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BSG 20.12.2011 - B 4 AS 200/10 R
BSG 20.12.2011 - B 4 AS 200/10 R - Revisionsbegründung - Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - freiwillige Zuwendungen von Familienangehörigen oder Dritten
Normen
§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 20.07.2006, § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB 2 vom 20.07.2006, § 164 Abs 2 S 3 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Karlsruhe, 6. Oktober 2010, Az: S 11 AS 4503/07, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 22. April 2010, Az: L 7 AS 5268/09, Urteil
Tenor
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April 2010 wird zurückgewiesen.
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Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Alg II und die Rückforderung überzahlter Leistungen.
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Die 1985 geborene Klägerin stand seit März 2005 im Bezug von Alg II bei dem Beklagten. Sie übte vom 1.10.2005 bis Juli 2006 eine Nebentätigkeit mit einem Verdienst von 400 Euro aus. Außerdem leitete die Mutter der Klägerin das Kindergeld überwiegend in Höhe von 150 Euro an diese weiter. Ferner erhielt die Klägerin auf ihr Konto Zuwendungen ihres Vaters in unterschiedlicher Höhe. Im November 2006 forderte der Beklagte die Klägerin zur Vorlage von Kontoauszügen auf.
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Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21.3.2007 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide in Höhe von 1765 Euro wegen zumindest grob fahrlässig nicht mitgeteilten Einkommens auf und setzte mit vier weiteren Änderungsbescheiden vom gleichen Tag das Alg II für die Aufhebungszeiträume neu fest. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4.9.2007 zurück. Mit Erstattungsbescheid vom 15.2.2008 reduzierte der Beklagte die Erstattungsforderung auf einen Betrag von 1419 Euro.
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Das SG hat nach persönlicher Anhörung und Vernehmung der Eltern der Klägerin als Zeugen die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.10.2009). Der Beklagte hat mit Teilanerkenntnis vom 22.4.2010 die angefochtenen Bescheide für August 2006 in Höhe eines Erstattungsbetrages von 75 Euro aufgehoben. Das LSG hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 22.4.2010 zurückgewiesen und ausgeführt, Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide sei nicht die im Widerspruchsbescheid genannte Rücknahme nach § 45 SGB X, sondern die Aufhebung nach § 48 SGB X. Denn die in unregelmäßiger Höhe erfolgten Zuwendungen seien jeweils nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 25.10.2005 (Zeitraum vom 1.1. bis 31.3.2006) und vom 21.3.2006 (Zeitraum ab 1.4.2006) zugeflossen. Einkommen sei nach § 11 Abs 1 S 1 SGB II alles, was der Hilfebedürftige im Bedarfszeitraum wertmäßig dazu erhalte. Die Gutschriften seien unabhängig davon Einkommen, ob das Konto im Zeitpunkt der Buchung im Haben oder im Soll gestanden habe. Sowohl die Klägerin als auch ihr Vater hätten die Zuwendungen als "Schenkungen" bezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie einen unentgeltlichen und endgültigen Vermögenszufluss zugunsten der Klägerin darstellen sollten. Es habe sich nicht um zweckbestimmte Leistungen gehandelt. Durch die Verwendung zum Ausgleich von Kontoüberziehungen, die durch die Finanzierung des Lebensunterhalts entstanden seien, sei im Ergebnis nur die finanzielle Lage hergestellt worden, die der Deckung des Lebensunterhalts durch vorhandene Mittel entspreche.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der vom Senat zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 11 SGB II und verweist auf die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie vorgetragen hatte, die Zuwendungen hätten dem Zweck gedient, ihr einen über dem Existenzminimum liegenden Lebensstandard zu ermöglichen. Insoweit seien die Voraussetzungen für eine Nichtberücksichtigung gegeben.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. Oktober 2009 sowie die Bescheide vom 21. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2007 in der Form der Änderungsbescheide vom 15. Februar 2008 und des Teilanerkenntnisses vom 22. April 2010 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist zulässig.
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Sie ist insbesondere in hinreichender Form begründet worden (§ 164 Abs 2 SGG), obwohl die Klägerin auf die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen hat. Dies ist ausnahmsweise unbedenklich, weil sich die Klägerin dort bereits mit den Fragen des materiellen Rechts auseinandergesetzt hat, die sich auch im Revisionsverfahren stellen. Unter diesen Voraussetzungen würde eine erneute eigenständige Begründung auf eine bloße Wiederholung des bereits Vorgetragenen hinauslaufen. Unter derartigen Umständen darf der Revisionskläger mit einer Bezugnahme begründen (BSG SozR 1500 § 164 Nr 3, 4, 27; BSG Urteil vom 9.8.1995 - 9 RVs 3/95, juris RdNr 7).
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Die Revision ist unbegründet.
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Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die den Zeitraum vom 1.1. bis 31.8.2006 betreffenden Bescheide, mit denen der Beklagte die Bewilligung von Alg II teilweise aufgehoben hat und die Erstattung von (noch) 1344 Euro verlangt.
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Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung von Alg II mit Wirkung für die Vergangenheit ist § 48 Abs 1 SGB X. Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X iVm § 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II; § 330 Abs 3 SGB III).
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Es ist nicht zu beanstanden, dass das LSG die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X bejaht hat, denn die Klägerin hat infolge der Zuwendungen ihres Vaters Einkommen erzielt, das zu einer Minderung ihres Anspruchs auf Alg II geführt hat. Nach § 11 Abs 1 S 1 SGB II sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen, mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem BVG und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten und Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält (BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 18; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30, RdNr 15). Verbindlichkeiten sind - abgesehen von der hier nicht einschlägigen Ausnahme der Aufwendungen zur Erfüllung von titulierten Unterhaltspflichten - nicht vom Einkommen abzuziehen (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25). Da es bei der Einordnung lediglich auf den Zuwachs beim Leistungsberechtigten ankommt, ist unerheblich, ob und in welchem Umfang sich aufgrund der Zahlungen ein positiver Kontostand auf dem Konto der Klägerin ergeben hat.
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Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG waren die vom Vater der Klägerin veranlassten Zahlungen auch nicht als Darlehen zu qualifizieren. Eine Berücksichtigung der fraglichen Zuwendungen kann also nicht unter dem Gesichtspunkt verneint werden, dass die Zahlungen aufgrund eines zivilrechtlich wirksam abgeschlossenen Darlehensvertrages getätigt wurden und mit einer Rückzahlungsverpflichtung verbunden worden sind (vgl BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30, RdNr 17 ff).
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Schließlich kann entgegen der Auffassung der Revision eine Nichtberücksichtigung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zweckbestimmung der Zuwendungen erfolgen. Nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II sind nicht als Einkommen Einnahmen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
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§ 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II will verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt wird, sowie dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden (zuletzt BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 90/10 R - RdNr 21). Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung zu der bis 31.3.2011 geltenden Rechtslage entschieden, dass zweckbestimmte Einkünfte auch auf privatrechtlicher Grundlage begründet werden können (BSGE 102, 295 = SozR 4-4200 § 11 Nr 24; BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 90/10 R - RdNr 21). Eine auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung ist dann zweckbestimmt iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II, wenn ihr über die Tilgungsbestimmung hinaus erkennbar eine bestimmte Zweckrichtung beigemessen ist. Der erkennende Senat versteht dies als eine Vereinbarung, aus der sich objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung für einen bestimmten Zweck verwendet werden soll (privatrechtlicher Verwendungszweck; BSGE 102, 295 = SozR 4-4200 § 11 Nr 24; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 29; BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 90/10 R - RdNr 22).
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Aus den Feststellungen des LSG ergibt sich die Vereinbarung eines privatrechtlichen Verwendungszwecks nicht. Das LSG hat hierzu ausgeführt, es sei nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens der Überzeugung, dass der Vater der Klägerin die fraglichen Zuwendungen in der Annahme getätigt habe, diese benötige Geld, um ihr überzogenes Girokonto auszugleichen bzw das Soll zu verringern. Die Zuwendungen seien letztlich dazu bestimmt gewesen, der Klägerin zur allgemeinen Lebensführung und damit auch zur Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen. Mit diesen tatsächlichen Ausführungen wird lediglich eine Motivation bzw Erwartung des Zuwendenden beschrieben, eine vertragliche Bestimmung zur Verwendung der zugewandten Mittel wurde jedoch auf dieser Basis gerade nicht getroffen. Der Vater nahm keinen Einfluss auf die Verwendung der der Klägerin durch den Kontoausgleich zugeflossenen Beträge. Unabhängig davon handelt es sich bei der Motivation, der Klägerin im Ergebnis einen oberhalb des Existenzminimums angesiedelten Lebensstandard zu verschaffen, auch nicht um einen gegenüber dem mit der Gewährung von SGB II-Leistungen verfolgten Zielen qualitativ abweichenden Zweck.
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Der von dem Beklagten jetzt noch geltend gemachte Erstattungsbetrag in Höhe von 1344 Euro ist jedenfalls nicht zu Ungunsten der Klägerin rechtswidrig.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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