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BFH 28.03.2012 - VI R 48/11
BFH 28.03.2012 - VI R 48/11 - Übernachtungskosten und regelmäßige Arbeitsstätte bei LKW-Fahrern
Normen
§ 9 Abs 1 S 1 EStG 2002, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 30. Juni 2011, Az: 5 K 108/10, Urteil
nachgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 27. September 2012, Az: 5 K 99/12, Urteil
Leitsatz
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1. Übernachtet ein Kraftfahrer in der Schlafkabine seines LKW, sind die Pauschalen für Übernachtungen bei Auslandsdienstreisen nicht anzuwenden. Liegen Einzelnachweise nicht vor, sind die tatsächlichen Aufwendungen zu schätzen.
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2. Bei Kraftfahrern im Fernverkehr erfüllen weder der LKW-Wechselplatz noch das Fahrzeug die Merkmale einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob bei den Einkünften des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) aus nichtselbständiger Arbeit eine Pauschale für Übernachtungsaufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen ist.
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Der Kläger war im Streitjahr 2007 als Kraftfahrer im internationalen Fernverkehr tätig. Im Streitjahr übte er seine Tätigkeit in Deutschland, Dänemark, Schweden, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Frankreich und Spanien aus. Der Kläger hatte die Möglichkeit, in der Schlafkabine des von ihm gefahrenen LKW zu übernachten.
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In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger bei der Ermittlung seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit u.a. Übernachtungspauschalen in Höhe von 5 € für 220 Tage = 1.100 € sowie ab Mai 2007 wöchentliche Fahrten zum LKW-Wechselplatz nach Dänemark als Reisekosten (8 Monate x 4 Fahrten x 132 km x 2 x 0,30 € = 2.534,40 €) geltend.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Übernachtungspauschalen im Einkommensteuerbescheid vom 9. November 2009 nicht. Die Fahrten zum LKW-Wechselplatz berücksichtigte er als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (8 Monate x 4 Fahrten x 132 km x 0,30 € = 1.267,20 €).
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger hiergegen Klage. Im Laufe des Klageverfahrens nahm der Kläger von einer weiteren Verfolgung des Streitpunkts der Fahrten zum LKW-Wechselplatz Abstand. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 31 veröffentlichten Gründen ab.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Die Revision wurde mit Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Oktober 2011 zugelassen, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20. Oktober 2011 zugestellt wurde. Die Revisionsbegründung ging zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am 7. Dezember 2011 beim BFH ein.
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Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 30. Juni 2011 sowie die Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2010 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 9. November 2009 dahingehend abzuändern, dass bei den Werbungskosten des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Aufwendungen in Höhe von 1.100 € anerkannt werden.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unzulässig zu verwerfen; hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Die Revision ist zulässig. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil ihn kein Verschulden daran trifft, dass die Revisionsbegründungsfrist nicht eingehalten worden ist (§ 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO beträgt die Frist zur Begründung einer Revision, die aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH zugelassen worden ist, einen Monat. Der Fristlauf beginnt nach § 116 Abs. 7 Satz 2 FGO mit der Zustellung der Entscheidung über die Zulassung. Nachdem der Revisionszulassungsbeschluss am 20. Oktober 2011 zugestellt worden war, lief die Frist zur Begründung der Revision am Montag, dem 21. November 2011 ab. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten muss sich der Kläger als eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
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Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte durch Vorlage einer Kopie des Postausgangsbuchs glaubhaft gemacht, dass die Revisionsbegründungsschrift Bestandteil des Postausgangs vom 15. November 2011 war. Mit der eidesstattlichen Versicherung seiner Büroleiterin, die an diesem Tag damit beauftragt war, den Postausgang zur Post zu bringen, hat er zudem glaubhaft dargelegt, dass er den Postausgang ordnungsgemäß organisiert und überwacht hat und die Revisionsbegründung aufgrund eines Versehens der Büroleiterin nicht bei der Post abgegeben wurde. Der dargestellte Geschehensablauf ist in der eidesstattlichen Versicherung der Büroleiterin nachvollziehbar dargestellt worden, so dass der Senat von einem die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Versehen der langjährigen Büroleiterin ausgeht.
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2. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht von einer Berücksichtigung von Aufwendungen für Übernachtungen im LKW abgesehen.
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Bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind als Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch beruflich veranlasste Reisekosten abzuziehen. Hierzu zählen auch Aufwendungen für Übernachtungen (BFH-Urteil vom 11. Mai 1990 VI R 140/86, BFHE 160, 546, BStBl II 1990, 777).
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Ein Ansatz der von der Finanzverwaltung in den einschlägigen Verwaltungsanweisungen festgelegten Pauschbeträge (H 40 des Lohnsteuer-Handbuchs "Übernachtungen im Ausland") kommt nicht in Betracht. Die Pauschbeträge für Auslandsdienstreisen sind dann nicht der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn sie zu einer offensichtlich unzutreffenden Steuerfestsetzung führen würden, weil die tatsächlich angefallenen Übernachtungskosten die Pauschbeträge in nicht unbeträchtlichem Umfang unterschreiten (BFH-Urteil in BFHE 160, 546, BStBl II 1990, 777; BFH-Beschlüsse vom 9. Mai 2005 VI B 3/05, BFH/NV 2005, 1550; vom 12. November 2009 VI B 66/09, BFH/NV 2010, 884). Dies ist nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die die Revisionsinstanz nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, der Fall.
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Das FG konnte indes nicht vollständig von einer Berücksichtigung von Aufwendungen für Übernachtungen absehen.
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Führt der Ansatz von Übernachtungspauschalen --wie im Streitfall-- zu einer unzutreffenden Besteuerung, so können die tatsächlich angefallenen Aufwendungen als Werbungskosten berücksichtigt werden (BFH-Urteil in BFHE 160, 546, BStBl II 1990, 777; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1550). Liegen Einzelnachweise nicht vor, ist zu schätzen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1550). Hierbei ist davon auszugehen, dass typischerweise bestimmte Kosten --hier für Dusche, Toilette, Reinigung der Schlafgelegenheit-- entstehen. Der vom Kläger im Rahmen seiner eigenen Schätzung angesetzte Betrag erscheint in diesem Zusammenhang nicht überhöht.
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3. Die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das FA ist darüber hinaus fehlerhaft, soweit es die vom Kläger als Reisekosten geltend gemachten Aufwendungen als Fahrten zur Arbeitsstätte qualifiziert.
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Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist nur der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, denen der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit fortdauernd und immer wieder aufsucht (BFH-Urteile vom 22. September 2010 VI R 54/09, BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354; vom 19. Januar 2012 VI R 23/11 und VI R 36/11, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).
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Diese Voraussetzungen erfüllt der LKW-Wechselplatz nicht, da es sich hierbei nicht um eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt. Auch der vom Kläger gefahrene LKW kommt nicht als regelmäßige Arbeitsstätte in Betracht, weil es an einer ortsfesten Einrichtung fehlt.
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4. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Hinsichtlich der Übernachtungsaufwendungen wird es von seiner Schätzungsbefugnis Gebrauch machen und entsprechende Beträge ansetzen. Zusätzlich wird es die tatsächlichen Fahrtkosten zum LKW-Wechselplatz feststellen und als Reisekosten berücksichtigen.
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