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BFH 18.12.2014 - III R 9/14
BFH 18.12.2014 - III R 9/14 - Beschäftigungslosigkeit eines selbständig tätigen Kindes
Normen
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 1 EStG 2002 vom 23.12.2002, § 119 Abs 1 SGB 3, § 119 Abs 3 SGB 3, § 8 SGB 4, § 138 Abs 1 Nr 1 SGB 4, § 138 Abs 3 SGB 4, EStG VZ 2005, EStG VZ 2006
Vorinstanz
vorgehend Thüringer Finanzgericht, 19. März 2013, Az: 1 K 757/09, Urteil
Leitsatz
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Die selbständige Betätigung eines Kindes --hier: als Kosmetikerin-- schließt seine Beschäftigungslosigkeit i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG aus, wenn sie nicht nur gelegentlich mindestens 15 Stunden wöchentlich umfasst. Dies gilt auch dann, wenn die aus der Tätigkeit erzielten Einkünfte die Grenze für sog. geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (§ 8 SGB IV) nicht übersteigen .
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 19. März 2013 1 K 757/09 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Thüringer Finanzgericht zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hatte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zunächst Kindergeld für die im Mai 1987 geborene Tochter auch nach deren Vollendung des 18. Lebensjahrs gezahlt.
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Die Tochter war vom 1. November 2005 bis zum 16. August 2006 als Kosmetikerin selbständig tätig. Aus dieser Tätigkeit erklärte sie gewerbliche Einkünfte für die Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember 2005 in Höhe von minus 762 € und für den Zeitraum vom 1. Januar bis 16. August 2006 in Höhe von 1.732 €, die sich aus einem laufenden Gewinn von 832 € und einem Veräußerungsgewinn aus Warenverkauf in Höhe von 900 € zusammensetzten.
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Nachdem die Familienkasse von dieser Tätigkeit erfahren hatte, hob sie durch Bescheid vom 4. Juni 2008 die Kindergeldfestsetzung ab November 2005 auf und forderte das für November 2005 bis Juli 2006 gezahlte Kindergeld (1.386 €) zurück.
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Den dagegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse als unbegründet zurück, weil die Tochter selbständig erwerbstätig gewesen und nicht bei einer Agentur für Arbeit oder einem anderen zuständigen Leistungsträger als arbeitsuchend gemeldet gewesen sei (Einspruchsentscheidung vom 10. August 2009).
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, für die Tochter könne kein Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beansprucht werden, weil sie infolge ihrer gewerblichen Tätigkeit in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Die Familienkasse sei auch nicht an der Rückforderung des Kindergeldes gehindert gewesen.
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Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Revision vor, die selbständige Berufstätigkeit eines Kindes sei kein Beschäftigungsverhältnis. Der Begriff bezeichne lediglich nichtselbständige Beschäftigungsverhältnisse, nicht aber eine gewerbliche oder selbständige Tätigkeit. Kindergeld sei jedenfalls deshalb zu gewähren, weil die selbständige Tätigkeit ihrer Tochter finanziell ohne Erfolg geblieben sei.
Entscheidungsgründe
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II. Die Familienkasse … ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, Seite 6 ff.) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse … eingetreten (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2014 III R 21/12, BFHE 246, 389, BStBl II 2015, 135). Das Rubrum wurde entsprechend angepasst.
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III.
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Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um den Kindergeldanspruch der Klägerin für ihre Tochter beurteilen zu können.
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1. Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist.
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a) Das FG hat nicht festgestellt, ob die Tochter sich --was von der Klägerin behauptet und von der Familienkasse bestritten wurde-- als Arbeitsuchende gemeldet und diese Meldung nach Ablauf von jeweils drei Monaten erneuert hat (vgl. dazu Senatsurteile vom 19. Juni 2008 III R 68/05, BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008; vom 26. Juli 2012 III R 70/10, BFH/NV 2012, 1971, Rz 15). Dies wäre für eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG erforderlich, da die Neuregelung des § 38 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III), wonach die Vermittlungspflicht der Arbeitsagentur nicht mehr automatisch nach Ablauf von drei Monaten endet, erst ab 1. Januar 2009 und daher im Streitzeitraum noch nicht anwendbar war (vgl. dazu Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. April 2014 III R 19/12, BFHE 245, 200, BStBl II 2015, 29, und vom 26. August 2014 XI R 1/13, BFH/NV 2015, 15).
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b) Der Senat kann aufgrund der Feststellungen des FG auch nicht beurteilen, ob die Tochter in einem Beschäftigungsverhältnis stand.
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aa) Der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG ist sozialrechtlich zu verstehen. Ein Kind steht demnach nicht in einem Beschäftigungsverhältnis, wenn es beschäftigungslos i.S. des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F. (jetzt § 138 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 SGB III) ist (vgl. Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Rz 90; Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 32 Rz 25; Blümich/ Selder, § 32 EStG Rz 30; Dürr in Frotscher/Geurts, EStG, § 32 Rz 57).
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Denn § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG in der für die Jahre 2000 bis 2002 geltenden Fassung hatte ausdrücklich bestimmt, dass ein Kind zu berücksichtigen ist, wenn es "arbeitslos im Sinne des Dritten Buches Sozialgesetzbuch" ist (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 10. Januar 2003 VIII B 81/02, BFH/NV 2003, 897, Rz 5). Dieser Verweis ist zwar ab dem Jahr 2003 entfallen (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG i.d.F. des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002, BGBl I 2002, 4621). Der Gesetzgeber wollte dadurch indessen nicht von den Begrifflichkeiten des SGB III Abstand nehmen, sondern mit der Gesetzesänderung lediglich erreichen, dass Kinder ohne Beschäftigung sich nicht ausschließlich wegen des Anspruchs auf Kindergeld beim Arbeitsamt arbeitslos melden müssen (BTDrucks 15/26, S. 29).
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bestimmt sich zudem die von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG ferner vorausgesetzte Meldung als Arbeitsuchender bei der Agentur für Arbeit nach § 38 SGB III (z.B. Senatsurteile in BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008, und in BFHE 245, 200, BStBl II 2015, 29). Dem würde es widersprechen, den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG vom Gesetzgeber verwendeten Begriff des Beschäftigungsverhältnisses anders als ebenfalls im sozialrechtlichen Sinne zu verstehen. Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob der gewöhnliche Sprachgebrauch unter einem "Beschäftigungsverhältnis" üblicherweise nur eine nichtselbständige Betätigung versteht, kommt es daher nicht an.
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bb) Die Beschäftigungslosigkeit nach § 119 Abs. 1 SGB III a.F. wird gemäß § 119 Abs. 3 SGB III a.F. (jetzt § 138 Abs. 3 SGB III) u.a. durch die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nicht ausgeschlossen, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Eine von Gewinnerzielungsabsicht getragene (Öndül in: jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, § 138 SGB III Rz 41) selbständige oder gewerbliche Betätigung des Kindes steht der Beschäftigungslosigkeit somit entgegen, wenn sie (nicht nur ausnahmsweise) mindestens 15 Stunden wöchentlich umfasst.
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Das FG hat den Umfang der Tätigkeit der Tochter nicht festgestellt. Angesichts der geringen Höhe der von ihr daraus erzielten Einkünfte erscheint es als nicht ausgeschlossen, dass sie regelmäßig weniger als 15 Stunden wöchentlich gearbeitet hat.
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cc) Die Höhe der aus der Tätigkeit erzielten Einkünfte ist für § 119 Abs. 1 SGB III a.F. ohne Bedeutung. Der fehlende finanzielle Erfolg der Tätigkeit der Tochter vermag deshalb ihre Beschäftigungslosigkeit nicht zu begründen.
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Die Verwaltung geht zwar davon aus, dass eine geringfügige nichtselbständige Beschäftigung gemäß § 8 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) oder § 8a SGB IV (Monatsentgelt im Streitzeitraum bis zu 400 €, derzeit bis zu 450 €) der Berücksichtigung nicht entgegenstehe (Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz, BStBl I 2014, 922, unter A 13 Abs. 1 Satz 2). Das lässt sich aber nicht auf selbständige Betätigungen übertragen, weil diese im Gegensatz zu geringfügigen Arbeitsverhältnissen insbesondere in der Anlaufphase häufig trotz geringer Einkünfte einen erheblichen zeitlichen Einsatz erfordern.
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2. Im zweiten Rechtsgang wird im Hinblick auf den Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sowohl die tatsächliche Meldung der Tochter als Arbeitsuchende (vgl. dazu Senatsurteile vom 25. September 2008 III R 91/07, BFHE 223, 354, BStBl II 2010, 47; in BFH/NV 2012, 1971) als auch der zeitliche Umfang ihrer Tätigkeit zu prüfen sein.
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3. Die Kostenentscheidung wird dem FG übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO).
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