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BSG 04.11.2021 - B 9 SB 31/21 B
BSG 04.11.2021 - B 9 SB 31/21 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Amtsermittlungspflicht - prozessordnungsgemäßer Beweisantrag - Nachweis eines unveränderten Gesundheitszustands - erforderliche Beschreibung der Entwicklung genau bezeichneter Gesundheitsstörungen - zwingende Veranlassung zu weiteren Ermittlungen - Maßgeblichkeit der Rechtsansicht des LSG - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 152 Abs 3 S 1 SGB 9 2018, § 2 VersMedV, Anlage Teil B Nr 3.7 VersMedV
Vorinstanz
vorgehend SG Hannover, 11. Dezember 2020, Az: S 40 SB 229/19, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 15. April 2021, Az: L 10 SB 140/20, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. April 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Die Klägerin wehrt sich gegen die Herabsetzung ihres Grads der Behinderung (GdB).
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Bei der Klägerin war mit Bescheid vom 30.7.2015 ab Februar 2015 ein GdB von 70 festgestellt für die Funktionsbeeinträchtigungen
1.
Zustand nach mehrfachen gynäkologischen Operationen, Wundheilungsstörungen, Narbenkorrekturen und Darmträgheit (Einzel-GdB 50),
2.
seelisches Leiden mit somatischen und Schmerzstörungen (Einzel-GdB 30) und
3.
Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule (Einzel-GdB 20).
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Nach medizinischen Ermittlungen und Anhörung der Klägerin setzte das beklagte Land den GdB mit Wirkung von Februar 2019 auf 50 herab, weil sich die zu 1. festgestellte Funktionsstörung gebessert habe (Bescheid vom 18.1.2019; Widerspruchsbescheid vom 10.4.2019).
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Das SG hat die dagegen erhobene Klage nach weiteren medizinischen Ermittlungen abgewiesen. Insbesondere die Wundheilungsstörungen der Klägerin hätten sich gebessert (Gerichtsbescheid vom 11.12.2020).
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Mit Urteil vom 15.4.2021 hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Wie sich aus den eingeholten Befundberichten ergebe, seien im Vergleich zu früheren Jahren ihre gynäkologischen Gesundheitsstörungen und Narbenbeschwerden in den Hintergrund getreten. Für eine Höherbewertung ihrer Darmbeschwerden fehle es an einer Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes und an der Notwendigkeit besonderer Diätkost. Auch das im Jahr 2015 mit einem Einzel-GdB von 30 bewertete seelische Leiden ließe sich nach Durchsicht der beigezogenen Unterlagen nicht mehr feststellen.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie macht geltend, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie den allein behaupteten Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
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1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie diejenige der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie zunächst einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Diese ist möglichst präzise und bestimmt zu benennen, und es ist zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur ein solcher Vortrag versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte oder unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (BSG Beschluss vom 29.4.2020 - B 9 V 33/19 B - juris RdNr 5 mwN). Darüber hinaus ist mit der Nichtzulassungsbeschwerde darzulegen, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen ist, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben. Denn die Wendung "ohne hinreichende Begründung" in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (BSG Beschluss vom 12.10.2017 - B 9 V 32/17 B - juris RdNr 10 mwN).
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Solche Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Ihr Hinweis auf den Berufungsschriftsatz vom 17.12.2020 bezeichnet keinen substantiierten Beweisantrag. Der darin enthaltene Satz: "Eine Änderung des Zustandes nach mehrfachen gynäkologischen Operationen in der Zeit vom Erlass des Bescheides 30.07.2015 bis zum Erlass des Aufhebungsbescheides vom 18.01.2019 ist nicht eingetreten, Beweis: medizinisches Sachverständigengutachten" enthält keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag im vorgenannten Sinne. Denn damit hat die Klägerin keine hinreichend bestimmten Tatsachen behauptet, sondern lediglich pauschal vorgetragen, ihr Gesundheitszustand sei weiterhin unverändert. Vielmehr hat sie nur das aus ihrer Sicht gewünschte Verfahrensergebnis als Schlussfolgerung aus möglichen Beweisergebnissen mitgeteilt, ohne jedoch - wie erforderlich - hinreichend präzise und detailliert anzugeben, aus welchen Tatsachen dieses Ergebnis herzuleiten und mit sachverständiger Hilfe zu beweisen war. Der vom LSG zu beurteilende Gesamt-GdB der Klägerin setzt sich aus mehreren Einzel-GdB verschiedener Funktionssysteme iS des von Teil A Nr 2 Buchst e der (in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten) Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) zusammen. Daher hätte ein hinreichend präziser Beweisantrag sich auf eine oder mehrere genau bezeichnete Gesundheitsstörungen beziehen, deren Entwicklung darlegen und unter Beweis stellen müssen. Die Beschwerde versucht zwar, diesen Vortrag nachzuholen, indem sie nunmehr auf eine angebliche Chronifizierung der bei der Klägerin in der Vergangenheit diagnostizierten depressiven Störung abstellt. Dieser nachgeschobene Vortrag im Beschwerdeverfahren kann indes die fehlende Bestimmtheit des Beweisantrags beim LSG nicht heilen.
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Unabhängig davon legt die Beschwerde auch nicht hinreichend substantiiert dar, warum das LSG von seinem Rechtsstandpunkt objektiv zu der beantragten Beweiserhebung gehalten gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat zum einen darauf abgestellt, die Klägerin habe seit 2017 bei der behandelnden Frauenärztin keine Angaben zu gynäkologischen Beschwerden mehr gemacht, sondern sich dort lediglich zur Kontrolle und zur Vorsorge vorgestellt. Wundheilungsstörungen, die zuvor in die Festsetzung eines höheren GdB eingeflossen waren, seien nicht mehr Gegenstand der Behandlung gewesen. Hinsichtlich der Darmerkrankung der Klägerin ließen die medizinischen Unterlagen weder eine Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes noch die Notwendigkeit besonderer Diätkost iS von Teil B Nr 10.2 VMG erkennen, die eine Höherbewertung rechtfertigen könnten. Auch ein erhebliches seelische Leiden der Klägerin konnte das LSG nach Durchsicht der beigezogenen Unterlagen (wie dem Reha-Entlassungsbericht von August 2018) nicht mehr feststellen. Das Berufungsgericht hat seinem Urteil demnach die Annahme einer Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin in zwei der drei Funktionsbereiche zugrunde gelegt, auf die sich die ursprüngliche Feststellung des Gesamt-GdB gestützt hatte. Daraus hat das LSG in der von § 152 Abs 3 Satz 1 SGB IX vorgeschriebenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen dieser gesundheitlichen Beeinträchtigungen (vgl BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris RdNr 29) - wie vor ihm der Beklagte und das SG - einen niedrigeren Gesamt-GdB abgeleitet. Auf diesen maßgeblichen Rechtsstandpunkt des LSG geht die Klägerin nur unvollständig ein. Sie konzentriert sich auf die nach ihrer Ansicht erfolgte Verschlimmerung ihrer seelischen Erkrankung im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" (vgl Teil A Nr 2 Buchst e iVm Teil B Nr 3 VMG). Sie setzt sich dagegen nicht näher mit der gegenteiligen Einschätzung ihrer seelischen Gesundheit durch das LSG und insbesondere nicht mit dessen Begründung für den niedrigeren Gesamt-GdB auseinander. Das LSG hat sich aber insoweit maßgeblich nicht allein auf den nach seiner Einschätzung gebesserten seelischen Zustand der Klägerin, sondern darüber hinaus auch auf eine Besserung im Funktionssystem "Verdauung" (vgl Teil A Nr 2 Buchst e iVm Teil B Nr 10 VMG) gestützt. Damit fehlt es insgesamt an einer hinreichenden Darlegung, warum das LSG von seinem Rechtsstandpunkt objektiv zu der von der Klägerin beantragten Beweiserhebung gehalten gewesen wäre.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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