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BSG 30.11.2016 - B 6 KA 36/16 B
BSG 30.11.2016 - B 6 KA 36/16 B - Vertragsärztliche Versorgung - Wirtschaftlichkeitsprüfung - Darlegungs- und Mitwirkungspflicht des Vertragsarztes vor den Prüfgremien
Normen
§ 21 Abs 2 SGB 10, § 103 SGG, § 106 Abs 2 SGB 5
Vorinstanz
vorgehend SG Kiel, 30. September 2013, Az: S 14 KA 122/10
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, 8. März 2016, Az: L 4 KA 51/13, Urteil
nachgehend BVerfG, 18. April 2021, Az: 1 BvR 1180/17, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. März 2016 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
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Der Streitwert wird auf 82 830 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Der Kläger, der bis zum 1.4.2014 als hausärztlicher Internist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war, wendet sich gegen einen Regress im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen für die Jahre 2003 und 2005. Der beklagte Beschwerdeausschuss gab - unter Berücksichtigung der Mehrkosten bei der Behandlung von Heimbewohnern und der Verordnung einzelner besonderer Präparate - den Widersprüchen des Klägers teilweise statt und reduzierte den von der Prüfungsstelle festgesetzten Regressbetrag von 109 752,28 Euro auf insgesamt 82 830,43 Euro. Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 30.9.2013 die Klage abgewiesen, das LSG hat mit der hier angefochtenen Entscheidung die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte habe bei der Ermittlung der Richtgrößenüberschreitung Praxisbesonderheiten hinreichend berücksichtigt. Aus der vorgetragenen ganzheitsmedizinischen Behandlung lasse sich eine Praxisbesonderheit nicht sicher ableiten. Kompensierende Einsparungen habe der Kläger vor den Prüfgremien nicht hinreichend dargelegt und auch im gerichtlichen Verfahren nicht ausreichend konkretisiert.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) geltend macht.
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II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
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1. Für die Zulassung einer Revision wegen einer Rechtsprechungsabweichung ist Voraussetzung, dass entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze aus dem LSG-Urteil und aus einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG miteinander unvereinbar sind und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 28 RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44). Für eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG reicht nicht aus, aus dem LSG-Urteil inhaltliche Schlussfolgerungen abzuleiten, die einem höchstrichterlich aufgestellten Rechtssatz widersprechen. Das LSG-Urteil einerseits und die höchstrichterliche Entscheidung andererseits müssen vielmehr jeweils abstrakte Rechtssätze enthalten, die einander widersprechen. Das muss in der Beschwerdebegründung aufgezeigt werden. Dem genügen die Ausführungen des Klägers nicht.
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Es fehlt bereits an der Gegenüberstellung sich widersprechender Rechtssätze. Soweit das LSG ausführt: "Die erforderliche Darlegung muss dabei grundsätzlich bereits gegenüber den Prüfgremien erfolgen und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren" sowie: "Insbesondere hätte der Kläger vor den Prüfgremien darlegen müssen, inwieweit er durch ambulante Behandlungen Kosten spart, weil andere Ärzte der Vergleichsgruppe Patienten an Spezialisten verwiesen hätten. Eine Darlegung muss aber grundsätzlich bereits gegenüber den Prüfgremien und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren erfolgen", zitiert es eine Entscheidung des Senats vom 28.8.2013 (SozR 4-2500 § 106 Nr 42 RdNr 32). Wenn der Kläger meint, das LSG habe diese Rechtssätze isoliert betrachtet und sei infolgedessen zu einer nicht mit dem zitierten Urteil zu vereinbarenden Anwendung gekommen, zeigt er keine Divergenz auf, sondern lediglich eine aus seiner Sicht unzutreffende Rechtsanwendung, die die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen vermag. Da das LSG ergänzend ausgeführt hat, dass die Darlegungen des Klägers auch im gerichtlichen Verfahren den Anforderungen nicht entsprachen, ist im Übrigen zugunsten des Klägers eine weitergehende Überprüfung seines Vorbringens erfolgt.
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Die vom Kläger als divergent angesehene Auffassung, dass im Gerichtsverfahren jegliche Ergänzung des Sachvortrags ausgeschlossen sei, findet sich in dem angefochtenen Urteil ebenso wenig wie der Versuch, eine solche Auffassung des BSG zu belegen. Dass aus Sicht des Klägers das LSG Hinweispflichten des Beklagten hätte annehmen müssen, betrifft allein die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall. Soweit der Kläger bemängelt, der Beklagte hätte ihm die Möglichkeit geben müssen, kompensatorische Einsparungen durch eine besonders geringe Zahl an Überweisungen an Fachärzte näher darzulegen, ist dem angefochtenen Bescheid im Übrigen zu entnehmen, dass der Beklagte - der dem Kläger mehrfach Gelegenheit zur mündlichen und schriftlichen Stellungnahme gegeben hat - die Darlegung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Mehraufwand und etwaigen fiktiven Einsparungen für nicht gelungen gehalten hat. Insofern wurde dem Kläger kein weiterer Vortrag abgeschnitten, sondern sein Vortrag lediglich nicht in seinem Sinne gewertet.
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Soweit der Kläger eine Abweichung durch Nichtanwendung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 21.3.2012 (SozR 4-2500 § 106 Nr 35) rügt, verkennt er bereits, dass nach der Rechtsprechung des BSG von Darlegungsobliegenheiten nur dort abzusehen ist, wo es sich um offenkundige Aspekte handelt bzw solche, die anhand der bei der KÄV vorhandenen Unterlagen oder den Angaben des Arztes erkennbar sind (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 35 RdNr 43-44). Abgesehen davon sind auch insofern divergierende Rechtssätze nicht dargelegt. Dass das LSG hier keinen Anlass für eine Ausnahme in diesem Sinne gesehen hat, betrifft wiederum allein die Bewertung des Einzelfalles. Nicht erkennbar ist, inwiefern Rügen hinsichtlich des Verfahrens vor dem Beklagten eine Zulassung wegen Divergenz begründen sollen. Schließlich geht der Hinweis auf Ermittlungspflichten des LSG nach dem SGG fehl. Ungeachtet dessen, dass hierauf keine Divergenzrüge gestützt werden kann, verkennt der Kläger damit die Rechtsprechung des Senats. Danach beruht die Darlegungspflicht des Vertragsarztes vor den Prüfgremien auf einer besonderen Mitwirkungspflicht, die über die allgemeine Pflicht aus § 21 SGB X hinausgeht (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 35 RdNr 40). Einwände, die der Arzt erst im gerichtlichen Verfahren vorbringt, obwohl es ihm oblegen hätte, diese schon den Prüfgremien gegenüber zu erheben, können unberücksichtigt bleiben, weil der Arzt nicht berechtigt ist, das Prüfverfahren zu unterlaufen und die den Prüfgremien vorbehaltene Prüfung in das gerichtliche Verfahren zu verlagern (BSG, aaO, RdNr 41 mwN). Das LSG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Nichtberücksichtigung von Vorbringen im gerichtlichen Verfahren wegen nicht hinreichender Mitwirkung im Verwaltungsverfahren von der prozessrechtlichen Präklusion nach § 106a SGG zu unterscheiden ist. Soweit der Kläger seinen Mitwirkungspflichten vor den Prüfgremien nicht genügt hat, kann dies nicht durch die Amtsermittlungspflicht der Sozialgerichte überspielt werden. Dies ergibt sich auch bereits aus der vom Kläger angeführten Entscheidung vom 20.9.1988 (SozR 2200 § 368n RVO Nr 57 S 197 f). Wie der Kläger selbst zitiert, hat das BSG in dieser Entscheidung auch ausgeführt, dass die Prüfgremien Gelegenheit zu weiterer Stellungnahme geben müssen, wenn sie Anlass zu der Annahme haben, dass der Arzt seinen bisherigen Vortrag ergänzen kann. Dass das LSG das Verfahren vor dem Beklagten insofern nicht beanstandet hat, begründet keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.
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2. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG liegen ebenfalls nicht vor. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt.
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Der Kläger stellt schon keine hinreichend konkrete Rechtsfrage. Soweit seinem Vorbringen zu entnehmen ist, er wolle die Frage stellen, ob eine § 106a Abs 3 SGB V gleichkommende Sperrwirkung durch die Beendigung des Vorverfahrens ausgeschlossen sei, kann diese Frage ohne Weiteres anhand der vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden. Die Mitwirkungspflicht des Vertragsarztes in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung beruht darauf, dass ihm ein Vergütungsanspruch nur zusteht, wenn er die Leistung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbringen durfte (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 35 RdNr 40). Das gilt auch für die Verordnung von Arzneimitteln. Wie unter 1. bereits dargelegt, folgt die fehlende rechtliche Relevanz von Vorbringen, das nicht bei den Prüfgremien angebracht worden ist, nicht aus einer verfahrensrechtlichen "Sperrwirkung" und ist von einer prozessualen Präklusion nach § 106a SGG zu unterscheiden.
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Soweit der Kläger ein "venire contra factum proprium" rügt, fehlt es ebenfalls an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage. Der Vortrag, es hätte berücksichtigt werden müssen, dass einige Arzneimittel, die er 2003 und 2005 verordnet habe, später aus der Richtgrößenvereinbarung herausgenommen worden seien, verkennt bereits, dass nach der Rechtsprechung des Senats für die rechtliche Beurteilung, welche Rechtsfolgen sich aus einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens ergeben, grundsätzlich das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich ist (vgl BSGE 117, 149 = SozR 4-2500 § 106 Nr 48, RdNr 36 ff). Auch die weiteren Ausführungen des Klägers, insbesondere zum Aspekt der "systemfremden Sonderstellung" der "Haftung für unwirtschaftliches Verhalten" lassen eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht erkennen. Schließlich vermag auch der Vortrag, der Regress müsse auch unter dem Gesichtspunkt von Art 12 GG geprüft werden, eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu begründen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Als erfolgloser Rechtsmittelführer hat der Kläger auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Dies gilt nicht für die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, weil diese keinen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
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4. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Regresssumme (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 3 GKG).
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