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BVerfG 26.06.2014 - 2 BvR 1170/14
BVerfG 26.06.2014 - 2 BvR 1170/14 - Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung: Wiederaufnahme eines Umgangsrechtsverfahrens als unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache
Normen
Art 6 Abs 2 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 48 Abs 2 FamFG, § 580 Nr 8 ZPO
Vorinstanz
vorgehend BGH, 19. März 2014, Az: XII ZB 511/13, Beschluss
Gründe
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I.
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1. Der Beschwerdeführer und die verheiratete Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegnerin) unterhielten eine außereheliche Beziehung. Im Juni 2003 wurde die Antragsgegnerin schwanger. Daraufhin teilte sie dem Beschwerdeführer mit, dass sie die Ehe mit ihrem seit geraumer Zeit in England lebenden Ehemann fortsetzen und zu diesem ziehen werde, wo auch das noch ungeborene Kind aufwachsen solle. Im Dezember 2003 zog sie nach England. Im März 2004 wurde das Kind dort geboren.
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2. Mit der Behauptung, er sei der biologische Vater des Kindes, begehrte der Beschwerdeführer von Anfang an Umgang mit dem Kind und machte im August 2004 in Deutschland ein Umgangsrechtsverfahren anhängig. Nachdem die Beteiligten keine Einwände gegen die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte erhoben hatten, wies das Amtsgericht den Antrag auf Regelung des Umgangs mit dem Kind zurück. Die Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht Frankfurt am Main unter Hinweis auf die damalige Gesetzeslage zurück (OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Februar 2006 - 2 UF 386/05 -, juris). Das Bundesverfassungsgericht nahm die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2006 - 1 BvR 1337/06 -, FamRZ 2006, S. 1661 f.). Auf die Individualbeschwerde des Beschwerdeführers stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass Art. 8 EMRK verletzt sei (EGMR, S. v. Deutschland, Urteil vom 15. September 2011, Nr. 17080/07, NJW 2012, S. 2781 ff.).
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3. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen Restitutionsantrag und begehrte die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens. Das Oberlandesgericht gab dem Restitutionsantrag mit einem Zwischenbeschluss statt, hob den Beschluss vom 9. Februar 2006 auf und nahm das Verfahren wieder auf (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. August 2013 - 2 UF 23/12 -, FamRZ 2014, S. 682 ff.). Auf die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin und ihres Ehemannes hob der Bundesgerichtshof den Beschluss des Oberlandesgerichts auf und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Umgangsrechtsverfahrens zurück (BGH, Beschluss vom 19. März 2014 - XII ZB 511/13 -, FamRZ 2014, S. 927 ff.).
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II.
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1. Gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 15. Mai 2014 fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er im Wesentlichen geltend macht, die Bundesrepublik Deutschland sei verfassungsrechtlich und menschenrechtlich verpflichtet, die verurteilende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unverzüglich umzusetzen. Zwar sei das vom Gerichtshof beanstandete deutsche (materielle) Familienrecht durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte leiblicher Väter geändert worden. Verfahrensrechtlich müsse ihm jedoch auch die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Umgangsverfahrens eröffnet werden. Die Stichtagsregelung des § 35 EGZPO, der die Anwendbarkeit des § 580 Nr. 8 ZPO zeitlich begrenze, könne in einem Fall wie dem vorliegenden nicht zur Anwendung kommen. Der Bundesgerichtshof habe sich in der angegriffenen Entscheidung in nicht nachvollziehbarer Weise über den in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Willen des Gesetzgebers hinweggesetzt, wonach laufende Konventionsverletzungen abzustellen seien.
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2. Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2014 hat der Beschwerdeführer ergänzend beantragt, im Wege einer einstweiligen Anordnung die Wirksamkeit des Beschlusses des Bundesgerichtshofs einstweilen auszusetzen und die des Beschlusses des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. August 2013 wiederherzustellen, um auf diese Weise dem Umgangsverfahren Fortgang zu geben. Dies diene der Sicherung des bisherigen Status quo und der Verhinderung einer endgültigen Präjudizierung der Sache allein durch Zeitablauf.
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III.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.
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1. Durch eine einstweilige Anordnung darf die Hauptsache nicht vorweggenommen werden (BVerfGE 34, 160 162>; 46, 160 163 f.>; 67, 149 151>; stRspr). Über die in der Hauptsache aufgeworfenen Fragen kann im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht entschieden werden (vgl. BVerfGE 12, 276 279>; 15, 77 78>); durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung soll lediglich ein Zustand vorläufig geregelt, nicht aber die Hauptsache präjudiziert werden (vgl. BVerfGE 8, 42 46>; 15, 219 221>).
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Eine Vorwegnahme der Hauptsache steht der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann nicht entgegen, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme und dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte (vgl. BVerfGE 34, 160 162 f.>; 67, 149 151>; 108, 34 40>; 130, 367 369>).
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2. Nach diesen Maßstäben kann der Antrag, die Wirksamkeit des Beschlusses des Bundesgerichtshofs einstweilen auszusetzen und die Wirksamkeit des Beschlusses des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main einstweilen wiederherzustellen, keinen Erfolg haben, weil eine einstweilige Anordnung dieses Inhalts die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnähme.
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a) Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ist anzunehmen, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache wenn nicht deckungsgleich, so doch zumindest vergleichbar sind und auf der Grundlage dieses Vergleichs Kongruenz gegeben ist, wenn also die stattgebende einstweilige Anordnung mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses einen Zustand in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verwirklichen erlaubt, der erst durch die zeitlich spätere Entscheidung in der Hauptsache hergestellt werden soll (vgl. Berkemann, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 32 Rn. 210). Das wäre hier der Fall.
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Eine einstweilige Anordnung mit dem vom Beschwerdeführer beantragten Inhalt hätte zur Folge, dass das umgangsrechtliche Verfahren vor dem Oberlandesgericht weiterbetrieben, insbesondere das vom Oberlandesgericht bereits beauftragte Gutachten zur Dienlichkeit des Umgangs für das Kindeswohl eingeholt würde; dies ist auch das erklärte Ziel des Beschwerdeführers. Eine solche Regelung hätte indes keinen nur vorläufigen Charakter (vgl. BVerfGK 4, 19) und würde über die bloße Sicherung des Status quo hinausgehen. Der Verfahrensablauf wäre zudem identisch mit demjenigen nach einer stattgebenden Entscheidung in der Hauptsache. Die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Restitutionsklage gemäß § 48 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit § 580 Nr. 8 ZPO statthaft ist, ob also das vom Beschwerdeführer beantragte Verfahren überhaupt durchgeführt werden darf, ist Gegenstand der Verfassungsbeschwerde. Durch eine einstweilige Anordnung des beantragten Inhalts würde die Folge einer stattgebenden Entscheidung in der Hauptsache - der Fortgang des Verfahrens - zeitlich vorverlagert.
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b) Die Vorwegnahme der Hauptsache ist auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil dem Beschwerdeführer ansonsten ein schwerer, nicht wieder gutzumachender Nachteil entsteht.
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Zwar dürfte unter Berücksichtigung der Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens und der Dauer des sich daran aufgrund einer möglichen Zurückweisung anschließenden fachgerichtlichen Verfahrens ein nicht völlig unerheblicher Zeitraum vergehen, bis das Umgangsverfahren möglicherweise seinen Fortgang finden kann (vgl. BVerfGK 4, 339 348>). Indes liegen die Dinge im vorliegenden Fall anders als im Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Dezember 2004 (BVerfGK 4, 339 ff.), auf den der Beschwerdeführer sich bezieht. Dort hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuvor entschieden, dem dortigen Beschwerdeführer müsse der Umgang mit seinem Kind gewährt werden (vgl. BVerfGK 4, 339 348>); zudem war im fachgerichtlichen Verfahren bereits hinreichend geklärt, dass die Voraussetzungen des Umgangsrechts vorliegen und wie dieses wahrzunehmen ist. Im vorliegenden Fall hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Konventionsverstoß lediglich darin erkannt, "dass die deutschen Gerichte bei ihrer Entscheidung (…) in keiner Weise geprüft [haben], ob der Umgang zwischen dem Kind und dem Beschwerdeführer unter den besonderen Umständen des Falls dem Wohl des Kindes dienen würde" (EGMR, S. v. Deutschland, Urteil vom 15. September 2011, Nr. 17080/07, Rn. 104, NJW 2012, S. 2781 2786>). Aus der Europäischen Menschenrechtskonvention folgt damit gerade kein Anspruch des Beschwerdeführers auf Umgang mit dem Kind; ob der Umgang des Kindes mit dem Beschwerdeführer dem Kindeswohl dienlich ist, ist zudem noch nicht geklärt und muss als offen beurteilt werden. Den tatsächlichen Umgang mit dem Kind kann der Beschwerdeführer mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde somit nicht erreichen.
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Als Nachteile, die der Beschwerdeführer durch die Ablehnung seines Antrags erleiden kann, sind die Verfahrensverzögerung bis zu einem etwaigen Fortgang des Umgangsverfahrens von etwa sechs Monaten (vgl. BVerfGK 4, 339 348>) sowie die von ihm behauptete Präjudizierung der Entscheidung über die Dienlichkeit eines Umgangsrechts für das Kindeswohl durch den weiteren Zeitablauf in Rechnung zu stellen. Diese Nachteile wiegen jedoch nicht so schwer, dass sie die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnten. Eine gewisse zeitliche Verzögerung ist der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes stets immanent; so hat beispielsweise das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mehr als vier Jahre gedauert. Eine Präjudizierung der Entscheidung über die Dienlichkeit eines Umgangsrechts für das Kindeswohl erscheint angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falls - der Beschwerdeführer hat bislang keinen Kontakt zu dem Kind gehabt, das mittlerweile zehn Jahre alt ist - , allein aufgrund des Zeitablauf während der Dauer des verfassungsgerichtlichen Verfahrens als äußerst unwahrscheinlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht näher dargelegt.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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