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BFH 12.03.2014 - X B 126/13
BFH 12.03.2014 - X B 126/13 - Gesetzlicher Richter; Anforderungen an den Geschäftsverteilungsplan eines FG
Normen
§ 4 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 1 FGO, § 21e GVG, Art 101 Abs 1 S 2 GG
Vorinstanz
vorgehend FG Bremen, 4. Juni 2013, Az: 1 K 93/12 (5), Urteil
Leitsatz
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NV: Wird einem Senat vom Präsidium dauerhaft ein namentlich nicht bekannter Richter zugewiesen, liegt darin ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wandten sich mit ihrer im Jahr 2010 beim Finanzgericht (FG) eingereichten Klage zunächst gegen die Einkommensteuerbescheide für 1999 bis 2004 sowie für 2006 und 2007. Das die Jahre 1999 bis 2004 betreffende streitgegenständliche Verfahren wurde mit Beschluss des Berichterstatters des zuständigen 1. Senats am 5. April 2011 abgetrennt und zum Ruhen gebracht. Am 26. September 2012 wurde es wieder unter dem Aktenzeichen 1 K 93/12 (5) aufgenommen.
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Mit Beschluss vom 12. Dezember 2012 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Dieser wies die Klage mit Urteil vom 4. Juni 2013 als unbegründet ab; in Bezug auf das Streitjahr 2003 wurde sie als unzulässig verworfen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
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In ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügen die Kläger das Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Urteil sei nicht vom gesetzlichen Richter erlassen worden. Dazu führen die Kläger u.a. aus, dass nach den veröffentlichten Geschäftsverteilungsplänen des FG sowohl ab dem 1. Januar 2012 als auch seit dem 1. Januar 2013 die vier Senate des FG jeweils nur mit zwei Berufsrichtern besetzt gewesen seien. Der dritte Berufsrichter sei mit "N.N." bezeichnet worden. Insgesamt seien beim FG vier Berufsrichter in vier Senaten tätig gewesen. Die Senate hätten jedoch jeweils mit drei Berufsrichtern besetzt gewesen sein müssen.
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In seinem Urteil habe das FG zwar ausgeführt, in dem Geschäftsverteilungsplan des FG sei ein Beisitzer des 1. Senats mit "Richter/in N.N." bezeichnet worden, weil der bisherige Stelleninhaber verstorben und eine Neubesetzung der Stelle noch nicht erfolgt gewesen sei. Wegen des Todes des Stelleninhabers sei die Stelle jedoch bereits mehr als anderthalb Jahre nicht mehr besetzt gewesen. Dies sei nach der Rechtsprechung nicht zulässig.
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Zudem könne aufgrund der Tatsache, dass nach den Plänen des FG für 2012 und 2013 in jedem Senat ein Richter mit "N.N." bezeichnet worden sei, davon ausgegangen werden, dass andere Gründe für die Unterbesetzung der vier Senate maßgebend gewesen seien.
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Auch hätten über den senatsinternen Geschäftsverteilungsplan für 2012 und 2013 lediglich der Senatsvorsitzende und ein Beisitzer entschieden, ohne dass, wie dies § 21g Abs. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vorschreibe, an der Beschlussfassung der vom Geschäftsverteilungsplan bezeichnete Vertreter für den als N.N. benannten Berufsrichter mitgewirkt habe.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
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1. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor. Das Urteil der Vorinstanz beruht --wie die Kläger zutreffend geltend machen-- auf einem wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 1 FGO, weil das FG als erkennendes Gericht bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war.
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a) Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Welcher Richter (oder Spruchrichter) des sachlich, örtlich und funktionell zuständigen Gerichts der "gesetzliche Richter" im Sinne der Verfassung ist, ist durch einen Geschäftsverteilungsplan im Voraus generell-abstrakt, aber zugleich hinreichend bestimmt zu regeln, so dass Manipulationen und damit verbunden sachfremde Einflüsse auf die Rechtsprechung ausgeschlossen sind. Genügt die Geschäftsverteilung diesen Anforderungen nicht, ist das Gericht, welches seine Zuständigkeit aus ihm ableitet, nicht ordnungsgemäß besetzt (vgl. z.B. Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 8. April 1997 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322, unter C.I.4.).
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Das Gebot der vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts und der Bestimmbarkeit des gesetzlichen Richters i.S. der Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 GVG gilt nicht nur für das Gericht als organisatorische Einheit oder das erkennende Gericht als Spruchkörper, sondern auch für die im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Richter. Aus dem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, von vornherein so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Zu diesen Regelungen gehört auch der im GVG vorgesehene Geschäftsverteilungsplan, der durch das Präsidium jährlich für jedes folgende Jahr aufzustellen ist und nicht ohne besonderen Anlass geändert werden darf (§ 21e Abs. 3 Satz 1 GVG). Auch für ihn gilt, dass er die zur Entscheidung der anhängig werdenden Verfahren berufenen Richter so eindeutig und genau wie möglich bestimmen muss. Er darf keine vermeidbare Freiheit bei der Heranziehung der einzelnen Richter und damit keine unnötige Unbestimmtheit hinsichtlich des gesetzlichen Richters lassen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH--- vom 1. Februar 1979 4 StR 657/78, BGHSt 28, 290, unter 3.a).
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Die Rechts- und Verfassungsmäßigkeit der Geschäftsverteilung ist --anders als die Auslegung und Würdigung des Geschäftsverteilungsplans durch das erkennende Gericht-- nicht nur auf Willkür, sondern auf jeden Rechtsverstoß zu untersuchen (vgl. z.B. Beschlüsse des BVerfG vom 16. Februar 2005 2 BvR 581/03, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2005, 2689, unter IV.1.a, und vom 23. Mai 2012 2 BvR 610/12, 2 BvR 625/12, NJW 2012, 2334, unter III.1.b; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 1986 4 CB 4/86, NJW 1987, 2031; BGH-Urteil vom 16. Oktober 2008 IX ZR 183/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 930, unter I.1.; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 FGO Rz 26; Zöller/Lückemann, ZPO, 30. Aufl., § 21e GVG Rz 52).
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b) Unter Berücksichtigung der gerade dargestellten Grundsätze ist ein Verfahrensfehler gemäß § 119 Nr. 1 FGO im Streitfall zu bejahen.
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aa) Maßgebend für die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Spruchkörpers ist der für den Zeitpunkt der Entscheidung (4. Juni 2013) geltende Geschäftsverteilungsplan des Gerichts; er regelt konstitutiv auch die Zuständigkeit des Spruchkörpers für bereits anhängige Sachen (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. November 1995 VIII R 3/95, VIII R 4/95, VIII R 5/95, BFH/NV 1996, 481; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 14. November 1995 VIII R 84/93, VIII R 1/94, BFH/NV 1996, 416; vom 11. Juli 2006 IX B 179/05, BFH/NV 2006, 1873). Das bedeutet im Streitfall, dass der Geschäftsverteilungsplan des FG zum 1. Januar 2013 relevant ist, aufgrund dessen dem 1. Senat die Beisitzer Richter/in N.N. sowie der Richter am FG X zugewiesen worden sind.
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bb) Ein Besetzungsmangel i.S. des § 119 Nr. 1 FGO liegt bei einem Spruchkörper u.a. vor, wenn bei der Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans gegen die Vorschriften des § 4 FGO i.V.m. §§ 21e bis g GVG verstoßen wurde (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Dezember 2007 VI B 88/07, BFH/NV 2008, 401; Senatsbeschluss vom 9. November 1990 X R 67/89, BFH/NV 1991, 546; siehe auch Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 119 FGO Rz 57 ff.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 4).
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Es ist allgemeine Meinung, dass das Präsidium jedem Senat eines FG einen Vorsitzenden Richter (§ 21g GVG) sowie mindestens die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von weiteren Richtern, d.h. gemäß § 5 Abs. 3 FGO zwei Berufsrichter, für die Dauer des Geschäftsjahres zuzuweisen hat (siehe Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 FGO Rz 19; Sunder-Plassmann in HHSp, § 4 FGO Rz 82; Müller-Horn in Beermann/Gosch, FGO § 4 Rz 12; Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 28. Januar 2005 20 W 438/04, OLG-Report Frankfurt Koblenz Zweibrücken Saarbrücken 2005, 797; Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, 7. Aufl., § 21e GVG Rz 128; Zöller/Lückemann, a.a.O., § 21e Rz 4; MünchKommZPO/Zimmermann, 4. Aufl., § 21e GVG Rz 26; Wieczorek/Schütze/Schreiber, 3. Aufl., § 21e GVG Rz 12; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 21e GVG Rz 14).
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Dem 1. Senat des FG wurde im Jahr 2013 jedoch --ebenso wie im Jahr 2012-- nur ein namentlich benannter Berufsrichter zugewiesen; der zweite Berufsrichter wurde --wie im Übrigen auch bei den drei anderen Senaten des FG-- mit N.N. bezeichnet. Wird einem Spruchkörper dauerhaft ein namentlich noch unbekannter Richter zugewiesen, liegt darin ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (so BGH-Urteil in BGHSt 28, 290). Zwar hatte der BGH in dieser Entscheidung die Besetzung der Stelle eines Vorsitzenden Richters mit N.N. zu beurteilen; gleiches muss aber auch gelten, wenn auf Dauer ein Beisitzer nicht namentlich benannt wird. Auch insoweit hat das Präsidium seinen gesetzlichen Auftrag nicht erfüllt (so im Ergebnis MünchKommZPO/Zimmermann, a.a.O., Rz 17; Zöller/Lückemann, a.a.O., § 21e Rz 4; Kissel/Mayer, a.a.O., § 21e GVG Rz 137; wohl auch OLG Frankfurt in OLG-Report 2005, 797).
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cc) Dem steht nicht entgegen, dass sich in dem Geschäftsverteilungsplan des FG eine abstrakte Vertretungsregelung für den 1. Senat unter B.2. findet, wonach bei Beschlussunfähigkeit des Senates zunächst der Richter Y und dann die Vorsitzende Richterin am FG Z hinzutreten.
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Eine Vertretungsregelung ist nur bei einer Verhinderung zulässig, die ihrem Wesen nach nur vorübergehend sein kann. Die Vakanz im Streitfall beruht aber --wie das FG in den Urteilsgründen ausgeführt hat-- darauf, dass ein Beisitzer des 1. Senats verstorben und eine Neubesetzung der Stelle noch nicht erfolgt war.
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Es besteht in der Rechtsprechung und im Schrifttum im Grundsatz Einigkeit, dass auch wenn die Stelle eines Richters nicht nur vorübergehend, sondern z.B. durch Tod oder Eintritt in den Ruhestand endgültig frei wird, für einen bestimmten Zeitraum aufgrund des bei der Wiederbesetzung notwendigen Verfahrens eine Vertretung nach den Grundsätzen der vorübergehenden Verhinderung möglich und zulässig ist (vgl. statt vieler BFH-Beschluss vom 21. Oktober 1999 VII R 15/99, BFHE 190, 47, BStBl II 2000, 88, unter 1.; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 FGO Rz 31, jeweils m.w.N.).
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Ungeklärt ist lediglich, wie dieser Zeitraum zu bemessen ist. Das bedarf im Streitfall jedoch keiner Entscheidung, da eine Vakanz von mehr als 17 Monaten ohne Zweifel über das noch vertretbare Maß hinausgeht, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der BFH bereits bei einer Vakanz von circa acht Monaten eine ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts verneint hat (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 I R 15/85, BFHE 155, 470, BStBl II 1989, 424).
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2. Da bereits der Geschäftsverteilungsplan des FG fehlerhaft war und zu einem Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 1 FGO geführt hat, kann offenbleiben, ob die weitere Besetzungsrüge der Kläger begründet ist.
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3. Der Verfahrensfehler hat zur Folge, dass die Vorentscheidung ohne sachliche Nachprüfung aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 116 Abs. 6 FGO). Die im Ermessen des BFH stehende Zurückverweisung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die Vorinstanz unter Verstoß gegen die Vorschriften über die Besetzung des Gerichts entschieden hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Februar 2005 VIII B 216/03, BFH/NV 2005, 1328).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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