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BSG 23.10.2014 - B 11 AL 52/14 B
BSG 23.10.2014 - B 11 AL 52/14 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Bindung an rechtskräftiges Urteil - rechtskräftige Versagung von Arbeitslosengeld - kein Anspruch auf Gründungszuschuss mangels Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB 3
Normen
§ 141 Abs 1 Nr 1 SGG, § 57 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst a SGB 3
Vorinstanz
vorgehend SG Kassel, 12. Juli 2010, Az: S 3 AL 288/07
vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 21. Mai 2014, Az: L 6 AL 150/10, Urteil
Leitsatz
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Wird ein Anspruch auf Arbeitslosengeld durch rechtskräftige Entscheidung verneint, ist damit zugleich geklärt, dass auch kein Anspruch auf einen Gründungszuschuss besteht, weil dieser einen Leistungsbezug nach dem SGB 3 tatbestandlich voraussetzt.
Tenor
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Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Im Streit ist die Gewährung eines Gründungszuschusses (GZ).
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Der Kläger war bei der insolvent gewordenen Firma Wilhelm S GmbH & Co KG beschäftigt und seit 2001 - ebenso wie sein Vater Willi S Geschäftsführer der Komplementärin (S GmbH). Anschließend leitete er eine neu gegründete Auffanggesellschaft, um den bisherigen Geschäftsbereich der Insolvenzschuldnerin in kleinerem Umfang weiterzuführen. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit beantragte der Kläger am 15.5.2007 gleichzeitig mit der Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) auch einen GZ unter Hinweis auf eine geplante Selbstständigkeit. Mit Bescheid vom 6.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.10.2007 lehnte die Beklagte den Alg-Antrag ab, weil der Kläger - bereits bzw weiterhin - eine mehr als kurzzeitige selbstständige Tätigkeit ausübe. Die fristgerecht erhobene Klage hat das Sozialgericht Kassel (SG) durch Urteil vom 12.7.2010 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nach der Insolvenz der Firma Wilhelm S GmbH & Co KG zu keinem Zeitpunkt - und damit auch nicht am 15.5.2007 - arbeitslos gewesen. Damit habe auch kein Anspruch auf Alg bestanden. Die Berufung gegen dieses Urteil nahm der Kläger nach richterlichem Hinweis auf die fragliche Statthaftigkeit am 17.7.2013 zurück.
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Durch Bescheid vom 25.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2007 lehnte die Beklagte auch den Antrag auf Gewährung des GZ ab, weil der Kläger keinen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) habe, sodass es an einer tatbestandlichen Voraussetzung für die Bewilligung des GZ fehle. Die mit der Begründung erhobene Klage, zumindest am 15.5.2007 seien die Anspruchsvoraussetzungen in Bezug auf Alg erfüllt gewesen, hat das SG mit Urteil ebenfalls vom 12.7.2010 unter Bezugnahme auf sein Urteil zum Alg-Anspruch vom selben Tag abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25.7.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2007 verurteilt, dem Kläger GZ in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei zumindest am 15. und 16.5.2007 arbeitslos gewesen mit einem Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III. Dem stehe das Urteil des SG zum (fehlenden) Alg-Anspruch des Klägers nicht entgegen; denn die dortigen Feststellungen betreffend die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Würdigungen bänden den Senat nicht.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Beklagte Beschwerde eingelegt, mit der sie als Verfahrensfehler rügt, das LSG habe wegen der rechtskräftigen Entscheidung des SG zum fehlenden Alg-Anspruch des Klägers im Urteil vom 12.7.2010 (S 3 AL 287/07) gemäß § 141 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht mehr in der Sache entscheiden dürfen. Wegen der Berufungsrücknahme in diesem Rechtsstreit stehe fest, dass der Kläger am 15. und 16.5.2007 nicht arbeitslos gewesen sei, sodass auch ein Anspruch auf Alg entfalle. Hinsichtlich der - auch für den GZ maßgeblichen (§ 57 Abs 2 Nr 1 Buchst a SGB III in der bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung <aF>) - Feststellung des Bestehens eines Anspruchs auf Entgeltersatzleitungen nach dem SGB III sei der Kläger wegen Identität des Streitgegenstands daher präkludiert. Dies gelte auch dann, wenn die Frage des Leistungsbezugs nach dem SGB III im zweiten Prozess nicht die Hauptfrage, sondern nur eine Vorfrage sei.
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II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
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Die Beklagte hat einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG schlüssig bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Der Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor. Das LSG hätte über den klägerischen Anspruch auf GZ nicht sachlich entscheiden dürfen. Denn über das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltersatzleitungen nach dem SGB III als wesentliche Voraussetzung (Tatbestandsmerkmal) für den klägerischen Anspruch auf GZ (vgl § 57 Abs 2 Nr 1 Buchst a SGB III aF) hat das SG im Verfahren betreffend die Bewilligung von Alg im Urteil vom 12.7.2010 (S 3 AL 287/07) rechtskräftig entschieden und diesen Anspruch verneint. Die Rechtskraft dieser Entscheidung bindet die Beteiligten (§ 141 Abs 1 Nr 1 SGG). Wegen dieser Rechtskraftbindung hätte das LSG keine abweichende Sachentscheidung mehr treffen dürfen.
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Der Kläger ist mit der Behauptung, am 15. und 16.5.2007 arbeitslos mit Anspruch auf Alg gewesen zu sein, präkludiert. Die Voraussetzungen des § 141 Abs 1 Nr 1 SGG sind erfüllt. Kläger und Beklagte waren "Beteiligte" des Rechtsstreits S 3 AL 287/07 und der Streitgegenstand dieses Verfahrens - Anspruch auf Alg wegen Arbeitslosigkeit des Klägers am 15. und 16.5.2007 - ist mit dem Streitgegenstand des Berufungsverfahrens des LSG L 6 AL 150/10 identisch.
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Dies folgt daraus, dass ein Leistungsbezug nach dem SGB III bei Arbeitslosigkeit notwendige tatbestandliche Voraussetzung für das Bestehen eines Anspruchs auf GZ ist. Wird über einen Anspruch auf Alg rechtskräftig ablehnend entschieden, ist damit zugleich geklärt, dass auch eine andere Leistung - hier: der GZ -, die den Leistungsbezug tatbestandlich voraussetzt, nicht erbracht werden kann. Damit ist nicht lediglich über ein einzelnes Element des Leistungsanspruchs entschieden worden, sondern inzident über den Anspruch selbst.
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Damit unterscheidet sich die materielle Rechtskraftwirkung im vorliegenden Fall von der reinen Tatbestands- oder Drittbindungswirkung, von der - offenbar (vgl S 9 der Urteilsbegründung) - das LSG ausgegangen ist (zur Tatbestandswirkung vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 141 RdNr 4 Spiegelstrich 4 mwN). Vielmehr hat das SG im Urteil vom 12.7.2010 (S 3 AL 287/07) - zumindest inzident - in der Sache bindend über alle Ansprüche des Klägers (mit)entschieden, die einen Leistungsbezug nach dem SGB III tatbestandlich voraussetzen. Dies erhellt daraus, dass der Kläger mit seinem Rechtsschutzbegehren im vorliegenden Verfahren hinsichtlich des (fehlenden) Anspruchs auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III erreichen möchte, dass das kontradiktorische Gegenteil der im Urteil vom 12.7.2010 (S 3 AL 287/07) abgelehnten Rechtsfolge ausgesprochen wird.
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Selbst wenn man die Frage des Leistungsbezugs nach dem SGB III hinsichtlich der Gewährung von GZ aber nur als "Vorfrage" ansehen wollte, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn die Rechtskraft einer in einem Vorprozess der Beteiligten ergangenen Entscheidung ist nicht nur bei Identität der Streitgegenstände in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten, sondern auch dann, wenn eine für den nachfolgenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Vorfrage im Vorprozess rechtskräftig entschieden wurde (BGH NJW 2008, 1227; BGH NJW 1993, 3204; ähnlich: BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 2, RdNr 11; der 1. Senat des BSG spricht im Urteil vom 15.10.1987 - 1 RA 15/86 - Juris - missverständlich von "Deckungsgleichheit" der Ansprüche). Das BSG hätte als Revisionsgericht mithin von Amts wegen das Berufungsurteil dahin zu überprüfen, ob ein Verstoß gegen eine frühere rechtskräftige Entscheidung vorliegt; denn die materielle Rechtskraft hat präjudizielle Wirkungen in dem Sinne, dass die im Vorprozess entschiedene Rechtsfolge im nachfolgenden Prozess einer erneuten rechtlichen Würdigung nicht zugänglich ist (vgl BGH WM 1989, 1897; vgl im Einzelnen: Vollkommer in Zöller, ZPO, 30. Aufl 2014, Vor § 322 RdNr 20 bis 22).
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Da damit die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat schon aus Gründen der Kosten- und Zeitersparnis für die Beteiligten von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 160a Abs 5 SGG).
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden haben.
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