei, da die Eheleute auf die Anfrage des FA nicht reagiert hätten. Jedenfalls habe eine eventuelle Überlänge des Verfahrens keine Auswirkungen auf einen materiellen Steueranspruch. Aus der Rechtsprechung des EGMR ergebe sich nichts anderes. Vielmehr habe die Bundesrepublik Deutschland die vom EGMR entwickelten Grundsätze mittlerweile durch die in §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) aufgenommenen Regelungen umgesetzt. Im Übrigen hätten die Eheleute die Dauer des Verwaltungsverfahrens durch Erhebung einer Untätigkeitsklage abkürzen können. Die Höhe der gesetzlichen Zinsen sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verstöße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, den Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes und gegen Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Schon der geänderte Einkommensteuerbescheid sei erst mehr als ein Jahr und acht Monate nach Ende der Außenprüfung ergangen. Das Einspruchsverfahren habe dann fast neun Jahre, das Klageverfahren zur Einkommensteuer nochmals über 4 1/2 Jahre gedauert. Es habe in keinem Verfahrensabschnitt Schwierigkeiten gegeben, die eine derartige Verfahrensdauer gerechtfertigt hätten.
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Die Eheleute hätten keine Möglichkeit mehr gehabt, Ansprüche nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) vom 24. November 2011 (BGBl I 2011, 2302) geltend zu machen, da der Zinsbescheid erst am 7. Dezember 2012 --und damit nach Ablauf der in Art. 23 Satz 6 ÜberlVfRSchG genannten Klagefrist (3. Juni 2012)-- ergangen sei.
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Die Kläger beantragen sinngemäß,
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das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2013 und den Bescheid über Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1991 und zum Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1991 vom 7. Dezember 2012 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Es verweist im Wesentlichen auf die Entscheidung der Vorinstanz.
Entscheidungsgründe
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II. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist auch der Bescheid über Aussetzungszinsen zum Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1991. Im Streitfall hat das FA einen sog. Sammelbescheid erlassen, der zwei rechtlich selbständige Verwaltungsakte enthält (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 26. November 2014 X R 18/13, BFH/NV 2015, 785, Rz 28 ff.), nämlich den Zinsbescheid für die Einkommensteuer 1991 und den Zinsbescheid für den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1991.
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Im Rubrum ihrer Klageschrift hatten die Eheleute korrekt beide angefochtenen Verwaltungsakte angegeben. Aus Gründen, die sich den Akten nicht entnehmen lassen, hat das FG in das Rubrum seiner Schriftsätze und seines Urteils aber nur den Zinsbescheid zur Einkommensteuer 1991 aufgenommen. Es steht aber fest, dass es über beide Verwaltungsakte des Sammelbescheids hat entscheiden wollen. Dies folgt u.a. daraus, dass es bereits im ersten Absatz seines Urteilstatbestands ausführt, der Rechtsstreit betreffe "die Rechtmäßigkeit eines Bescheids über Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer sowie zum Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1991". Ferner gibt es den Gesamtbetrag der im Sammelbescheid festgesetzten Aussetzungszinsen (490.797 €) an.
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Die vom FG im Rubrum verwendete, den Streitgegenstand objektiv nicht ausschöpfende Bezeichnung "Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1991" findet sich dann auch in der Revisionsschrift wieder. Gleichwohl folgt aus dem Begehren der Kläger, den (gesamten) Bescheid vom 7. Dezember 2012 aufzuheben, dass ihr Rechtsmittel sich auf beide Verwaltungsakte bezieht, die in dem bezeichneten Sammelbescheid enthalten sind und über die das FG tatsächlich entschieden hat.
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III.
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Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
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1. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass die einfach-gesetzlichen Voraussetzungen des § 237 AO erfüllt sind. Auch Einwendungen gegen die Berechnung oder Höhe der Zinsen sind weder von den Klägern geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
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2. Problematisch ist vielmehr allein, ob eine --hier vom FG zwar nicht festgestellte, für das Revisionsverfahren aber zu unterstellende-- überlange Dauer eines Einspruchs- und/oder Klageverfahrens der Festsetzung von Aussetzungszinsen in der gesetzlichen Höhe entgegen steht.
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a) Der Bundesfinanzhof (BFH) hat bisher keine materiell-rechtlichen steuerlichen Folgen aus der Verfahrensdauer gezogen.
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aa) Für die Zeit vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG hat der BFH entschieden, dass Rechtsfolge der überlangen Dauer eines Verfahrens jedenfalls nicht der Wegfall des materiellen Steueranspruchs ist (ausführlich BFH-Beschluss vom 13. September 1991 IV B 105/90, BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 25. Februar 1994 2 BvR 74, 75/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1994, 552; nochmals BFH-Beschluss vom 20. Mai 1994 XI B 63/93, BFH/NV 1994, 605; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 22. August 1994 2 BvR 1454/94). Insbesondere führt eine überlange Verfahrensdauer nicht zur Verwirkung desjenigen Steueranspruchs, der Gegenstand des verzögerten Verwaltungsverfahrens oder Rechtsstreits ist (BFH-Urteile vom 13. Dezember 1995 XI R 43-45/89, BFHE 179, 353, BStBl II 1996, 232, unter I.; vom 21. März 1996 XI R 82/94, BFHE 180, 316, BStBl II 1996, 518, unter II.B.4.; vom 16. Oktober 2002 XI R 41/99, BFHE 200, 529, BStBl II 2003, 179, unter II.3., und vom 24. Oktober 2006 I R 90/05, BFH/NV 2007, 849, unter III.1.d).
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Im Einzelfall können allerdings die Anforderungen an die Bildung der gerichtlichen Überzeugung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen abzumildern sein, wenn eine überlange Verfahrensdauer dazu führt, dass ein Beweismittel verloren geht (z.B. Versterben eines hochbetagten, wichtigen Zeugen während des vom FG verzögert bearbeiteten Klageverfahrens). Eine --darüber hinausgehende-- Umkehr der Feststellungslast kann indes allenfalls in Betracht kommen, wenn sie auf ein vorwerfbares Verhalten des jeweils anderen Prozessbeteiligten zurückzuführen ist (grundlegend BFH-Urteil vom 23. Februar 1999 IX R 19/98, BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407, unter 4.).
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bb) In Bezug auf die Festsetzung von Zinsen gilt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben der Festsetzung von Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) trotz schuldhaft verzögerter Bearbeitung einer Steuererklärung durch das FA jedenfalls dann nicht entgegen steht, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich einen Zinsvorteil hatte, der nicht geringer war als die vom FA festgesetzten Zinsen (BFH-Urteil vom 8. September 1993 I R 30/93, BFHE 172, 304, BStBl II 1994, 81, unter II.3.).
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cc) Allein aus einer überlangen Dauer des außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens, das der Festsetzung von Aussetzungszinsen zugrunde liegt, folgt nicht, dass die Ablehnung eines Antrags auf Erlass der Aussetzungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen rechtsfehlerhaft wäre (BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 V R 105/84, BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498, unter II.3.c bb; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 29. Oktober 1993 2 BvR 693/91, HFR 1994, 551; BFH-Beschlüsse in BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148, unter I.2.d, und vom 19. Februar 1996 I B 86/95, BFH/NV 1996, 725; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 27. Februar 1997 1 BvR 1591/96). Später hat der BFH entschieden, dass die Festsetzung von Nachzahlungszinsen unabhängig von der Höhe eines konkreten Zinsvorteils nicht unbillig ist, wenn der Steuerpflichtige die erwartete Nachzahlung durch einen Antrag auf nachträgliche Erhöhung der Vorauszahlungen hätte vermeiden können (Urteil vom 19. März 1997 I R 7/96, BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446).
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b) Auch nach Ergehen der Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR, die letztlich zum Erlass des ÜberlVfRSchG geführt haben, hat der BFH an der dargestellten Rechtsprechung festgehalten, wonach eine überlange Verfahrensdauer nicht zur Verwirkung materieller Steueransprüche führt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. August 2011 I B 9/11, BFH/NV 2011, 2011, Rz 14 ff., und vom 30. August 2012 X B 27/11, BFH/NV 2013, 180, Rz 17, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 21. Mai 2013 1 BvR 2473/12; BFH-Beschluss vom 21. Oktober 2013 III B 147/12, BFH/NV 2014, 358, Rz 3, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 30. September 2015 2 BvR 1071/14; BFH-Urteil vom 18. März 2014 VII R 12/13, BFH/NV 2014, 1093, Rz 14; BFH-Beschluss vom 21. Januar 2015 VIII B 112/13, BFH/NV 2015, 800, Rz 6; ebenso FG Münster, Urteil vom 27. August 2014 13 K 4136/11 E, EFG 2014, 2031, unter II., Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch den nicht veröffentlichten BFH-Beschluss vom 18. Februar 2015 IX B 117/14; Claßen, EFG 2014, 2036).
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Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats zu Entschädigungsklagen nach §§ 198 ff. GVG erfassen diese Vorschriften die überlange Dauer behördlicher Verfahren nicht, weil insoweit seit jeher hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten (Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO und Untätigkeitsklage nach § 46 FGO) bestehen (Senatsentscheidungen vom 26. Juli 2012 X S 18/12 (PKH), BFH/NV 2012, 1822, und vom 19. März 2014 X K 3/13, BFH/NV 2014, 1053, Rz 28; vgl. auch den Regierungsentwurf zum ÜberlVfRSchG vom 17. November 2010, BTDrucks 17/3802, S. 17).
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c) Den Klägern ist allerdings zuzugestehen, dass der EGMR in der von ihnen angeführten Entscheidung zur Dauer eines Disziplinarverfahrens, das nach der Hessischen Disziplinarordnung (HDO) durchgeführt worden war, die Verzögerung des vorgerichtlichen förmlichen Disziplinarverfahrens mit in die Prüfung einbezogen hat, ob Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt sei (EGMR-Urteil vom 16. Juli 2009 8453/04, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 2010, 1015, Rz 44). Der EGMR hat in der genannten Entscheidung dem dortigen Kläger eine Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer zugesprochen, obwohl die HDO in ihrem § 61 eine --mit § 46 FGO im Kern vergleichbare-- Vorschrift enthielt, mit der der Beamte nach sechsmonatiger Dauer des Verwaltungsverfahrens eine gerichtliche Entscheidung erzwingen konnte, und der dortige Kläger von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hatte (vgl. EGMR-Urteil in NVwZ 2010, 1015, Rz 51).
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Gleichwohl kann Art. 6 Abs. 1 EMRK im vorliegenden Verfahren nicht zugunsten der Kläger herangezogen werden. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift beschränkt sich auf "Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage". Auch wenn der Begriff "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" in der Rechtsprechung des EGMR traditionell sehr weit ausgelegt wird, fallen steuerrechtliche Streitigkeiten (im engeren Sinne) nicht darunter. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung sowohl des EGMR (ausführlich Urteil vom 12. Juli 2001 44759/98 – Ferrazzini/Italien, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2002, 3453, Rz 20 ff.; für Zölle und Einfuhrabgaben auch EGMR-Entscheidung vom 13. Januar 2005 62023/00, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2005, 234) als auch des BFH (Beschlüsse vom 21. Februar 2006 I B 32/05, BFH/NV 2006, 1305, unter II.2.; vom 22. Juli 2008 II B 18/08, BFH/NV 2008, 1866, unter II.3.b; vom 9. September 2008 VI B 72/07, unter b bb; in BFH/NV 2011, 2011, Rz 16; vom 18. März 2013 VII B 134/12, BFH/NV 2013, 1102, und in BFH/NV 2015, 800, Rz 8). Soweit die Kläger anführen, das EGMR-Urteil in NJW 2002, 3453 sei lediglich mit 11 : 6 Stimmen ergangen, so dass immerhin sechs Richter des EGMR diese Entscheidung für falsch gehalten haben (vgl. die in NJW 2002, 3455 veröffentlichte abweichende Meinung von sechs Richtern) ändert dies nichts daran, dass es sich bei den dargestellten Grundsätzen um die Rechtsprechung des EGMR handelt. In seiner vorgenannten Entscheidung zu einem nach der HDO geführten Disziplinarverfahren hat der EGMR die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK nur deshalb bejaht, weil es sich bei Streitigkeiten aus dem Beamtenverhältnis zugleich im weitesten Sinne um arbeitsrechtliche --und damit um zivilrechtliche-- Streitigkeiten handelt (EGMR-Urteil in NVwZ 2010, 1015, Rz 37 ff.).
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Hingegen betraf das Ausgangsverfahren zum vorliegenden Rechtsstreit steuerrechtliche Ansprüche im engeren Sinne, da der Streit über die Höhe der Bemessungsgrundlage für einkommensteuerrechtliche Sonderabschreibungen auf Gebäude keinen Bezug zum Zivilrecht aufweist.
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Den gegenteiligen --schon in dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 180 (Rz 13) zutreffend als weder tragend noch abschließend beurteilten-- Überlegungen des FG Rheinland-Pfalz in dem von den Klägern angeführten Beschluss in EFG 2011, 757 folgt der Senat aus den genannten Gründen ausdrücklich nicht.
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3. Die Kläger werden durch diese rechtliche Beurteilung nicht schutzlos gestellt.
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a) Soweit sie sich auf die überlange Dauer des Verwaltungsverfahrens berufen, hätten die Eheleute dieses durch Erhebung einer Untätigkeitsklage beschleunigen können. Das Vorbringen der Kläger, die Verantwortung für die Dauer des Verwaltungsverfahrens liege beim FA, ist zwar im Grundsatz zutreffend. Dies schließt aber nicht aus, die Möglichkeiten zu nutzen, die das Gesetz für den Fall einer Untätigkeit des FA ausdrücklich eröffnet. Hätten die Eheleute von dem präventiven Rechtsbehelf des § 46 FGO Gebrauch gemacht, wäre zu erwarten gewesen, dass es gar nicht erst zu einer unangemessenen Dauer des Verwaltungsverfahrens --und damit zur Belastung mit Aussetzungszinsen für diesen Verfahrensabschnitt-- gekommen wäre.
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b) Soweit die Kläger meinen, die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens über den Einkommensteuerbescheid 1991 sei unangemessen lang gewesen, hätten die Eheleute die Möglichkeit gehabt, hiergegen Entschädigungsklage zu erheben. Das entsprechende FG-Urteil datiert vom 7. Juni 2011. Zwar ist das ÜberlVfRSchG erst am 3. Dezember 2011 in Kraft getreten. Nach seinem Art. 23 Satz 1 gilt es aber auch für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer beim Inkrafttreten noch Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR werden kann. Diese Regelung knüpft an die Sechs-Monats-Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK an, die ihrerseits mit der Rechtskraft der Entscheidung der nationalen Gerichte ("endgültige innerstaatliche Entscheidung") beginnt. Zwar ist nicht bekannt, wann das FG-Urteil über den Einkommensteuerbescheid 1991 rechtskräftig geworden oder den Eheleuten zugestellt worden ist (das FA hat die gewährte AdV zum 25. August 2011 beendet). Die Rechtskraft kann aber nicht früher als am 7. Juli 2011 (einen Monat nach der mündlichen Verhandlung) eingetreten sein. Innerhalb der --frühestens-- an diesem Tag beginnenden Sechs-Monats-Frist nach Art. 35 Abs. 1 EMRK ist das ÜberlVfRSchG in Kraft getreten. Die Eheleute hätten danach bis zum 3. Juni 2012 (Art. 23 Satz 6 ÜberlVfRSchG) Gelegenheit gehabt, eine Entschädigungsklage beim BFH zu erheben.
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Im Rahmen einer solchen Entschädigungsklage wären die Aussetzungszinsen, die für den Zeitraum angefallen sind, in dem das Verfahren als verzögert anzusehen gewesen wäre, als materieller Nachteil --nach Gegenrechnung ersparter Schuldzinsen oder erzielter Guthabenzinsen-- entschädigungspflichtig gewesen (zutreffend Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2177). In Übereinstimmung damit hat der Senat bereits entschieden, dass Aufwendungen für eine Avalprovision, die dem Steuerpflichtigen zur Erbringung einer Sicherheitsleistung für die Zeit der AdV entstehen, als materieller Schaden ersatzfähig sind (Urteil vom 6. April 2016 X K 1/15, unter II.2.a).
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Soweit die Kläger darauf verweisen, dass beim Ergehen des angefochtenen Bescheids über die Festsetzung der Aussetzungszinsen (7. Dezember 2012) der in Art. 23 Satz 6 ÜberlVfRSchG genannte Termin (3. Juni 2012) bereits verstrichen gewesen sei, führt dies nach Auffassung des Senats zu keinem anderen Ergebnis. Die Eheleute hätten ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, bereits wegen ihrer Nichtvermögensschäden bis zum 3. Juni 2012 eine Entschädigungsklage zu erheben. Nach Ergehen des Zinsbescheids, mit dessen Erlass sie zwingend rechnen mussten, weil dem FA insoweit kein Ermessen eingeräumt ist, hätten sie denjenigen Zinsbetrag, der auf den Zeitraum entfällt, in dem das Verfahren als verzögert anzusehen gewesen wäre, im Wege der Klageerweiterung als materiellen Schaden --nach Gegenrechnung ersparter Schuldzinsen oder erzielter Guthabenzinsen-- geltend machen können.
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c) Mithin bietet das geltende Recht ausreichende Möglichkeiten, die Entstehung von Aussetzungszinsen für ein überlanges Verwaltungsverfahren von vornherein zu vermeiden (durch Erhebung einer Untätigkeitsklage) bzw. die Aussetzungszinsen für ein überlanges finanzgerichtliches Verfahren zu kompensieren (durch die Geltendmachung als materieller Schaden im Rahmen einer Entschädigungsklage). Daher besteht kein Bedarf für die von den Klägern begehrte Rechtsfortbildung dahingehend, in derartigen Fällen bereits die Festsetzung von Aussetzungszinsen als rechtswidrig anzusehen.
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4. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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