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BVerfG 10.11.2022 - 1 BvR 1941/22
BVerfG 10.11.2022 - 1 BvR 1941/22 - Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit in einem äußerungsrechtlichen Eilverfahren - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 935 ZPO, § 937 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend LG Berlin, 12. September 2022, Az: 27 O 367/22, Beschluss
vorgehend BVerfG, 9. November 2022, Az: 1 BvR 1941/22, Ablehnung einstweilige Anordnung
Tenor
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1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. September 2022 - 27 O 367/22 - den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes verletzt.
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2. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine durch das Landgericht Berlin ohne vorherige Anhörung erlassene einstweilige Verfügung, mit der ihm eine durch E-Mail an den Rundfunk (…) am 26. August 2022 gerichtete Äußerung über den Antragsteller des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsteller), einen Rechtsanwalt, untersagt wurde.
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1. Der Beschwerdeführer ist als Syndikusrechtsanwalt Justiziar des (…)-Verlags und nebenberuflich in geringem Umfang als selbständiger Rechtsanwalt in (…) tätig. Anlässlich von Recherchen in Bezug auf den Komplex um die entlassene Intendantin des (…) richtete der Beschwerdeführer als Justiziar des (…)-Verlags am 26. August 2022 unter Verwendung seiner persönlichen Verlags-Adresse eine E-Mail an den (…), in der er mehrere Fragen der Redaktion zum Mandatsverhältnis zwischen dem (…) und dem Antragsteller übermittelte. Die vom Antragsteller gerügte Äußerung des Beschwerdeführers gegenüber dem (…) lautete:
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Wie bewerten Sie den Umstand, dass sich (…) als Anwalt des (…) anscheinend (weiterhin) mit (…) privat trifft, die in der gesamten Angelegenheit von Anfang an den Interessen des (…) zuwiderlaufende Interessen gehabt haben dürfte?
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Die weiteren Fragen zielten unter anderem darauf ab, wer die Entscheidung getroffen habe, (…) zu mandatieren, weshalb dies geschehen sei, und ob der (…) eine erneute Mandatierung beabsichtige.
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a) Durch an dieselbe E-Mail-Adresse des Beschwerdeführers gerichtete E-Mail vom 1. September 2022, 15:29 Uhr, teilte eine durch den Antragsteller bevollmächtigte Rechtsanwältin dem Beschwerdeführer mit, dass dessen Behauptung jeglicher Grundlage entbehre und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, der wegen der besonderen Eilbedürftigkeit bis zum selben Abend, 20:00 Uhr, entgegengesehen werde. Da sich der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt in Urlaub befand, erhielt die Bevollmächtigte des Antragstellers umgehend eine automatisierte Abwesenheitsnotiz mit dem Inhalt:
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Vielen Dank für Ihre Nachricht.
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Ich bin am 12. September 2022 wieder telefonisch und per E-Mail zu erreichen. Bitte sprechen Sie mich dann erneut an.
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Aus Gründen der Vertraulichkeit wird Ihre Nachricht nicht weitergeleitet.
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Mit freundlichen Grüßen
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(…)
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b) Am Folgetag, dem 2. September 2022, 16:27 Uhr, wiederholte die Bevollmächtigte des Antragstellers durch an dieselbe E-Mail-Adresse des Beschwerdeführers und in Kopie an einen weiteren Justiziar des (…)-Verlags versandte E-Mail ihre Aufforderung und gab dem Beschwerdeführer "letztmalig" Gelegenheit, die geforderte Erklärung bis 20:00 Uhr desselben Tages abzugeben.
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c) Eine Woche später, am 9. September 2022, beantragte der Antragsteller bei der Pressekammer des Landgerichts Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung, durch die dem Beschwerdeführer die abgemahnte Äußerung untersagt werden sollte. In seiner Antragsschrift wiederholte er zunächst, dass die Behauptung des Beschwerdeführers jeglicher Grundlage entbehre. Ergänzend führte er aus, dass er Frau (…) "nicht (weiterhin) getroffen" habe, "nicht nach ihrer Abberufung durch den Rundfunkrat des (…) am 15.08.2022 und auch nicht danach". Diese Aussage versicherte er in einer der Antragsschrift beigefügten Anlage an Eides statt. Als weitere Anlagen fügte der Antragsteller die E-Mail des Beschwerdeführers an den (…) vom 26. August 2022 bei sowie die an den Beschwerdeführer gerichteten E-Mails vom 1. und 2. September 2022 unter Hinweis darauf, dass eine Rückmeldung in der Sache vollständig ausgeblieben sei.
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d) Durch drei Tage später an den Beschwerdeführer gerichtete E-Mail von Montag, dem 12. September 2022, 09:45 Uhr, ließ der Antragsteller den Beschwerdeführer über den eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unterrichten und räumte eine nochmalige Stellungnahmemöglichkeit bis 16:00 Uhr desselben Tages ein. Daraufhin bat der Beschwerdeführer um 09:59 Uhr um Übersendung der eidesstattlichen Versicherung, um sich zu deren Inhalt gegebenenfalls einlassen zu können. Nachdem der Antragsteller dem nicht nachkam, monierte der Beschwerdeführer dies durch Telefax von 16:01 Uhr gegenüber dessen Bevollmächtigten und stellte den Tatsachencharakter der beanstandeten Äußerung in Frage. Angesichts einer inhaltsgleich bereits gegen den (…)-Verlag vor dem Landgericht Berlin am 1. September 2022 (Az. 27 O 352/22) erwirkten einstweiligen Verfügung habe der Antragsteller kein Rechtsschutzbedürfnis für einen erneuten Antrag. Jedenfalls fehle es an einer Wiederholungsgefahr. Demgegenüber beharrte die Bevollmächtigte des Antragstellers durch kurze Zeit später, um 17:28 Uhr, an den Beschwerdeführer gerichtete E-Mail auf der Abgabe der geforderten Unterlassungserklärung, für die sie dem Beschwerdeführer eine weitere Frist bis 20:00 Uhr desselben Tages setzte.
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e) In Kenntnis der E-Mail des Antragstellers vom 12. September 2022, 09:45 Uhr, und der an diesen durch den Beschwerdeführer kurze Zeit später um 09:59 Uhr herangetragenen Bitte um Übersendung der einstweiligen Verfügung erließ die Pressekammer des Landgerichts Berlin "wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung" die einstweilige Verfügung im Laufe desselben Tages wie beantragt und führte zur Begründung aus, das glaubhaft gemachte tatsächliche und rechtliche Vorbringen nebst Anlagen rechtfertige den geltend gemachten Unterlassungsanspruch. Eine Anhörung des Antragsgegners durch das Gericht sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, nicht erforderlich gewesen, weil die Abmahnung der Antragsschrift inhaltlich entspreche.
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f) Nachdem der Beschwerdeführer ein im Wege der Zustellung von Anwalt zu Anwalt von ihm unter Übermittlung der einstweiligen Verfügung nebst Anlagen erbetenes Empfangsbekenntnis nicht abgab, wurde ihm der Beschluss des Landgerichts vom 12. September 2022 am 5. Oktober 2022 durch den Gerichtsvollzieher zugestellt. Hiergegen legte er am 6. Oktober 2022 Widerspruch ein. Termin zur mündlichen Verhandlung über den Widerspruch wurde für den 10. November 2022 bestimmt.
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2. Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 12. September 2022 hat der Beschwerdeführer durch am 7. Oktober 2022 eingereichten Schriftsatz Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er sinngemäß die Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechtes auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG rügt. In seiner Begründung verweist er für das Feststellungsinteresse auf die Ankündigung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2022, nach der es bei zukünftigen Verstößen gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit durch die Berliner Pressekammer ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde stets als gegeben ansehen werde (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Januar 2022 - 1 BvR 123/21 -, Rn. 42). Indem ihm seitens des Landgerichts keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden sei, liege ein solcher neuerlicher Verstoß vor. Zum einen habe der Antragsteller seinen Antrag erst eine Woche nach Ablauf der dem Beschwerdeführer zuletzt gesetzten Frist eingereicht, obschon die diesem zuvor gesetzten Fristen nur auf wenige Stunden bemessen gewesen seien. Zum anderen seien der Inhalt der Abmahnungsschreiben und der der Antragsschrift nicht identisch, da erstmals der Antragsschrift eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers beigefügt gewesen sei.
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3. Von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme hat der Antragsteller durch Schriftsatz vom 27. Oktober 2022 Gebrauch gemacht. Die Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung Berlin hat eine Stellungnahme der 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vorgelegt und von einer eigenen Äußerung abgesehen.
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4. Mit Beschluss vom 9. November 2022 hat die Kammer im vorliegenden Verfahren den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. November 2022 - 1 BvR 1941/22 -).
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Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.
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II.
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Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen vor. Die für die Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Rechtsfragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerde wurde binnen eines Monats und damit gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG fristgerecht erhoben und ist auch im Übrigen zulässig.
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a) Insbesondere ist der Rechtsweg, ungeachtet des fortdauernden Ausgangsverfahrens, erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Beschwerdeführer macht eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass einer äußerungsrechtlichen einstweiligen Verfügung geltend. Er wendet sich dabei gegen ein bewusstes Übergehen seiner prozessualen Rechte. Mit dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kann eine Missachtung von Verfahrensrechten als solche nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 12), weil er von den Erfolgsaussichten in der Sache abhängt. Auch sonst gibt es keinen Rechtsbehelf, mit dem eine Verletzung der prozessualen Waffengleichheit eigens als solche vor den Fachgerichten geltend gemacht werden könnte. Die Verfassungsbeschwerde kann daher ausnahmsweise unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung erhoben werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 10; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 12; vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 16; vom 6. Februar 2021 - 1 BvR 249/21 -, Rn. 16; vom 1. Dezember 2021 - 1 BvR 2708/19 -, Rn. 18; vom 11. Januar 2022 - 1 BvR 123/21 -, Rn. 29; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 16).
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b) Zwar kann nicht jede Verletzung prozessualer Rechte unter Berufung auf die prozessuale Waffengleichheit im Wege einer auf Feststellung gerichteten Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Vielmehr bedarf es eines hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresses (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 11; vom 30. September 2018 - 1 BvR 2421/17 -, Rn. 24; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. Oktober 2019 - 1 BvR 1078/19 u.a. -, Rn. 3; vom 27. Juli 2020 - 1 BvR 1379/20 -, Rn. 9; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 15 ff.). Ein solches ist vorliegend aber bereits deshalb als gegeben anzusehen, weil die Berliner Pressekammer zum wiederholten Male die Anforderungen an die Verfahrenshandhabung in äußerungsrechtlichen Eilverfahren verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Januar 2022 - 1 BvR 123/21 -, Rn. 32, 42).
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2. Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. September 2022 verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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a) Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist eine Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor Gericht. Das Gericht muss den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einräumen, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht (vgl. BVerfGE 70, 180 188>) gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 9, 89 96 f.>; 57, 346 359>).
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aa) Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Voraussetzung der Verweisung auf eine nachträgliche Anhörung ist, dass ansonsten der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt würde (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 15). Im Presse- und Äußerungsrecht kann jedenfalls nicht als Regel von einer Erforderlichkeit der Überraschung des Gegners bei der Geltendmachung von Ansprüchen ausgegangen werden (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 2421/17 -, Rn. 31; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 21; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 20). Auch wenn über Verfügungsanträge in äußerungsrechtlichen Angelegenheiten angesichts der Eilbedürftigkeit nicht selten zunächst ohne mündliche Verhandlung entschieden werden muss, berechtigt dies das Gericht nicht dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag aus dem Verfahren herauszuhalten (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 21 ff.). Eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen geltend gemachte Vorbringen zu erwidern (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 21; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 23; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 22).
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bb) Dabei ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, wenn das Gericht in Eilverfahren auch die Möglichkeiten einbezieht, die es der Gegenseite vorprozessual erlauben, sich zu dem Verfügungsantrag zu äußern, wenn sichergestellt ist, dass solche Äußerungen vollständig dem Gericht vorliegen. Hierfür kann auf die Möglichkeit zur Erwiderung gegenüber einer dem Verfügungsverfahren vorangehenden Abmahnung abgestellt werden. Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen die Erwiderungsmöglichkeiten auf eine Abmahnung allerdings nur dann, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen: der Verfügungsantrag muss im Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht eingereicht werden; die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung müssen mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sein; der Antragsteller muss ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht einreichen. Demgegenüber ist dem Antragsgegner Gehör zu gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde oder der Antrag vor Gericht in anderer Weise als in der Abmahnung oder mit ergänzendem Vortrag begründet wird (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 22 ff. sowie Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 18 f.; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 14; vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 22; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 25; vom 1. Dezember 2021 - 1 BvR 2708/19 -, Rn. 28; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 23).
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cc) Um der herausragenden Bedeutung der prozessualen Waffengleichheit gerecht zu werden, sind die Voraussetzungen, unter denen von einer Anhörung des Antragsgegners ausnahmsweise abgesehen werden kann, eng begrenzt. So wird eine besondere, eine Anhörung des Antragsgegners ausnahmsweise entbehrlich machende Dringlichkeit in äußerungsrechtlichen Fallkonstellationen im Regelfall zu verneinen sein, wenn der Antragsteller vom Ablauf der außergerichtlich eingeräumten Äußerungsfrist bis zur gerichtlichen Antragstellung ein Mehrfaches jener Zeit verstreichen lässt, die er dem Antragsgegner als außergerichtliche Frist gewährt hatte (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Februar 2021 - 1 BvR 249/21 -, Rn. 25; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 27). Auch wird inhaltlich regelmäßig bereits dann keine gleichwertige Erwiderungsmöglichkeit bestehen, wenn das Antragsbegehren erstmals im gerichtlichen Verfahren durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht wird. Denn soweit ein ohne Glaubhaftmachung angekündigter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 936 ZPO in Verbindung mit § 922 Abs. 2 ZPO keine Aussicht auf Erfolg bietet, braucht sich der Antragsgegner ungleich weniger zu einer Stellungnahme veranlasst sehen als durch eine außergerichtliche Abmahnung, die erkennbar bereits die prozessualen Voraussetzungen erfüllt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 16). Das Gebot schließlich, zusammen mit der Antragsschrift ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners bei Gericht einzureichen, ist in einem weiten Sinne zu verstehen und schließt deshalb jegliche - auch automatisierte - Rückäußerungen des Antragsgegners ein, die für die inhaltliche Beurteilung des Antrags oder auch nur für die Verfahrenshandhabung durch das Gericht von Bedeutung sind.
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dd) Eine ohne Anhörung des Antragsgegners zu dessen Nachteil ergangene Entscheidung muss erkennen lassen, dass sich das Gericht des Ausnahmecharakters seiner Verfahrenshandhabung bewusst war. Insbesondere dürfen weniger einschneidende Alternativen nicht bestanden haben. Das setzt im Regelfall voraus, dass es auch nicht möglich war, dem Antragsgegner fernmündlich, durch E-Mail oder Telefax Gelegenheit zu geben, den Vortrag des Antragstellers zur Kenntnis zu nehmen und - gegebenenfalls auch kurzfristig - zu erwidern (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 21; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 16; vom 11. Januar 2021 - 1 BvR 2681/20 -, Rn. 35; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 25). Eine auch hiervon absehende Entscheidung wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen in äußerungsrechtlichen Eilverfahren nur im Ausnahmefall genügen. In jedem Fall unzulässig ist es, wegen einer gegebenenfalls durch die Anhörung des Antragsgegners befürchteten Verzögerung oder wegen einer durch die Stellungnahme erforderlichen, arbeitsintensiven Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Antragsgegners bereits in einem frühen Verfahrensstadium gänzlich von einer Einbeziehung der Gegenseite abzusehen und sie stattdessen bis zum Zeitpunkt der auf Widerspruch hin anberaumten mündlichen Verhandlung mit einem einseitig erstrittenen gerichtlichen Unterlassungstitel zu belasten (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 23; vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 27; vom 11. Januar 2021 - 1 BvR 2681/20 -, Rn. 37; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 29; vom 1. Dezember 2021 - 1 BvR 2708/19 -, Rn. 32; vom 11. Januar 2022 - 1 BvR 123/21 -, Rn. 40; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 25).
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b) Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss den Beschwerdeführer offenkundig in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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Während die dem Beschwerdeführer durch den Antragsteller zunächst am 1. September 2022 eingeräumte Stellungnahmefrist nicht einmal fünf Stunden betrug und die zweite, am Folgetag neu gesetzte Stellungnahmefrist nicht einmal vier Stunden, richtete der Antragsteller seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erst am 9. September 2022 an das Landgericht und damit acht Tage nach Ablauf der ersten und sieben Tage nach Ablauf der zweiten Frist. Aufgrund der Beifügung beider Schriftsätze als Anlagen zur Antragsschrift standen dem Landgericht diese zeitlichen Abläufe vor Augen. Ebenso offensichtlich war, dass die der Antragsschrift beigefügte eidesstattliche Versicherung des Antragstellers bereits vom 1. September 2022 datierte, dem Beschwerdeführer jedoch weder mit der ersten noch mit der zweiten Abmahnung zur Kenntnis gebracht worden war. Überdies hatte die Pressekammer vor ihrer Entscheidung Kenntnis davon, dass der Beschwerdeführer den Antragsteller noch am 12. September 2022 um 09:59 Uhr ausdrücklich darum gebeten hatte, ihm die dem Gericht vorgelegte eidesstattliche Versicherung zu übersenden, um sich zu deren Inhalt gegebenenfalls einlassen zu können.
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Wenn das Landgericht formelhaft ausführt, eine Anhörung des Antragsgegners durch das Gericht sei nicht erforderlich gewesen, weil die Abmahnung der Antragsschrift inhaltlich entspreche, trifft dies mithin schon nicht zu, da der Beschwerdeführer keine Kenntnis vom Inhalt der eidesstattlichen Versicherung hatte. Nicht nachvollziehbar ist ebenso, weshalb das Landgericht am 12. September 2022 von einer Übersendung der bereits drei Tage zuvor eingegangenen Antragsschrift nebst Anlagen abgesehen hat, obschon es Kenntnis von einer durch den Antragsteller ergänzend gewährten Stellungnahmefrist und der im Zuge dessen ausdrücklich geäußerten Bitte des Beschwerdeführers um Übersendung der eidesstattlichen Versicherung besaß. Soweit das Landgericht die Anhörung des Antragsgegners als "nicht erforderlich" bezeichnet, missversteht es die verfassungsrechtlichen Anforderungen aber auch grundsätzlich. Denn nach diesen ist die Anhörung des Antragsgegners keiner Erforderlichkeitsprüfung zu unterziehen, sondern der umgekehrten Überlegung, ob von einer Anhörung ausnahmsweise abgesehen werden darf. Der besonderen Eilbedürftigkeit, die weniger einschneidende Alternativen der Verfahrenshandhabung nicht gestattet, hätte es im vorliegenden Verfahren daher selbst dann bedurft, wenn Abmahnung und gerichtlicher Antrag - wie das Landgericht angenommen hat - tatsächlich identisch gewesen wären. Da die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an das Absehen von einer Anhörung im Interesse der prozessualen Waffengleichheit kumulative Voraussetzungen bilden, ist es dem Gericht verwehrt, den Antragsgegner allein schon deshalb aus dem Verfahren herauszuhalten, weil ihm das Vorbringen bereits bekannt war (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 21 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Januar 2021 - 1 BvR 2681/20 -, Rn. 32).
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III.
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Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 366 ff.>; BVerfGK 20, 336 337 ff.>).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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