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BAG 21.12.2016 - 5 AZR 266/16
BAG 21.12.2016 - 5 AZR 266/16 - Besonderer Erfüllungseinwand des Arbeitgebers bei Lohnsteuerabzug
Normen
§ 362 Abs 1 BGB, § 41c Abs 1 S 1 Nr 2 EStG, § 38 Abs 3 S 1 EStG, § 38 Abs 1 S 1 EStG
Vorinstanz
vorgehend ArbG Heilbronn, 2. September 2015, Az: 4 Ca 230/15, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 11. Februar 2016, Az: 18 Sa 58/15, Urteil
Leitsatz
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Der Arbeitgeber kann sich auf den besonderen Erfüllungseinwand des Abzugs und der Abführung von Lohnsteuer nur für den abzurechnenden Kalendermonat und ggf. als Korrektur für den Vormonat berufen.
Tenor
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1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 11. Februar 2016 - 18 Sa 58/18 - aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Vergütung.
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Der Kläger war von Juli 2006 bis Juni 2015 bei der Beklagten als Mitarbeiter „im Verkauf und Dekoration“, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von 4.750,00 Euro, beschäftigt. Die Beklagte stellte dem Kläger einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung zur Verfügung. Bis 31. Dezember 2010 versteuerte die Beklagte den geldwerten Vorteil für die Privatnutzung des Dienstwagens auf der Grundlage von Fahrtenbüchern. Danach berücksichtigte sie monatlich einen zu versteuernden geldwerten Vorteil iHv. 300,00 Euro bzw. später 375,00 Euro.
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Mit Gehaltsabrechnung für Mai 2015 führte die Beklagte eine Rückrechnung des von Januar 2011 bis April 2015 gewährten geldwerten Vorteils für die Privatnutzung des Dienstwagens auf Basis der sog. 1 %-Regelung und der tatsächlichen Fahrtstrecke vom Wohnort zur Arbeitsstätte durch. Danach ergab sich - nach Abzug der bislang berücksichtigten Pauschalen - ein zu versteuernder Betrag iHv. 25.704,80 Euro. Die Beklagte berücksichtigte in den Gehaltsabrechnungen für Mai 2015 einen zusätzlichen geldwerten Vorteil iHv. 13.000,00 Euro brutto und für Juni 2015 iHv. 12.704,80 Euro brutto. Aus diesen erhöhten Bruttobeträgen errechnete sie die zu zahlende Lohnsteuer für Mai 2015 iHv. 7.015,08 Euro und für Juni 2015 iHv. 6.891,08 Euro. An den Kläger zahlte die Beklagte keine Vergütung.
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Mit seiner Zahlungsklage begehrt der Kläger die Vergütung für Mai und Juni 2015 und meint, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den geldwerten Vorteil für die Privatnutzung des Dienstwagens nach der 1 %-Regelung zu berechnen und eine Nachberechnung für mehrere Jahre vorzunehmen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9.500,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.750,00 Euro seit dem 1. Juni 2015 und aus weiteren 4.750,00 Euro seit dem 1. Juli 2015 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zu der Nachberechnung sei sie verpflichtet gewesen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Für die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht niemand erschienen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers durch unechtes Versäumnisurteil zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist schon deshalb aufzuheben, weil der Tatbestand in sich widersprüchlich ist. Mangels Feststellungen zur Lohnsteuerabführung kann der Senat nicht selbst in der Sache entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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I. Der Tatbestand des angefochtenen Urteils ist in sich widersprüchlich. Deshalb fehlt es an beweiskräftigen, das Revisionsgericht bindenden Feststellungen.
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1. Das tatsächliche Vorbringen einer Partei ist in erster Linie dem Tatbestand des Urteils zu entnehmen (§ 314 ZPO). Dabei ist anerkannt, dass vom Geltungsbereich des § 314 ZPO auch die tatsächlichen Feststellungen erfasst werden, die in den Entscheidungsgründen enthalten sind. Dazu gehört auch die Frage, ob eine bestimmte Behauptung bestritten ist oder nicht. Die Beweiskraft des Tatbestands und damit die Bindungswirkung für das Revisionsgericht entfällt aber, soweit die Feststellungen Unklarheiten enthalten, Lücken aufweisen oder widersprüchlich sind (BAG 18. September 2003 - 2 AZR 498/02 - zu B I 1 der Gründe; 19. Juni 2007 - 2 AZR 599/06 - Rn. 14; 13. April 2010 - 9 AZR 113/09 - Rn. 16; BGH 9. Juli 1993 - V ZR 262/91 - zu III der Gründe).
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Ein solcher Widerspruch ist - auch ohne Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, § 559 Abs. 1 Satz 2 ZPO - von Amts wegen zu berücksichtigen. Beruht die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts auf Feststellungen, die dem Revisionsgericht keine hinreichend sichere Beurteilung des Parteivorbringens erlauben, ist das Berufungsurteil schon wegen dieses Mangels aufzuheben (BAG 18. September 2003 - 2 AZR 498/02 - zu B I 1 der Gründe; 13. April 2010 - 9 AZR 113/09 - Rn. 16; 21. August 2013 - 5 AZR 581/11 - Rn. 54; BGH 9. Juli 1993 - V ZR 262/91 - zu III der Gründe).
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2. Der Tatbestand des angefochtenen Urteils gibt streitiges Vorbringen der Beklagten wieder, obgleich das Urteil bei Säumnis der Beklagten ergangen ist. Es ignoriert die als Folge der Säumnis anzuwendende Geständnisfiktion (§ 539 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Dies gilt ebenso für das als streitig wiedergegebene Vorbringen des Klägers zur Abführung der Lohnsteuer an das Finanzamt.
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II. Über den Erfolg der Zahlungsklage kann der Senat aufgrund der fehlenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht wird im erneuten Berufungsverfahren Folgendes zu beachten haben:
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1. Vergütungsansprüche des Klägers für Mai und Juni 2015 sind unstreitig entstanden. Solche hat die Beklagte den von ihr erteilten Gehaltsabrechnungen zugrunde gelegt.
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2. Ob die Vergütungsansprüche nach § 362 Abs. 1 BGB durch Erfüllung erloschen sind, bedarf weiterer Feststellungen. Erfüllung - auch nur zum Teil - könnte allenfalls durch Abführung der Lohnsteuer eingetreten sein.
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a) Der Arbeitgeber ist zum Einbehalt und Abzug der Lohnsteuer verpflichtet. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten. Der Arbeitgeber kann zudem gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG die Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer vom Arbeitnehmer verlangen, wenn er zu wenig Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt hat (vgl. BAG 30. April 2008 - 5 AZR 725/07 - Rn. 16, BAGE 126, 325).
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b) Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer seine Vergütungspflicht. Die Abführung begründet einen besonderen Erfüllungseinwand. Es bedarf keiner Aufrechnung. Der Einbehalt des Arbeitgebers für Rechnung des Arbeitnehmers (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) dient der Vorbereitung der Abführung. Erfüllt wird erst durch die Abführung nach § 41a EStG, wobei der Arbeitgeber in einer Art treuhänderischen Stellung für den Steuerfiskus tätig wird (BAG GS 7. März 2001 - GS 1/00 - zu III 3 b der Gründe, BAGE 97, 150; BAG 30. April 2008 - 5 AZR 725/07 - Rn. 18, BAGE 126, 325). Der Arbeitgeber hat die einzubehaltende Lohnsteuer beim Finanzamt anzumelden und abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Lohnsteuer-Anmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO). Sie betrifft den jeweiligen Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer unmittelbar, weil er ihren Abzug vom Lohn zu dulden hat (vgl. BAG 30. April 2008 - 5 AZR 725/07 - Rn. 18, BAGE 126, 325).
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Danach wäre zur - zumindest teilweisen - Erfüllung der Forderungen die Abführung der Lohnsteuer an das Finanzamt erforderlich gewesen, wozu das Landesarbeitsgericht Feststellungen zu treffen haben wird.
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c) Sollte das Landesarbeitsgericht feststellen, dass die Beklagte Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt hat, könnten die Vergütungsansprüche des Klägers dennoch nur teilweise erfüllt worden sein.
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Die Gerichte für Arbeitssachen sind grundsätzlich nicht befugt, die Berechtigung der Abzüge für Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Der Arbeitgeber erfüllt beim Lohnsteuerabzug öffentlich-rechtliche Aufgaben, die allein ihm obliegen. Er ist Steuerentrichtungspflichtiger iSv. § 43 Satz 2 AO (vgl. BAG 30. April 2008 - 5 AZR 725/07 - Rn. 20, BAGE 126, 325; BFH 4. Februar 2003 - VI B 70/02 -). Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die steuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Andernfalls tritt die Erfüllungswirkung ein (vgl. BAG 30. April 2008 - 5 AZR 725/07 - Rn. 21, aaO; vgl. auch BGH 12. Mai 2005 - VII ZR 97/04 - zu II 4 a der Gründe, BGHZ 163, 103).
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Aufgrund der dem Kläger gestatteten Privatnutzung des Dienstwagens ist bei diesem ein zu versteuernder geldwerter Vorteil eingetreten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 8 Abs. 1 EStG). Dies ist zwischen den Parteien nicht streitig. Die Beklagte konnte grundsätzlich eine Berechnung nach der 1 %-Regelung vornehmen (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 iVm. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG).
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Doch war die Beklagte nicht berechtigt, eine Nachberechnung für mehrere Jahre und über mehrere Monate vorzunehmen. Ein Lohnsteuerabzug im Sinne der Rechtsprechung zum besonderen Erfüllungseinwand kommt nur im abzurechnenden Kalendermonat in Betracht, allenfalls als Korrektur für den Vormonat (§ 41c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Verrechnungen wegen etwaiger Ansprüche auf Erstattung nachträglich abgeführter Lohnsteuer genießen dieses Vorrecht nicht, sondern sind mittels Aufrechnung nach den dafür bestehenden besonderen Regeln vorzunehmen.
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Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitgeber nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung den Lohnsteuerabzug nicht mehr ändern darf (LStR 2015 R 41c.1 Abs. 7 Satz 1). Die Lohnsteuerbescheinigung ist Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, wie er tatsächlich stattgefunden hat (vgl. BFH 13. November 2012 - VI R 38/11 - Rn. 16, BFHE 239, 403).
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Demnach war die Beklagte allenfalls berechtigt, etwaige noch nicht erhobene Lohnsteuer für Mai und Juni sowie ggf. für April 2015 einzubehalten. Ein nachträglicher Lohnsteuereinbehalt in Mai und Juni 2015 für die Zeit Januar 2011 bis März 2015 könnte den besonderen Erfüllungseinwand nicht begründen.
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Die Fehlerhaftigkeit einer etwaigen Lohnsteuerabführung beträfe allerdings nur den Teil, der auf der Nachberechnung beruhte, nicht aber denjenigen, den der Kläger ohnehin bezüglich der ihm zustehenden Bruttovergütung für den jeweiligen Monat hätte abführen müssen. Zur Höhe dieses Anteils fehlt es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts.
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