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BSG 29.06.2016 - B 1 KR 16/16 B
BSG 29.06.2016 - B 1 KR 16/16 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - Verletzung des § 153 Abs 4 SGG bei sachfremden Erwägungen oder grober Fehleinschätzung)
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Ulm, 18. September 2015, Az: S 5 KR 3151/14
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 8. Februar 2016, Az: L 4 KR 4951/15, Beschluss
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Februar 2016 wird als unzulässig verworfen.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Der bei der beklagen Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, ihm die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung durch ein für die Dauer des Versicherungsverhältnisses geltendes anderes Nachweisdokument als eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) ohne Chip und ohne Lichtbild zu ermöglichen, bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf einen anderen geeigneten Nachweis seiner Leistungsberechtigung als Versicherter. Es obliege ihm, die eGK in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung zum Nachweis der Leistungsberechtigung vorzulegen. Diese Mitwirkungsobliegenheiten stünden entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1) mit höherrangigem Recht in Einklang. Die erst im Berufungsverfahren gestellten weiteren Sachanträge seien unzulässig (Beschluss vom 8.2.2016).
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Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Die Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes des Verfahrensfehlers (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Der Kläger legt weder eine Verfahrensrechtsverletzung durch die Ermessensausübung des LSG, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (dazu a), noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (dazu b) noch der Aufklärungspflicht (dazu c) noch der Beiladungspflicht (dazu d) als Verfahrensmangel in diesem Sinne hinreichend dar.
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a) Der Kläger meint, das LSG habe § 153 Abs 4 SGG verletzt, weil es entgegen seinem Wunsch ohne weitere Anhörung durch Beschluss und ebenfalls ohne mündliche Verhandlung auch über sein weiteres Begehren entschieden habe, die Beklagte zur Beachtung erteilter Weitergabe- und Nutzungsverbote hinsichtlich der persönlichen Daten des Klägers anzuhalten und sie zu verurteilen, vorab deren beabsichtigte Übermittlung dem Kläger jeweils anzuzeigen. Der Kläger bezeichnet damit nicht Umstände, die eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG schlüssig ergeben.
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Nach § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, bei Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen ("kann"). Das Gebot fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung schränken die Entscheidung eines LSG nach § 153 Abs 4 SGG ein, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Diese Entscheidung kann vom Revisionsgericht deshalb darauf geprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38). Das Ermessen ist weder vom Einverständnis der Beteiligten abhängig noch übt es das LSG erkennbar fehlerhaft aus, wenn es sich durch eine unzulässige Erweiterung des Begehrens in der Berufungsinstanz nicht an einer Entscheidung durch Beschluss gehindert sieht (vgl zu den Maßstäben BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - RdNr 8 ff mwN). Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab legt der Kläger nicht dar, dass bei Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen gewesen sei. Er trägt lediglich vor, dass sich das LSG zu einer genauen Prüfung des Rechtsschutzbegehrens des Klägers hätte "durchringen" müssen, "gegebenenfalls auch" im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.
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b) Der Kläger meint, das LSG habe das rechtliche Gehör verletzt, indem es nicht auf die Bedenken des Klägers gegen die geplante Telematik-Infrastruktur eingegangen sei. Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) rügt, muss hierzu ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 6 mwN). Der Kläger zieht selbst nicht in Zweifel, dass das LSG sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und in seinem Beschluss zitiert hat.
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c) Wer - wie der Kläger - einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) rügt, muss ua die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und schildern, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45; BSG SozR 1500 § 160a Nr 24, 34). Der Kläger gibt nicht eine Rechtsauffassung des LSG wieder, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen. Er legt lediglich dar, das LSG habe begründet, warum es zur bloß geplanten Infrastruktur nicht ermitteln müsse, und warum das LSG nach - der insoweit unmaßgeblichen - Auffassung des Klägers dennoch hätte ermitteln müssen.
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d) Der Kläger bezeichnet mit seiner Rüge unterlassener Beiladung der Pflegekasse auch einen Verstoß gegen das Gebot notwendiger Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) nicht hinreichend. Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder ergibt sich im Verfahren, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe, ein Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, so sind sie beizuladen (vgl § 75 Abs 2 SGG). Der Kläger legt mit seinem schlichten Hinweis auf § 96 SGB XI (vgl zu dessen Bedeutung Prange in Hauck, jurisPK-SGB XI, Stand 2014, § 96) nicht schlüssig dar, wieso der Kläger überhaupt unter Berücksichtigung des vom SGB V abweichenden Leistungsrechts des SGB XI dort für den Nachweis seiner Anspruchsberechtigung eine Krankenversicherungskarte mit der Folge haben müsste, dass ein Fall der notwendigen Beiladung gegeben sein könnte.
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2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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