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BFH 13.09.2012 - XI R 13/12
BFH 13.09.2012 - XI R 13/12 - Fristversäumung durch angestellten Steuerberater; Wiedereinsetzung
Normen
§ 56 Abs 1 FGO, § 56 Abs 3 S 1 FGO, § 120 Abs 2 FGO, § 124 Abs 1 FGO, § 85 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 23. Februar 2012, Az: 5 K 313/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen.
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2. NV: Der bei einem Prozessbevollmächtigten angestellte, verantwortlich tätige Steuerberater, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigkeiten ausübt, ist einem Bevollmächtigten des Klägers i.S. des § 85 Abs. 2 ZPO gleichgestellt.
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3. NV: Nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben ergänzt oder vervollständigt werden.
Tatbestand
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I. Im vorliegenden Rechtsstreit wurde das Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 23. Februar 2012 der Prozessbevollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) --einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft-- gegen Empfangsbekenntnis am 5. März 2012 zugestellt. Die Prozessbevollmächtigte legte mit Schriftsatz vom 29. März 2012, Eingang beim Bundesfinanzhof (BFH) am 3. April 2012, die vom FG zugelassene Revision ein. Eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist wurde nicht beantragt.
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Unter dem 21. Mai 2012, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 24. Mai 2012, wies die Geschäftsstelle des XI. Senats die Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass die Frist für die nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotene Revisionsbegründung am Montag, dem 7. Mai 2012 abgelaufen sei, ohne dass die Revision begründet worden sei.
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Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2012, Eingang beim BFH per Fax am 6. Juni 2012, beantragte und begründete die Prozessbevollmächtigte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und holte die Revisionsbegründung nach. Dazu trug sie vor:
Die Revisionsbegründungsfrist sei "durch ein von der Prozessbevollmächtigten nicht zu vertretendes Büroversehen" verursacht worden. Die Betreuung des Revisionsverfahrens habe dem angestellten Steuerberater A oblegen, der seit April 2008 in der Kanzlei beschäftigt sei und bis dahin keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben habe. Er sei bis dato auch mit der Fristenkontrolle, der Berechnung von Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen sowie mit dem Überwachen der entsprechenden Erledigung betraut gewesen. Für die Erfassung des Posteingangs und die Führung des Fristenkontrollbuchs sei die Mitarbeiterin B zuständig, die seit November 2008 in der Kanzlei beschäftigt sei und bis dahin ebenfalls keinen Anlass für Beanstandungen gegeben habe; sie werde bei der Führung des Fristenkontrollbuchs regelmäßig überwacht.
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Nach fristgerechter Einlegung der Revision habe es Steuerberater A versäumt, "obwohl für ihn die Anweisung bestand, Fristen an die Mitarbeiterin, Frau B, zwecks Eintragung in das Fristenkontrollbuch, weiterzugeben, die Revisionsbegründungsfrist notieren zu lassen".
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Erst durch das Schreiben des BFH sei der Fehler bemerkt worden. Da der angestellte Steuerberater nicht der Prozessvertreter der Klägerin sei, jahrelang die ihm übertragene Aufgabe der Fristenkontrolle fehlerfrei durchgeführt habe und aufgrund seiner beruflichen Qualifikation auch für die ihm übertragene Aufgabe ohne weiteres geeignet sei, liege "ein Fristversäumnis durch ein der Klägerin zuzurechnendes Verschulden nicht vor".
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Mit weiterem Schreiben vom 10. August 2012 trägt die Prozessbevollmächtigte vor, dem angestellten Steuerberater, der die Klägerin vor dem FG und im Revisionsverfahren betreut habe, sei am 21. Mai 2012 fristlos gekündigt worden. Ursache für die Kündigung sei gewesen, dass der Steuerberater, nachdem er das Fristversäumnis am 16. Mai 2012 entdeckt habe, die Mitarbeiterin B massiv unter Druck gesetzt habe, eine von ihm vorbereitete eidesstattliche Versicherung zu unterschreiben, derzufolge sie die Verantwortung für das Unterbleiben der Fristeneintragung übernehme.
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Der Steuerberater trage in dem anhängigen Arbeitsgerichtsverfahren vor, er habe die Mitarbeiterin angewiesen, die Revisionsbegründungsfrist einzutragen. Die Mitarbeiterin widerspreche dem. Die Prozessbevollmächtigte sei somit selbst mit zwei zum Teil divergierenden Versionen konfrontiert. Es sei nicht auszuschließen, dass die Darstellung des Steuerberaters eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erlange. Das Arbeitsgerichtsverfahren diene "ebenfalls dazu, die verschiedenen Versionen der Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten auf ihre Richtigkeit zu überprüfen". Keiner der beiden Beschäftigten sei wegen der Fristversäumung arbeitsrechtlich oder disziplinarisch belangt worden. Die Kündigung sei nur aus Gründen der Schutzpflicht des Arbeitgebers gegenüber der massiv unter Druck gesetzten Mitarbeiterin angebracht erschienen.
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Die Prozessbevollmächtigte bittet um einen Hinweis, wenn es sinnvoll sein könnte, die Entscheidung des Arbeitsgerichtsverfahrens abzuwarten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).
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1. Die Klägerin hat die Revisionsbegründung nicht fristgerecht eingereicht.
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Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Das Urteil des FG wurde am 5. März 2012 zugestellt; folglich lief die Frist zur Begründung der Revision gemäß § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) am Montag dem 7. Mai 2012 ab. Die Revisionsbegründung ging jedoch erst am 6. Juni 2012 und damit nach Fristablauf beim BFH ein.
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2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann der Klägerin nicht gewährt werden, denn es lässt sich nicht feststellen, dass sie an dem Fristversäumnis unverschuldet verhindert war.
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a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589; vom 15. Dezember 2011 II R 16/11, BFH/NV 2012, 593, unter II.1., m.w.N.).
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aa) Nach § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO muss sich ein Kläger das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Dabei ist der beim Prozessbevollmächtigten angestellte, verantwortlich tätige Steuerberater, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigkeiten ausübt, einem Bevollmächtigten des Klägers i.S. des § 85 Abs. 2 ZPO gleichgestellt (Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 6. Februar 2001 XI ZB 14/00, Neue Juristische Wochenschrift 2001, 1575; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 2004 6 PB 16.03, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, 1007, und BFH-Beschlüsse vom 6. März 2002 IX R 29/01, BFH/NV 2002, 807, sowie vom 25. September 2008 VII R 23/07, BFH/NV 2009, 178, jeweils m.w.N.; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 56 Rz 10). Nur für den Fall, dass ein angestellter Steuerberater lediglich zur büromäßigen Betreuung der in der Kanzlei eingehenden Rechtssachen --insbesondere mit der Fristenberechnung-- eingesetzt ist, hat der BFH in Erwägung gezogen, dass sich ein Kläger das Verschulden einer solchen Bürokraft nicht zurechnen zu lassen braucht (BFH-Beschluss vom 03. Oktober 1985 V B 88/84, BFH/NV 1987, 335).
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bb) Nach den in dem Antrag auf Wiedereinsetzung gemachten Angaben kann nicht angenommen werden und es ist auch nicht vorgetragen, dass Steuerberater A in der Kanzlei nur mit unselbständigen Hilfs- und Bürotätigkeiten betraut wurde, so dass er einer solchen Funktion entsprechend lediglich als Bote oder vergleichbare Hilfsperson angesehen werden könnte. Vielmehr hat er die Klägerin bereits vor dem FG vertreten und das Revisionsverfahren betreut.
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b) Nach den Angaben der Klägerin in ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung hat es der bei ihrer Prozessbevollmächtigten angestellte Steuerberater A nach der fristgerechten Einlegung der Revision "versäumt", die Revisionsbegründungsfrist notieren zu lassen, obwohl für ihn die Anweisung bestand, Fristen an die Mitarbeiterin, Frau B, zwecks Eintragung in das Fristenkontrollbuch, weiterzugeben.
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c) Anhand dieses Vorbringens der Klägerin lässt sich nicht feststellen, dass das Fristversäumnis unverschuldet war. Wie es zu dem "Versäumnis" des Steuerberaters A gekommen ist, hat die Klägerin nicht dargelegt. Es ist zudem nicht auszuschließen, dass an dem Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgewirkt hat, das der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist und das einer Wiedereinsetzung entgegensteht (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 2010 IV R 5/10, BFH/NV 2011, 809; vom 14. Dezember 2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440). Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht zu entnehmen, wodurch sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor einem derartigen "Versäumnis" geschützt hat und welche organisatorischen Vorkehrungen sie getroffen hat, um derartige Fehler rechtzeitig aufzudecken (vgl. zur unbeabsichtigten Löschung im elektronischen Fristenkalender, BGH-Beschluss vom 27. März 2012 II ZB 10/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2012, 803, unter II.2.a, m.w.N.).
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Soweit im Schreiben vom 10. August 2012 ein anderer Sachverhalt dargestellt wird, kann dieser nicht zur Wiedereinsetzung führen.
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Lediglich die Glaubhaftmachung der innerhalb der Frist vorgetragenen Gründe kann auch noch "im Verfahren über den Antrag" erfolgen. Nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben ergänzt oder vervollständigt werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93 BFH/NV 1995, 989, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 26. April 2005 I B 248/04, BFH/NV 2005, 1591; vom 23. August 2011 X R 2/11, BFH/NV 2011, 1913).
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Der im Schreiben vom 10. August 2012 dargestellte Sachverhalt, die Fristversäumung sei bereits am 16. Mai 2012 von Steuerberater A bemerkt und am 18. Mai 2012 dem zuständigen Geschäftsführer der Prozessbevollmächtigten mitgeteilt worden und die weiteren damit zusammenhängenden Einzelheiten widersprechen dem zunächst Ausgeführten. Denn laut dem Vortrag in dem fristgerechten Antragsschreiben vom 4. Juni 2012 ist die Fristversäumung erst durch das am 24. Mai 2012 zugestellte Schreiben des BFH bemerkt worden; auch ist dort von einer fristlosen Kündigung des Steuerberaters A bereits am 21. Mai 2012 keine Rede.
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d) Der Ausgang des Arbeitsgerichtsverfahrens war nicht abzuwarten. Die Sache ist entscheidungsreif. Denn auf der Grundlage des zunächst und fristgemäß vorgetragenen Sachverhalts kommt eine Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist --wie dargelegt-- nicht in Betracht.
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