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BFH 16.10.2012 - XI R 46/10
BFH 16.10.2012 - XI R 46/10 - (Keine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG a.F. zur Beseitigung eines materiellen Rechtsfehlers der Familienkasse)
Normen
§ 37 Abs 2 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 70 Abs 3 EStG 2002, § 70 Abs 4 EStG 2002, EStG VZ 2007
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 27. November 2008, Az: 1 K 143/08, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine rückwirkende Aufhebung oder Änderung des Kindergeldbescheides nach § 70 Abs. 4 EStG a.F. ist nur zulässig, wenn nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und Bezüge des Kindes entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr tatsächlich erhöht oder vermindert haben.
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2. NV: Materielle Rechtsfehler der Familienkasse bei der Kindergeldfestsetzung berechtigen nicht zu einer rückwirkenden Aufhebung des Kindergeldbescheides nach § 70 Abs. 4 EStG.
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) zu Recht von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) das Kindergeld für 2007 (Streitjahr) zurückgefordert hat, weil die Einkünfte ihres Sohnes X den Grenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) überschritten haben.
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Der im Jahr 1984 geborene Sohn der Klägerin absolvierte in der Zeit vom August 2004 bis zum Januar 2008 eine Berufsausbildung als Kfz-Mechatroniker. Die entsprechende Ausbildungsbescheinigung vom Dezember 2006, die die Klägerin mit ihrem Kindergeldantrag für das Streitjahr vorgelegt hatte, enthielt insbesondere Angaben über die Vergütungen für die Jahre 2004 bis 2008. Für das Jahr 2007 verblieben hiernach nach Abzug der Arbeitnehmeranteile für die Sozialversicherung Einnahmen in Höhe von 9.264,08 €.
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Die Familienkasse forderte die Klägerin mit Schreiben vom Februar 2007 auf, eine Erklärung zu den Werbungskosten ihres Sohnes für 2007 einzureichen.
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Mit am … März 2007 unterzeichneter Erklärung teilte die Klägerin für 2007 folgende Werbungskosten ihres Sohnes mit:
Aufwendungen für Fachzeitschrift und Reinigung von Berufskleidung monatlich:
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6,27 €
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Fahrtkosten pro Jahr:
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1 163,20 km + 897,04 km = 2 060,24 km x 0,30 € = 618,07 €
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Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung aus beruflichem Anlass:
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Miete (einschließlich Nebenkosten) pro Monat:
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364,67 €
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Nachdem die Familienkasse im Zeitraum Januar bis März 2007 zunächst kein Kindergeld bezahlt hatte, erfolgte nunmehr aufgrund einer Wiederbewilligungsverfügung vom April 2007 eine Zahlung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar bis April 2007 auf das Konto der Klägerin sowie eine Fortzahlung des Kindergeldes im Jahr 2007. Die Kindergeldakte enthält insoweit den am … April 2007 gefertigten handschriftlichen Vermerk: "Bei der Höhe der Werbungskosten erübrigt sich die Berechnung."
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Nach einer im Februar 2008 vorgenommenen Überprüfung der Einkünfte auf der Grundlage einer von der Klägerin eingereichten Ausbildungsbescheinigung für X vom Januar 2008 bat die Familienkasse die Klägerin um Überprüfung der geltend gemachten Werbungskosten. Dieser Bitte kam die Klägerin durch die Erklärung vom März 2008 nach, die u.a. folgende Angaben über die Werbungskosten ihres Sohnes im Jahr 2007 enthielt:
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Aufwendungen für Fachzeitschrift und Reinigung von Berufskleidung monatlich:
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6,27 €
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Fahrtkosten pro Jahr:
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1 483,20 km x 0,30 € = 444,96 €
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zuzüglich Fahrtkosten Schule (HVV) = 147,51 €
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Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung aus beruflichem Anlass:
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Miete pro Jahr:
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953,24 € zuzüglich Strom 66 € = 1.019,24 €
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Mit Bescheid vom Mai 2008 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung betreffend den Sohn der Klägerin u.a. für das Streitjahr 2007 gemäß § 70 Abs. 4 EStG auf, weil das Einkommen des Sohnes der Klägerin nach den vorliegenden Unterlagen den maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 € überschritten habe. Die angegebenen Werbungskosten seien in Höhe von 739,11 € berücksichtigt worden. Da dieser Betrag unter dem Arbeitnehmer-Pauschbetrag liege, sei dieser Pauschbetrag (920 €) angesetzt worden.
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Die geltend gemachten Kosten wegen doppelter Haushaltsführung seien nicht zu berücksichtigen, weil die gesetzliche Neuregelung zur doppelten Haushaltsführung ab dem Jahr 2004 eine Anerkennung nur noch dann zulasse, wenn das Kind am Heimatwohnort auch über einen eigenständigen Haushalt verfüge. Ein genutztes Zimmer in der Wohnung der Eltern reiche insoweit nicht mehr aus.
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Ab Januar 2007 könnten Fahrtkosten zur Arbeitsstätte erst ab dem 21. Entfernungskilometer abgesetzt werden. Eine Vergleichsberechnung bei voller Berücksichtigung aller geltend gemachten Fahrtkosten ab dem ersten Entfernungskilometer habe indes auch zu keinem positiven Ergebnis geführt.
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Zugleich forderte die Familienkasse das gezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück.
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Das Finanzgericht (FG) wies die nach insoweit erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 1. Juli 2008) erhobene Klage ab. Es führte aus, dass der Klägerin kein Kindergeld für das Jahr 2007 zugestanden habe, weil ihr Sohn mit seinen Einkünften den nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG maßgebenden Grenzbetrag von 7.680 € überschritten habe. Dabei stellte das FG fest, dass X im Jahr 2007 zu berücksichtigende Einnahmen in Höhe von insgesamt 9.716,53 € erzielt habe. Das FG ließ offen, ob bei den Werbungskosten des Kindes lediglich der Arbeitnehmerpauschbetrag zu berücksichtigen sei oder ob zugunsten der Klägerin davon auszugehen sei, dass die steuerrechtliche Beschränkung der Fahrtkosten verfassungswidrig sei. Denn auch wenn alle von X erklärten Werbungskosten berücksichtigt würden, überschritten die Einkünfte des Sohnes den Grenzbetrag. Die Familienkasse sei nach § 70 Abs. 4 EStG berechtigt gewesen, die entsprechende Kindergeldfestsetzung für 2007 aufzuheben und nach § 37 Abs. 2 AO das zu viel gezahlte Kindergeld von 1.848 € zurückzufordern. Der Rückforderungsanspruch sei auch nicht verwirkt, weil es an einem Verhalten der Familienkasse fehle, welches für die Klägerin bei objektiver Auslegung den eindeutigen Schluss zulasse, dass ihr das für ihren Sohn zu Unrecht bezahlte Kindergeld belassen werde.
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Mit der hiergegen eingelegten Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe § 70 Abs. 4 EStG unzutreffend ausgelegt und zu Unrecht verneint, dass die Familienkasse nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert gewesen sei, das an die Klägerin gezahlte Kindergeld zurückzufordern.
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Der vom FG bejahte Tatbestand des § 70 Abs. 4 EStG sei nicht erfüllt. Die Anwendung dieser Norm setze voraus, dass überhaupt eine Prognoseentscheidung getroffen worden sei. Das "nachträgliche Bekanntwerden" in Bezug auf ein "Überschreiten" oder "Nichtüberschreiten" des Grenzbetrages beziehe sich dann auf tatsächliche Änderungen der Einkünfte und Bezüge des Kindes, die von den im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung bekannten Tatsachen abgewichen seien. Im Streitfall habe die Klägerin der Familienkasse spätestens im März 2007 alle erheblichen Daten mitgeteilt. Daraus habe sich bereits ergeben, dass im Verlauf des Jahres 2007 der Grenzbetrag überschritten werde. Dies gelte unabhängig davon, dass im Jahresverlauf Änderungen in Bezug auf die Höhe der Ausbildungsvergütung, der Höhe der Sonderzahlung und das Urlaubsgeld wie auch in Bezug auf die Werbungskosten eingetreten seien. Auch ohne diese Abweichungen sei der Grenzbetrag überschritten worden. Danach sei von einer materiell fehlerhaften Festsetzung auszugehen.
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Sofern hierdurch der Tatbestand des § 70 Abs. 3 EStG erfüllt sei, sei eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2007 nicht möglich. Auch eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 und § 175 Abs. 2 AO komme nicht in Betracht.
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Ferner sei die Familienkasse nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Rückforderung des im Jahr 2007 gezahlten Kindergeldes gehindert.
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Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil und den Bescheid der Familienkasse vom Mai 2008 über die Rückforderung des im Jahr 2007 an die Klägerin gezahlten Kindergeldes in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung aufzuheben.
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Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die Entscheidung der Vorinstanz für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klagestattgabe (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Familienkasse befugt war, die Kindergeldfestsetzung betreffend den Sohn X der Klägerin für 2007 aufzuheben und das insoweit ausbezahlte Kindergeld von 1.848 € nach § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern.
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1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin für das Streitjahr 2007 grundsätzlich kein Kindergeld für ihren Sohn X zustand.
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a) Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie X im Streitjahr 2007, das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG u.a. dann Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind --wie im Streitfall-- für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und wenn seine Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, 7.680 € im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
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b) Im Streitfall ist das FG ausgehend von den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen nach § 118 Abs. 2 FGO zum Ergebnis gekommen, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes X im Jahr 2007 den nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 € überschritten haben. Dies ist im Übrigen auch zwischen den Beteiligten unstreitig.
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2. Die Familienkasse war nicht berechtigt, die Kindergeldfestsetzung betreffend das Kind X für 2007 rückwirkend aufzuheben.
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a) Gemäß § 70 Abs. 4 EStG a.F. ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. über- oder unterschreiten.
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b) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) rechtfertigt § 70 Abs. 4 EStG a.F. eine Aufhebung oder Änderung des Kindergeldbescheids aber nur, wenn nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und Bezüge entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr erhöht oder vermindert haben. Diese Auslegung folgt aus dem Zweck des § 70 Abs. 4 EStG a.F. sowie der Gesetzessystematik (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 2006 III R 6/06, BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717, unter II.3.c).
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Die Korrekturmöglichkeit nach § 70 Abs. 4 EStG a.F. ist erforderlich, weil das Kindergeld im Laufe des Kalenderjahres monatlich gezahlt wird (vgl. § 31 Satz 3 EStG), ein Anspruch darauf aber grundsätzlich nur dann besteht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Jahresgrenzbetrag (§ 62, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht überschreiten (vgl. BFH-Urteile vom 15. Dezember 2005 III R 82/04, BFHE 212, 213, BStBl II 2008, 621, und in BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717).
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Wird zu Beginn oder während des Kalenderjahres Kindergeld für ein volljähriges Kind beantragt, hat die Familienkasse vor Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes aufgrund der bis dahin bekannten Tatsachen die voraussichtlich im Kalenderjahr anfallenden Einkünfte und Bezüge des Kindes zu ermitteln. Wegen der Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Einkünfte und Bezüge muss die Familienkasse die Möglichkeit haben, einen positiven oder negativen Kindergeldbescheid zu ändern, wenn sich nach Ablauf des Jahres herausstellt, dass die Einkünfte und Bezüge abweichend von der Prognose der Familienkasse aufgrund der bei der Prognoseentscheidung bekannten Tatsachen den maßgebenden Jahresgrenzbetrag überschreiten bzw. nicht überschreiten (vgl. BFH-Urteile vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890, unter II.2.a; in BFHE 212, 213, BStBl II 2008, 621, und in BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717). Eine Prognose (Vorhersage) wird hinsichtlich der im Lauf des Kalenderjahres erst zufließenden Einnahmen und der voraussichtlich anfallenden Ausgaben (Werbungskosten) getroffen. Das nachträgliche Bekanntwerden vom Überschreiten oder Nichtüberschreiten des Jahresgrenzbetrages bezieht sich somit auf von der Prognose abweichende tatsächliche Änderungen hinsichtlich des Betrages der Einkünfte und Bezüge, nicht aber auf Änderungen, die auf nachträglich ergangener Rechtsprechung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beruhen (BFH-Urteil in BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717, unter II.3.c).
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Eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG a.F. kommt danach nicht in Betracht, wenn sich hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge keine tatsächlichen Änderungen gegenüber der Annahme in der Prognose ergeben haben (BFH-Urteile in BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717, unter II.3.c, m.w.N.; vom 15. März 2012 III R 20/11, BFH/NV 2012, 1590, Rz 13). Insbesondere Änderungen der Rechtsauffassung durch Rechtsprechung oder Verwaltungsanweisungen hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge fallen nicht unter § 70 Abs. 4 EStG a.F. (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717, unter II.3.c; vom 10. Mai 2007 III R 103/06, BFHE 218, 147, BStBl II 2008, 549; vom 30. September 2008 III B 206/07, BFH/NV 2009, 20; vom 24. Februar 2010 III R 100/07, BFH/NV 2010, 1260; vom 21. Oktober 2010 III R 74/09, BFH/NV 2011, 250; vom 5. Januar 2012 III B 59/10, BFH/NV 2012, 737).
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Auch materielle Fehler der Familienkasse berechtigen nicht zu einer Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG, weil dies dem Sinn und Zweck der Regelung widersprechen würde (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 218, 147, BStBl II 2008, 549, unter II.2.d).
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c) Im Streitfall ist das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen.
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aa) Zwar liegt die von der Rechtsprechung für die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG a.F. geforderte tatsächliche Änderung der Einkünfte im Jahr 2007 im Verhältnis zu der im April 2007 getroffenen Prognoseentscheidung der Familienkasse vor (vgl. dazu BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 890, unter II.2.a; in BFHE 212, 213, BStBl II 2008, 621; in BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717, und in BFH/NV 2010, 1260).
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Das FG hat aber die Anwendung der Korrekturvorschrift des § 70 Abs. 4 EStG a.F. unabhängig davon bejaht, ob die Familienkasse bei der Prognoseentscheidung Anfang April 2007 einen materiellen Fehler begangen hat, der nach der dargelegten Rechtsprechung des BFH die Anwendung von § 70 Abs. 4 EStG a.F. ausschließt (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 218, 147, BStBl II 2008, 549, unter II.2.d, und in BFH/NV 2010, 1260, unter II.2.).
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bb) Im Streitfall steht fest, dass der Familienkasse bei der Prognoseentscheidung für 2007 im April 2007 ein materieller Rechtsanwendungsfehler unterlaufen ist.
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Denn die Familienkasse ist bei ihrer positiven Prognoseentscheidung für 2007 davon ausgegangen, dass die Einkünfte des Kindes X aufgrund der erklärten Werbungskosten unter dem maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 € lägen. Dies ergibt sich aus dem entsprechenden abschließenden handschriftlichen Vermerk vom April 2007, wonach sich bei der "Höhe der Werbungskosten" eine Berechnung erübrige.
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Für das Jahr 2007 ist die Familienkasse lt. den ihr vorliegenden Unterlagen nach Abzug der Arbeitnehmeranteile für die Sozialversicherung von Einnahmen für X von 9.264,08 € ausgegangen. Um zu einer positiven Prognoseentscheidung zu gelangen, muss die Familienkasse daher angenommen haben, dass die Werbungskosten von X jedenfalls den Betrag von 1.584,08 € überschreiten würden, denn dies ist die Differenz zwischen den erklärten Einnahmen von 9.264,08 € und dem Jahresgrenzbetrag von 7.680 €.
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Dies lässt sich nur nachvollziehen, wenn berücksichtigt wird, dass X im März 2007 nicht nur Aufwendungen für Fachzeitschriften und Reinigung von Berufskleidung von 75,24 € pro Jahr und Fahrtkosten ab dem ersten Entfernungskilometer von 618,07 € geltend gemacht hat, sondern wenn daneben auch noch der Abzug von monatlichen Mietaufwendungen von 364,67 € berücksichtigt wird. Denn nur bei einer Addition der monatlichen Mietaufwendungen von X zu den übrigen geltend gemachten Werbungskosten wäre der zum maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 € bestehende Unterschiedsbetrag von insgesamt 1.584,08 € überschritten.
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Die Berücksichtigung der Mietaufwendungen als Werbungskosten war materiell rechtsfehlerhaft, denn dies wäre grundsätzlich nur im Rahmen einer sog. "doppelten" Haushaltsführung zulässig gewesen. Die Anerkennung von Werbungskosten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung setzt jedoch voraus, dass tatsächlich zwei eigenständige Haushalte geführt werden (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 28. März 2012 VI R 87/10, BFHE 236, 553, BStBl II 2012, 800, und vom 12. Juni 2012 VI B 73/12, BFH/NV 2012, 1593, jeweils m.w.N.). Ansonsten sind Mietkosten nicht zu berücksichtigen, weil diese bereits durch den Jahresgrenzbetrag abgegolten sind (vgl. BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 III R 28/09, BFHE 234, 149, BStBl II 2012, 213). Im Streitfall haben die Voraussetzungen einer "doppelten" Haushaltsführung nicht vorgelegen, weil das Kind X tatsächlich nicht zwei Haushalte geführt, sondern allenfalls neben seiner Wohnung in Hamburg noch über ein Zimmer in der Wohnung der Mutter verfügt hat. Dies hat die Familienkasse der Klägerin im streitbefangenen Bescheid vom Mai 2008 auch mitgeteilt.
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Dafür, dass die Mietaufwendungen im Streitfall beruflich veranlasst waren (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 19. September 2012 VI R 78/10, Deutsches Steuerrecht 2012, 2375), besteht nach den Feststellungen des FG kein Anhaltspunkt.
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Wegen der von der Familienkasse bei ihrer im April 2007 getroffenen Entscheidung berücksichtigten Mietaufwendungen kann offenbleiben, ob die Familienkasse möglicherweise zudem entgegen der seinerzeit geltenden Gesetzeslage angenommen hatte, dass Fahrtkosten auch unterhalb von 21 Entfernungskilometern zur Arbeitsstätte abziehbar seien. Dies entsprach der noch im Jahr 2006 bestehenden Gesetzeslage, wonach gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG in der damals geltenden Fassung eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angesetzt werden durfte. Da sich die Gesetzeslage zur Abziehbarkeit von Fahrtkosten als Werbungskosten zu Beginn des Streitjahres 2007 mit dem Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878) insofern geändert hatte, als nunmehr nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG nur noch Fahrtkosten ab dem 21. Entfernungskilometer abziehbar waren, ist die Familienkasse bei ihrer positiven Prognoseentscheidung im April 2007 insofern möglicherweise unzutreffend noch von der "alten" Gesetzeslage ausgegangen.
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Daher ist insoweit auch nicht entscheidungserheblich, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1-2/07 (BVerfGE 122, 210) rückwirkend die Beschränkung des Werbungskostenabzugs auf Fahrtkosten ab 21 Entfernungskilometer für verfassungswidrig erklärt und rückwirkend eine entsprechende Gesetzesänderung erfolgt ist.
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d) Entsprechend dem Vorbringen der Klägerin kommt auch eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für 2007 nach § 70 Abs. 3 EStG nicht in Betracht, weil die Berichtigung materieller Fehler insoweit nur "ex nunc" und damit nur für die Zukunft erfolgen kann (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 737, m.w.N.).
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e) Die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung durch die Familienkasse kann auch nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt werden. Denn die Anwendung dieser Korrekturvorschrift setzt voraus, dass "das Ereignis" erst nachträglich eingetreten und bekannt geworden ist (vgl. Loose in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 175 AO Rz 23). Im Streitfall sind diese Voraussetzungen wegen des Vorliegens eines materiellen Rechtsanwendungsfehlers schon bei der Prognoseentscheidung nicht erfüllt.
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f) Die Sache ist spruchreif. Der Klage war in vollem Umfang stattzugeben. Da die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für 2007 wegen eines entscheidungserheblichen materiellen Rechtsfehlers nicht erfolgen durfte, war die Familienkasse auch nicht berechtigt, das ausbezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern.
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3. Der Senat erkennt mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 90 Abs. 2, 121 Satz 1 FGO).
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