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BSG 13.11.2012 - B 2 U 218/12 B
BSG 13.11.2012 - B 2 U 218/12 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - absoluter Revisionsgrund - Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter - fehlerhafte Besetzung der Richterbank - offensichtlich rechtswidriger Übertragungsbeschluss gem § 153 Abs 5 SGG - Entscheidung ohne ehrenamtliche Richter - keine wirksame Aufhebung durch Berichtigungsbeschluss - mangelnde Übertragungskompetenz - Zustellung nach der Entscheidung in der Sache)
Normen
§ 153 Abs 5 SGG, § 155 Abs 3 SGG, § 155 Abs 4 SGG, § 105 Abs 2 S 1 SGG, § 142 Abs 1 SGG, § 133 S 2 SGG, § 138 S 1 SGG, § 33 S 1 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Braunschweig, 16. Oktober 2009, Az: S 16 U 118/05
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 7. Mai 2012, Az: L 9 U 337/09, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7. Mai 2012 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Der Kläger begehrt die Feststellung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall eines Nothelfers. Mit Urteil des Berichterstatters beim LSG vom 7.5.2012 wurde auf die Berufung des Klägers "das Ereignis vom 26.1.1998" als Arbeitsunfall festgestellt, für den der Beklagte zuständig sei.
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Der Beklagte hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Er rügt insbesondere, das Urteil sei unter Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG, §§ 33, 153 SGG) ergangen. Durch Beschluss des LSG vom 3.11.2011 sei die Sache dem Berichterstatter zur Entscheidung über die Berufung gemäß "§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz" übertragen worden. Dieser Beschluss sei offensichtlich fehlerhaft gewesen. Der Berichterstatter habe danach einen Erörterungstermin durchgeführt, ohne hierzu gesetzlich befugt zu sein. Mit Beschluss vom 26.4.2012 habe das LSG den früheren Beschluss zwar berichtigt und dem Berichterstatter die Entscheidung über die Berufung nach § 155 Abs 4 SGG übertragen. Dieser Beschluss sei den Beteiligten aber erst mit dem Urteil des LSG zugestellt worden. Die Entscheidung des LSG sei deshalb unter Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter ergangen. Die erteilten Einverständnisse der Beteiligten zur Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter seien zudem verbraucht gewesen. Im Übrigen sei die Entscheidung auch unter Verletzung der §§ 117, 118 SGG ergangen, weil das LSG im Wege des Urkundenbeweises Zeugenaussagen, die vor anderen Gerichten gemacht wurden, unangekündigt anders als diese Gerichte gewürdigt habe.
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II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
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1. Der von dem Beklagten gerügte Verfahrensfehler, eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, liegt vor. Auf diesem absoluten Revisionsgrund kann das Urteil des LSG in der Hauptsache beruhen (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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Das LSG hat durch den Beschluss vom 3.11.2011, der den Beteiligten zugestellt und dadurch wirksam wurde, die Sache dem Berichterstatter zur Entscheidung "nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz" übertragen. Obwohl dieser Beschluss rechtswidrig war, weil eine solche Übertragung nur in Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG, also nach einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid, in Betracht kommt und diese Voraussetzung nicht vorlag, ist er nicht nichtig (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 142 RdNr 3c und § 125 RdNr 5b). Der Beschluss ist vielmehr wirksam (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 142 RdNr 3c), da er nach Maßgabe der §§ 142 Abs 1, 133 Satz 2 SGG den Beteiligten zugestellt und auch nicht wieder aufgehoben worden ist (vgl BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 344/09 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 8; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 142 RdNr 7). Aufgrund dieses Beschlusses war der Berichterstatter nur gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern als gesetzlicher Richter bestimmt worden (§ 153 Abs 5 SGG). Die Entscheidung ist aber allein durch den Berichterstatter ohne ehrenamtliche Richter, also in einer Besetzung, die dem Beschluss nicht entspricht, getroffen worden.
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Das LSG hat zwar versucht, den Beschluss vom 3.11.2011 mit Beschluss vom 26.4.2012 zu "berichtigen". Ein Fall der Beschlussberichtigung (§§ 142 Abs 1, 138 SGG) lag aber nicht vor. Denn es ging nicht um einen Schreibfehler, Rechenfehler oder "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" iS des § 138 Satz 1 SGG. Vielmehr lag die dargestellte Gesetzwidrigkeit vor.
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Ferner hat das LSG in diesem "Berichtigungsbeschluss" seine rechtswidrige Übertragungsentscheidung aus dem Beschluss vom 3.11.2011 nicht ausdrücklich aufgehoben. Es hat nur eine andere Übertragungsentscheidung - nun auf den Berichterstatter allein "nach § 155 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz" - ausgesprochen. Es ist nicht zu entscheiden, ob darin sinngemäß und hinreichend bestimmt eine schlüssige Aufhebung der ersten Übertragungsentscheidung miterklärt worden sein könnte. Denn der zweite Übertragungsbeschluss ist erst nach dem Erlass des Urteils des Einzelrichters und zusammen mit diesem durch Zustellung wirksam geworden.
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Der Übertragungsbeschluss vom 26.4.2012 wurde den Beteiligten nicht vor der Entscheidung in der Sache zugestellt. Bei Erlass und Zugang des Urteils des LSG war daher weiterhin die Übertragung vom 3.11.2011 wirksam, nach der der Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter zu gesetzlichen Richtern bestimmt waren.
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Auch stand dem Senat des LSG keine Übertragungskompetenz auf den Einzelrichter nach § 155 Abs (3 oder) 4 SGG zu. Die Bestellung eines Vorsitzenden oder Berichterstatters zum Einzelrichter tritt nicht durch einen in § 155 SGG nicht vorgesehenen Beschluss des Senats beim LSG, sondern kraft Gesetzes ein, falls die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer solchen Entscheidung durch den Einzelrichter wirksam erklärt haben. Erst dann hat dieser zu befinden, ob seine Entscheidungskompetenz begründet ist oder nicht.
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Im Übrigen ist auch fraglich, ob das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung nach § 155 Abs 4 und 5 SGG durch den Beschluss vom 3.11.2011 nicht verbraucht war, da durch Übertragung der Sache nach § 153 Abs 5 SGG eine neue prozessuale Situation eingetreten sein könnte. Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben, da der "Berichtigungsbeschluss" die Zuständigkeit des Einzelrichters nicht wirksam begründet hat.
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Das angefochtene Urteil des LSG ist aufzuheben, da die Entscheidung nicht durch den gesetzlichen Richter getroffen worden ist. Das LSG hat hierdurch § 33 Satz 1 SGG und § 155 Abs 3 und 4 SGG verletzt und damit die Beteiligten ihrem gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) entzogen. Der gerügte Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist auch von Amts wegen zu beachten. Das Recht auf den gesetzlichen Richter gehört zu den Grundlagen des Prozessrechts, bei deren Verletzung vermutet wird, dass die ergangene Entscheidung auf der Verletzung von Verfahrensrechten beruht.
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Der als Berichterstatter bestellte Richter war allerdings - entgegen der Auffassung des Beklagten - beim Erörterungstermin vom 5.12.2011 der gesetzliche Richter, da der Vorsitzende seine Aufgaben nach §§ 104, 106 bis 108 SGG gemäß § 155 Abs 1 SGG auf den Berichterstatter übertragen hatte. Dieser konnte ohne Zustimmung der Beteiligten einen Erörterungstermin mit Beweisaufnahme durchführen.
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2. Da das Urteil des LSG schon wegen der Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter aufzuheben war, kann der Senat dahingestellt lassen, ob auch die von dem Beklagten gerügte Verletzung der §§ 117, 118 SGG vorliegt.
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Nur beiläufig sei darauf hingewiesen, dass es bei dem gegebenen Sachverhalt und den schon bei anderen Gerichten und der Staatsanwaltschaft durchgeführten Beweisaufnahmen auch verfahrensrechtlich angezeigt sein dürfte, wenn man meint, die Zeugen abweichend von der Beurteilung der anderen Stellen der Justiz würdigen zu sollen, diese persönlich zu hören, um sich einen unmittelbaren Eindruck davon zu verschaffen, ob der Kläger hier als Nothelfer einer dritten Person tätig geworden sein kann.
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3. Der Senat macht von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil ein nicht heilbarer Verfahrensmangel vorliegt.
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Das LSG wird in der nun zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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