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BVerfG 01.07.2024 - 1 BvR 1192/24
BVerfG 01.07.2024 - 1 BvR 1192/24 - Nichtannahmebeschluss: Teils mangels Rechtswegerschöpfung, teils mangels hinreichender Begründung unzulässige Verfassungsbeschwerde in einer umgangs- und sorgerechtlichen Sache
Normen
Art 6 Abs 2 S 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 1684 Abs 4 S 2 BGB, § 1696 Abs 2 BGB, § 1696 Abs 1 S 1 BGB, § 44 FamFG
Vorinstanz
vorgehend OLG München, 8. April 2024, Az: 2 UF 118/24 e, Beschluss
vorgehend AG München, 11. Januar 2024, Az: 558 F 14086/23, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft im fachgerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren ergangene Entscheidungen zum Sorge- und zum Umgangsrecht.
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I.
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Der Beschwerdeführer ist der Vater von zwei in den Jahren 2012 und 2016 geborenen Töchtern, die aus der Ehe mit der Mutter hervorgegangen sind. Die Eltern sind seit mehreren Jahren getrennt. Beide Töchter leben bei der Mutter, der seit längerem das Sorgerecht zur alleinigen Ausübung übertragen worden ist. Aufgrund gerichtlicher Entscheidungen ist der Umgang des Beschwerdeführers mit seinen Töchtern noch bis zum 30. Juni 2025 ausgeschlossen.
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Im der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Ausgangsverfahren hat der Beschwerdeführer mit detaillierten Anträgen im Kern begehrt, ihm unter Abänderung der vorangegangenen Entscheidungen das Sorgerecht für die Töchter zur alleinigen Ausübung zu übertragen sowie den Umgang der Mutter mit den Töchtern auszuschließen. Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 11. Januar 2024 die Anträge zurückgewiesen. Es lägen weder die nach § 49 FamFG im einstweiligen Anordnungsverfahren erforderlichen Voraussetzungen für eine Abänderung der bisherigen Sorge- und Umgangsentscheidungen (Anordnungsanspruch) noch diejenigen für ein sofortiges Tätigwerden des Gerichts (Anordnungsgrund) vor. Die Beschwerde des Beschwerdeführers hat das Oberlandesgericht als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Familiengerichts zum Gegenstand Umgang richtet, und als unbegründet zurückgewiesen, soweit der Gegenstand Sorgerecht betroffen ist.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung seines Elterngrundrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör rügt, ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist aus unterschiedlichen Gründen insgesamt unzulässig und deshalb ohne Aussicht auf Erfolg.
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1. Der Beschwerdeführer hat entgegen dem Erfordernis des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg nicht erschöpft. Sowohl ausdrücklich als auch der Sache nach mit Ausführungen wie beispielsweise, das Oberlandesgericht habe "neu eingereichte Beweise" nicht überprüft, rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Dann aber gehört die Erhebung einer Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren zum Rechtsweg, wenn diese Rüge statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre (vgl. BVerfGE 134, 106 113 Rn. 22>; stRspr). Die hier nach § 44 FamFG jedenfalls gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. April 2024 statthafte Anhörungsrüge hat der Beschwerdeführer nicht erhoben. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass eine Anhörungsrüge angesichts der zahlreichen vom Beschwerdeführer behaupteten Gehörverstöße offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Das Ausbleiben der gebotenen Anhörungsrüge führt nicht nur zur Unzulässigkeit der Rüge einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG, sondern zu einer Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insgesamt, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der behauptete Gehörsverstoß (vgl. BVerfGE 134, 106 113 Rn. 22>; stRspr). So verhält es sich hier. Der Beschwerdeführer unterscheidet bei den geltend gemachten Gehörsverstößen nicht zwischen den Gegenständen Sorgerecht einerseits und Umgangsausschluss andererseits. Somit ist davon auszugehen, dass sich die Rüge der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG auf beide Gegenstände des Ausgangsverfahrens bezieht.
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Es kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer wegen der Beschränkung des Beschwerderechts durch § 57 FamFG im fachgerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren eine Anhörungsrüge nach § 44 FamFG bereits gegen den den Gegenstand Umgang betreffenden Beschluss des Familiengerichts vom 8. April 2024 als Entscheidung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FamFG hätte einlegen müssen, um den Rechtsweg zu erschöpfen. Denn eine Anhörungsrüge hat der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren überhaupt nicht erhoben.
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2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts zum Gegenstand Sorgerecht richtet, ist die Verfassungsbeschwerde zudem wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das Oberlandesgericht hat in seinem Beschluss vom 8. April 2024 vollumfänglich über den Gegenstand Sorge erneut entschieden und die Voraussetzungen für eine Abänderung (§ 1696 Abs. 1 BGB) der bisherigen Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB nach eigener Prüfung verneint. Damit ist die erstinstanzliche Entscheidung insoweit prozessual überholt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 2023 - 1 BvR 1773/22 -, Rn. 7 m.w.N.). Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis ist weder dargelegt noch erkennbar.
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3. Zudem genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde zu keiner der beiden angegriffenen Entscheidungen den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG (vgl. zu diesen BVerfGE 157, 300 310 Rn. 25>; 158, 210 230 f. Rn. 51>; 163, 165 210 Rn. 75>). Insbesondere zeigt der Beschwerdeführer nicht unter Heranziehung der hier anwendbaren verfassungsrechtlichen Maßstäbe die Möglichkeit auf, in seinem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt zu sein.
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Das gilt auch, soweit er sich gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 11. Januar 2024 zum Gegenstand Umgang wendet. Allerdings dürfte die Entscheidung dazu nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Der Beschwerdeführer hat mit seinen zuletzt in erster Instanz gestellten Anträgen in der Sache jedenfalls auch die Abänderung der Entscheidung zum Ausschluss seines Umgangs mit den Kindern begehrt, wie sich aus dem Antrag auf Übertragung des alleinigen (vollumfänglichen) Sorgerechts sowie demjenigen zur Anordnung eines Ausschlusses des Umgangs der Mutter mit den Kindern ergeben dürfte. Von einem auf die Änderung der bisherigen Sorge- und Umgangsrechtsentscheidungen gerichteten Antrag scheint auch das Familiengericht ausgegangen zu sein, indem es ausgeführt hat, der Beschwerdeführer habe "triftige Gründe im Sinne von § 1691 Abs. 1 BGB für eine Abänderung der Sorgerechtsentscheidung und/oder der Entscheidung zum Umgangsrecht" nicht glaubhaft gemacht.
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Die Prüfung des im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens erforderlichen Anordnungsanspruchs am Maßstab von § 1696 Abs. 1 BGB ist hier verfassungsrechtlich im Hinblick auf das Elterngrundrecht des Beschwerdeführers jedoch bedenklich. Angesichts der mehrjährigen Dauer des noch bis zum 30. Juni 2025 befristeten Umgangsausschlusses dürfte es sich fachrechtlich um einen Ausschluss "für längere Zeit" im Sinne von § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB handeln (zum Zeitmoment vgl. Veit, in: BeckOK BGB, 70. Ed. [1/2023], § 1684 Rn. 183.1 m.w.N.), der lediglich bei Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung angeordnet werden darf (zu den Anforderungen vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Januar 2023 - 1 BvR 2345/22 -, Rn. 10 m.w.N.). Ein solcher längerfristiger Umgangsausschluss ist nach § 1696 Abs. 2 BGB zwingend aufzuheben, wenn eine Kindeswohlgefährdung nicht mehr besteht (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. September 2016 - 1 BvR 1547/16 -, Rn. 38 f. und vom 28. Oktober 2019 - 1 BvR 2237/19 -, Rn. 3 jeweils m.w.N.). Auf die in § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgesehene Änderungsschwelle der "triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründe" (vgl. dazu Volke, in: MünchKommBGB, 9. Aufl. 2024, § 1696 Rn. 32 m.w.N.) kommt es nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. September 2016 - 1 BvR 1547/16 -, Rn. 38 m.w.N.). Zieht ein Fachgericht in den Fällen eines dauerhaften oder längerfristigen Umgangsausschlusses § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB mit der vorgenannten Änderungsschwelle als Maßstab der Abänderung heran, kann darin eine Verletzung des betroffenen Elternteils in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG liegen, wenn dann die den Ausschluss rechtfertigende Kindeswohlgefährdung weggefallen ist, das Fachgericht aber ungeachtet dessen triftige Gründe mit nachhaltigem Kindeswohlbezug verneint und es bei dem Umgangsausschluss belässt.
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Vorliegend dürfte es daran trotz des Zugriffs des Familiengerichts auf einen dem Elterngrundrecht nicht entsprechenden materiell-rechtlichen Maßstab im Fachrecht (§ 1696 Abs. 1 BGB) fehlen. Zum einen hat das Familiengericht nicht nur einen anhand von § 1696 Abs. 1 BGB beurteilten Anordnungsanspruch verneint, sondern - allerdings ohne nähere Begründung - auch das dringende Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden, mithin den Anordnungsgrund. Dass es insoweit Verfassungsrecht verletzt haben könnte, ist weder substantiiert dargelegt noch auf der Grundlage der Verfassungsbeschwerde und der dazu eingereichten Unterlagen ersichtlich. Zum anderen lässt sich auf Grundlage der vom Familiengericht im angegriffenen Beschluss getroffenen Feststellungen nicht erkennen, dass eine Gefährdung des Wohls der Kinder bei Umgangskontakten mit dem Beschwerdeführer mittlerweile entfallen sein könnte. In einem eventuellen Hauptsacheverfahren über die Aufhebung des Umgangsausschlusses (vgl. § 166 Abs. 2 FamFG) wird dem wegen des zwingenden Aufhebungsgrundes aus § 1696 Abs. 2 letzter Halbsatz BGB aber näher nachzugehen sein.
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4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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