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BSG 29.12.2011 - B 13 SF 3/11 S
BSG 29.12.2011 - B 13 SF 3/11 S - (Sozialgerichtliches Verfahren - Erinnerung - Absehen von der Kostenerhebung - unrichtige Sachbehandlung iS des § 21 Abs 1 S 1 GKG)
Normen
§ 21 Abs 1 S 1 GKG, § 66 Abs 6 S 1 GKG, § 178 SGG
Vorinstanz
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 12. Mai 2010, Az: L 3 KA 280/04, Urteil
Tenor
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Die Erinnerung gegen die Festsetzung der Verfahrensgebühr durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts vom 30. März 2011 - B 6 KA 55/10 B - wird zurückgewiesen.
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Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
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I. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat den Anspruch des Klägers, der als Zahnarzt an der vertragszahnärztlichen Versorgung in Niedersachsen teilnimmt, gegen die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) auf höheres Honorar für das Jahr 2000 verneint (Urteil vom 12.5.2010 - L 3 KA 280/04). Mit Beschluss vom 9.2.2011 (B 6 KA 55/10 B) hat der 6. Senat des BSG die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil des LSG zurückgewiesen und dem Kläger (Erinnerungsführer) die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 3 SGG iVm entsprechender Anwendung von §§ 154 ff VwGO). Den Streitwert für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde hat der 6. Senat im vorbezeichneten Beschluss auf 72 818 Euro festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts entsprach der Beschwer des Klägers (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG). Die gegen diesen Beschluss eingelegte Verfassungsbeschwerde ist mangels Zulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerfG Beschluss vom 18.5.2011 - 1 BvR 1177/11 ua).
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Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat am 30.3.2011 (B 6 KA 55/10 B) die auf den Erinnerungsführer als Kostenschuldner entfallende Verfahrensgebühr nach Nr 7502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zum GKG in Höhe von 1312 Euro festgesetzt. Mit Schreiben der Geschäftsstelle des 6. Senats des BSG vom 2.8.2011 ist der Erinnerungsführer aufgefordert worden, die Verfahrensgebühr bis zum 5.9.2011 an die Gerichtskasse (Bundeskasse Trier) zu überweisen.
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Mit Schriftsatz, der am 9.8.2011 beim BSG eingegangen ist, hat der Erinnerungsführer beantragt, die festgesetzten Kosten nicht zu erheben und die Vollstreckung der Sache bis zur Entscheidung seiner Erinnerung auszusetzen. Er hat auf § 8 GKG aF (= § 21 GKG nF) Bezug genommen, wonach Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben werden. Hierfür hat er sich auf das Urteil des EGMR vom 16.12.2010 (Individualbeschwerden Nr 39778/07 ua - Juris) berufen, das ihm die Summe von 30 000 Euro nebst Zinsen in Bezug auf den immateriellen Schaden zugesprochen habe, der ihm wegen überlanger Verfahrensdauer unter Verletzung von Art 6 Abs 1 EMRK in den gegen die KZÄV geführten Rechtsstreitigkeiten wegen seiner Honorare im Zeitraum von 1998 bis 2005 entstanden sei. Da die KZÄV seinen Widerspruch gegen die Vergütungskürzung des Jahres 2000 bis zum Frühjahr 2002 nicht bearbeitet habe, habe er die Klage erst ab jenem Zeitpunkt erheben können, ab dem Gerichtskostenpflicht bestanden habe. Bei richtiger Sachbehandlung hätte er die Klage spätestens noch im Jahre 2001 erhoben, sodass auch für ihn als Zahnarzt Gerichtskostenfreiheit nach alter Rechtslage bestanden hätte.
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Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung gegen den Kostenansatz am 7.9.2011 nicht abgeholfen. Die Kostenprüfungsbeamtin ist dieser Entscheidung am 13.9.2011 beigetreten.
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II. Der Antrag, in dem Verfahren B 6 KA 55/10 B gemäß § 21 Abs 1 Satz 1 GKG von der Kostenerhebung wegen unrichtiger Sachbehandlung abzusehen, ist als Erinnerung iS von § 66 Abs 1 GKG auszulegen, weil er nach Zugang der Kostenrechnung gestellt worden ist (vgl BVerwG Beschluss vom 25.1.2006 - 10 KSt 5/05 ua - NVwZ 2006, 479 - Juris RdNr 1; BGH Beschluss vom 15.8.2002 - I ZA 1/01 - NJW 2002, 3410; Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl 2011, § 21 GKG RdNr 54).
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Zur Entscheidung über die Erinnerung ist der Senat durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter berufen. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 66 Abs 6 Satz 1 GKG. Nach dem Beschluss des Senats vom 28.12.2010 über die senatsinterne Geschäftsverteilung für das Jahr 2011 ist zuständiger Einzelrichter in den durch Gesetz vorgesehenen Fällen der Berichterstatter bzw die Berichterstatterin. Dies gilt im Falle des § 66 Abs 6 Satz 1 GKG auch für Erinnerungsverfahren vor dem BSG.
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Die Erinnerung bleibt erfolglos, weil die Festsetzung der Verfahrensgebühr gegenüber dem Erinnerungsführer als Kostenschuldner weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden ist.
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Es liegt kein Fall der unrichtigen Sachbehandlung gemäß § 21 Abs 1 Satz 1 GKG vor. Danach werden Kosten nicht erhoben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Von der Kostenerhebung ist nach dieser Vorschrift nur dann abzusehen, wenn ein schwerer Mangel im Sinne einer eindeutigen und offenkundig unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht vorliegt (vgl BVerwG aaO - Juris RdNr 6; BGH Beschluss vom 10.3.2003 - IV ZR 306/00 - NJW-RR 2003, 1294; BFH Beschluss vom 13.11.2002 - I E 1/02 - BFH/NV 2003, 333). Es ist nicht erkennbar, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen könnten. Denn der Erinnerungsführer zeigt nicht ansatzweise auf, inwiefern in dem vor dem BSG geführten Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde eine eindeutige und offenkundig unrichtige Sachbehandlung durch den 6. Senat geschehen sein sollte.
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Soweit sich der Erinnerungsführer darauf beruft, dass ihm die gegenständlichen Kosten nicht entstanden wären, wenn er seine Klage vor dem SG bei "richtiger Sachbehandlung" spätestens noch im Jahr 2001 erhoben und somit von der bis dahin noch bestehenden Gerichtskostenfreiheit profitiert hätte, übersieht er, dass die "unrichtige Sachbehandlung" bis zur Klageerhebung nicht der Sozialgerichtsbarkeit und schon gar nicht dem BSG zur Last gelegt werden kann.
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Aus dem erwähnten Urteil des EGMR vom 16.12.2010 (Individualbeschwerden Nr 39778/07 ua - Juris), mit dem dem Erinnerungsführer eine immaterielle Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer (Art 6 Abs 1 EMRK) in seinen Rechtsstreitigkeiten gegen die KZÄV zugesprochen worden ist, folgt keine Kostenfreiheit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde.
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Zum einen ist in dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde keine Verfahrensverzögerung eingetreten. Der Erinnerungsführer hat die am 30.9.2010 beim BSG eingegangene Nichtzulassungsbeschwerde - nachdem die Frist zur Begründung der Beschwerde auf seinen Antrag bis zum 2.12.2010 verlängert worden war - mit Schriftsatz vom 8.11.2010, beim BSG am 10.11.2010 eingegangen, begründet. Die Beklagte hat auf die Beschwerde am 22.11.2010 erwidert. Der 6. Senat des BSG hat die Beschwerde durch Beschluss am 9.2.2011 zurückgewiesen, weil die behaupteten absoluten Revisionsgründe und weiteren Verfahrensmängel nicht festgestellt werden konnten. Die Bearbeitungsdauer des BSG von nur wenigen Monaten ist angesichts der Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens sowie des Umfangs der auf 56 Seiten vorgetragenen Rügen in der Beschwerdebegründung keinesfalls unangemessen.
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Der EGMR hat in seinem Urteil vom 16.12.2010 (aaO) auch nicht festgestellt, dass das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde verfahrensverzögernd behandelt worden ist; die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland im erwähnten Urteil des EGMR erstreckt sich nicht auf dieses Verfahren. Der EGMR hat die verfahrensverzögerten Zeiträume in den vom Erinnerungsführer geführten Verfahren wegen seiner Honoraransprüche auf den Endzeitpunkt bis spätestens 12.5.2010 festgesetzt (vgl Urteil des EGMR vom 16.12.2010 - Juris RdNr 71 ff). Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde hat aber erst danach begonnen und betrifft die ausgeurteilten Zeiträume daher nicht.
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Zum anderen hat auch der EGMR (aaO, RdNr 109) ausdrücklich entschieden, dass die von den Sozialgerichten erhobenen Gebühren ihren Grund nicht in der verzögerten Sachbehandlung hatten, sondern unabhängig davon zu erheben waren; er hat deshalb den Antrag des Klägers auf Erstattung der verauslagten Gerichtskosten zurückgewiesen (aaO, RdNr 111).
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Die Höhe der festgesetzten Gerichtskosten ergibt sich aus dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zu § 3 Abs 2 GKG. Entsprechend der Nr 7502 des Kostenverzeichnisses beträgt die Gebühr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, soweit über die Beschwerde - wie hier - entschieden worden ist, das Zweifache des Gebührensatzes nach § 34 GKG. Bei einem Streitwert von 72 818 Euro errechnet sich aus der Gebührentabelle für Gerichtskosten gemäß § 34 Abs 1 Satz 3 GKG iVm Anlage 2 der Betrag von 1312 Euro.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs 8 GKG.
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