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BVerfG 17.11.2022 - 2 BvR 2013/22
BVerfG 17.11.2022 - 2 BvR 2013/22 - Erfolgreicher Eilantrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren auf Aussetzung einer Zwangsräumung - Gesundheitsrisiken eines der Räumungsschuldner - Folgenabwägung bei kurzfristiger Verfügbarkeit einer Ersatzwohnung
Normen
Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 765a Abs 1 S 1 ZPO, § 765a Abs 3 ZPO, § 885 Abs 1 S 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend LG Verden, 17. Oktober 2022, Az: 6 T 88/22, Beschluss
Tenor
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Die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung des notariellen Kaufvertrags vom 11. April 2022 - UVZ-Nr. (…) - wird einstweilen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens bis zum 16. Dezember 2022, ausgesetzt, soweit die Beschwerdeführer danach das Grundstück in (…), von Flur (…), ausschließlich das Grundstück (…) Gebäude- und Freifläche, Landwirtschaftsfläche, Waldfläche, Größe 1 ha 42 a 99m2 (Kaufobjekt) zur Räumung herauszugeben haben.
Gründe
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
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Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, die der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 76, 253 255>; 99, 57 66>; stRspr).
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2. Nach diesen Maßstäben hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Erfolg.
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a) Die Verfassungsbeschwerde erscheint nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es kann insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer jedenfalls in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.
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b) Über den Antrag auf einstweilige Anordnung, mit dem die Beschwerdeführer Räumungsschutz längstens bis zum 16. Dezember 2022 begehren, ist deshalb nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten der Beschwerdeführer aus.
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aa) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnte aus dem notariell beurkundeten Kaufvertrag vollstreckt und die für den 18. November 2022 angekündigte Räumung der Wohnimmobilie durchgeführt werden. Dadurch könnten möglicherweise nicht wiedergutzumachende Folgen für Leben und Gesundheit des Beschwerdeführers zu 2. eintreten, der ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme vom 29. September 2022 nicht transportfähig ist und bei dem ein schwerster demenzieller Abbau vorliegt. Die aus der Zwangsvollstreckung möglicherweise entstehenden Nachteile für die Gesundheit des Beschwerdeführers erscheinen mit Blick jedenfalls auf einen mittlerweile vorgelegten Vertrag über die Anmietung einer Ersatzwohnung, die spätestens am 14. Dezember 2022 bezugsfertig sein soll, unverhältnismäßig. Dabei ist der vom Landgericht mit gerichtlicher Verfügung vom 11. November 2022 im Verfahren über die Anhörungsrüge der Beschwerdeführer aufgegebene Nachweis über die Beschaffung von Ersatzwohnraum auch hinreichend konkret. Denn der Mietvertrag ist jedenfalls von einem der beiden Vermieter, die denselben Nachnamen haben und unter derselben Adresse leben, unterzeichnet worden, sodass eine Vollmachtserteilung zugunsten des unterzeichnenden Vermieters nicht ausgeschlossen erscheint. Selbst wenn diese Mietwohnung nur interimsweise bezogen werden sollte, weil die Beschwerdeführer den Erwerb einer Immobilie beabsichtigen, die sie anschließend nutzen wollen, erscheinen die aus dem Umzug in die Mietwohnung bis spätestens zum 14. Dezember 2022 folgenden Belastungen für den Beschwerdeführer zu 2. weniger schwerwiegend als eine Zwangsräumung der aktuell bewohnten Immobilie, bei der bis zum Bezug der Ersatzwohnung bis zum 14. Dezember 2022 kurzfristig eine zusätzliche Unterbringung mit weiteren möglichen gesundheitlichen Nachteilen für den Beschwerdeführer erforderlich wäre.
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bb) Erginge demgegenüber die einstweilige Anordnung, bliebe die Verfassungsbeschwerde später aber ohne Erfolg, so verzögerte sich die Räumung um weniger als einen Monat. Das wiegt trotz der finanziellen und organisatorischen Belange der Gläubiger insgesamt weniger schwer als die dem Beschwerdeführer drohenden Nachteile, zumal die Beschwerdeführer ausgeführt haben, sie hätten die vereinbarte monatliche Nutzungsentschädigung beglichen, sowie angekündigt haben, sie würden diese auch weiterhin zahlen.
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3. Gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG wurde wegen der besonderen Dringlichkeit im Hinblick auf den kurzfristig bevorstehenden Räumungstermin davon abgesehen, der Begünstigten des Ausgangsverfahrens und der Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu geben.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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