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BSG 27.11.2020 - B 9 SB 29/20 B
BSG 27.11.2020 - B 9 SB 29/20 B - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Berücksichtigung individueller Teilhabeeinschränkungen - persönliche Nachteile im Berufsleben - Polizeidienstuntauglichkeit wegen einer Behinderung - sozialgerichtliches Verfahren - rechtliches Gehör - keine ausdrückliche Berücksichtigung jeden Vorbringens - Amtsermittlungspflicht - Divergenz - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 2 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 2 VersMedV, Anlage Teil A Nr 2 Buchst a S 3 VersMedV, § 62 SGG, § 103 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Magdeburg, 15. Juni 2015, Az: S 9 SB 261/13, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 18. Mai 2020, Az: L 7 SB 83/15, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Der Kläger begehrt eine rückwirkende Erhöhung des bei ihm wegen seiner Morbus-Crohn-Erkrankung festgestellten Grades der Behinderung (GdB). Mit Urteil vom 18.5.2020 hat das LSG wie vor ihm das SG und der Beklagte diesen Anspruch verneint.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe verfahrensfehlerhaft gehandelt, sei von der Rechtsprechung des Senats abgewichen und habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.), noch eine grundsätzliche Bedeutung (2.) oder eine Divergenz (3.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
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1. a) Soweit der Kläger als Verfahrensmangel im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG rügt, das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) verletzt, verfehlen seine Ausführungen die Darlegungsanforderungen. Dieser Anspruch soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird. Das Gericht braucht jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten zu bescheiden. Ein Verstoß gegen die Berücksichtigungspflicht ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, zB wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt, oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (Senatsbeschluss vom 18.2.2009 - B 9 VJ 7/08 B - juris RdNr 5 mwN). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt. Diese haben ein Recht darauf gehört, nicht aber stets erhört zu werden (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 11.2.2020 - B 9 SB 49/19 B - juris RdNr 7 mwN).
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Nach diesen Maßstäben hat die Beschwerde keine Gehörsverletzung dargelegt. Der Kläger kritisiert, das LSG habe bei der Bewertung seiner Morbus-Crohn-Erkrankung seinen Vortrag zur teilweisen Entfernung seines Dünndarms sowie zu seinem großen Gewichtsverlust nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. Zudem habe es von der Sachverständigen H. mitgeteilte Tatsachen übergangen und nur deren Tatsachenbewertung zur Kenntnis genommen. Wie der Kläger indes selbst einräumt, geht das Berufungsurteil auf die genannten Gesichtspunkte ein, wenn auch nach seiner Ansicht nicht umfassend, "ergebnisorientiert" und "allenfalls dem äußeren Wortlaut nach". Insbesondere will der Kläger aus den von der Sachverständigen H. zugrunde gelegten Tatsachen andere Schlüsse (auf einen höheren GdB zu einem früheren Zeitpunkt) ziehen, als die Sachverständige selbst und das LSG, das der Sachverständigen gefolgt ist. Damit wendet sich die Beschwerde im Kern aber gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Diese entzieht § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG indes vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 15 mwN).
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b) Ebenso wenig dargetan hat der Kläger eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 103 SGG. Er behauptet, das Berufungsgericht habe einen von ihm gestellten Beweisantrag übergangen, ohne dies indes in der erforderlichen Weise darzulegen. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
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Der Kläger macht insoweit geltend, das LSG habe seinen Beweisantrag bei einem Erörterungstermin nicht protokolliert, weshalb er den Antrag nicht belegen könne. Damit räumt er selbst ein, keinen Beweisantrag bezeichnen zu können. Da das LSG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, hätte der Kläger darlegen müssen, dass er einen Beweisantrag bis zuletzt, also auch nach seiner Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, aufrechterhalten hat. Jedenfalls an dieser Darlegung fehlt es. Wer im Berufungsverfahren schriftsätzlich einen Beweisantrag stellt und anschließend vorbehaltlos einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil zustimmt (§ 124 Abs 2 SGG), muss sich so behandeln lassen, als hätte sich der Beweisantrag erledigt (Senatsbeschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - juris RdNr 5 mwN).
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2. Der Kläger hat auch keine grundsätzliche Bedeutung dargelegt. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - juris RdNr 7 mwN).
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Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).
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Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung.
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Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
"Stellte die Feststellung der Berufsuntauglichkeit (hier: Polizeidienstuntauglichkeit) wegen einer chronischen, unheilbaren Erkrankung (hier. Morbus Crohn) und die damit verbundene Entlassung aus dem Beschäftigungsverhältnis, ggf. mit Verlust der Altersversorgungsansprüche, eine für die Feststellung eines Grades der Behinderung zu berücksichtigende Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft dar?"
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Indes ist diese Frage ersichtlich bereits auf den Einzelfall des Klägers zugeschnitten, was maßgeblich gegen eine grundsätzliche Bedeutung spricht. Unabhängig davon fehlt es an der substantiierten Darlegung, warum sie sich nicht ohne Weiteres bereits auf der Grundlage des Gesetzestextes und der bisherigen Senatsrechtsprechung beantworten lässt. Der in § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX definierte Begriff der Behinderung setzt nur voraus, dass die "Teilhabe an der Gesellschaft" in irgendeiner Form beeinträchtigt ist - ohne dass nach einzelnen Bereichen differenziert würde. Die Feststellung des GdB erfordert daher, die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen zu ermitteln und zu berücksichtigen (vgl Senatsurteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - juris RdNr 20; Senatsurteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 6/06 R - juris RdNr 17, jeweils mwN). Dazu gehören selbstverständlich auch, aber nicht nur, Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben (vgl Teil A Nr 2 Buchst a Satz 3 der in Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten Versorgungsmedizinischen Grundsätze <VMG>). Mit diesen Vorgaben setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Ihr pauschaler Verweis auf die nicht mitgeteilten Ergebnisse einer juris-Recherche kann die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht ersetzen.
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3. Die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen legt der Kläger ebenfalls nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz prozessordnungsgemäß darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen. Erforderlich ist die Darlegung, dass das LSG einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (Senatsbeschluss vom 12.1.2017 - B 9 V 58/16 B - juris RdNr 21 mwN).
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Entsprechende Darlegungen macht die Beschwerde nicht. Ihr Vorwurf, das Berufungsgericht habe sich entgegen der Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf beschränkt, der pauschalen Wertung der Sachverständigen H. zu folgen, zeigt keinen Rechtssatz des LSG auf, sondern kritisiert wiederum vor allem dessen Beweiswürdigung. Diese entzieht § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG indes, wie ausgeführt, vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Ebenso wenig kann die bloße Behauptung einer unrichtigen Rechtsanwendung im Einzelfall die Darlegung einer Divergenz ersetzen und der Beschwerde zum Erfolg verhelfen (Senatsbeschluss vom 29.6.2020 - B 9 V 54/19 B - juris RdNr 5 mwN).
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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