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BSG 21.12.2021 - B 9 V 34/21 B
BSG 21.12.2021 - B 9 V 34/21 B - Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Verletzung der Amtsermittlungspflicht - in der Berufungsinstanz unvertretener Kläger - Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - Anzeige eines fortbestehenden Aufklärungsbedarfs zum Zeitpunkt der Zustimmung - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Klärungsbedürftigkeit - Auseinandersetzung mit höchstrichterlicher Rechtsprechung - Angabe der vom LSG festgestellten Tatsachen - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopfer - tätlicher Angriff - Fixierung einer Hand bei fortbestehender Befreiungsmöglichkeit - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 163 SGG, § 103 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 1 Abs 1 S 1 OEG
Vorinstanz
vorgehend SG Augsburg, 26. November 2020, Az: S 6 VG 5/18, Urteil
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 10. August 2021, Az: L 15 VG 31/20, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. August 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das LSG einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen sexuellen Missbrauchs durch einen ehemaligen Kaplan verneint.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und einem Verfahrensmangel begründet.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargetan.
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1. Die Beschwerdebegründung genügt nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, soweit sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft.
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Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.3.2021 - B 9 BL 3/20 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - juris RdNr 6).
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Der Kläger misst folgender Frage grundsätzliche Bedeutung zu:
"Ist die Fixierung einer Hand des Opfers durch den Täter mit dessen zweiter Hand gewaltlos und daher nicht unter den Anwendungsfall des § 1 OEG fallen?"
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Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit überhaupt eine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den weiteren Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt hat, oder ob er vielmehr im Kern eine Frage zur Rechtsanwendung im Einzelfall gestellt hat. Jedenfalls hat er - die Qualität als Rechtsfrage unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit dieser Frage nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.
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In Bezug auf die Klärungsbedürftigkeit hat es der Kläger - anders als erforderlich - zu untersuchen versäumt, ob sich die von ihm formulierte Frage nicht auf Grundlage der bereits vorhandenen umfangreichen Rechtsprechung des BSG zum "tätlichen Angriff" im Sinne des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG und des in diesem Rahmen anzuwendenden Gewaltbegriffs (vgl hierzu zB BSG Urteil vom 24.9.2020 - B 9 V 3/18 R - BSGE 131, 61 = SozR 4-3800 § 1 Nr 24, RdNr 19 f; BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21, RdNr 19 ff, jeweils mwN) beantworten lässt. Eine Rechtsfrage ist nämlich dann nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das BSG bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 5.6.2020 - B 9 SB 87/19 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 - juris RdNr 7). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (vgl BSG Beschluss vom 23.4.2021 - B 13 R 67/20 B - juris RdNr 7 mwN). An der danach gebotenen Auseinandersetzung mit der bereits ergangenen Rechtsprechung zu § 1 OEG fehlt es in der Beschwerdebegründung vollständig. Es wird nicht einmal behauptet, dass die aufgeworfene Frage noch nicht beantwortet sei.
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Zudem hat der Kläger auch die Klärungsfähigkeit der formulierten Frage nicht dargelegt. Die Beschwerdebegründung lässt durchgängig offen, welche der darin mitgeteilten Tatsachen neuer oder wiederholter Vortrag des Klägers oder des Täters und seines Rechtsanwalts sind und welche Tatsachen vom LSG im angegriffenen Urteil festgestellt worden sind. Nur letztere können aber einer Entscheidung des BSG in der angestrebten Revision zugrunde gelegt werden. Ohne die Angabe der vom LSG festgestellten Tatsachen ist der Senat nicht in der Lage, wie erforderlich, allein aufgrund der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage zu beurteilen (vgl nur BSG Beschluss vom 5.11.2020 - B 10 EG 5/20 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 29.7.2019 - B 13 R 250/18 B - juris RdNr 13, jeweils mwN).
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2. Den Formerfordernissen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht, soweit der Kläger einen Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) durch das LSG geltend macht.
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Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dies erfordert nach ständiger Rechtsprechung des BSG ferner die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 11.11.2020 - B 3 KR 33/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn der Kläger - wie es vorliegend der Fall war - in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war (vgl BSG Beschluss vom 8.5.2018 - B 1 KR 3/18 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5). Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG Beschluss vom 3.11.2021 - B 4 AS 186/21 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 8.5.2018 - B 1 KR 3/18 B - juris RdNr 5). Erfolgt eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines unvertretenen Klägers, hat er diese Verdeutlichung grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung vorzunehmen (BSG Beschluss vom 11.4.2019 - B 13 R 74/18 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 8.5.2018 - B 1 KR 3/18 B - juris RdNr 5). Wird ein Rechtsstreit - wir hier durch das LSG - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG (BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 - juris RdNr 5).
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In seiner Beschwerdebegründung nennt der Kläger zwar zwei Ermittlungsansätze, denen das LSG seiner Meinung nach noch hätte nachgehen sollen. Jedoch versäumt es der in der Berufungsinstanz noch unvertretene Kläger aufzuzeigen, dass er diesbezügliche Ermittlungsbegehren bereits gegenüber dem LSG geäußert und bei der Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einen seiner Meinung nach weiterhin bestehenden Aufklärungsbedarf angezeigt hat. Den vorstehend dargestellten Anforderungen wird die Beschwerdebegründung dadurch nicht gerecht.
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3. Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).
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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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5. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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