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BSG 02.02.2010 - B 8 SO 20/08 R
BSG 02.02.2010 - B 8 SO 20/08 R - Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - notwendige Beiladung des Heimträgers - Sozialhilfe - Eingliederungshilfe in stationäre Einrichtung - Übernahme der Heimkosten - Sachleistungsverschaffung - Schuldbeitritt - fehlende Feststellungen zum Inhalt der geschlossenen Verträge und entsprechender Zahlungsverpflichtungen
Normen
§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG, § 103 SGG, § 53 SGB 12, §§ 53ff SGB 12, § 75 SGB 12, § 76 Abs 2 S 3 SGB 12, § 5 HeimG, §§ 5ff HeimG, § 6 Abs 3 HeimG, § 7 WBVG vom 29.07.2009, § 8 WBVG vom 29.07.2009, § 45 SGB 10, § 48 SGB 10
Vorinstanz
vorgehend SG Würzburg, 29. Mai 2006, Az: S 5 SO 117/05, Gerichtsbescheid
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 15. November 2007, Az: L 11 SO 46/06, Urteil
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch auf Übernahme höherer Heimkosten für die Zeit ab dem 1.1.2005.
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Der Kläger ist geistig behindert und befindet sich seit 1983 in einem Heim; die Heimkosten werden vom Beklagten übernommen. Der Wohnheim-Pflegesatz wird zwischen dem Träger des Wohnheims und dem Beklagten auf der Grundlage von Vereinbarungen abgerechnet; in den Vergütungsvereinbarungen zwischen dem Beklagten und dem Heimträger sind die Vergütungen nach Hilfebedarfsgruppen gestaffelt. Dem Bewilligungsbescheid für die Zeit ab 1.9.2001 hat der Beklagte die Hilfebedarfsgruppe 2 zugrunde gelegt (Bescheid vom 31.7.2002) .
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Im Juni 2003 machte der Heimträger gegenüber dem Beklagten geltend, dass sich beim Kläger gesundheitliche Verschlechterungen eingestellt hätten und er deshalb in die kostenintensivere Hilfebedarfsgruppe 3 eingestuft werden müsse. Der Beklagte lehnte dies ab, weil dafür die bisherigen Vergütungen für alle Maßnahmeteilnehmer unter Berücksichtigung einer aktualisierten Zuordnung zu den Hilfebedarfsgruppen neu verhandelt werden müssten; eine isolierte Anpassung der Vergütung nur für den Kläger sei nach den vertraglichen Vereinbarungen ausgeschlossen. Demgemäß übernahm er dem Kläger gegenüber für die Zeit ab dem 1.1.2005 die Kosten weiterhin nur nach der Hilfebedarfsgruppe 2 (Bescheid vom 11.7.2005; Widerspruchsbescheid vom 22.11.2005) .
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Die auf höhere Leistungen gerichtete Klage ist erst- und zweitinstanzlich ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Würzburg vom 29.5.2006; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts <LSG> vom 15.11.2007) . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe kein Recht auf Zuordnung zu einer anderen Hilfebedarfsgruppe; sein sachlicher Bedarf im Heim sei gedeckt. Es sei auch nicht ersichtlich, dass er einen ungedeckten finanziellen Bedarf habe. Er selbst werde für höhere Kosten als die vom Beklagten übernommenen durch das Heim nicht in Anspruch genommen; der Heimvertrag zwischen dem Kläger und dem Heimträger sei auch nicht abgeändert worden.
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Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 76 Abs 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), von § 6 Abs 3 iVm § 7 Abs 5 Satz 1 Heimgesetz (HeimG) sowie Verfahrensfehler. Er habe ein subjektives Recht auf eine zutreffende Feststellung der Hilfebedarfsgruppe. Von der Einstufung in die Hilfebedarfsgruppe hänge die Höhe der vom Beklagten zu übernehmenden Heimkosten ab. Er (der Kläger) sei Schuldner des Heimentgelts und habe gegenüber dem Sozialhilfeträger im Rahmen seines Eingliederungshilfeanspruchs nach dem SGB XII Anspruch auf Kostenübernahme in Höhe dieses Entgelts. Das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt; es sei dem Beweisantrag auf Klärung des veränderten Hilfebedarfs als Grundlage für eine Änderung der Hilfebedarfsgruppe nicht gefolgt.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 11.7.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.11.2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, höhere Kosten der Eingliederungshilfe ab 1.1.2005 zu übernehmen und insoweit zusätzliche Beträge an den Heimträger zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) . Das Verfahren leidet an einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel. Das LSG hätte den Träger des Heims, in dem der Kläger stationär aufgenommen ist, gemäß § 75 Abs 2 1. Alt SGG notwendig beiladen müssen.
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Nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann ("echte" notwendige Beiladung). Das Erfordernis einer einheitlichen Entscheidung ist erfüllt, wenn der Hilfebedürftige vollstationär in einem Heim aufgenommen ist und - wie vorliegend - gegenüber dem Sozialhilfeträger die Übernahme von (höheren) Heimkosten im Rahmen der Eingliederungshilfe geltend macht. In solchen Fällen wird die Leistung vom Sozialhilfeträger nicht als Geldleistung erbracht. Der Sozialhilfeträger erklärt mit der Übernahme der Unterbringungskosten im Bewilligungsbescheid den Schuldbeitritt zur Zahlungsverpflichtung des Hilfebedürftigen gegenüber dem Heim; "Übernahme" bedeutet in diesem Zusammenhang Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung (BSGE 102, 1 ff RdNr 25 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) . Die Entscheidung kann deshalb nur einheitlich gegenüber dem Hilfebedürftigen und dem Heimträger ergehen; abgesehen davon verlangt der Kläger vom Beklagten auch die Zahlung höherer Beträge unmittelbar an den Heimträger.
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Von einer Nachholung der Beiladung hat der Senat abgesehen. Zwar wäre dies im Revisionsverfahren mit Zustimmung des Beizuladenden zulässig (§ 168 Satz 2 SGG) ; zur revisionsgerichtlichen Nachholung der Beiladung besteht aber keine Verpflichtung. Die Beiladung ist vielmehr in das Ermessen des Revisionsgerichts gestellt (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 168 RdNr 3d mwN) . Sie kann insbesondere dann der Tatsacheninstanz überlassen werden, wenn auch nach Beiladung aus anderen Gründen ohnedies zurückverwiesen werden müsste. Dies ist hier der Fall. Die Feststellungen des LSG würden keine abschließende Entscheidung darüber erlauben, ob und inwieweit ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Übernahme höherer Heimkosten besteht. Für diese Beurteilung fehlen nämlich tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) zu den Anspruchsvoraussetzungen der §§ 53 ff SGB XII, insbesondere zum Inhalt der zwischen Kläger und Heimträger einerseits und Heimträger und Beklagtem andererseits geschlossenen Verträge und der sich daraus ergebenden Zahlungsverpflichtungen des Klägers gegenüber dem Heim. Wegen der Zurückverweisung der Sache zur Nachholung der Beiladung ist der Senat zudem gehindert, über im Zusammenhang mit einem möglichen Anspruch sich ergebende materiellrechtliche Fragen bindend zu entscheiden (§ 170 Abs 5 SGG) , weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) des Beizuladenden verletzt würde (BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1) .
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Zu Recht ist allerdings das LSG davon ausgegangen, dass der Kläger einen Anspruch auf Übernahme nur solcher Kosten hat, die er selbst dem Heimträger schuldet (BSGE 102, 1 ff RdNr 25 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) . Der Senat hat zu den Leistungen der stationären Hilfe in Einrichtungen bereits entschieden, dass diese als Sachleistung in Form einer besonderen Art der Sachleistungsverschaffung erbracht werden (BSGE 102, 1 ff RdNr 15 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) . Allgemein tragen die Sozialhilfeträger die Verantwortung für die Versorgungsinfrastruktur, die durch Abschluss der Verträge des dafür zuständigen Sozialhilfeträgers nach den §§ 75 ff SGB XII (bzw bis 31.12.2004 der §§ 93 ff Bundessozialhilfegesetz) wahrgenommen wird; dem Hilfebedürftigen gegenüber aber besteht die Leistungsverpflichtung in der Übernahme der Heimkosten in Form eines Schuldbeitritts durch den für die Leistung zuständigen Sozialhilfeträger. Diese Konstruktion, die als Gewährleistungsverantwortungsmodell bezeichnet werden kann (vgl zu diesem Begriff Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, Vor §§ 84-87 RdNr 1, Stand Februar 2009) und nicht dem gesetzlichen Sicherstellungsauftrag des § 70 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) an die Krankenkassen gleichzusetzen ist (BSGE 102, 1 ff RdNr 15 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) , entspricht nach wie vor dem normativen Leitbild. Die §§ 5 bis 9 HeimG aF gehen - anders als die gesetzliche Krankenversicherung - ebenso wie das diese ersetzende, am 1.10.2009 als Art 1 des Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform vom 29.7.2009 (BGBl I 2319) in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (WBVG) von einer eigenen Verpflichtung des Heimbewohners zur Zahlung der Heimvergütung aus. Erst der Schuldbeitritt führt zu einem unmittelbaren Zahlungsanspruch der Einrichtung gegen den Sozialhilfeträger (BSGE 102, 1 ff RdNr 25 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9) ; andererseits hat der Hilfeempfänger gegen den Sozialhilfeträger einen Anspruch auf Zahlung des Sozialhilfeträgers unmittelbar an die Einrichtung (BSG aaO) .
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Aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG lässt sich indes nicht beurteilen, welche Vergütung der Kläger dem Heimträger ab dem 1.1.2005 schuldet, insbesondere ob die Vergütung weiterhin nach der Hilfebedarfsgruppe 2 zu kalkulieren ist oder die frühere Leistungsbewilligung unter Anwendung der §§ 45, 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) abzuändern ist. Zwar hat das LSG Ausführungen dazu gemacht, dass der Heimvertrag im Hinblick auf eine Höherstufung des Klägers in die Hilfebedarfsgruppe 3 nicht angepasst worden sei; erforderlich wäre aber gewesen, zunächst den Inhalt des Heimvertrages festzustellen und zu analysieren. Nur auf der Grundlage solcher Feststellungen hätte beurteilt werden können, ob - bei angenommenem höheren Betreuungsbedarf - eine Vertragsänderung unter den Voraussetzungen des § 6 HeimG überhaupt erforderlich war. Nach den im Revisionsverfahren vorgelegten Heimvertragsunterlagen ergeben sich jedoch Anhaltspunkte, dass eine feste Heimvergütung überhaupt nicht vereinbart war, sondern dass die Vergütung unmittelbar an die jeweiligen Vereinbarungen zwischen Sozialhilfe- und Heimträger gekoppelt waren, also diese Verträge unmittelbaren Einfluss auf jene haben und die Höhe der Heimvergütung somit durch das Leistungserbringungsrecht bestimmt werden konnte.
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Sofern sich dies bestätigen sollte, wäre der Inhalt der Vereinbarungen zwischen Sozialhilfe- und Heimträger (Leistungserbringungsverträge) festzustellen und insbesondere die Frage zu klären, ob und wie die Einstufung in eine Hilfebedarfsgruppe in diesen Verträgen geregelt ist, wer also über die Einstufung zu entscheiden hat und zwischen welchen der an dem Dreiecksverhältnis Beteiligten die Einstufung zu klären ist. Die Einstufung selbst ist jedenfalls kein Verwaltungsakt; hierfür würde es an einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage fehlen. Die Hilfebedarfsgruppen sind lediglich Kalkulationsgrundlage für die vertragliche Maßnahmepauschale (§ 76 Abs 2 Satz 3 SGB XII) . Wenn die Auslegung der Leistungserbringungsverträge keine Klärung der Hilfebedarfsgruppen zwischen den Vertragspartnern selbst vorsieht, wäre eine Klärung im Verhältnis unmittelbar zwischen Kläger und Beklagtem über die auf Grund des Hilfebedarfs richtige vertragliche Vergütung denkbar. Ggf wäre allerdings dann zuvor eine Vertragsänderung (§ 6 HeimG; s nunmehr allerdings § 8 WBVG) erforderlich, wenn bzw weil der Heimvertrag eine konkrete Vergütung überhaupt nicht vorsieht. Nur angemerkt sei, dass sich natürlich die Wirksamkeit eines geänderten Vertrags wie die jeder heimvertraglichen Vereinbarung an den Leistungserbringungsverträgen misst (§ 6 Abs 3 HeimG; vgl allerdings §§ 7, 8 WBVG für die Zeit ab 1.1.2009 mit "Anpassungsklauseln").
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Das LSG wird in seine Entscheidung auch die Kosten des Revisionsverfahrens einzubeziehen haben.
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