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BSG 19.04.2012 - B 2 U 348/11 B
BSG 19.04.2012 - B 2 U 348/11 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Darlegung - Zwangsmitgliedschaft deutscher Unternehmer in der gesetzlichen Unfallversicherung - Europarechtskonformität - Ausscheiden aus der Pflichtmitgliedschaft - Vorabentscheidung des EuGH gem Art 234 EG
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a SGG, § 162 SGG, § 136 SGB 7, § 150 SGB 7, Art 49 EG, Art 50 EG, Art 81 EG, Art 82 EG, Art 234 EG
Vorinstanz
vorgehend SG Leipzig, 21. November 2005, Az: S 7 U 90/05
vorgehend Sächsisches Landessozialgericht, 31. August 2011, Az: L 6 U 51/09, Urteil
nachgehend BVerfG, 17. November 2016, Az: 1 BvR 2472/12, Nichtannahmebeschluss
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 31. August 2011 wird als unzulässig verworfen.
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Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Klägerin möchte aus der Pflichtmitgliedschaft bei der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) ausscheiden.
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Das klägerische Unternehmen wurde im November 2003 gegründet. Die BG stellte im Zuständigkeitsbescheid vom 27.1.2004 die Mitgliedschaft der Klägerin bei ihr gemäß § 136 Abs 1 SGB VII fest. Gegen diesen Verwaltungsakt legte die Klägerin keinen Widerspruch ein.
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Mit Schreiben vom 1.11.2004 erklärte die Klägerin, sie "kündige" die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten zum Jahresende 2004, weil beabsichtigt sei, sich privat gegen die Risiken zu versichern. Die Beklagte lehnte eine Feststellung des Ausscheidens der Klägerin im Bescheid vom 15.11.2004 ab, da ein Austritt aus der Versicherung bzw eine "Kündigung" einer gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft rechtlich nicht möglich sei. Mit dem Widerspruch wandte sich die nunmehr rechtskundig vertretene Klägerin sowohl gegen die Ablehnung des Austritts durch Kündigung als auch gegen eine "Ablehnung der Entlassung" aus der Pflichtmitgliedschaft. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.4.2005 zurück, weil ein "Austritt" oder eine "Kündigung" der Zugehörigkeit zu einer BG gesetzlich nicht vorgesehen sei.
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Das SG hat die auf Entlassung aus der Mitgliedschaft zum 31.12.2004 gerichtete Klage durch Urteil vom 21.11.2005 abgewiesen.
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Das LSG hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 24.7.2007 ausgesetzt und dem EuGH nach Art 234 EG die Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es sich bei der Beklagten um ein Unternehmen iS der Art 81 und 82 EG handele und ob die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften verstoße.
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Der EuGH hat durch Urteil vom 5.3.2009 (C 350/07) entschieden:
1. Die Beklagte sei kein Unternehmen iS der Art 81 und 82 EG, sondern nehme eine Aufgabe rein sozialer Natur wahr, soweit sie im Rahmen eines Systems tätig werde, mit dem der Grundsatz der Solidarität umgesetzt werde und das staatlicher Aufsicht unterliege, was vom vorlegenden LSG zu prüfen sei.
2. Die Art 49 und 50 EG seien dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstünden, soweit das System nicht über das hinausgehe, was zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts eines Zweigs der sozialen Sicherheit erforderlich sei, was ebenfalls vom vorlegenden Gericht zu prüfen sei.
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Das LSG hat durch Urteil vom 31.8.2011 die auf die Feststellung eines bedingten Austrittsrechts aus der Mitgliedschaft bei der Beklagten gerichtete Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
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Das LSG habe ausgeführt, streitgegenständlich sei lediglich die Europarechtskonformität des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Für seine Entscheidung komme es nicht darauf an, ob man die Frage der Europarechtskonformität offenlasse, weil das System nicht ad hoc durch eine Gerichtsentscheidung außer Kraft gesetzt werden könne, oder ob man die Europarechtskonformität der nationalen Regelungen bejahe. Denn in beiden Fällen laufe es auf die Beitragspflicht der Klägerin zur Beklagten hinaus. Letztlich handele es sich bei der Beantwortung des vom EuGH gestellten Überprüfungsauftrags um eine "politische Streitfrage" und es sei nicht Aufgabe des LSG, dies zu entscheiden.
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Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Rechtstreit habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Ferner liege ein Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor.
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Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung stellt sie folgende Fragen (Bl 6 der Beschwerdebegründung):
"1. Darf ein im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art 267 AEUV (ex Art 234 EGV) eine Rechtsfrage vorlegendes deutsches Gericht nach Entscheidung dieser Rechtsfrage durch den EUGH in Verbindung mit dem Auftrag, die zugrunde liegende tatsächliche Feststellung 'ob das im Ausgangsverfahren streitige gesetzliche Versicherungssystem im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel des finanziellen Gleichgewichts der sozialen Sicherheit erforderlich ist' dahinstehen lassen, mit der Begründung, die Frage der Europarechtskonformität könne dahinstehen, da nur der deutsche Gesetzgeber befugt sei, ein solches, von ihm per Gesetz beschlossenes System zu ändern oder abzuschaffen?
2. Bleibt trotz Beteiligung des betroffenen Mitgliedsstaats - hier: Deutschland - an einem Verfahren, in dem es um die Rechtfertigung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 und Art 57 AEUV geht, nach Beweiserhebung die Frage 'einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit' im Fall der Öffnung des Monopols der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gegen die Risiken von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ungeklärt und damit offen, zu wessen Lasten ist dann bei der Urteilsfindung die streitige Rechtsfrage (hier: Rechtfertigung des Monopols nach EU-Recht) zu entscheiden?"
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Beide Fragen seien Rechtsfragen und sowohl entscheidungserheblich als auch klärungsbedürftig.
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Das LSG habe bei der Frage 1 verkannt, dass jeder einzelne sich auf die Anwendung eines europarechtskonformen Zustands berufen könne. Die bisherige Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf das Urteil vom 20.3.2007 - B 2 U 9/06 R), nach der die Rechtmäßigkeit der Systementscheidung als solche in einem Beitragsstreit nicht überprüft werden dürfe und der das LSG gefolgt sei, sei spätestens seit der Entscheidung des EuGH im vorliegenden Fall nicht mehr haltbar. Die Rechtsprechung des EuGH weiche von der des BSG ab.
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Zu der Frage 2 führt die Klägerin ua aus, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Beweislast denjenigen treffe, der die beschränkende Regelung (hier das Versicherungsmonopol der BG'en) erlassen habe. Die Nichterweislichkeit von Nachteilen für das System der gesetzlichen Unfallversicherung gehe hier - entgegen der Rechtsansicht des LSG - zu Lasten der Bundesrepublik bzw der Beklagten.
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Verweigere das BSG in diesem Verfahren die Zulassung der Revision, so entziehe es der Klägerin den gesetzlichen Richter iS des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG.
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Ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG liege vor, weil das LSG ein "Überraschungsurteil" gefällt habe. Denn es habe erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 31.8.2011 seine Rechtsauffassung mitgeteilt, dass es nicht befugt sei, eine so weitreichende Entscheidung zu treffen. Diese Rechtsauffassung habe das Gericht zuvor nicht ansatzweise erkennen lassen und auch nicht deutlich gemacht, dass es - entgegen vorherigen Ankündigungen - die Revision nicht zulassen werde.
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Das BSG hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben ua zur Unanfechtbarkeit des die Zuständigkeit der Beklagten für die Klägerin feststellenden Verwaltungsakts vom 27.1.2004. Die Klägerin hat dazu mit Schriftsatz vom 15.3.2012 (Bl 53 bis 57 der BSG-Akte) Stellung genommen. Darauf wird Bezug genommen.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), nicht ausreichend dargelegt bzw bezeichnet. Die Revision war daher ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
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I. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist schon deshalb nicht ausreichend dargelegt, weil beide genannten Fragen den Anforderungen an die Bezeichnung einer Rechtsfrage zur Auslegung oder Anwendung einer bestimmten Vorschrift des Bundesrechts nicht genügen.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bundesrechtliche Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Beschwerdeführer müssen daher in der Beschwerdebegründung als Erstes angeben, welche rechtlichen Fragen sich zu einer bestimmten Vorschrift des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellen. Sodann haben sie darzutun, dass diese Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung sowie klärungsbedürftig und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sind (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65).
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Diesen Anforderungen, deren Verfassungsmäßigkeit das BVerfG bestätigt hat (vgl nur BVerfG Beschluss vom 24.10.2000 - 1 BvR 1412/99 - SozR 3-1500 § 160a Nr 31; 11.9.2008 - 1 BvR 1616/05; 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24), genügt die Beschwerdebegründung nicht.
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1. Die Beschwerdeführerin hat die grundsätzliche Bedeutung ihrer ersten Frage aus mehreren Gründen nicht dargetan.
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a) Sie hat keine Rechtsfrage zur Auslegung oder Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts (§ 162 SGG) gestellt. Denn sie hat schon nicht angegeben, welche Vorschrift(en) des Bundesrechts diese Frage überhaupt und weshalb aufwerfen soll(en).
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Zudem hat sie nicht mitgeteilt, welche nach dem Grundgesetz gültigen Vorschrift(en) des Bundesrechts nicht "europarechtskonform" sein sollen, sondern nur ein "im Ausgangsverfahren streitiges Versicherungssystem" erwähnt.
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Es ist aber Aufgabe der Beschwerdeführerin, die Vorschriften des Bundesrechts in ihrer Beschwerdebegründung genau zu bezeichnen, die nach ihrer Ansicht zu klären sind.
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In Bezug auf die erste von der Klägerin gestellte Frage ist die Zulässigkeit der Beschwerde allein schon aus diesem Grund zu verneinen.
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b) Mit Blick auf den Verfahrensgang, in dem das LSG sogar eine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt hat, ist beiläufig darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdebegründung auch weitere Voraussetzungen dieses Revisionszulassungsgrundes nicht dargelegt hat.
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aa) Sie hat auch die Klärungsbedürftigkeit ihrer Frage nicht aufgezeigt.
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Hierfür hätte sie unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vortragen müssen, dass das BSG zu ihrer Frage noch keine einschlägigen Entscheidungen gefällt hat bzw dass durch schon vorliegende Urteile die aufgeworfene Frage noch nicht oder nicht umfassend beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65).
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Die Beschwerdeführerin trägt aber selbst vor, dass das BSG (Urteil vom 20.3.2007 - B 2 U 9/06 R) ihre Frage bereits genauso beantwortet hat, wie es das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
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Die Beschwerde beschränkt sich hierzu auf den Vortrag, diese Rechtsansicht des BSG sei aufgrund der (neueren) Rechtsprechung des EuGH nicht (mehr) haltbar. Das wird aber nur behauptet, ohne dass die diesem Urteil zu entnehmende rechtliche Antwort mit ihren Gründen dargestellt wird und neue, dh vom BSG noch nicht bedachte Gegengründe angeführt werden. Mithin wird von der Beschwerde lediglich die inhaltliche Unrichtigkeit einer vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidung gerügt, ohne eine erneute Klärungsbedürftigkeit aufzuzeigen.
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Zudem hätte sich die Klägerin auch mit dem nach dem EuGH-Urteil vom 5.3.2009 ergangenen Beschluss des BVerfG vom 10.3.2011 - 1 BvR 2891/07 - auseinandersetzen müssen, mit dem das BVerfG die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 20.3.2007 nicht zur Entscheidung angenommen hat.
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bb) Die Beschwerdeführerin hat darüber hinaus auch die Klärungsfähigkeit ihrer Frage nicht dargetan.
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Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie für den zu entscheidenden Fall, in dem es hier, wie vor dem LSG allein geltend gemacht, um ein Recht auf Austritt mittels Kündigung der Mitgliedschaft geht, rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31; BFHE 105, 335, 336). Das Revisionsgericht muss gezwungen sein, über die aufgeworfene Frage konkret-individuell sachlich zu entscheiden (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 und 53 und § 160a Nr 31; BVerwG Buchholz 310 § 75 VwGO Nr 11; BFHE 96, 41, 44).
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Der Beschwerdeführer muss daher in der Beschwerdebegründung den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).
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aaa) Schon die Zulässigkeit der Berufung hätte dargetan werden müssen. Denn die Beschwerdeführerin hat vor dem LSG nur die Feststellung eines bedingten Austrittsrechts, also eines Rechts begehrt, unmittelbar durch eigene gestaltende Erklärung das gesetzliche Pflichtmitgliedschaftsverhältnis (zum 31.12.2004) zu beenden. Demgegenüber hat sie vor dem SG die Entlassung aus der Pflichtmitgliedschaft, also die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines statusbeendenden Verwaltungsaktes, begehrt. Hierzu hätte es Ausführungen zur Berufungsbeschwer und zur Zulässigkeit der vor dem LSG geänderten Klage bedurft, zumal beide Begehren anscheinend einander ausschließen. Hieran ändert nichts, dass der EuGH sich bereits mit dem Rechtsstreit befasst hat. Denn er prüft (abgesehen von offensichtlichen Fällen) nicht die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen für das innerstaatliche Ausgangsverfahren.
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bbb) Es fehlt auch an Darlegungen dazu, weshalb das BSG im angestrebten Revisionsverfahren die Frage der gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft der Beschwerdeführerin bei der Beklagten anders entscheiden müsste, als sie in dem unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt der Zuständigkeitsfeststellung vom 27.1.2004 geregelt wurde. Ein solcher Verwaltungsakt ist für die Beteiligten (und die Sozialgerichtsbarkeit) materiell bestandskräftig und in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 77 SGG).
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Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass dieser Verwaltungsakt nichtig ist oder unwirksam geworden sein könnte. Insbesondere wird nicht aufgezeigt, dass dessen sinngemäß behauptete "Europarechtswidrigkeit", die nur auf der Nichtanwendbarkeit einer durch ihn angewandten, nicht genannten Bundesrechtsvorschrift beruhen könnte, zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führen könnte.
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Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, sie habe von einer der ihr durch spezielle gesetzliche Vorschriften (vgl ua §§ 44 ff SGB X) eröffneten Verfahrensmöglichkeiten, die Aufhebung des Zuständigkeitsbescheides vom 27.1.2004 zu erreichen, erfolgreich Gebrauch gemacht.
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ccc) Gleichfalls wird nicht aufgezeigt, dass es eine gesetzliche Rechtsgrundlage für das behauptete Austrittsrecht oder eine Anspruchsgrundlage für das Begehren geben könnte, aus der Mitgliedschaft bei der Beklagten entlassen zu werden.
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2. Auch mit der zweiten Frage der Beschwerdeführerin ist keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt worden.
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Erstens wird auch hierzu nicht gesagt, zu welcher Norm des Bundesrechts sich diese Beweislastfrage stellen soll.
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Zweitens behauptet die Beschwerde nicht, dass diese Frage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG klärungsbedürftig sei, weil entsprechende höchstrichterliche Entscheidungen fehlten. Eine Ausein-andersetzung mit der Rechtsprechung des BSG zur materiellen Beweislast liegt nicht vor. Dargelegt wird lediglich, dass der EUGH die Beweislastfrage angeblich bereits im Sinne der Klägerin entschieden habe und das Urteil des LSG insofern falsch sei. Ob eine Entscheidung inhaltlich zutreffend ist oder nicht, ist jedoch keine Frage, die den Zugang zur Revisionsinstanz eröffnet. Außerdem fehlt es auch hier ua aus den oben genannten Gründen an der hinreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit. Es ist daher nicht dargetan, weshalb das BSG im angestrebten Revisionsverfahren zu der Beweislastfrage Stellung nehmen müsste.
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II. Der geltend gemachte Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - Überraschungsentscheidung - ist nicht in zulässiger Weise bezeichnet worden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
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Nach der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 22.9.2009 - B 2 U 182/09 B) muss das Gericht sicherstellen, dass die Beteiligten sich sachgemäß zum Prozessstoff äußern können. Wenn ein Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung eine unerwartete Wendung nimmt und bisher nicht erörterte, eventuell entscheidungserhebliche Gesichtspunkte auftauchen oder das Gericht den Beteiligten mit einer geänderten Rechtsauffassung gegenübertritt, muss es den Beteiligten eine angemessene Frist zur Stellungnahme einräumen. Dazu muss es erforderlichenfalls auf Antrag vertagen (vgl BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6). Die Beschwerde behauptet aber nicht, einen Vertagungsantrag gestellt zu haben. Insofern hätte sie darlegen müssen, weshalb sie entgegen ihrer rügelosen Einlassung (§ 295 ZPO iVm § 202 SGG) von der ihr vorher mitgeteilten Rechtsansicht des LSG in dessen Urteil überrascht worden sein könnte.
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III. Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
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IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird gemäß §§ 197a, 183 SGG iVm § 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz auf 5000 Euro festgesetzt (vgl hierzu Urteil des Senats vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - RdNr 32), da es nicht um einen bezifferbaren Beitrag, sondern um das Bestehen einer Mitgliedschaft geht (G. Becker/Spellbrink, NZS 2012, 283).
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