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BFH 22.05.2013 - III B 1/13
BFH 22.05.2013 - III B 1/13 - Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage bei kumulativer Urteilsbegründung - Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Verstoß gegen die sog. Beachtungspflicht
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 116 Abs 3 S 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 20. November 2012, Az: 11 K 11208/10, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Begehrt der Beschwerdeführer die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, fehlt es an der insoweit erforderlichen Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage, wenn das Finanzgericht seine Entscheidung kumulativ auf mehrere Gründe gestützt hat, der Beschwerdeführer hingegen nur hinsichtlich einer Begründung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt hat .
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2. NV: Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in Gestalt eines Verstoßes gegen die sogenannte Beachtungspflicht liegt nur vor, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Finanzgericht Äußerungen eines Verfahrensbeteiligten zu entscheidungserheblichen Fragen nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Das Finanzgericht ist hingegen nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist serbische Staatsangehörige und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 25 Abs. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet. Sie ist die Mutter eines im August 1984 geborenen Sohnes und einer im September 1993 geborenen Tochter.
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Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld für ihre beiden Kinder mit Bescheid vom 14. April 2010 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Klägerin die besonderen Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfülle. Den dagegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2010 als unbegründet zurück.
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Die hiergegen auf Kindergeldgewährung für die Zeit von März 2010 bis August 2010 gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Zur Begründung verwies es zum einen darauf, dass die Klägerin nicht ansatzweise dargetan und nachgewiesen habe, dass die allgemeinen Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung vorlägen. Zum anderen ging es davon aus, dass ein Kindergeldanspruch der Klägerin selbst bei Erfüllung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen ausscheide, weil die Klägerin nicht die speziellen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG erfülle und die Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. Juli 2012 1 BvL 3/10 (BGBl I 2012, 1898) als verfassungsgemäß zu erachten sei.
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Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) und wegen des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.
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a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei soll es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig sein muss. An der Klärungsfähigkeit fehlt es in den Fällen, in denen das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere Gründe gestützt hat, von denen jeder für sich gesehen die Entscheidung trägt, jedoch nur hinsichtlich einer Begründung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen wird (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 2007 IV B 103/06, juris, und vom 25. Juli 2007 VI B 26/07, BFH/NV 2007, 1890; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 31, m.w.N.).
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b) Davon ausgehend fehlt es den von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen, ob die in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG geforderten Anspruchsvoraussetzungen mit dem Grundgesetz (GG) in Einklang stehen bzw. ob sie wegen der Regelungen der Art. 26 und Art. 27 Abs. 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes --UN-Kinderrechtskonvention-- vom 20. November 1989 (BGBl II 1992, 121, 990) unbeachtlich sind, an ihrer Klärungsfähigkeit. Das FG hat sein Urteil hinsichtlich der Ablehnung des Kindergeldanspruchs der Klägerin doppelt begründet. Zum einen hat es sich zwar darauf gestützt, dass die Klägerin die durch § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG aufgestellten besonderen Anspruchsvoraussetzungen für Ausländer mit bestimmten Aufenthaltstiteln nicht erfüllt habe. Zum anderen hat es jedoch auch darauf abgestellt, dass die Klägerin die übrigen, allgemein geltenden Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nicht ansatzweise dargetan und nachgewiesen habe. Die Beschwerde wirft indessen Grundsatzfragen nur bezüglich der Anwendung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG auf.
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c) Aus dem gleichen Grund scheitert auch eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO). Da es sich insoweit um einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO handelt, muss es sich auch in diesem Fall um eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage von allgemeinem Interesse handeln (z.B. Senatsbeschluss vom 6. Juni 2006 III B 202/05, BFH/NV 2006, 1653).
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2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen, auf dem das FG-Urteil beruhen könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG-Urteil enthält keine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 119 Nr. 3 FGO in Gestalt eines Verstoßes gegen die sogenannte Beachtungspflicht (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO).
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a) Die Beachtungspflicht ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das FG Äußerungen eines Verfahrensbeteiligten zu entscheidungserheblichen Fragen nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 15. September 2006 III B 197/05, BFH/NV 2007, 28; BFH-Beschlüsse vom 13. April 2007 V B 122/05, BFH/NV 2007, 1517, sowie vom 17. März 2010 X B 62/09, BFH/NV 2010, 1825). Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt jedoch dann vor, wenn das Gericht Sachverhalt und Sachvortrag, auf den es ankommen kann, nicht nur nicht ausdrücklich bescheidet, sondern überhaupt nicht berücksichtigt. Ein Anspruch darauf, dass das Gericht einen Verfahrensbeteiligten "erhört", sich also seinen rechtlichen Ansichten oder seiner Sachverhaltswürdigung anschließt, ergibt sich aus dem Recht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs dagegen nicht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1517).
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b) In der angegriffenen Entscheidung hat das FG die Beachtungspflicht nicht verletzt. Das FG hat zu erkennen gegeben, dass es die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG sowohl im Hinblick auf die Gründe geprüft hat, die das Bundessozialgericht (BSG) veranlasst haben, § 1 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. c und Nr. 3 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) dem BVerfG vorzulegen, als auch im Hinblick auf die Erwägungen, die das BVerfG in dem daraufhin ergangenen Beschluss in BGBl I 2012, 1898 zur Annahme einer Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. b BErzGG geführt haben. Der Umstand, dass das FG dabei zunächst auf die Vorlagebeschlüsse des BSG eingeht und erst dann auf die Entscheidung des BVerfG, belegt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, dass das FG insoweit von einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren der konkreten Normenkontrolle ausgegangen ist. Vielmehr ergibt sich aus dem in diesem Zusammenhang erfolgten Verweis auf die Ausführungen des FG in zwei vorangegangenen Prozesskostenhilfebeschlüssen, dass das FG insoweit nur die Wiederholung früherer Begründungen vermeiden wollte.
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Nur eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Entscheidung und nicht indessen einen Verstoß gegen die Beachtungspflicht stellt es schließlich dar, dass das FG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des beschließenden Senats zu dem --der Rechtsauffassung der Klägerin widersprechenden-- Ergebnis gelangt ist, § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG sei verfassungsgemäß und eine Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 Buchst. b BErzGG berühre die Gültigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG nicht.
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