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BSG 10.11.2022 - B 3 KR 22/22 B
BSG 10.11.2022 - B 3 KR 22/22 B
Vorinstanz
vorgehend SG Hamburg, 25. November 2020, Az: S 48 KR 989/17, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Hamburg, 7. Juni 2021, Az: L 1 KR 124/20, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 7. Juni 2021 - L 1 KR 124/20 - aufgehoben.
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Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Hamburg zurückverwiesen.
Gründe
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I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld in der Zeit vom 1.10. bis 4.12.2016 geruht hat. Das SG Hamburg hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 25.11.2020). In dem nach § 153 Abs 5 SGG dem Berichterstatter übertragenen Berufungsverfahren hat das LSG Hamburg mit dem angegriffenen Urteil die Berufung der Klägerin teilweise zurückgewiesen.
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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin ua die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt, weil sie unrechtmäßig von der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen worden sei.
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II. 1. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 160a Abs 5 SGG). Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält hinreichende Darlegungen zum Verfahrensablauf anhand des Sitzungsprotokolls sowie zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch einen unrechtmäßigen Ausschluss der Klägerin aus der mündlichen Verhandlung. Weitergehender Ausführungen zum Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler bedarf es nicht, wenn - wie hier - eine Beschwerdeführerin behauptet, um ihr Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gebracht worden zu sein (vgl BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33, juris RdNr 18).
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2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet, weil der insoweit von der Klägerin gerügte Verfahrensfehler vorliegt und das Urteil des LSG darauf beruhen kann.
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a) Die Klägerin beanstandet zu Recht, dass die Entscheidung über den Ausschluss eines Beteiligten von der mündlichen Verhandlung nur durch das Gericht, nicht durch den Berichterstatter ergehen kann. Durch die Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter nach § 153 Abs 5 SGG wird dieser zwar zum Vorsitzenden (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 25d mwN); nach § 61 Abs 1 SGG iVm § 177 Satz 2 GVG ist allerdings der Vorsitzende nur gegenüber Personen, die bei der Verhandlung nicht beteiligt sind, befugt, zur Aufrechterhaltung der Ordnung über Maßnahmen wie die Entfernung aus dem Sitzungszimmer zu entscheiden. Gegenüber den Beteiligten selbst entscheidet hingegen das Gericht.
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Nach der Übertragung eines Berufungsverfahrens auf den Berichterstatter entscheidet dieser gemäß § 153 Abs 5 iVm § 33 Abs 1 Satz 1 SGG zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern. Über die Entfernung der Klägerin aus dem Sitzungszimmer hätte daher der Spruchkörper unter Mitwirkung des vorsitzenden Berichterstatters und zweier ehrenamtlicher Richter entscheiden müssen. Dem hatte eine entsprechende Beratung und Abstimmung vorauszugehen (§ 61 Abs 2 SGG iVm §§ 192 ff GVG; vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 2.6.2010 - 1 BvR 448/06 - juris RdNr 18 f mwN). Die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter ist ein tragender Grundsatz des sozialgerichtlichen Verfahrens. Die Frage, ob der Vorsitzende allein oder zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet, berührt die Bestimmung des gesetzlichen Richters iS von Art 101 Abs 1 Satz 2 GG in der Person der im Einzelfall nach den allgemeinen Normen der Gesetze zur Mitwirkung berufenen Richter unter Einschluss der ehrenamtlichen Richter (BVerfG aaO RdNr 17 mwN).
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b) Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es sie mittels einer rechtswidrig allein durch den Berichterstatter getroffenen Entscheidung aus dem Sitzungszimmer verwiesen und das angegriffene Urteil aufgrund einer mündlichen Verhandlung verkündet hat, an der die ohne Vertreter erschienene Klägerin in wesentlichen Teilen nicht teilnehmen konnte. Der Mündlichkeitsgrundsatz gemäß § 124 Abs 1 SGG räumt den Beteiligten das Recht ein, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Bei einem Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung und Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben oder nicht, Gelegenheit gegeben werden, sich zur Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung selbst zu äußern (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 12 KR 69/19 B - juris RdNr 10). Wird dieses Äußerungsrecht in rechtswidriger Weise verkürzt, leidet das Verfahren wegen der Versagung rechtlichen Gehörs an einem wesentlichen Mangel.
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c) Die angefochtene Entscheidung kann auch auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Wegen der besonderen Wertigkeit der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens reicht es aus, dass - wie hier - eine andere Entscheidung nicht auszuschließen ist, wenn der Betroffene Gelegenheit gehabt hätte, in der mündlichen Verhandlung vorzutragen (BSG vom 9.4.2019 - B 1 KR 81/18 B - juris RdNr 7 mwN). Dies gilt in besonderem Maße, wenn - wie hier - eine mündliche Verhandlung in der ersten Instanz nicht stattgefunden hat (vgl Art 6 Abs 1 EMRK).
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3. Der Senat macht von seiner Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 160a Abs 5 SGG). Der Zurückverweisung steht nicht der - auch in einem Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision grundsätzlich anwendbare (vgl hierzu BSG vom 24.11.2020 - B 12 KR 37/20 B - juris RdNr 16 mwN) - Rechtsgedanke des § 170 Abs 1 Satz 2 SGG entgegen, nach dem eine Revision bei einer Gesetzesverletzung auch dann zurückzuweisen ist, wenn sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat schon deshalb nicht möglich, weil die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragen hat, dass sich bei erneuter Einsicht in die Akten und Erörterung womöglich erneut weitere Unterlagen zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit im streitigen Zeitraum gefunden hätten.
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Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
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