BVerfG 12.11.2012 - 2 BvR 2412/12 - Nichtannahmebeschluss: Unzureichende Substantiierung der Rüge einer Verletzung von Art 19 Abs 4 GG bei unterlassener Vorlage der an das Fachgericht gerichteten Antragsschrift - bei Verwerfung eines Antrags gem § 23 EGGVG (juris: GVGEG) wegen unzureichender Begründung kann materielle Rechtsfrage (Justiziabilität von Gnadenentscheidungen) offen bleiben
Normen
Artikel 19, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, §§ 23ff GVGEG, § 23EG, § 26EG
Vorinstanz
vorgehend KG Berlin, 12. Juni 2012, Az: 4 VAs 24/12, Beschluss
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der sofortigen Vollstreckung in einem Gnadenverfahren.
I.
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1. Der Beschwerdeführer wurde im Herbst 2011 zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt; das Urteil ist rechtskräftig.
Anfang 2012 wurde er zum Strafantritt geladen. Der Beschwerdeführer stellte am 6. Februar 2012 ein erstes Gnadengesuch mit
der Absicht, die dadurch eintretende Vollstreckungshemmung gemäß § 5 Abs. 1 der Allgemeinen Verfügung über das Verfahren in
Gnadensachen des Landes Berlin (Gnadenordnung - GnO) zu nutzen, um eine zuvor vom Rentenversicherungsträger bewilligte Kur
zu absolvieren. Mit Schreiben vom 8. Februar 2012 ordnete die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz die sofortige
Vollstreckung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GnO an. Die Vorschrift erlaubt die Anordnung der sofortigen Vollstreckung, wenn
das Gnadengesuch offensichtlich unbegründet ist oder die sofortige Vollstreckung im öffentlichen Interesse liegt. Am 12. Februar
2012 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag nach § 23 EGGVG mit dem Ziel der Überprüfung der Anordnung der sofortigen Vollstreckung.
Er adressierte den Antrag an das Landgericht Berlin. Angestoßen durch Erkundigungen des Beschwerdeführers nach dem Verbleib
der Antragsschrift erklärte das Landgericht, ein Faxeingang zu dem genannten Datum sei nicht feststellbar. Später wurde die
Antragsschrift im Bereich der Berliner Justizverwaltung aufgefunden. Am 5. Juni 2012 wiederholte der Beschwerdeführer vor
dem Kammergericht den Antrag nach § 23 EGGVG und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
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Mit angegriffenem Beschluss vom 12. Juni 2012 verwarf das Kammergericht die Anträge. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung
sei nicht in der Form des § 24 Abs. 1 EGGVG ausreichend begründet. Außerdem sei der Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht
eröffnet. Da diesem Antrag hinreichende Erfolgsaussichten fehlten, sei auch der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen.
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2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollstreckung
seien nicht gegeben und in dem Schreiben der Senatsverwaltung auch nicht mitgeteilt worden. Es handele sich um eine Willkürentscheidung.
Sie verletze ihn in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 GG und aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG. Durch die verzögerte Weiterleitung
der Antragsschrift vom 12. Februar 2012 im Verantwortungsbereich der Berliner Justiz sei ihm die Möglichkeit genommen worden,
noch "ggf. erforderliche Detailabläufe usw." zu seinem Antrag zu ergänzen. Im Übrigen sei der Antrag auch ordnungsgemäß begründet
gewesen. Ferner unterliege die Anordnung der sofortigen Vollstreckung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GnO der gerichtlichen Kontrolle.
Die Entscheidung des Kammergerichts verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
II.
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Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die
Verfassungsbeschwerde wirft keine entscheidungserhebliche Frage von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf (vgl.
§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz und anhand der bisherigen verfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung beantworten ließe (vgl. BVerfGE 90, 22 24 f.>). Auch ist ihre Annahme nicht zur Durchsetzung der als verletzt
bezeichneten Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
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1. Die Verfassungsbeschwerde genügt nicht den Substantiierungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Ob das Kammergericht
die Darlegungsanforderungen im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG in einer mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarenden Weise
überspannt hat, kann ohne Vorlage oder Wiedergabe der Antragsschrift des Beschwerdeführers vom 12. Februar 2012 nicht beurteilt
werden. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Inhalt der Antragsschrift sind insoweit nicht ausreichend. Ferner ist nicht
ersichtlich, inwieweit sich ein eventuell verzögerter Zugang der Antragsschrift beim Kammergericht zum Nachteil des Beschwerdeführers
ausgewirkt haben soll. Weder hat das Kammergericht den Antrag des Beschwerdeführers als verfristet verworfen, noch war dieser
daran gehindert, innerhalb der Frist des § 26 Abs. 1 EGGVG ergänzende Ausführungen zu machen.
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2. Nach den Ausführungen des Kammergerichts vermag die unzureichende Begründung des Antrags nach § 23 EGGVG dessen Verwerfung
selbständig zu tragen (vgl. BVerfGE 105, 252 264>). Somit bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob die Nichteröffnung eines
Rechtswegs gegen die Anordnung der sofortigen Vollstreckung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GnO mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar
ist, wie es das Bundesverfassungsgericht für den Fall der ablehnenden Gnadenentscheidung bejaht hat (vgl. BVerfGE 25, 352
361 ff.>; 30, 108 110 f.>; 45, 187 242 f.>; 66, 337 363>).
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.