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BSG 12.05.2016 - B 9 V 11/16 B
BSG 12.05.2016 - B 9 V 11/16 B - (Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopferentschädigung - Anwendung des § 15 KOVVfG bei einem lange zurückliegenden Zeitraum - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Amtsermittlung - rechtliches Gehör - Darlegungsanforderungen)
Normen
§ 15 S 1 KOVVfG, § 1 Abs 1 OEG, § 6 Abs 3 OEG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 103 SGG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Hannover, 17. April 2012, Az: S 18 VG 1/09, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 19. November 2015, Az: L 10 VE 31/12, Urteil
Tenor
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Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt O. aus H. beizuordnen, wird abgelehnt.
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. November 2015 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Mit Urteil vom 19.11.2015 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) verneint, weil nicht festgestellt werden könne, dass er wegen den Folgen körperlicher Gewalt durch Mitschüler und Lehrer während der Schulzeit Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 OEG geworden sei. Entsprechendes könne zur Überzeugung des Senats auch nicht unter Zugrundelegung des erleichterten Beweismaßstabes des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) glaubhaft gemacht werden. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reiche nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt. Zur Begründung beruft er sich auf das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von PKH und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolgt bietet. Das ist hier nicht der Fall. Die von seinem Prozessbevollmächtigten begründete Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.
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1. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
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Weder die von der Beschwerde behauptete grundsätzliche Bedeutung noch die Verfahrensmängel sind hinreichend dargelegt.
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a) Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin folgendes aufzeigen: (1.) Eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59 und 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Begründung des Klägers nicht.
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Der Kläger hält es sinngemäß für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung iS des § 15 S 1 KOVVfG zu stellen sind, wenn zwischen den schädigenden Ereignissen und der gerichtlichen Entscheidung ein Zeitraum von über 20 Jahren liegt.
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Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn die Frage bereits höchstrichterlich geklärt ist und ihre Beantwortung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN).
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Das ist hier der Fall. Der erkennende Senat des BSG hat bereits klargestellt: Bei der Anwendung des OEG ist von dessen Grundgedanken auszugehen, dass nur Opfer von Gewalttaten entschädigt werden sollen und das OEG nicht alle aus dem Gesellschaftsleben folgenden Verletzungsrisiken abdeckt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 - "Mobbing"). Das OEG setzt eine "gewaltsame" Einwirkung voraus; der Gesetzgeber des OEG hat entschieden, dass der Begriff des "tätlichen Angriffs" den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff einschränkt (s Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36). Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt nach § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (vgl Senatsurteil vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, RdNr 32). Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (BSG, aaO, RdNr 41 unter Hinweis auf: BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).
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Die Anwendung des § 15 KOVVfG ist danach nicht auf bestimmte Fallgestaltungen eingeschränkt, insbesondere nicht hinsichtlich der Bewertung von Taten, die einen langen Zeitraum zurückliegen.
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Eine Rechtsfrage über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch - weiterhin - klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN). Dies ist im Rahmen der Beschwerdebegründung darzulegen. Daran fehlt es. Der Kläger legt nicht dar, dass trotz der auch vom LSG zitierten BSG-Rechtsprechung noch Klärungsbedarf verblieben ist, der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, weil von einer Entscheidung der Rechtssache im Revisionsverfahren in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise die Wahrung, Sicherung oder Herstellung von Rechtseinheit oder die Fortbildung des Rechts erwartet werden kann. In der Sache kritisiert der Kläger letztlich die Rechtsanwendung des LSG, die er für unzutreffend hält. Damit kann er allerdings keine Revisionszulassung erreichen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
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b) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie von dem Kläger - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Kriterien hat der Kläger nicht hinreichend Rechnung getragen.
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Eine insoweit von dem Kläger gerügte Verletzung der Pflicht zur Klärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) ist nicht schlüssig dargelegt. Es fehlt bereits an der Bezeichnung eines berücksichtigungsfähigen Beweisantrags. Der Kläger hätte darlegen müssen, welchem konkreten Beweisantrag iS der ZPO das LSG nicht gefolgt sein soll. Dabei hätte er diesen Beweisantrag so genau bezeichnen müssen, dass er für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbar ist (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5; Becker, SGb 2007, 328, 331). Dies hat er versäumt, denn er hat nicht einmal hinreichend behauptet, einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag gestellt und zuletzt in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten zu haben (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 Nr 11).
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c) Soweit der sinngemäß eine Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs geltend macht, hat er einen Verstoß gegen § 62 SGG, der den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art 103 Abs 1 GG für das sozialgerichtliche Verfahren konkretisiert, ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Weder hat er vorgetragen, dass er durch die Entscheidung des LSG überrascht worden sei, noch, dass er sich zu Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen nicht oder nicht ausreichend habe äußern können. Ebenso wenig hat er dargetan, dass das LSG sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in seine Erwägungen einbezogen habe. Er hat vielmehr sinngemäß eine Verletzung des rechtlichen Gehörs allein mit der Begründung behauptet, dass ihm das LSG einen richterlichen Hinweis hätte erteilen müssen, wenn es seine Angaben zu der Frage des tätlichen Angriffs bzw Mobbings für zu unkonkret halte. Denn wäre ein solcher richterlicher Hinweis erteilt worden, so hätte er nähere Ausführungen zu den einzelnen Taten nachholen können. Dieses Vorbringen reicht entsprechend den oben angeführten Kriterien allerdings nicht aus, zumal der Kläger nach wie vor nicht darlegt, welche näheren Ausführungen seinerseits erfolgt wären und wie diese Ausführungen nach der materiellen Rechtsansicht des LSG zu berücksichtigen wären.
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2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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3. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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